L 9 U 2651/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 U 4568/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2651/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer multiplen Chemikalien-Sensitivität als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).

Die 1957 in Kroatien geborene Klägerin ist seit Oktober 1990 bei der Firma W. GmbH als Maschinenbedienerin (Löten, Maßrichten, Plasmaschweißen, Ultraschallreinigung, Laserschweißen, Bürsten von Schweißnähte) beschäftigt und dabei Einwirkungen verschiedener Arbeitsstoffe (Ultraschallreinigungsmittel, Aceton, Ethanol, Dämpfen von Plasma-Laser-Schweißen und seit 2002 Glykolether und 3-Butoxy-2 Propanol) ausgesetzt.

Am 2.11.2009 kam es bei der Klägerin während der Arbeitszeit nach Inhalation von Dämpfen eines Lösungsmittels zu Zittern, Schwäche und Schwindelgefühl. Dieses Ereignis wurde der Beklagten als Arbeitsunfall angezeigt.

Mit Bescheid vom 4.11.2010 und Widerspruchsbescheid vom 12.4.2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe (S 15 U 1857/11) erhoben.

Nachdem die Klägerin vom 2.11.2009 bis 11.12.2009 wegen des oben genannten Ereignisses arbeitsunfähig war und bei Wiederaufnahme der Tätigkeit am 14.12.2009 notfallmäßig in die Medizinische Klinik II des Klinikums P. wegen erneuter Kopfschmerzen und Schwäche eingeliefert werden musste (Diagnosen: Hypertensive Entgleisung, bekannte Geruchsempfindlichkeit/Verdacht auf Unverträglichkeit von Reinigungsmittel, Verdacht auf Somatisierungsstörung), zeigte die AOK Nordschwarzwald wegen der Diagnosen: "Tox. W: Gas/Dampf/Rauch, Allergie" der Beklagten unter dem 14.4.2010 den Verdacht auf eine Berufskrankheit (BK) an.

Die Klägerin gab unter dem 12.3.2010 an, am 2.11.2009 hätten die Inhaltsstoffe von "vapic", einem Entfetter der Reinigungsanlage, zu starkem Schwindel und Übelkeit geführt. Es handle sich um ein Lösungsmittelgemisch aus 3-Butoxy-2-Propanol. Seit 2002 reagiere sie zunehmend auf Konservierungsmitteln in Lebensmittel und Kosmetik sowie auf Haushaltsreiniger bei Hautkontakt oder bei Einatmen. Erstmals hätten sich die Beschwerden 2002, nach Installation einer neuen Reinigungsanlage, mit Kopfschmerzen und Beschwerden der Augen und Atemwege bemerkbar gemacht. Ab 2004 seien weitere Beschwerden des Nervensystems, Schleimhautreizungen, Blasenprobleme und Kreislaufkollaps hinzugekommen. Häufig habe sie deswegen ihren Arbeitsplatz verlassen, Urlaub und Gleitzeit nehmen müssen und sei auch wegen entsprechender Beschwerden als Notfall im Krankenhaus aufgenommen worden.

Vom 24.1. bis 20.2.2010 wurde die Klägerin in der Spezialklinik N., Akutklinik zur Behandlung von Allergien, Haut- und Umwelterkrankungen, stationär behandelt. Die dortigen Ärzte stellten folgende Diagnosen: Multiple chemical sensitivity (MCS), Typ-I-Sensibilisie-rungen gegen Inhalations- und Nahrungsmittelallergene, Hypercholesterinämie und enterale Dysbiose.

Nach Einholung einer gewerbeärztlichen Stellungnahme teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 30.8.2010 mit, ihre Beschwerden (Kopfschmerzen, Atemwegsbeschwerden, Augenbeschwerden, Kreislauf- und Blasenprobleme, Schleimhautreizungen, Erkrankung des Nervensystems, Verdacht auf MCS) seien keine Berufskrankheit (BK) und auch nicht wie eine BK anzuerkennen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, bei der Klägerin lägen verschiedene Beschwerden vor. Es werde vermutet, dass es sich hierbei um eine MCS handle. Bei dieser Erkrankung handle es sich nicht um eine Erkrankung der BK-Liste. Nach Angaben des Hauptverbandes der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gebe es derzeit keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, dass Chemikalien und andere Fremdstoffe in der Lage seien, die Beschwerden der Klägerin zu verursachen, da es bereits an einer einheitlichen Definition des Syndroms bzw. an Diagnosekriterien fehle. Darüber hinaus sei offen, ob und welche Einwirkungen die MCS verursachen könnten. Angesichts der erhöhten Anforderungen an einen Ursachenzusammenhang nach § 9 Abs. 2 SGB VII und des derzeit nicht bewiesenen Zusammenhangs zwischen Einwirkung und Erkrankung könne im versicherungsrechtlichen Sinne derzeit eine berufliche Verursachung der Erkrankungen nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2010 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 29.10.2010 Klage zum SG (S 15 U 4568/10) erhoben, mit der sie die Anerkennung der MCS als Wie-BK weiter verfolgt hat. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es gebe durchaus wissenschaftliche Erkenntnisse zu dieser Krankheit, z.B. das im Shaker-Verlag 2010 erschienene Buch "Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS).

Das SG hat eine in einem Parallelverfahren (S 1 U 3054/10) eingeholte Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 17.1.2011 beigezogen. Darin ist ausgeführt, das Ministerium für Arbeit und Soziales, beraten durch den Ärztlichen Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten", habe die Fragestellung der beruflichen Verursachung eines MCS-Syndroms bisher nicht geprüft. Eine Prüfung sei auch nicht beabsichtigt. Maßgebende Gründe hierfür seien, dass ihm derzeit keine Erkenntnisse über einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen MCS und der Exposition gegenüber bestimmten Einwirkungen vorlägen. So führten die Betroffenen in den verschiedensten Berufsgruppen ihre Erkrankung auf verschiedenste Expositionen zurück. Auch die epidemiologisch gesicherte Überhäufigkeit der Erkrankung bestimmter beruflich betroffener Personengruppen im Vergleich zur übrigen Bevölkerung sei nicht nachgewiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 31.5.2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, selbst wenn die Klägerin geeigneten Expositionen an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt gewesen wäre, sei jedoch die besondere Betroffenheit bestimmter Berufe oder das vermehrte Auftreten von MCS-Syndromen nach bestimmten Expositionen beim derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht beweisbar. Das Merkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung sei vorliegend nicht erfüllt. Neuere Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bezüglich der MCS und der Frage, ob diese Erkrankung Folge der Einwirkungen bestimmter im Arbeitsleben benutzter Stoffe sei, lägen nicht vor. Dies stehe zur Überzeugung des SG aufgrund der aus dem Parallelverfahren beigezogenen Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales fest. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 6.6.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27.6.2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, sie sei nach wie vor der Auffassung, dass ihre Beschwerden wie eine BK anzuerkennen seien. Die Begründung des SG sei für sie nicht akzeptabel. Sie gehe nach wie vor davon aus, dass ihre Beschwerden durch die Einwirkung des Lösungsmittels 3-Butoxy-2-Propanol, dem sie aufgrund ihrer Tätigkeit ausgesetzt gewesen sei, hervorgerufen worden seien. Sie habe Zweifel, ob das SG ihren Einzelfall ausreichend gewürdigt habe, zumal der Gerichtsbescheid über weite Teile wortgleich mit den Gerichtsbescheid des SG vom 14.2.2011 – S 1 U 3054/10 – sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31. Mai 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine MCS als Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das SG habe die Klage zu Recht abgewiesen. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die Vorschrift des § 9 Abs. 2 SGB VII keine Generalklausel darstelle, die in jedem Fall einer tätigkeitsbezogenen Erkrankung (die vorliegend zudem noch sehr fraglich sei) eine Entschädigung ermögliche. Die Vorschrift diene vielmehr dazu, die Lücke zu schließen, die sich aus der Übergangszeit zwischen den einzelnen Anpassungen der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) ergebe. Eine Änderung der BKV sei bezüglich der MCS jedoch nicht geplant. Die Klägerin verkenne die rechtlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung einer MCS als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII hat.

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, wobei sie bestimmen kann, dass Krankheiten nur dann BKen sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (§ 9 Abs. 2 Satz 2, 1. und 2. Hs. SGB VII).

Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 erfüllt sind.

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII müssen für die Feststellung der Wie-BK folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Ein "Versicherter" muss die Feststellung einer bestimmten Krankheit als Wie-BK beanspruchen. 2. Die Voraussetzungen einer der in Anl. 1 zur BKV bezeichneten Krankheiten dürfen nicht erfüllt sein. 3. Die Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als Listen-BK durch den Verordnungsgeber nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII müssen vorliegen; es muss eine bestimmte Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt (gewesen) sein, und es müssen medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung vorliegen. 4. Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu sein. 5. Im Einzelfall müssen die abstrakten Voraussetzungen der Wie-BK konkret erfüllt sein (BSG, Urteil vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - in Juris).

Bei der MCS lagen weder im Zeitpunkt der Entscheidung der Beklagten noch der Entscheidung des SG nach neuen medizinischen Erkenntnissen die Voraussetzungen für eine Bezeichnung als BK vor. Dies ist auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht der Fall.

Die Klägerin war bei ihrer Tätigkeit als Maschinenbedienerin nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Sie hat mit der MCS auch eine bestimmte Krankheit genannt, deren Anerkennung sie als Wie-BK begehrt. Die Merkmale einer Listen-BK sind nicht erfüllt, wie die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden festgestellt hat und was auch die Klägerin nicht bestreitet.

Es liegen jedoch nicht die oben genannten Voraussetzungen zu Ziffer 3 und 4 vor. Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend dargelegt, dass schon nicht nachgewiesen ist, dass die Klägerin besonderen Einwirkungen in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt gewesen ist und dass neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen einer Einwirkungs- und Verursachungsbeziehung fehlen. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zurück.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass eine Einzelfallprüfung (Ziffer 5) erst dann erfolgt, wenn zuvor die Voraussetzungen der Ziffern 3 und 4 bejaht werden konnten. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, wie oben dargelegt worden ist. Da Voraussetzung für die Anerkennung einer MCS als Wie-BK in allen Fällen das Vorliegen neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, ist es auch folgerichtig, dass die Begründung für die Ablehnung der Anerkennung einer MCS als Wie-BK bei der Klägerin die gleiche ist wie im Parallelverfahren S 1 U 3054/10 und rechtfertigt keine Zweifel an der Entscheidung des SG. Die Vorschrift des § 9 Abs. 2 SGB VII bzw. die Vorgängervorschrift § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) dient nicht dazu, bei fehlender sog. BK-Reife eine im Einzelfall durch die versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit zu entschädigen, etwa zum Ausgleich einer individuellen Härte. Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK-Liste aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage zur BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten. Nicht ausreichend ist, dass überhaupt neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, sondern es muss sich hinsichtlich der neuen Erkenntnisse eine herrschende Meinung im einschlägigen medizinischen Fachgebiet bereits gebildet haben (BSG, Urteil vom 4.6.2002 – B 2 U 16/01 R – in Juris). Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständige grundsätzlich nicht aus (BSG, Urteil vom 4.6.2002 – B 2 U 20/01 R – in Juris). Neu in diesem Sinne sind die Erkenntnisse, wenn sie bei der letzten Änderung der BKV noch nicht berücksichtigt sind. Das ist der Fall, wenn die Erkenntnisse erst nach dem Erlass der letzten Änderung der BKV gewonnen worden oder zu diesem Zeitpunkt im Ansatz vorhanden waren, sich aber erst danach zur BK-Reife verdichtet haben bzw. wenn die Erkenntnisse dem Verordnungsgeber entgangen sind und er deshalb eine Änderung der BKVO überhaupt nicht erwogen hat.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin, wie vom SG dargelegt, keinen Anspruch auf Anerkennung einer MCS wie eine BK. Eine herrschende medizinische Meinung dahingehend, dass das Lösungsmittel 3-Butoxy-2-Propanol bzw. spezifische andere Stoffe ursächlich für eine MCS sind, existiert nicht. Vielmehr werden verschiedene Hypothesen zur Entstehung (arbeits- oder umweltbedingte Störung bzw. psychosomatische oder psychiatrische Störung) geäußert und Kausalitätsbeziehungen konnten mangels messbarer und reproduzierbarer gesundheitlicher Effekte nicht objektiviert werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 160). Angesichts dessen hat sich das Ministerium für Arbeit und Soziales, beraten durch den Ärztlichen Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten", wie oben dargelegt, mit der Fragestellung der beruflichen Verursachung eines MCS-Syndroms bisher nicht befasst und beabsichtigt eine Befassung auch nicht.

Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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