L 2 U 439/12 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 23/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 439/12 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Frage der Erforderlichkeit des persönlichen Erscheinens des Klägers zum Termin zur mündlichen Verhandlung.
I. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 31. Juli 2012 aufgehoben.

II. Die Staatskasse hat dem Beschwerdeführer die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.



Gründe:


I.
Die Beschwerde richtet sich gegen die Verhängung von Ordnungsgeld.
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg hat sich der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) gegen die Ablehnung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte mit Bescheid vom 21. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2008 gewandt.
Das Sozialgericht hat umfangreiche Ermittlungen durchgeführt; u.a. hat es den Chirurgen und Unfallchirurgen Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Es hatte den Bf. bereits für den 11. November 2010 zur mündlichen Verhandlung geladen und das persönliche Erscheinen des Bf. angeordnet. Da der Bf. an diesem Tag eine Fortbildungsveranstaltung hatte, hatte das Sozialgericht den Termin abgesetzt und den Rechtsstreit für den 25. Mai 2011 geladen. Der Bf. hatte hierzu eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen Krankheit vom 17. Mai bis 1. Juni 2011 vorgelegt, weshalb das Sozialgericht den Termin erneut abgesetzt hatte. Eine weitere Ladung ist dem Bf. für die mündliche Verhandlung am 9. August 2011 zugestellt worden. Der Bf. hat auf sein Schreiben vom 30. Juni 2011 verwiesen, in dem er mitgeteilt hat, dass eine Arbeitsunfähigkeit fortdauere und ab 6. Juli 2011 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt werde. Erneut hat das Sozialgericht den Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.
Das Sozialgericht hat einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung für den 31. Juli 2012, 12.30 Uhr, bestimmt und erneut das persönliche Erscheinen des Bf. angeordnet. Die Ladung war mit dem Zusatz versehen, dass gegen den Bf. ein Ordnungsgeld bis zu 1.000.- EUR festgesetzt werden kann, wenn er ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint. Die Ladung ist dem Bf. gemäß Empfangsbestätigung am 12. Juli 2012 zugegangen. Der Bf. hat am 31. Juli 2012 um 8.33 Uhr im Gericht angerufen und mitgeteilt, dass er erkrankt sei und zum Termin nicht erscheinen könne. Er wurde unmittelbar und nochmals mit gerichtlichem Schreiben vom 1. August 2012 aufgefordert, ein ärztliches Attest zuzusenden.
In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende festgestellt, dass der Bf. ordnungsgemäß geladen war. Mit anschließendem Urteil hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Der Bf. hat am 13. August 2012 eine Bestätigung des Arbeitgebers vom 1. August 2012 über eine Krankmeldung vom 30. Juli 2012 mit dem handschriftlichen Vermerk "Krankheit ohne Attest" vorgelegt. Gesundmeldung und Dienstantritt erfolgten am 1. August 2012. Der Bf. hatte angegeben: "Am 30. und 31. August 2012 konnte ich aus gesundheitlichen Gründen meinen Dienst nicht antreten."
Mit Beschluss vom 27. August 2012 hat das Sozialgericht dem Bf. ein Ordnungsgeld in Höhe von 200.- EUR auferlegt. Eine ärztliche Krankmeldung bzw. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe der Bf. entgegen des gerichtlichen Hinweises nicht vorgelegt, sondern nur eine persönliche Entschuldigung beim Arbeitgeber. Von einem zwingenden Grund für die Abwesenheit habe das Gericht daher nicht ausgehen können. Wegen grober Missachtung des Gerichts werde daher ein Ordnungsgeld von 200.- EUR auferlegt.
Zur Begründung der hiergegen gerichteten Beschwerde hat der Bf. vorgebracht, dass er sich am Verhandlungstag rechtzeitig telefonisch entschuldigt habe. Er sei seit Samstag aufgrund einer Grippe von seiner Ehefrau an seinem Zweitwohnsitz gepflegt worden. Hätte man ihm mitgeteilt, dass die Entschuldigung, die er seinem Arbeitgeber übermittelte, nicht ausreichend sei, hätte er jederzeit eine ärztliche Bescheinigung übermitteln können. Außerdem sei er finanziell nicht in der Lage, eine außerordentliche Zahlung von 200.- EUR zu tätigen, da er aufgrund eines Immobiliengeschäftes verschuldet sei.

II.
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG) und begründet.
Voraussetzung für die Auferlegung von Ordnungsgeld ist eine ordnungsgemäße Ladung und das unentschuldigte Nichterscheinen des Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war.
Nach §§ 111, 202 SGG i.V.m. § 141 ZPO kann das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung angeordnet werden und derjenige, der der Anordnung nicht Folge leistet, mit Ordnungsgeld wie ein im Vernehmungstermin nicht erschienener Zeuge belegt werden. Ob der Vorsitzende eine Anordnung nach § 111 SGG treffen will, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Nach § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten dann ermessensfehlerfrei, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Besprechung der Rechtslage geboten erscheint. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist dabei der Ermessensspielraum weit.
Der Senat kann offen lassen, ob die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Bf. ermessensfehlerfrei war, obwohl ohne Weiteres eine Entscheidung in der Sache ergehen konnte. Jedenfalls lagen die sonstigen Voraussetzungen für die Verhängung von Ordnungsgeld gemäß §§ 111, 202 SGG in Verbindung mit §§ 141 Abs. 3, 380, 381 ZPO nicht vor.
Zwar war dem Bf. die Ladung zugegangen; er ist im Termin nicht erschienen. Nach § 380 ZPO sind einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten sowie ein Ordnungsgeld aufzuerlegen. § 381 ZPO nennt die Gründe, nach denen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes zu unterbleiben hat bzw. nachträglich aufzuheben ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Beteiligte sein Ausbleiben genügend entschuldigen kann. Entschuldigt er sein Fernbleiben rechtzeitig, d.h. so rechtzeitig, dass der Termin aufgehoben und die übrigen Beteiligten hiervon noch unterrichtet werden können, so hat die Festsetzung eines Ordnungsgeldes zu unterbleiben. Erfolgt die Entschuldigung nicht rechtzeitig, so entfällt die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Betroffenen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft und die Entschuldigung hinreichend ist.
Was als Entschuldigung gilt, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen und unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls. Für die genügende Entschuldigung müssen Umstände vorliegen, die das Ausbleiben nicht als pflichtwidrig erscheinen lassen.
Der Bf. hat am Morgen des Sitzungstages (um 8.33 Uhr) dem Gericht telefonisch mitgeteilt, dass er erkrankt ist und nicht erscheinen könne. Erkrankt ein mit der Anordnung zum persönlichen Erscheinen geladener Beteiligter, so hat er eventuell durch ein ärztliches Attest oder Bescheinigung zu belegen, dass ein Erscheinen und die Teilnahme an der Sitzung nicht möglich gewesen ist. Dies war dem Bf. auch im Rahmen des Telefonats vom 31. Juli 2012 sowie mit Schreiben vom 1. August 2012 mitgeteilt worden. Allein die Vorlage einer Krankmeldung beim Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht ausreichend; für das Vorliegen einer genügenden Entschuldigung ist regelmäßig nicht eine Erkrankung ausreichend, vielmehr muss diese zur Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit führen. Allein aus der Krankmeldung ergibt sich diese nicht.
Dem Gericht war die Erkrankung des Bf. allerdings telefonisch morgens mitgeteilt worden. Die Vorlage eines ärztlichen Attestes kann bei telefonischer Krankmeldung nachgereicht werden. Das Gericht hat nicht versucht, zur Kenntnis der Beklagten den Termin aufzuheben oder zu vertagen (hierzu: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 381 Rdn. 4). Ob ein derartiger Versuch angezeigt war, kann offenbleiben, denn das Sozialgericht hat trotz Nichterscheinens des Bf. und telefonischer Entschuldigung in dem Termin über den Rechtsstreit durch Urteil entschieden. Ausweislich der Sitzungsniederschrift dauerte die mündliche Verhandlung lediglich 10 Minuten; eine Erörterung der Sach- und Rechtslage fand nicht statt. In der Regel hat die Verhängung von Ordnungsgeld zu unterbleiben, wenn eine das Verfahren abschließende Entscheidung trotz Ausbleibens des Klägers ergehen kann (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 111 Rdnr. 6 a m.w.N.). Dabei ist vorliegend maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Bf., wie durch die Bescheinigung des Arbeitgebers bestätigt, erkrankt war, er seine Erkrankung dem Gericht noch vor dem Termin mitgeteilt hat und das Sozialgericht ohne Weiteres im Termin durch Urteil entschieden hat. Ein gerichtlicher Hinweis, dass die Bestätigung der Krankmeldung durch den Arbeitgeber nicht ein ärztliches Attest oder Bescheinigung ersetzt, ist vor Erlass des Beschlusses nicht ergangen.
Eine "grobe Missachtung des Gerichts", wie vom Sozialgericht angenommen, vermag der Senat vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Es ist darüber hinaus nicht erkennbar, dass das persönliche Erscheinen des Bf. erforderlich gewesen wäre. Es hätte nahe gelegen, die Anordnung des persönlichen Erscheinens zum Termin durch Beschluss aufzuheben. Die Voraussetzungen für die Festsetzung von Ordnungsgeld sieht der Senat deshalb nicht für gegeben an.
Aufgrund des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens sind die außergerichtlichen Kosten des Bf. im Beschwerdeverfahren in entsprechender Anwendung des § 193 SGG der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. hierzu die Entscheidung des Senats vom 05.02.2010, Az.: L 2 R 515/09 B).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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