Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 48 KR 1351/08
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 150/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte zur Herausgabe einer Behandlungsdokumentation an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B. (MDK) verpflichtet ist.
Der bei der Klägerin krankenversicherte K.R. befand sich in der Zeit vom 23. bis 25. Oktober 2007 in stationärer Behandlung in der Chirurgischen Klinik S., deren Träger der Beklagte ist. Dieser stellte der Klägerin hierfür unter dem 26. Oktober 2007 einen Betrag von EUR 1.838,31 in Rechnung. Mit Schreiben vom 12. November 2007 beauftragte die Klägerin den MDK mit der Überprüfung der Abrechnung und informierte hierüber mit Schreiben vom selben Tag auch den Beklagten. In der Verwaltungsakte der Klägerin befindet sich außerdem eine schriftliche Mitteilung des MDK an den Beklagten vom 14. November 2007 über den erhaltenen Prüfauftrag, dessen Erhalt der Beklagte allerdings bestreitet. Im Rahmen einer Klinikbegehung durch den MDK am 20. Februar 2008 lehnte der Beklagte die Vorlage der Behandlungsdokumentation zur Prüfung vor Ort ab, da die Frist des § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) nicht eingehalten worden sei.
Mit ihrer am 15. Dezember 2008 erhobenen Klage hat die Klägerin im Rahmen einer Stufenklage einen Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsdokumentation an den MDK zwecks Prüfung der sachlichen Richtigkeit der Abrechnung geltend gemacht, um gegebenenfalls in einer zweiten Stufe einen Erstattungsanspruch verfolgen zu können. Sie hat vorgetragen, die Auswertung der vom Beklagten übermittelten Daten nach § 301 SGB V habe ergeben, dass die Behandlung möglicherweise nicht stationär hätte erfolgen müssen oder dass der präoperative Tag möglicherweise medizinisch nicht notwendig gewesen sei. Diese Fragen seien daher durch den MDK anhand der Behandlungsdokumentation zu klären, wobei sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von EUR 1.838,81 ergeben könne. Das Prüfverfahren sei zeitnah eingeleitet und dem Beklagten sowohl durch die Klägerin als auch durch den MDK fristgerecht angezeigt worden. Ein Zugangsnachweis der Prüfanzeige könne im Hinblick auf den damit verbundenen Verwaltungsaufwand nicht verlangt werden. Im Übrigen sei der Beklagte jedenfalls durch die Klägerin selbst über die Einleitung des Prüfverfahrens informiert worden, sodass dass er gegen Treu und Glauben verstoße, wenn er aufgrund des nicht nachgewiesenen Zugangs der Anzeige durch den MDK die Herausgabe der Behandlungsunterlagen verweigere.
Der Beklagte hat demgegenüber vorgetragen, ihm sei keine Prüfanzeige des MDK zugegangen. Die Anzeige durch die Klägerin selbst sei insoweit nicht fristwahrend, da § 275 Abs. 1 c SGB V ausdrücklich eine Anzeige durch den MDK vorschreibe und auch nur dieser eine qualifizierte Prüfanzeige fertigen könne.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 24. Oktober 2011 – der Klägerin zugestellt am 4. November 2011 – abgewiesen und ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen an den MDK, da dieser den Prüfauftrag dem Beklagten nicht innerhalb von sechs Wochen nach Eingang der Rechnung bei der Klägerin angezeigt habe. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 275 Abs. 1c SGB V komme es allein auf die Anzeige durch den MDK an. Eine solche sei aber nicht nachgewiesen worden; insbesondere habe sich der Zugang des Schreibens vom 14. November 2007 nicht belegen lassen.
Die Klägerin hat dagegen am 30. November 2011 Berufung eingelegt und trägt vor, ihr Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsdokumentation an den MDK sei nicht durch die Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V ausgeschlossen. Sie habe nämlich nach Zugang der Rechnung unstreitig innerhalb der Sechswochenfrist mit Schreiben vom 12. November 2007 den MDK mit der Überprüfung des Behandlungsfalles beauftragt. Laut Dokumentation des MDK sei die Beauftragung dort am 13. November 2007 erfasst und dem Beklagten mit Schreiben vom 14. November 2011 angezeigt worden. Zwar bestreite dieser den Zugang des Schreibens, unstreitig sei jedoch, dass die Klägerin ihrerseits mit Schreiben vom 12. November 2007 den Beklagten unter Nennung des Prüfgrundes über die Einleitung der Prüfung informiert und der Beklagte dieses Schreibens auch erhalten habe. Der Beklagte sei damit fristgerecht über die Einleitung des Prüfverfahrens in gleicher Weise informiert worden wie durch eine Anzeige des MDK. Das Sozialgericht habe sich mit seiner gegenteiligen Auffassung allein auf die Wortlautauslegung beschränkt und die Möglichkeit einer historischen oder teleologischen Auslegung außer Acht gelassen. Sinn und Zweck der Regelung des § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V, nämlich die Sicherstellung der zeitnahen Unterrichtung des Krankenhauses über die Einleitung eines Prüfverfahrens, seien aber erfüllt und es bestehe auch sonst kein schutzwürdiges Vertrauen oder eine Benachteiligung des Krankenhauses. Vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung zu § 275 Abs. 1c SGB V (BT-Drs. 16/3100 S. 171) könne bereits die Frage aufgeworfen werden, ob es dem Gesetzgeber überhaupt auf eine Anzeige allein durch den MDK angekommen sei. Zwar heiße es dort zunächst: "Durch Satz 2 wird nach Eingang des Rechnungsdatensatzes bei der Krankenkasse eine Ausschlussfrist von sechs Wochen eingeführt, innerhalb derer die Krankenkasse die Prüfung einzuleiten und der Medizinische Dienst dem Krankenhaus die Prüfung anzuzeigen hat." Weiter heiße es jedoch: "Prüfungen, die nach Ablauf dieses Zeitraums dem Krankenhaus angezeigt werden, sind nicht zulässig." Damit würden generell nur solche Prüfungen für unzulässig erklärt, die nach Ablauf des Sechswochenzeitraums angezeigt würden, ohne danach zu differenzieren, ob die Anzeige durch den MDK oder durch die Krankenkasse erfolgt sei. Unabhängig davon seien weder der Gesetzesbegründung noch dem Sinn und Zweck der Regelung Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass dem Krankenhaus ein besonders schützenswertes Vertrauen zukommen solle, allein durch die Anzeige des MDK unterrichtet zu werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Oktober 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Behandlungsdokumentation über die in der Zeit vom 23. bis 25. Oktober 2007 erfolgte stationäre Behandlung des Versicherten K.R. dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B. vorzulegen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, der Wortlaut des § 275 Abs. 1c SGB V sei eindeutig und daher einer Auslegung nicht zugänglich. Eine erweiternde Auslegung dahin gehend, dass die Anzeige auch durch die Krankenkasse erfolgen könne, wäre daher contra legem. Auch ergebe sich aus Sinn und Zweck keine andere Auslegung. Die Vorschrift bezwecke die Beschleunigung des Verfahrens. Dieses Ziel sei aber nur zu erreichen, wenn die Anzeige und auch die Aktenanforderung durch den MDK von der Sechswochenfrist mitumfasst würden. Darüber hinaus komme dem MDK die ausschließliche Kompetenz zu, den Umfang der vorzulegenden Behandlungsunterlagen zu definieren. Es sei also über die abstrakte Information über ein Prüfvorhaben hinaus erforderlich, dass der MDK dem Krankenhaus die zur Beurteilung notwendigen Behandlungsunterlagen im Hinblick auf den Prüfauftrag der Krankenkasse innerhalb der Sechswochenfrist benenne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und die ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 31. Januar 2013 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) Berufung ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren auf Herausgabe von medizinischen Unterlagen an den MDK sowie auf Erstattung eines sich aus der Begutachtung des MDK eventuell ergebenden Differenzbetrages allerdings zutreffend im Wege der auch in der Sozialgerichtsbarkeit nach § 202 SGG i.V.m. § 254 Zivilprozessordnung zulässigen Stufenklage. Denn erst nach Herausgabe der Behandlungsunterlagen und anschließender Begutachtung durch den MDK ist für die Klägerin absehbar, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine Erstattungsforderung geltend gemacht werden kann. Die Klägerin ist für die Herausgabeklage auch zur Prozessführung befugt, weil sie insoweit ein eigenes Recht verfolgt. Der Herausgabeanspruch stellt lediglich einen Hilfsanspruch für den zu sichernden Erstattungsanspruch dar. Er kann daher grundsätzlich nur demjenigen zustehen, der auch Gläubiger des Zahlungsanspruchs ist (BSG, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 12/06 R – Juris).
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Herausgabeanspruchs ist § 276 Abs. 2 S. 1 HS 2 SGB V. Danach sind die Leistungserbringer auf entsprechende Anforderung des MDK verpflichtet, Sozialdaten unmittelbar an diesen zu übermitteln, soweit dies für die durch die Krankenkassen nach § 275 Abs. 1 bis 3 SGB V veranlasste gutachtliche Stellungnahme oder Prüfung erforderlich ist. Die "Übermittlung der Sozialdaten" i.S.v. § 276 Abs. 2 S. 1 SGB V geschieht in der Regel durch die vorübergehende Überlassung der Behandlungsunterlagen (BSG, Urteil vom 28.02.2007, a.a.O.).
Die Klägerin hat eine Prüfung der Krankenhausbehandlung gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eingeleitet, indem sie mit Schreiben vom 12. November 2007 den MDK beauftragt hat, eine gutachterliche Stellungnahme zu der Frage abzugeben, ob die mit Rechnung vom 26. Oktober 2007 vorgenommene Abrechnung korrekt sei. Gemäß § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V ist die Prüfung bei Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. Die Einleitung der Prüfung – die Beauftragung des MDK – ist hiernach fristgerecht erfolgt.
Dem Herausgabeanspruch steht aber entgegen, dass der MDK die Prüfung dem Beklagten nicht innerhalb dieser Sechswochenfrist angezeigt hat. Zwar befindet sich in der Verwaltungsakte der Klägerin ein Schreiben des MDK an die Beklagte vom 14. November 2007, mit dem der Prüfauftrag angezeigt wird, der Beklagte bestreitet jedoch den Zugang dieses Schreibens. In den Akten findet sich weder ein Absendevermerk noch ein Zugangsnachweis. Da die fristgerechte Anzeige durch den MDK Voraussetzung für den geltend gemachten Herausgabeanspruch ist, ist die Klägerin dafür beweispflichtig, dass diese auch rechtzeitig beim Krankenhaus eingegangen ist, ohne dass es auf ein etwaiges Verschulden des MDK ankommt. Den Nachweis hierfür konnte sie jedoch nicht erbringen. Soweit sie darauf hinweist, dass mit dem Schreiben des MDK vom 14. November 2007 auch drei weitere Prüfaufträge angezeigt worden seien, hat der Beklagte unwidersprochen mitgeteilt, dass auch diese Prüfungen mit gleicher Begründung abgelehnt worden seien, wobei es sich nicht um Prüfaufträge der Klägerin gehandelt habe. Soweit die Klägerin außerdem vorbringt, dass es mit einem unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand verbunden wäre, wenn der MDK in jedem Einzelfall für einen Zugangsnachweis Sorge zu tragen hätte, mag dies zutreffen. Sie hat dann aber im Streitfall – wie hier – die Konsequenzen eines nicht nachgewiesenen Zugangs zu tragen.
Die Frist des § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V ist auch nicht dadurch gewahrt worden, dass der Beklagte durch das Schreiben der Klägerin vom 12. November 2007 über den Prüfauftrag informiert worden ist. Das Sozialgericht hat insoweit zu Recht festgestellt, dass der Wortlaut des § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V eine Anzeige durch den MDK vorschreibt. Soweit die Klägerin kritisiert, dass das Sozialgericht andere Auslegungsmethoden als die wörtliche Auslegung außer Acht gelassen habe, übersieht sie, dass der Wortlaut einer Norm der Ausgangspunkt jeder Gesetzesinterpretation ist und gleichzeitig die Grenzen der Auslegung bestimmt. Was jenseits des sprachlich möglichen Wortsinns liegt, kann nicht mehr im Wege der Auslegung als maßgebliche Bedeutung verstanden werden (BVerfG, Urteil vom 30.03.2004 – 2 BvR 1520/01, 2 BvR 1521/01 - Juris; Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 322). Nur wenn der Wortlaut einer Norm mehrere Interpretationsmöglichkeiten zulässt, kommen andere Auslegungsmethoden zum Tragen. Hier ist der Wortlaut der Vorschrift aber eindeutig. Der in § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V enthaltenen Formulierung, wonach die Einleitung der Prüfung spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse "durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen" ist, kann selbst bei großzügiger Interpretation nicht entnommen werden, dass auch die Krankenkasse die Anzeige fristwahrend vornehmen kann.
Für eine unbeabsichtigte Regelungslücke in dem Sinne, dass der Gesetzgeber es nur versehentlich unterlassen hat, auch eine Anzeige durch die Krankenkasse in den Gesetzestext aufzunehmen, gibt es keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist auch in den Gesetzesmaterialien lediglich von einer Anzeige der Prüfung durch den MDK die Rede (BT-Drs. 16/3100 S. 171). Soweit die Klägerin meint, mit dem weiteren Satz in der Gesetzesbegründung, wonach Prüfungen, die nach Ablauf der Frist dem Krankenhaus angezeigt werden, nicht zulässig seien, werde nicht danach differenziert, ob die Anzeige durch den MDK oder durch die Krankenkasse erfolge, ist dies nicht nachvollziehbar, da sich dieser Satz erkennbar auf den vorhergehenden bezieht, in dem aber gerade ausschließlich von einer Anzeige durch den MDK die Rede ist.
Auch Sinn und Zweck der Regelung gebieten nicht die Annahme einer Regelungslücke. Die Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V dienen – gemeinsam mit anderen gesetzlichen und vertraglichen (§ 112 SGB V) Bestimmungen – der beschleunigten Abwicklung von Krankenhausabrechnungen und der zügigen Klärung medizinischer Zweifelsfragen und somit vor allem dem wirtschaftlichen Interesse der Krankenhäuser (BT-Drs. 16/3100 S. 171; BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 3 KR 14/11 R – Juris; Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 275 Rn. 17). Dementsprechend ist die Prüfung nicht nur innerhalb von sechs Wochen einzuleiten, sondern das Krankenhaus soll hiervon auch innerhalb dieser Frist (sichere) Kenntnis erlangen. Insofern macht es aber einen Unterschied, ob das Krankenhaus von der Krankenkasse oder vom MDK über die Einleitung der Prüfung unterrichtet wird, denn nur im zweiten Falle kann das Krankenhaus sicher sein, dass der Prüfauftrag auch tatsächlich innerhalb der Frist beim MDK eingegangen ist. Anderenfalls wäre es für das Krankenhaus letztlich nicht überprüfbar, ob die Krankenkasse die Frist für die Einleitung des Prüfverfahrens gegenüber dem MDK auch wirklich eingehalten hat (Beyer in JurisPK-SGB V § 275 Rn. 19). Angesichts dieser Umstände kann es auch nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben angesehen werden, dass sich der Beklagte auf den fehlenden Zugang der Anzeige durch den MDK beruft.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte zur Herausgabe einer Behandlungsdokumentation an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B. (MDK) verpflichtet ist.
Der bei der Klägerin krankenversicherte K.R. befand sich in der Zeit vom 23. bis 25. Oktober 2007 in stationärer Behandlung in der Chirurgischen Klinik S., deren Träger der Beklagte ist. Dieser stellte der Klägerin hierfür unter dem 26. Oktober 2007 einen Betrag von EUR 1.838,31 in Rechnung. Mit Schreiben vom 12. November 2007 beauftragte die Klägerin den MDK mit der Überprüfung der Abrechnung und informierte hierüber mit Schreiben vom selben Tag auch den Beklagten. In der Verwaltungsakte der Klägerin befindet sich außerdem eine schriftliche Mitteilung des MDK an den Beklagten vom 14. November 2007 über den erhaltenen Prüfauftrag, dessen Erhalt der Beklagte allerdings bestreitet. Im Rahmen einer Klinikbegehung durch den MDK am 20. Februar 2008 lehnte der Beklagte die Vorlage der Behandlungsdokumentation zur Prüfung vor Ort ab, da die Frist des § 275 Abs. 1c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) nicht eingehalten worden sei.
Mit ihrer am 15. Dezember 2008 erhobenen Klage hat die Klägerin im Rahmen einer Stufenklage einen Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsdokumentation an den MDK zwecks Prüfung der sachlichen Richtigkeit der Abrechnung geltend gemacht, um gegebenenfalls in einer zweiten Stufe einen Erstattungsanspruch verfolgen zu können. Sie hat vorgetragen, die Auswertung der vom Beklagten übermittelten Daten nach § 301 SGB V habe ergeben, dass die Behandlung möglicherweise nicht stationär hätte erfolgen müssen oder dass der präoperative Tag möglicherweise medizinisch nicht notwendig gewesen sei. Diese Fragen seien daher durch den MDK anhand der Behandlungsdokumentation zu klären, wobei sich ein Erstattungsanspruch in Höhe von EUR 1.838,81 ergeben könne. Das Prüfverfahren sei zeitnah eingeleitet und dem Beklagten sowohl durch die Klägerin als auch durch den MDK fristgerecht angezeigt worden. Ein Zugangsnachweis der Prüfanzeige könne im Hinblick auf den damit verbundenen Verwaltungsaufwand nicht verlangt werden. Im Übrigen sei der Beklagte jedenfalls durch die Klägerin selbst über die Einleitung des Prüfverfahrens informiert worden, sodass dass er gegen Treu und Glauben verstoße, wenn er aufgrund des nicht nachgewiesenen Zugangs der Anzeige durch den MDK die Herausgabe der Behandlungsunterlagen verweigere.
Der Beklagte hat demgegenüber vorgetragen, ihm sei keine Prüfanzeige des MDK zugegangen. Die Anzeige durch die Klägerin selbst sei insoweit nicht fristwahrend, da § 275 Abs. 1 c SGB V ausdrücklich eine Anzeige durch den MDK vorschreibe und auch nur dieser eine qualifizierte Prüfanzeige fertigen könne.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 24. Oktober 2011 – der Klägerin zugestellt am 4. November 2011 – abgewiesen und ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen an den MDK, da dieser den Prüfauftrag dem Beklagten nicht innerhalb von sechs Wochen nach Eingang der Rechnung bei der Klägerin angezeigt habe. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 275 Abs. 1c SGB V komme es allein auf die Anzeige durch den MDK an. Eine solche sei aber nicht nachgewiesen worden; insbesondere habe sich der Zugang des Schreibens vom 14. November 2007 nicht belegen lassen.
Die Klägerin hat dagegen am 30. November 2011 Berufung eingelegt und trägt vor, ihr Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsdokumentation an den MDK sei nicht durch die Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V ausgeschlossen. Sie habe nämlich nach Zugang der Rechnung unstreitig innerhalb der Sechswochenfrist mit Schreiben vom 12. November 2007 den MDK mit der Überprüfung des Behandlungsfalles beauftragt. Laut Dokumentation des MDK sei die Beauftragung dort am 13. November 2007 erfasst und dem Beklagten mit Schreiben vom 14. November 2011 angezeigt worden. Zwar bestreite dieser den Zugang des Schreibens, unstreitig sei jedoch, dass die Klägerin ihrerseits mit Schreiben vom 12. November 2007 den Beklagten unter Nennung des Prüfgrundes über die Einleitung der Prüfung informiert und der Beklagte dieses Schreibens auch erhalten habe. Der Beklagte sei damit fristgerecht über die Einleitung des Prüfverfahrens in gleicher Weise informiert worden wie durch eine Anzeige des MDK. Das Sozialgericht habe sich mit seiner gegenteiligen Auffassung allein auf die Wortlautauslegung beschränkt und die Möglichkeit einer historischen oder teleologischen Auslegung außer Acht gelassen. Sinn und Zweck der Regelung des § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V, nämlich die Sicherstellung der zeitnahen Unterrichtung des Krankenhauses über die Einleitung eines Prüfverfahrens, seien aber erfüllt und es bestehe auch sonst kein schutzwürdiges Vertrauen oder eine Benachteiligung des Krankenhauses. Vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung zu § 275 Abs. 1c SGB V (BT-Drs. 16/3100 S. 171) könne bereits die Frage aufgeworfen werden, ob es dem Gesetzgeber überhaupt auf eine Anzeige allein durch den MDK angekommen sei. Zwar heiße es dort zunächst: "Durch Satz 2 wird nach Eingang des Rechnungsdatensatzes bei der Krankenkasse eine Ausschlussfrist von sechs Wochen eingeführt, innerhalb derer die Krankenkasse die Prüfung einzuleiten und der Medizinische Dienst dem Krankenhaus die Prüfung anzuzeigen hat." Weiter heiße es jedoch: "Prüfungen, die nach Ablauf dieses Zeitraums dem Krankenhaus angezeigt werden, sind nicht zulässig." Damit würden generell nur solche Prüfungen für unzulässig erklärt, die nach Ablauf des Sechswochenzeitraums angezeigt würden, ohne danach zu differenzieren, ob die Anzeige durch den MDK oder durch die Krankenkasse erfolgt sei. Unabhängig davon seien weder der Gesetzesbegründung noch dem Sinn und Zweck der Regelung Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass dem Krankenhaus ein besonders schützenswertes Vertrauen zukommen solle, allein durch die Anzeige des MDK unterrichtet zu werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Oktober 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Behandlungsdokumentation über die in der Zeit vom 23. bis 25. Oktober 2007 erfolgte stationäre Behandlung des Versicherten K.R. dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung B. vorzulegen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, der Wortlaut des § 275 Abs. 1c SGB V sei eindeutig und daher einer Auslegung nicht zugänglich. Eine erweiternde Auslegung dahin gehend, dass die Anzeige auch durch die Krankenkasse erfolgen könne, wäre daher contra legem. Auch ergebe sich aus Sinn und Zweck keine andere Auslegung. Die Vorschrift bezwecke die Beschleunigung des Verfahrens. Dieses Ziel sei aber nur zu erreichen, wenn die Anzeige und auch die Aktenanforderung durch den MDK von der Sechswochenfrist mitumfasst würden. Darüber hinaus komme dem MDK die ausschließliche Kompetenz zu, den Umfang der vorzulegenden Behandlungsunterlagen zu definieren. Es sei also über die abstrakte Information über ein Prüfvorhaben hinaus erforderlich, dass der MDK dem Krankenhaus die zur Beurteilung notwendigen Behandlungsunterlagen im Hinblick auf den Prüfauftrag der Krankenkasse innerhalb der Sechswochenfrist benenne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und die ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 31. Januar 2013 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) Berufung ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren auf Herausgabe von medizinischen Unterlagen an den MDK sowie auf Erstattung eines sich aus der Begutachtung des MDK eventuell ergebenden Differenzbetrages allerdings zutreffend im Wege der auch in der Sozialgerichtsbarkeit nach § 202 SGG i.V.m. § 254 Zivilprozessordnung zulässigen Stufenklage. Denn erst nach Herausgabe der Behandlungsunterlagen und anschließender Begutachtung durch den MDK ist für die Klägerin absehbar, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine Erstattungsforderung geltend gemacht werden kann. Die Klägerin ist für die Herausgabeklage auch zur Prozessführung befugt, weil sie insoweit ein eigenes Recht verfolgt. Der Herausgabeanspruch stellt lediglich einen Hilfsanspruch für den zu sichernden Erstattungsanspruch dar. Er kann daher grundsätzlich nur demjenigen zustehen, der auch Gläubiger des Zahlungsanspruchs ist (BSG, Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KR 12/06 R – Juris).
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Herausgabeanspruchs ist § 276 Abs. 2 S. 1 HS 2 SGB V. Danach sind die Leistungserbringer auf entsprechende Anforderung des MDK verpflichtet, Sozialdaten unmittelbar an diesen zu übermitteln, soweit dies für die durch die Krankenkassen nach § 275 Abs. 1 bis 3 SGB V veranlasste gutachtliche Stellungnahme oder Prüfung erforderlich ist. Die "Übermittlung der Sozialdaten" i.S.v. § 276 Abs. 2 S. 1 SGB V geschieht in der Regel durch die vorübergehende Überlassung der Behandlungsunterlagen (BSG, Urteil vom 28.02.2007, a.a.O.).
Die Klägerin hat eine Prüfung der Krankenhausbehandlung gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eingeleitet, indem sie mit Schreiben vom 12. November 2007 den MDK beauftragt hat, eine gutachterliche Stellungnahme zu der Frage abzugeben, ob die mit Rechnung vom 26. Oktober 2007 vorgenommene Abrechnung korrekt sei. Gemäß § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V ist die Prüfung bei Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. Die Einleitung der Prüfung – die Beauftragung des MDK – ist hiernach fristgerecht erfolgt.
Dem Herausgabeanspruch steht aber entgegen, dass der MDK die Prüfung dem Beklagten nicht innerhalb dieser Sechswochenfrist angezeigt hat. Zwar befindet sich in der Verwaltungsakte der Klägerin ein Schreiben des MDK an die Beklagte vom 14. November 2007, mit dem der Prüfauftrag angezeigt wird, der Beklagte bestreitet jedoch den Zugang dieses Schreibens. In den Akten findet sich weder ein Absendevermerk noch ein Zugangsnachweis. Da die fristgerechte Anzeige durch den MDK Voraussetzung für den geltend gemachten Herausgabeanspruch ist, ist die Klägerin dafür beweispflichtig, dass diese auch rechtzeitig beim Krankenhaus eingegangen ist, ohne dass es auf ein etwaiges Verschulden des MDK ankommt. Den Nachweis hierfür konnte sie jedoch nicht erbringen. Soweit sie darauf hinweist, dass mit dem Schreiben des MDK vom 14. November 2007 auch drei weitere Prüfaufträge angezeigt worden seien, hat der Beklagte unwidersprochen mitgeteilt, dass auch diese Prüfungen mit gleicher Begründung abgelehnt worden seien, wobei es sich nicht um Prüfaufträge der Klägerin gehandelt habe. Soweit die Klägerin außerdem vorbringt, dass es mit einem unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand verbunden wäre, wenn der MDK in jedem Einzelfall für einen Zugangsnachweis Sorge zu tragen hätte, mag dies zutreffen. Sie hat dann aber im Streitfall – wie hier – die Konsequenzen eines nicht nachgewiesenen Zugangs zu tragen.
Die Frist des § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V ist auch nicht dadurch gewahrt worden, dass der Beklagte durch das Schreiben der Klägerin vom 12. November 2007 über den Prüfauftrag informiert worden ist. Das Sozialgericht hat insoweit zu Recht festgestellt, dass der Wortlaut des § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V eine Anzeige durch den MDK vorschreibt. Soweit die Klägerin kritisiert, dass das Sozialgericht andere Auslegungsmethoden als die wörtliche Auslegung außer Acht gelassen habe, übersieht sie, dass der Wortlaut einer Norm der Ausgangspunkt jeder Gesetzesinterpretation ist und gleichzeitig die Grenzen der Auslegung bestimmt. Was jenseits des sprachlich möglichen Wortsinns liegt, kann nicht mehr im Wege der Auslegung als maßgebliche Bedeutung verstanden werden (BVerfG, Urteil vom 30.03.2004 – 2 BvR 1520/01, 2 BvR 1521/01 - Juris; Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 322). Nur wenn der Wortlaut einer Norm mehrere Interpretationsmöglichkeiten zulässt, kommen andere Auslegungsmethoden zum Tragen. Hier ist der Wortlaut der Vorschrift aber eindeutig. Der in § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V enthaltenen Formulierung, wonach die Einleitung der Prüfung spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse "durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen" ist, kann selbst bei großzügiger Interpretation nicht entnommen werden, dass auch die Krankenkasse die Anzeige fristwahrend vornehmen kann.
Für eine unbeabsichtigte Regelungslücke in dem Sinne, dass der Gesetzgeber es nur versehentlich unterlassen hat, auch eine Anzeige durch die Krankenkasse in den Gesetzestext aufzunehmen, gibt es keine Anhaltspunkte. Vielmehr ist auch in den Gesetzesmaterialien lediglich von einer Anzeige der Prüfung durch den MDK die Rede (BT-Drs. 16/3100 S. 171). Soweit die Klägerin meint, mit dem weiteren Satz in der Gesetzesbegründung, wonach Prüfungen, die nach Ablauf der Frist dem Krankenhaus angezeigt werden, nicht zulässig seien, werde nicht danach differenziert, ob die Anzeige durch den MDK oder durch die Krankenkasse erfolge, ist dies nicht nachvollziehbar, da sich dieser Satz erkennbar auf den vorhergehenden bezieht, in dem aber gerade ausschließlich von einer Anzeige durch den MDK die Rede ist.
Auch Sinn und Zweck der Regelung gebieten nicht die Annahme einer Regelungslücke. Die Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V dienen – gemeinsam mit anderen gesetzlichen und vertraglichen (§ 112 SGB V) Bestimmungen – der beschleunigten Abwicklung von Krankenhausabrechnungen und der zügigen Klärung medizinischer Zweifelsfragen und somit vor allem dem wirtschaftlichen Interesse der Krankenhäuser (BT-Drs. 16/3100 S. 171; BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 3 KR 14/11 R – Juris; Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 275 Rn. 17). Dementsprechend ist die Prüfung nicht nur innerhalb von sechs Wochen einzuleiten, sondern das Krankenhaus soll hiervon auch innerhalb dieser Frist (sichere) Kenntnis erlangen. Insofern macht es aber einen Unterschied, ob das Krankenhaus von der Krankenkasse oder vom MDK über die Einleitung der Prüfung unterrichtet wird, denn nur im zweiten Falle kann das Krankenhaus sicher sein, dass der Prüfauftrag auch tatsächlich innerhalb der Frist beim MDK eingegangen ist. Anderenfalls wäre es für das Krankenhaus letztlich nicht überprüfbar, ob die Krankenkasse die Frist für die Einleitung des Prüfverfahrens gegenüber dem MDK auch wirklich eingehalten hat (Beyer in JurisPK-SGB V § 275 Rn. 19). Angesichts dieser Umstände kann es auch nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben angesehen werden, dass sich der Beklagte auf den fehlenden Zugang der Anzeige durch den MDK beruft.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
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