L 6 AS 29/13 B

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 10 AS 13/13 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 29/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Es sprechen überwiegende europarechtliche Gründe dafür, auf Unionsbürger die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 S 2 Nr. 2 SGB 2 nicht anzuwenden. Jedenfalls sind EU-Bürgern im Rahmen einer Folgenabwägung bei fehlenden oder unzureichenden Bindungen in den Herkunftsstaat im Regelfall Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Existenzminimums nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz vom 18. Juni 2012 zu gewähren.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 21. Januar 2013 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 14. Januar bis 12. Mai 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 336,00 EUR monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin 4/5 der Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Der Antragstellerin wird für das Verfahren vor dem Schleswig-Holsteini¬schen Landessozialgericht Prozesskostenhilfe – ohne Ratenzahlung – unter Beiordnung von Rechtsanwalt , W , gewährt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) als EU-Ausländerin.

Die am 1971 in der Slowakei geborene Antragstellerin ist slowakische Staatsangehörige und arbeitete nach ihrer Schulzeit in der Slowakei bis 2009 als Montiererin bei einem Autohersteller bzw. als Helferin in einem Restaurant und einem Geschäft. Im August 2009 oder (so die Informationen gegenüber dem Antrags-gegner) im Januar 2010 zog sie mit ihrem damaligen Lebensgefährten direkt aus der Slowakei nach Deutschland und lebte mit ihm in einem Haushalt in Wedel als Hausfrau. Sie war finanziell von ihrem Partner abhängig, war weder arbeitslos gemeldet noch bezog sie Leistungen nach dem SGB II. Die Eltern der Antragstellerin in der Slowakei sind verstorben, verwandtschaftliche Kontakte hat sie nach ihrer eidesstattlichen Versicherung nicht mehr. Zu ihrer Schwester hat sie zwar noch Kontakt, diese aber lebt in der Ukraine.

Nachdem ihr Partner sie eingesperrt und körperlich misshandelt hatte, flüchtete die Antragstellerin Anfang November 2012 in ein Frauenhaus in Wedel. Mitte November 2012 meldete sie sich von ihrer früheren Adresse ab. Der Aufenthaltsort ihres früheren Lebensgefährten, der afghanischer Herkunft ist, ist unbekannt.

Am 13. November 2012 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Gleichzeitig meldete sie sich unter Darstellung ihrer bisherigen Berufsbiografie in der Slowakei als arbeitsuchend. Der Antragsgegner lehnte mit Bescheid vom 6. Dezember 2012 den Leistungsantrag ab, da die Antragstellerin lediglich ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik habe. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Über den dagegen am 20. Dezember 2012 von ihr selbst und am 10. Januar 2013 von ihrem Anwalt erhobenen Widerspruch hat der Antragsgegner bisher keine Entscheidung getroffen.

Am 14. Januar 2013 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Itzehoe einen Eilantrag gestellt und beantragt, ihr ab Antragseingang, längstens bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnittes vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass weder ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II noch nach § 8 Abs. 2 SGB II greife. Sie habe ihren Aufenthalt nicht allein zum Zwecke der Arbeitsuche begründet, vielmehr lebe sie bereits seit rund drei Jahren in Deutschland und habe sich in häuslicher Gemeinschaft mit dem arbeitenden Lebensgefährten befunden. Außerdem widerspräche ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II dem europarechtlich streng ausgestalteten Gleichbehandlungsgebot, unter dessen persönlichen Geltungsbereich sie falle. Für sie als slowakische Staatsangehörige bestehe Freizügigkeit nach § 5 des Gesetzes über allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU), wobei unschädlich sei, dass eine solche Bescheinigung, die ohnehin nur deklaratorische Wirkung habe, nicht vorliege. Dem Anspruch stehe auch nicht § 8 Abs. 2 SGB II entgegen, da sie – zumindest nachrangig – einen Arbeitsmarktzugang habe.

Mit Beschluss vom 21. Januar 2013 hat das Sozialgericht Itzehoe den Antrag abgelehnt. Die Antragstellerin habe den Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Sie gehöre nicht zum leistungsberechtigten Personenkreis in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei sie zumindest von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen, weil sich das Aufenthaltsrecht der Antragstellerin allein aus dem Zwecke der Arbeitsuche ergebe. Zwar gehöre sie als slowakische Staatsangehörige dem Grunde nach zu den freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern, sie habe jedoch weder ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU, noch sei sie Familienangehörige nach § 3 FreizügG/EU, noch gehe sie einer Beschäftigung nach oder stehe in einem Ausbildungsverhältnis, weshalb sich ihre Freizügigkeitsberechtigung nur aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU begründe. Der bundesrechtliche Leistungsausschluss verstößt nach Auffassung des Sozialgerichts auch nicht gegen europäisches Recht, vielmehr seien auch nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 EG vom 9. April 2004 die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern, Selbstständigen und gleichgestellten Personen einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Dem stehe auch nicht das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit entgegen. Selbst wenn jedoch im Hinblick auf den heterogenen Meinungsstand in der Rechtsprechung und Literatur eine Folgenabwägung geboten wäre, falle diese im vorliegenden Fall nicht zu Gunsten der Antragstellerin aus. Diese sei augenscheinlich in erster Linie zur Herstellung einer Lebensgemeinschaft mit ihrem früheren Partner in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Nach der Trennung vom Partner und der Flucht ins Frauenhaus seien ihre Bindungen an den bisherigen Wohn- und Aufenthaltsort im Wesentlichen abgerissen. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht von vornherein unzumutbar, zunächst in die Slowakei zurückzukehren und gegebenenfalls dort um existenzsichernde Leistungen nachzusuchen.

Gegen diesen ihr am 24. Januar 2013 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 14. Februar 2013 bei dem Sozialgericht Itzehoe eingegangenen Beschwerde. Ein Leistungsausschluss für EU-Bürger nach dem SGB II sei nicht europarechtskonform, was im Einzelnen ausgeführt wird. Im Übrigen sei die Annahme unzutreffend, durch den Umzug ins Frauenhaus seien die bisherigen Bindungen an den Wohn- bzw. Aufenthaltsort abgerissen. Vielmehr seien die Bindungen an den früheren Wohnort in der Slowakei aufgrund des nunmehr dreijährigen Aufenthalts in Deutschland im Wesentlichen abgerissen. Sie, die Antragstelle¬rin, sei auch zuvor in Wedel wohnhaft gewesen und wolle in diesem sozialen Umfeld erwerbstätig sein. Da ihr durch die Unterbringung im Frauenhaus derzeit keine Kosten der Unterkunft und Heizung entstehen,hat die Antragstellerin ihren Antrag auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Kosten der Unterkunft begrenzt.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 21. Januar 2013 aufzuheben und den Antragsgegner zu verurteilen, ihr ab Antragseingang vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnitts, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten des Antragsgegners sowie auf die Gerichtsakte verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig und überwiegend begründet. Der Antragsgegner ist zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts existenzsichernde Leistungen für den Lebensunterhalt auszuzahlen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären.

Eine solche Fallgestaltung ist grundsätzlich anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens oder eines Vorverfahrens für ein solches geht. Ist während des Verwaltungs-, Widerspruchs- oder Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden. Der elementare Bedarf eines Menschen kann grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht. Das Gericht hat, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage in einem solchen Eilverfahren nicht möglich ist, anhand einer Interessen- und Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - zitiert nach juris). Gegeneinander abzuwägen sind dabei die Folgen, die bei Erlass bzw. Ablehnung einer einstweiligen Anordnung für den unterliegenden Beteiligten entstehen würden, jeweils unterstellt, der Erlass bzw. die Ablehnung der Anordnung erfolgte aufgrund nachträglicher Prüfung im Hauptsacheverfahren zu Unrecht. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlich geschützten Belange der Antragsteller umfassend in die Abwägung einzubeziehen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, a.a.O., sowie BVerfG, Beschlüsse vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07 - und vom 25. Februar 2009 - 1 BvR 120/09 -, jeweils zitiert nach juris).

Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erfüllt. Nach der hier gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage lässt sich nicht abschließend entscheiden, ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist. Eine Entscheidung hierüber muss wegen der komplexen rechtlichen Problematik dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die gebotene Folgenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin aus.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bestehen allerdings nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand erhebliche Zweifel daran, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für EU-Bürger Anwendung finden kann. Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinem Pressebericht zum Verfahren B 4 AS 54/12 R (Terminbericht vom 30. Januar 2013) ausdrücklich die Frage aufgeworfen, ob der gesetzlich festgeschriebene unbegrenzte Ausschluss von Unionsbürgern gegen EU-Recht – insbesondere die VO (EG) Nr. 883/2008 – verstößt, diese Frage allerdings nicht abschließend entschieden, da im zu entscheidenden Fall aufgrund der Vorwirkungen der Geburt eines Kindes bereits ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bestand. Mit guten Gründen wird von den Instanzgerichten bezweifelt, dass der generelle Leistungsausschluss wegen vorrangiger Regelungen des Rechts der Europäischen Union auf Antragsteller mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union Anwendung finden kann (in diesem Sinne Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - L 7 AS 3836/12 ER-B -; Landessozialgericht für das Land Nord¬rhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Juni 2012 - L 7 AS 515/12 B ER -; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Mai 2012 - L 6 AS 412/12 B ER -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. April 2012 - L 14 AS 763/12 B ER -; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Juli 2011 - L 7 AS 107/11 B ER -, jeweils zitiert nach juris). Es gibt allerdings auch Landessozialgerichte, die von einer Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht ausgehen (u. a. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. August 2012 - L 13 AS 2355/12 ER B -; Landessozialgericht Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 3. August 2012 - L 11 AS 39/12 B ER -; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. September 2012 -L 7 AS 758/12 B ER -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Mai 2012 - L 20 AS 802/12 B ER -, jeweils zitiert nach juris).

Der Senat hat erhebliche Bedenken gegen die in der Rechtsprechung teilweise vertretene Auffassung (so etwa: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. September 2012 - L 5 AS 2049/12 B ER -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Juni 2012 - L 20 AS 2/12 B ER -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. April 2012 - L 5 AS 2157/11 B ER -; Landessozialgericht Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 3. August 2012 - L 11 AS 39/12 B ER -; jeweils zitiert nach juris; Peters in: Estelmann, SGB II, Stand: Ergänzungslieferung Nr. 26, § 7 Rn. 14), dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG – sog. Unionsbürgerrichtlinie – auch gedeckt ist, soweit Leistungen zum Lebensunterhalt begehrt werden (wie hier: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - L 7 AS 3836/12 ER B -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. April 2012 - L 14 AS 773/12 B ER -; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August 2011 - L 15 AS 188/11 B ER -; Landessozialgericht Hessen, Beschluss vom 14. Juli 2011 - L 7 AS 107/11 B ER -; Thie/Schoch in: LPK SGB II, 4. Aufl., § 7 Rn. 28, 31). Nach dieser Richtlinie ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen bzw. gleichgestellten Personen während der ersten Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums einen Anspruch auf Sozialhilfe zuzuerkennen. Nach Auffassung des Senats sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht als Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie anzusehen. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 29. April 2012 – L 14 AS 763/12 B ER – (zitiert nach juris) überzeugende Gründe dafür genannt, dass der Ausschluss von Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie nur auf Sozialhilfe im engeren Sinne (also nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII)) bezogen werden darf, denn nur insoweit liegt kein Arbeitsmarktbezug vor. Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, dass das BSG (Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R -) das SGB II als Fürsorgegesetz im Sinne der Europäischen Fürsorgerichtlinie bezeichnet hat, da sich diese Ausführungen allein auf die Terminologie des Vertrages nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) aus dem Jahr 1953 und nicht auf die aktuelle gemeinschaftsrechtliche Terminologie bezog.

Abzustellen ist vielmehr darauf, dass das Europarecht zwischen "Sozialhilfe" und "beitragsunabhängigen Geldleistungen" unterscheidet. Letztere sind in Art. 4 Abs. 2a EWGV 1408/71 zur gemeinschaftsrechtlich einheitlichen Auslegung genau und verbindlich definiert worden. Danach muss eine beitragsunabhängige Geldleistung eine Leistung der sozialen Sicherheit ersetzen oder ergänzen, sich zugleich aber von dieser unterscheiden, sie muss den Charakter einer Sozialhilfeleistung haben, die aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen gerechtfertigt ist, und es muss nach einer Regelung, die objektive Kriterien festlegt, über sie entschieden werden (z. B. EuGH vom 18. Oktober 2007 - C 299/05 -). Das Arbeitslosengeld II (ohne Zuschlag nach § 24 SGB II) ist durch Aufnahme in Anhang II a zu Art. 4 Abs. 2a EWGV 1408/71 ausdrücklich zur beitragsunabhängigen Geldleistung erklärt worden (so auch SG Berlin, Beschluss vom 29. Februar 2008 - S 37 AS 1403/08 -; Fuchs, Deutsche Grundsicherung und europäisches Koordinationsrecht, NZS 2007, 1, 3 ff.). Zu Recht weist der 14. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg darauf hin, dass dem Gemeinschaftsgesetzgeber des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie nicht unterstellt werden kann, er habe den Unterschied der beiden Leistungen nicht gekannt.

Dem Sozialgericht ist allerdings zuzugeben, dass der Meinungsstand außerordentlich heterogen ist und auch die Entscheidung des BSG vom 30. Januar 2013 (B 4 AS 54/12 R – bisher nur Pressebericht) keine Klarheit schafft. Daher ist eine Folgenabwägung vorzunehmen, die entgegen dem Sozialgericht jedoch zu Gunsten der Antragstellerin ausfällt. Die Antragstellerin hat – wie sich aus ihrer glaubhaften eidesstattlichen Versicherung ergibt – keine persönlichen und verwandtschaftlichen Bindungen mehr in die Slowakei. Sie hat ihren gewalttätigen Partner verlassen, gegenwärtig besteht – dokumentiert durch ihren Aufenthalt im Frauenhaus – ein konkreter Schutz- und Unterstützungsbedarf für die Antragstellerin. Im Übrigen ist angesichts

ihres aufenthaltsrechtlichen Status als EU Bürgerin und der Möglichkeit der Aufnahme einer Beschäftigung zu erwarten, dass sie in absehbarer Zeit ihren Lebensunterhalt durch eigene Kräfte decken kann.

Die Leistungen sind ausgehend vom Antrag bei dem Antragsgegner am 13. Novem-ber 2013 auf die Zeit bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts bei einer sechsmonatigen Leistungsgewährung (12. Mai 2013) zu begrenzen. Kosten der Unterkunft und Heizung fallen nicht an und werden von der Antragstellerin auch nicht geltend gemacht. Die Leistungen für die im Frauenhaus untergebrachte Antragstellerin sind allerdings auf ihr Existenzminimum zu begrenzen. Dieses beträgt nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz vom 18. Juni 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – zitiert nach juris, Rn. 134 f) 336,00 EUR monatlich (in diesem Sinne auch LSG Potsdam, Beschluss vom 23. Juli 2012 - L 18 AS 1867/12 B ER – zitiert nach juris). Soweit von der Antragstellerin sinngemäß der volle Regelsatz beantragt wurde, hat die Beschwerde keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Da die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hatte und kein voller Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner besteht, war der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung).

&8195; Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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