L 3 U 27/01

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16/10 U 3674/99
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 27/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Nierenkarzinoms als Berufskrankheit (BK) im Sinne der Nr. 1104 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Bei dem 1943 geborenen Kläger wurde im Januar 1998 ein Nierenzellkarzinom diagnostiziert. Im Februar 1998 wurde in den Städtischen Kliniken Q-Stadt eine radikale Tumornephrektomie sowie eine regionäre Lymphknotendissektion durchgeführt. Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 22. Mai 1998 an die Beklagte und gab an, anlässlich einer betriebsärztlichen Untersuchung sei am 5. April 1979 in seinem Urin Cadmium festgestellt worden. Daraus ergebe sich ein direkter Zusammenhang mit seinem Nierentumor. Die anschließenden Ermittlungen der Beklagten ergaben, dass der Kläger vom 28. Oktober 1968 bis 1980 in der X. Zweigniederlassung der Firma XY. als Facharbeiter beschäftigt war. 1980 wechselte er in die Zweigniederlassung Y. Von 1968 bis 1970 war er in der Sinterfertigung, von 1977 bis 1980 im Produktionsbereich Silberhalbzeuge und ab 1986 bis 1990 sowie von 1993 bis 1995 im analytischen Labor beschäftigt. Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 16. November 1998 war der Kläger während dieser Beschäftigungszeiten gegenüber Cadmiumstäuben exponiert. Der TAD bejahte deshalb das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Entstehung einer Erkrankung durch Cadmium oder seine Verbindungen (BK-Nr. 1104).

Im Auftrag der Beklagten erstattete Prof. Dr. Dr. WW., Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität W-Stadt, unter dem 21. Dezember 1998 ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage. Darin führte Prof. Dr. Dr. WW. aus, typisches Zielorgan einer chronischen Cadmium-Belastung stelle die Niere dar. Nierenschäden seien zumeist die einzige Manifestation chronischer Cadmiumvergiftungen. Die Schädigungsmechanismen beträfen insbesondere die Zellen des Tubulusapparates. Die vorliegenden epidemiologischen Untersuchungen über Zusammenhänge zwischen Krebssterblichkeit nach stattgehabter beruflicher Cadmiumexposition hätten bisher jedoch keine einheitlichen Ergebnisse für den Menschen erbracht. Insbesondere fänden sich keine sicheren Hinweise dafür, dass ein erhöhtes Risiko zum Erwerb von Nierenzellkarzinomen bestehe. Nach dem neuen präventivmedizinischen Einstufungskonzept der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft werde Cadmium als krebserzeugend für den Menschen angesehen. Diese Einschätzung basiere allerdings ausschließlich auf Ergebnissen aus Langzeit-Tierversuchen. Diese Ergebnisse seien jedoch nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar. Ätiopathogenetische oder sogar sozialrechtlich bindende Aussagen ließen sich ohne entsprechende Untersuchungen für den Menschen allein aus Tierversuchen nicht treffen. Beim derzeitigen gesicherten medizinischen Wissensstand sei die generelle Geeignetheit von Cadmium oder seinen Verbindungen, beim Menschen u.a. auch Nierenzellkarzinome zu induzieren, derzeit (noch) zu verneinen.

Nachdem der Landesgewerbearzt unter dem 1. Februar 1999 ausgeführt hatte, sichere Erkenntnisse im Sinne des § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VII zum Zusammenhang zwischen Cadmium und Hypernephrom existierten nicht, teilte die Beklagte mit Bescheid vom 25. März 1999 dem Kläger mit, seine Nierenzellkarzinomerkrankung sei keine BK gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit der BKV und könne auch nicht gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII wie eine BK anerkannt werden.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine gutachtliche Stellungnahme des Prof. Dr. EE., Institut für Medizinische Statistik und Epidemiologie der Technischen Universität E-Stadt, vom 26. August 1999 ein. Darin gelangte Prof. Dr. EE. zusammenfassend zu dem Ergebnis, die epidemiologischen Studien ergäben kein einheitliches Bild. Die Kohortenstudien seien negativ. Die wenigen Fall-Kontrollstudien zeigten ein signifikant erhöhtes Risiko. Aufgrund der epidemiologischen Daten alleine lasse sich derzeit der Nachweis einer Assoziation zwischen Cadmium und dem Auftreten von Nierenzellkarzinom nicht führen. Die Daten seien nicht ausreichend, um eine kausale Beziehung nachzuweisen. Für eine weitere Aufklärung seien Informationen über den möglichen Wirkungsmechanismus sehr hilfreich. Zu den Risikofaktoren bezüglich eines Nierenzellkarzinoms sei zu sagen, dass kein Faktor mit einem sehr hohen relativen Risiko bekannt sei. Die Faktoren, die in der Literatur diskutiert würden, seien Rauchen, Übergewicht, hoher Blutdruck und die Einnahme phenazetinhaltiger Medikamente. All diese Faktoren seien mit einem ca. zweifach erhöhten Risiko assoziiert. Prof. Dr. RR., Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin an der RX-Universität R-Stadt, teilte unter dem 10. August 1999 mit, aufgrund der anlässlich einer Literaturrecherche bisher eingegangenen Literaturstellen könne aufgrund der vorliegenden Abstracts ein BK-relevanter Zusammenhang zwischen Nierenzellkarzinom und Cadmium zum derzeitigen Zeitpunkt nicht festgestellt werden. Die einzige Studie, die einen Zusammenhang annehme, sei eine Fall-Kontrollstudie aus dem Jahre 1976 von Kolonel.

In einer Auskunft des Prof. Dr. TT., Fraunhofer Institut für Toxikologie und Aerosolforschung, vom 5. August 1999 wurde ausgeführt, es gebe eine große Multizenterstudie von Mandel et al aus dem Jahre 1995, die ein signifikant erhöhtes Nierenkrebsrisiko beschreibe. Die Autoren hätten jedoch auch eine inverse Dosis-Wirkungsbeziehung gefunden, was gegen eine ursächliche Beziehung zwischen Cadmiumexposition und Nierenkrebs spreche. Damit könne diese Studie früher beschriebene Hinweise von Kolonel auf eine mögliche Assoziation von Cadmiumexposition und Nierenkrebs nicht bestätigen. In einer finnischen Fall-Kontrollstudie seien keine erhöhten Cadmium-Konzentrationen in der Nierenrinde von Nierenkrebspatienten gefunden worden (Studie von Ala-Opas et al aus dem Jahre 1995). Ob Cadmium grundsätzlich nicht dazu geeignet sei, Nierenzellkarzinome zu induzieren, lasse sich erst dann beantworten, wenn z.B. vergleichende In-vitro-Untersuchungen von Nieren- und Lungenzellen vorlägen, die Endpunkte des wahrscheinlichen Mechanismus der Cadmium-bedingten Tumorinduktion zum Gegenstand hätten.

Die Beklagte wies daraufhin durch Widerspruchsbescheid vom 30. September 1999 den Widerspruch des Klägers zurück.

Der Kläger hat hiergegen am 12. Oktober 1999 beim Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) Klage erhoben. Das SG hat ärztliche Befundberichte und Auskünfte von verschiedenen Stellen eingeholt. Der Fachverband Batterien des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. teilte unter dem 26. April 2000 mit, aufgrund der epidemiologischen Studien könne ein Zusammenhang zwischen Cadmiumexposition und einem erhöhten Tumorrisiko nicht bestätigt werden. Prof. Dr. ZZ., Deutsches Krebsforschungszentrum in Z-Stadt, teilte in einem Schreiben vom 9. Mai 2000 mit, es gebe zumindest zwei in den letzten fünf Jahren veröffentlichte epidemiologische Studien, die einen Zusammenhang zwischen beruflicher Cadmiumbelastung und Nierenkarzinom wahrscheinlich machten. Der den Kläger behandelnde Urologe Dr. UU. teilte am 8. Mai 2000 mit, es sei richtig, dass die Niere typisches Zielorgan einer chronischen Cadmiumbelastung sei, jedoch im Sinne einer Schädigung des Tubulusapparates, ein Nierenzellkarzinom werde dadurch nicht induziert. Für eine Schädigung des Tubulusapparates ergäben sich im Falle des Klägers nach den durchgeführten Untersuchungen keinerlei Hinweise. Dr. OO., Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in O-Stadt, teilte unter dem 12. Mai 2000 zum fraglichen Zusammenhang zwischen berufsbedingter Exposition gegen Cadmium und dem Entstehen von Nierenzellkarzinomen mit, nach derzeitigem Erkenntnisstand lägen in der wissenschaftlichen Literatur keine gesicherten Erkenntnisse zur Auslösung von Nierenkarzinomen durch eine Cadmiumexposition vor.

Das SG hat durch Urteil vom 6. November 2000 die Klage abgewiesen.

Gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 19. Dezember 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Januar 2001 am 8. Januar 2001 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.

Der Senat hat von Prof. Dr. PP., Abteilung Arbeits- und Sozialmedizin der PX-Universität P-Stadt, ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage eingeholt. Prof. Dr. PP. ist in seinem Gutachten vom 11. Dezember 2002 zu der Beurteilung gelangt, insgesamt ergäben die epidemiologischen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen einer beruflichen Cadmiumexposition und der Nierenzellkarzinominzidenz nach wie vor ein unheitliches Bild. Eine Erhöhung der Nierenkrebsmortalität lasse sich nicht nachweisen. Die neueren inzidenzbasierten Studie zeigten durchgängig einen signifikanten Effekt der Cadmiumexposition. In der Studien von Mandel et al ergebe sich eine zweifache Risikoerhöhung, bei allerdings unscharfer Abgrenzung gegen andere krebserregende Noxen; die Studie von Pesch et al ergebe eine Risikoerhöhung, die unter der Verdoppelung liege. Allein in der neuen Studie von Hu et al zeige sich bei einer Expositionsdauer von mindestens sechs Jahren eine Risikoerhöhung um mehr als das Doppelte. Die Autoren betonten in ihrer Veröffentlichung allerdings die Notwendigkeit weiterer diesbezüglicher Untersuchungen. Auch handele es sich nur um eine einzige relevante Studie, die in der für den Kläger relevanten Gruppe mit mindestens sechsjähriger Cadmiumexposition eine mehr als zweifache Risikoerhöhung ausweise. Die wissenschaftliche Evidenz sei deshalb derzeit nicht ausreichend, eine etwaige BK-Anerkennung im vorliegenden Fall zu stützen, zumal die in Deutschland durchgeführte Studie von Pesch et al (aus dem Jahre 2000) eine Risikoerhöhung um einen Faktor zwischen 1 und 2 aufweise. Für die BK-Reife eines postulierten kausalen Zusammenhangs seien daher weitere Untersuchungen erforderlich. Zusammenfassend stellte er fest, die in den epidemiologischen Studien auf Gruppenbasis festgestellte konsistente Risikoerhöhung betrage weniger als das Zweifache, sei also nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht ausreichend, um im Einzelfall den Zusammenhang wahrscheinlich zu machen. Allerdings zeige die neueste Untersuchung von Hu et al ein mehr als doppeltes Risiko in der höchsten Expositionsgruppe, so dass seines Erachtens die Frage mit einem non-liquet versehen werden müsse. Dieser Einzelbefund müsse durch weitere inzidenzbasierte Studien abgesichert werden.

Der Kläger vertritt die Auffassung, Prof. Dr. PP. halte einen kausalen Zusammenhang von mehrjähriger Cadmiumexposition und seiner Erkrankung für bewiesen und beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. November 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. März 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Nierenerkrankung als Berufserkrankung im Sinne der Nr. 1104 der Anlage 1 zur BKV in gesetzlichem Umfang zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, nach Aussage des Prof. Dr. PP. hätten sich unter Berücksichtigung neuerer Studien zwar weitere Indizien für ein Ursachenzusammenhang zwischen Cadmiumexposition und Nierenzellkarzinom ergeben, insgesamt gesehen bestehe jedoch ein uneinheitliches Bild, für das eine Anerkennung als BK nicht erfolgen könne.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der Beratung war, Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte über die zulässige Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat, die Beteiligten auf die Möglichkeit dieser Verfahrensweise hingewiesen worden sind und Gelegenheit zur Stellungnahme hatten.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 6. November 2000 hat keinen Erfolg, weil nicht festgestellt werden kann, dass die im Januar 1998 festgestellte Nierenkrebserkrankung des Klägers durch die beruflich bedingte Cadmiumexposition verursacht wurde.

Nach § 9 Abs. 1 SGB VII sind BKen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleidet. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Zu den BKen zählen nach Nr. 1104 der Anlage 1 zur BKV Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen. Von dieser BK werden alle Krankheiten erfasst, die nach den fortschreitenden Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft ursächlich auf die Einwirkung von Cadmium zurückzuführen sind. In diesen Fällen ist Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als BK, dass der schädigende Stoff (Listenstoff) generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zudem muss die vorliegende Erkrankung im konkret-individuellen Einzelfall durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden sein und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die verursachte Tätigkeit verursacht worden sein (Bundessozialgericht –BSG-, Urteil vom 27. Juni 2000 – B 2 U 29/99 R -). Die Prüfung der generellen Geeignetheit hat der Prüfung der Kausalität im jeweiligen Einzelfall vorauszugehen. Die generelle Geeignetheit muss sich auf spezifische Krebslokalisationen und Krebsarten beziehen und nicht nur auf die bloße allgemeine Kanzerogenität des Listenstoffes (vgl. Lauterbach/Koch, Unfallversicherung SGB VII, Band 2, 4. Auflage, § 9 Rdnr. 261 m.w.N.). Ob eine bestimmte berufliche Exposition generell geeignet ist bestimmte Erkrankungen zu verursachen, muss nach der Rechtsprechung des BSG in der medizinischen Wissenschaft allgemein anerkannt, d.h. durch die herrschende Auffassung der Fachwissenschaftler hinreichend gefestigt sein; vereinzelte Meinungen – auch von Sachverständigen – reichen grundsätzlich nicht aus (so BSG, Urteil vom 23. März 1999 – B 2 U 16/98 R – in BSGE 84, 30, 34 mit weiteren Hinweisen auf frühere Entscheidungen). Die medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse können aus statistisch-epidemiologischen Studien, aber auch aus anderen Erkenntnisquellen, z.B. Einzelfallstudien, toxikologischen Erkenntnissen, gewonnen worden sein (hierzu BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 20/01 R -; Urteil vom 23. März 1999 – B 2 U 12/98 R – in BSGE 84, 30, 35).

Der Kläger war während seiner Tätigkeit in Betrieben der Firma XY. von Oktober 1968 bis 1995 gegenüber Cadmiumstäuben in nicht unerheblichem Maße exponiert. Nach Auskunft des TAD der Beklagten war diese Exposition grundsätzlich geeignet, eine Erkrankung zu verursachen. Dieser Umstand allein begründet jedoch noch keine Entschädigungspflicht der Beklagten. Es müssen auch die weiteren o.g. Voraussetzungen erfüllt sein. Im vorliegenden Falle kann die Anerkennung der Nierenkrebserkrankung des Klägers als BK nicht erfolgen, weil nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass Cadmium generell geeignet ist ein Nierenkarzinom zu verursachen.

Nach den Auskünften des im Verwaltungsverfahren von der Beklagten gehörten Prof. Dr. Dr. WW. und des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. PP. hat Cadmium eine lungentoxische und nierentoxische Wirkung. Allgemein anerkannt ist, dass sich die nierenschädigende Wirkung von Cadmium in den Zellen des Tubulusapparates manifestiert, was zu einer erhöhten Eiweißausscheidung und zu einer damit verbundenen Nierenfunktionsstörung führen kann. Für eine Schädigung des Tubulusapparates ergaben sich bei dem Kläger nach Auskunft des ihn behandelnden Arztes Dr. UU. keinerlei Hinweise. Obwohl die Niere ein typisches Zielorgan einer chronischen Cadmiumbelastung ist, zählt das Auftreten von Nierenzellenkarzinomen nicht zu einem für die BK-Nr. 1104 der Anlage 1 zur BKV typischen Krankheitsbild.

Cadmium wurde von der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 1989 als krebserzeugend im Tierversuch eingestuft, weil im Tierversuch nach Injektion von Cadmium am Applikationsort lokalisierte Tumore (Sarkome) auftraten. Bei oraler und inhalativer Applikation kam es insbesondere zur Bildung von Lungentumoren. In der MAK- und BAT-Werte-Liste ist Cadmium deshalb in die Kategorie 2 eingestuft, zählt also zu Stoffen, "die als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind, weil durch hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen oder Hinweisen aus Tierversuchen oder epidemiologischen Untersuchungen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten". Die International Agency for Research on Cancer (IARC), eine Behörde der Weltgesundheitsorganisation (WHO), stufte Cadmium im Jahr 1993 als eindeutig krebserzeugend für den Menschen ein, weil eine Reihe von epidemiologischen Studien zur krebserzeugenden Wirkung von Cadmium beim Menschen eine erhöhte Mortalität insbesondere an Lungenkrebs beobachtet hatten. Nach Aussage des Prof. Dr. PP. war die Basis für diese IARC-Einstufung jedoch recht schwach, weil in den betreffenden epidemiologischen Studien die Cadmiumexposition nicht ausreichend gegen eine Exposition gegenüber anderen krebserzeugenden Stoffen abgegrenzt worden war. Laut Prof. Dr. PP. ergeben sich aufgrund dieses Umstandes Zweifel an der humankanzerogenen Wirkung von Cadmium.

Diese für die Einstufung durch die IARC und die DFG maßgeblichen Studien sind für die Beurteilung des vorliegenden Falles wenig relevant, weil diese Studien weitestgehend auf Lungenkrebs und Prostatakrebs ausgerichtet waren und zu dem Auftreten von Nierenzelltumoren keine Aussagen machen. Nach übereinstimmenden Auskünften des Sachverständigen Prof. Dr. PP., der von der Beklagten befragten Professoren EE. und RR. gab eine in den USA von Kolonel 1976 veröffentlichte krankenhausbasierte Fall-Kontrollstudie einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Nierenzelltumoren und einer Cadmiumexposition. Dieses Ergebnis konnte jedoch aufgrund späterer Untersuchungen, 1992 an exponierten Arbeitern (Borfetta) und 1985 (Bond at al) in einer Fall-Kontrollstudie im Rahmen einer Kohortenstudie mit Arbeitern der Dow chemical Company in Texas, nicht bestätigt werden. Hinweise auf einen "möglichen" (so Prof. Dr. EE.) Zusammenhang ergab eine Studie aus Finnland (Partanen at al) aus dem Jahre 1991. Nach Ansicht des Prof. Dr. EE. war jedoch die Anzahl der Exponierten bei dieser Studie sowohl unter den Fällen als auch unter den Kontrollen sehr gering, so dass diese Studie nur wenig Aussagekraft besitzt. Bei diesen vor 1995 durchgeführten Studien handelt es sich nach Aussagen der Professoren EE. und PP. um Mortalitätsstudien, d.h. Studien, die den Tod durch das Nierenkrebsleiden erfassen. Da das Nierenzellkarzinom im Vergleich zu anderen Karzinomen eine niedrige Sterblichkeit aufweist, halten sowohl Prof. Dr. EE. als auch Prof. Dr. PP. derartige Studien für nicht optimal geeignet, einen Zusammenhang zwischen Cadmiumexposition und Nierenzellkarzinomen nachzuweisen. Studien zum Auftreten der Erkrankung (Inzidenz) wurden nach Darlegung des Prof. Dr. PP. 1995 (Mandel at all), 2000 (Pesch at al) und 2002 (Hu at al) veröffentlicht. Die multizentrische internationale Fall-Kontrollstudie von Mandel at al erfasste 1732 Nierenkrebsfälle und 2309 Kontrollpersonen. Unter den Erkrankten fanden sich 25 Personen mit beruflicher Cadmiumexposition gegenüber 15 bei den Kontrollen. Diese Studie ergab ein relatives Risiko von 2,0, also eine Risikoverdopplung an einem Nierenkarzinom zu erkranken für diejenigen Personen, die gegenüber Cadmium exponiert waren. Allerdings zeigte sich eine auffällige inverse Dosis-Wirkungs-Beziehung: Das relative Risiko betrug für eine Cadmiumexposition von 1 bis 11 Jahren 4,3, bei 12 bis 30 Jahren 1,0 und bei 31 bis 44 1,0. Dieser Befund spricht nach Aussage des Prof. Dr. PP. gegen Cadmium als kausalen Faktor für die Nierenkrebserkrankungen. Denn eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung ergibt sich daraus nicht. Gegen die Aussagekraft dieser Studie spricht zudem, worauf Prof. Dr. PP. hinweist, dass berufliche Confounder, gleichzeitige Exposition gegen andere krebserzeugende Noxen, in dieser Studie nicht abgegrenzt wurden. Bei der von Pesch at al (2000) durchgeführten Fall-Kontrollstudie an 935 Patienten mit histologisch gesichertem Nierenzellkarzinom und 4298 Kontrollen wurde im Gegensatz zu der Studie von Mandel at al eine quantitative Abschätzung der kumulativen Gefahrstoffexposition mittels Job Exposure Matrix (JeM) vorgenommen. In die JeM gingen die Dauer der beruflichen Exposition und die Expositionshöhe ein. Nach einer Adjustierung für Rauchen und anderer Confounder ergab sich bei Männern eine dosisabhängige signifikante Risikoerhöhung Cadmium exponierter Personen für Nierenkrebs. Die relativen Risiken betrugen in drei Dosiskategorien 0,8 bei 48 Fällen, 1,4 bei 99 Fällen und 1,4 bei 34 Fällen. Bei Frauen zeigte sich ein stärkerer Cadmiumeffekt von 0,7 bzw. 2,5 bzw. 2,2; allerdings lagen hier nur geringe Fallzahlen (von 3,11 und 3 Fällen) zugrunde und eine nicht eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung. Im Jahr 2002 wurde eine inzidenzbasierte kanadische Fallkontrollstudie zum Zusammenhang zwischen Nierenzellkarzinom und beruflicher Chemikalienexposition veröffentlicht (Hu at al), die 1279 neudiagnostizierte und histologisch bestätigte Nierenzellkarzinomfälle 5370 Kontrollpersonen aus der Allgemeinbevölkerung gegenüberstellte. Confounder wie sozio-ökonomischer Status, Rauchen, Alkohol, Ernährung und Coexposition gegen andere berufliche Noxen wurden berücksichtigt. Bei Personen mit einer beruflichen Cadmiumexposition von 1 bis 5 Jahren standen 5 Fälle 14 Kontrollen gegenüber, das relative Risiko betrug 1,0 und bei Adjustierung gegenüber Confounder 0,9. Bei mindestens 6-jähriger Cadmiumexposition standen 14 Fälle 18 Kontrollen gegenüber, das relative Risiko betrug 2,7 und bei Berücksichtigung der Confounder 2,4. Nach Aussage des Prof. Dr. PP. war der Trend für die Dosis-Wirkungs-Beziehung im Vergleich zu den anderen untersuchten krebserzeugenden Noxen (u.a. Benzol, Benzidin, Herbizide, Vinylchlorid) eher schwach (P=0,01 ohne und P=0,03 mit Berücksichtigung der Confounder).

Bei Gesamtbetrachtung weisen lediglich die jüngsten inzidenzbasierten Studien von Pesch at al sowie Hu at al auf einen Zusammenhang zwischen langjähriger Cadmiumexposition und der Entstehung von Nierenzelltumoren hin, während die Studien von Mandel at al bei einer Cadmiumexposition von 12 bis 44 Jahren keine relative Risikoerhöhung ausweisen, was gegen einen Kausalzusammenhang spricht. Prof. Dr. PP. kommt folglich für den Senat schlüssig zu der Beurteilung, dass "die epidemiologischen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen einer beruflichen Cadmiumexposition und der Nierenzellkarzinominzidenz nach wie vor ein uneinheitliches Bild" ergeben. Zu dieser Einschätzung sind auch die Verfasser der in 2002 veröffentlichten kanadischen Fall-Kontrollstudie, Hu at al, gelangt, obwohl ihre Studie bei einer mindestens 6-jährigen Cadmiumexposition sogar einen über die Risikoverdopplung hinausgehenden Faktor aufgewiesen hat. Denn auch sie weisen auf die nicht einheitlichen Ergebnisse der einzelnen Studien hin und äußern die Auffassung, es seien diesbezüglich weitere Untersuchungen notwendig. Angesichts dieser Bewertung der vorliegenden epidemiologischen Studien lässt sich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs zwischen einer Cadmiumexposition und der Entstehung eines Nierenzellkarzinoms nicht bejahen. In der im Jahre 2003 erschienen 7. Auflage des Lehrbuches von Schönberger, Mehrtens und Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, S. 1041) wird zur Ätiologie des Nierenkarzinoms ausgeführt, diese sei unbekannt. Insgesamt sei von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen. Im Hinblick auf wissenschaftlich kontrovers diskutierte Wege der Krankheitsentstehung des Nierenzellkarzinoms könne erst dann eine Abwägung der Wahrscheinlichkeit erfolgen, wenn die Wirkungszusammenhänge bekannt und wissenschaftlich vollständig gesichert seien. Gesichert sei jedoch die Entstehung durch Trichlorethylen (BK-Nr. 1302). Neben den aufgrund von epidemiologischen Studien gewonnenen Erkenntnissen liegen derzeit offensichtlich keine weiteren medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die auf einen Zusammenhang zwischen Cadmium und der Entstehung eines Nierenzellkarzinoms hinweisen, so dass die generelle Geeignetheit von Cadmium oder seinen Verbindungen, beim Menschen auch Nierenzellkarzinome zu verursachen, nicht bejaht werden kann. Der Berufung des Klägers konnte deshalb nicht stattgegeben werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die über die Nichtzulassung des Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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