Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SB 4063/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1554/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Merkzeichens "außergewöhnliche Gehbehinderung" (aG) streitig.
Im Rahmen eines früheren auf die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) gerichteten Klageverfahrens hatte das Sozialgericht Freiburg unter Zugrundelegung des von Amts wegen eingeholten Gutachtens der Prof. Dr. E., damalige Chefärztin der Orthopädischen Chirurgie am Kreiskrankenhaus R., vom 30.09.2006 (Bewegungseinschränkung und chronisches Schmerzsyndrom der Halswirbelsäule, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, chronisches Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule, leichte Funktionsbehinderung beider Hüft- und Kniegelenke, Funktionsbehinderung der rechten Hand nach Amputationsverletzung des ersten und zweiten Fingers, Funktionsbehinderung der linken Hand bei Teillähmung des linken Speichennervens; Gesamt-GdB 70; der Kläger sei im Stande, eine circa 30minütige Wegstrecke von 2 Kilometern zu Fuß zurückzulegen) und des auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch.-B. vom 01.10.2007 (Zustand nach cervikaler Bandscheiben-Operation C5/6 und C6/7, Zustand nach proximaler Ulnarisläsion links und Carpaltunnelsyndrom-Operation links, Zustand nach Verlust der Finger eins und zwei der rechten Hand, leichte Polyneuropathie, Somatisierungsstörung, Zustand nach Hirnstammischämie ohne persistierendes Defizit, Schmerzfehlverarbeitung, differentialdiagnostisch Anpassungsstörung; Gesamt-GdB 80; eine wesentliche Einschränkung des Gehvermögens liege vom nervenärztlichen Fachgebiet her nicht vor, keine neurologische Störung, psychiatrischerseits begründe die Schmerzfehlverarbeitung beziehungsweise auch eine eventuelle neurotische Entwicklung eine Einschränkung des Gehvermögens nicht) für den 1951 geborenen Kläger mit Urteil vom 29.05.2008 (S 3 SB 4633/04) den GdB mit 80 seit 10.11.2003 festgestellt und die im Übrigen auf die Feststellung des Merkzeichens "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" (G) gerichtete Klage abgewiesen. Der diesbezügliche Ausführungsbescheid des Beklagten war unter dem 01.07.2008 erfolgt. Die eingelegte Berufung hatte der Kläger am 29.05.2009 zurückgenommen (L 8 SB 3756/08).
Der Kläger beantragte am 19.06.2009 unter anderem unter Vorlage des Befundberichts des Radiologen Dr. B. vom 16.09.2008 (Osteochondrosen C5/6 und C6/7 mit Retrospondylosen sowie begleitender Uncovertebralarthrose) die Neufeststellung des GdB. Das Landratsamt zog den Arztbrief des Prof. Dr. H, Chefarzt am Klinikum K.-L., vom 25.05.2009 (Zustand nach Fusionsoperation C5/7, Pseudoarthrose C6/7, chronische erosive Osteochondrose L5/S1, am 11.02.2009 ventrale Fusion C6/7 mit Beckenspanentnahme, Cage-Implantation und Platte, flüssiges Gangbild, Gehstrecke eine halbe Stunde) bei. Der Kläger beantragte am 25.09.2009 die Feststellung der Merkzeichen G und aG. Dr. E. berücksichtige in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.09.2009 als Behinderungen ein berufsgenossenschaftlich anerkanntes Leiden der rechten Hand mit einem Einzel-GdB von 30, eine Teillähmung des linken Speichennervs und eine Gebrauchseinschränkung der linken Hand mit einem Einzel-GdB von 30, eine Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen mit einem Einzel-GdB von 30, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, eine Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten und einen Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 30, eine seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden und ein chronisches Schmerzsyndrom mit einem Einzel-GdB von 30, eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und eine Arthrose mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und eine Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB weiterhin mit 80. Sodann holte das Landratsamt den Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. E. vom 15.10.2009 (auf der Ebene freie Gehstrecke ohne Hilfsmittel 2.000 Meter und mit Gehstockstütze bis 500 Meter) ein. Dr. E. hielt in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.12.2009 an der bisherigen GdB-Beurteilung fest und führte ergänzend aus, die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und aG lägen nicht vor. Mit Bescheid vom 30.12.2009 lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag sowie die Feststellung der Merkzeichen G und aG ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 15.01.2010 Widerspruch. Er legte die Arztbriefe des Neurochirurgen Dr. W. vom 02.09.2009, 07.09.2009 und 18.12.2009 (fragliche Fraktur von Halswirbelkörpern), des Radiologen L. vom 26.01.2010 (magnetresonanztomographisch und computertomographisch kein sicherer Anhalt für eine abgelaufene Fraktur von Corpus oder Dens C2), des Radiologen Dr. G. vom 03.02.2010 (kernspintomographisch deutliche Gefügestörung mit praktisch aufgehobener Halswirbelsäulen-Lordose), der Neurologin und Psychiaterin Dr. V. vom 05.02.2010 (auffallender neurologischer Befund) und des Orthopäden K. vom 10.02.2010 (deutlicher muskulärer Hartspann der Schulter- und Nackenmuskulatur) vor. Dr. A. berücksichtigte in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.03.2010 nunmehr die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, die Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten und den Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 40 sowie zusätzlich eine erektile Dysfunktion und eine Entleerungsstörung mit einem Einzel-GdB von 20 sowie Gleichgewichtsstörungen und Störungen der Koordination mit einem Einzel-GdB von 20 und bewertete unter Aufrechterhaltung der ansonsten bislang anerkannten Einzel-GdB-Werte den Gesamt-GdB mit 100. Ferner befürwortete sie das Merkzeichen G. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG lägen hingegen nicht vor, da die Gehfähigkeit nicht auf das Schwerste eingeschränkt sei. Daraufhin stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 12.04.2010 den GdB mit 100 seit 19.06.2009 sowie das Merkzeichen G fest. Hinsichtlich des auf die Feststellung des Merkzeichens aG gerichteten Antrags erfolgte eine ambulante versorgungsärztliche Untersuchung des Klägers. Dr. A. berücksichtigte in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.06.2010 nunmehr die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, die Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten, den Bandscheibenschaden und das Schulter-Arm-Syndrom mit einem Einzel-GdB von 50 und bewertete unter Aufrechterhaltung der ansonsten bislang anerkannten Einzel-GdB-Werte den Gesamt-GdB weiterhin mit 100. Sie führte ferner aus, der Gang sei kleinschrittig mit steifem Rumpf, wobei der Kläger circa 200 bis 300 Meter, mit Handgehstock circa 500 Meter, gehen könne. Eine Stolper- oder Fallneigung bestehe nicht. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG seien daher nicht erfüllt. Die Gehfähigkeit sei nicht auf das Schwerste eingeschränkt. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2010 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 09.08.2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg erhoben.
Er hat das auf eigene Veranlassung erstellte Privatgutachten des Orthopäden Dr. J. vom 03.11.2010 samt Stellungnahme vom 22.02.2011 vorgelegt. Ferner hat Dr. J. in seinem für den Beklagten erstellten Befundbericht vom 08.05.2011 ausgeführt, der Gang des Klägers sei sehr langsam, kleinschrittig, zögernd, fast ataktisch, seitenbetont, mit Anheben des rechten Fußes wie bei einer Peronäusparese. Der Zehenspitzen- und Fersengang sei ebenfalls kleinschrittig. Der Kläger sei aufgrund der festgestellten Funktionsstörungen in der Gehfähigkeit stark eingeschränkt und müsse ständig Unterarmgehstützen benutzen.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen das Gutachten des Dr. B., Chefarzt der Orthopädischen Chirurgie am Kreiskrankenhaus R., vom 01.09.2011 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, es bestünden eine schmerzhafte Beweglichkeitseinschränkung im Halswirbelsäulenbereich, verbunden mit Gefühlsstörungen in beide Arme bis in die Hände ziehend, und mittelgradig eingeschränkte Beweglichkeitsstörungen im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich mit einem Einzel-GdB von 50, behindernde Bewegungsstörungen in beiden Schultergelenken, die nicht mehr über den rechten Winkel angehoben werden könnten, mit Minderung der groben Kraft im Bereich der oberen Extremitäten mit einem Einzel-GdB von 20, eine Amputationsverletzung der rechten Hand mit einem Einzel-GdB von 30, eine Teillähmung des linken Speichennervs mit Gebrauchseinschränkung der linken Hand mit einem allerdings auf die Halswirbelsäulenveränderungen zurückzuführenden Einzel-GdB von 30 und eine Funktionsbehinderung beider Hüft- und Kniegelenke sowie eine beidseitige diskrete Fußfehlform mit einem GdB von allenfalls 10. Die weitgehend unauffälligen Hüftgelenke seien nur in der Rotationsbewegung eingeschränkt. Die Kniegelenke seien mit einem Bewegungsmaß von 0/0/130 Grad frei beweglich. Gleiches gelte für die oberen Sprunggelenke. Die Fußsohlen seien seitengleich beschwielt. Der stark übergewichtige Kläger benutze einen Gehstock als Gehhilfe. Der Sachverständige hat ferner ausgeführt, insgesamt könne der Kläger aufgrund seiner Behinderung noch etwa 500 Meter weit laufen. Dies entspreche in etwa einer halben Stunde. Somit sei klar zu sagen, dass die strenge Definition für das Merkzeichen aG im juristischen Sinne nicht erfüllt sei. Andererseits hat der Sachverständige die Meinung vertreten, "dass von richterlicher Seite eventuell doch eine Ausnahmegenehmigung erwogen werden könnte, denn ohne Zweifel ist der Kläger mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen erheblich geschlagen und zeigt einen bemerkenswerten Willen und entsprechende Tatkraft, trotz dieser vielfältigen Behinderungen mit seinem Leben möglichst gut zurecht zu kommen", so dass eine Zuerkennung des Merkzeichens aG "aus schlicht menschlichen Gründen durchaus verständlich" wäre.
Mit Urteil vom 09.02.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Gehfähigkeit müsse, um als außergewöhnlich Gehbehinderter anerkannt zu werden, so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar sei, längere Wege zu Fuß zurückzulegen, weil darauf abzustellen sei, unter welchen Bedingungen sich der schwerbehinderte Mensch noch außerhalb seines Kraftfahrzeuges fortbewegen könne. Sei ihm praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an eine Fortbewegung zu Fuß nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung möglich, so qualifiziere sich dieser Behinderte für das Merkzeichen aG, und zwar dies auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise noch längere Wegstrecken zurücklegen müsse. Die zu fordernde große körperliche Anstrengung sei bereits dann gegeben, wenn der Behinderte eine von ihm schon nach 30 Metern einzulegende Pause deshalb mache, weil er bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft sei und neue Kräfte sammeln müsse, bevor er weiter gehen könne. Gemessen an diesem Maßstab erfülle der Kläger die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG jedenfalls noch nicht. Denn bei der Begutachtung durch Dr. B. habe der Kläger angegeben, er könne zwar jetzt mit seinem Hund nicht mehr spazieren gehen, insgesamt könne er aber noch etwa 500 Meter laufen, müsse dann wegen der Schmerzen in den Beinen stehen bleiben und sich ausruhen, die Gehdauer würde etwa eine halbe Stunde betragen und besonders schwer falle ihm auch Treppensteigen zu Hause. Daraus ergebe sich, dass der Kläger noch etwa 500 Meter laufen könne, ehe er schmerzbedingt stehen bleiben und sich ausruhen müsse, so dass er noch weit von dem Personenkreis für das Merkzeichen aG, der schon nach etwa 30 Metern Gehstrecke eine Pause einlegen müsse, entfernt sei. Auch Dr. J. habe festgestellt, dass der Kläger in Straßenschuhen an Unterarmgehstützen gehe und die Fußsohlenbeschwielung noch normal sei, so dass davon ausgegangen werden könne, dass eine Benutzung der Füße im Alltagsleben durchaus noch stattfinde. Was die beim Kläger inzwischen auch anerkannten Gleichgewichtsstörungen und Störungen der Koordination angehe, so rechtfertigten auch diese die Feststellung des Merkzeichens aG noch nicht, denn sie wirkten sich offensichtlich auf die Restgehfähigkeit des Klägers noch nicht dahingehend aus, dass dieser sich nur noch in Begleitung auf Fußwege unter Benutzung seiner Unterarmgehstützen trauen würde. Erst recht seien die Gleichgewichtsstörungen noch nicht derart schwer ausgeprägt, als dass sich der Kläger nur noch mit Begleitpersonen und unter Benutzung eines Rollstuhles zu Fuß fortbewegen könne.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 12.03.2012 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Kläger am 12.04.2012 Berufung eingelegt. Er hat ausgeführt, aufgrund seiner multiplen Erkrankungen sei er so stark beeinträchtigt, "dass er auch nur kurze Strecken, also auch unter 2 Meter, nur mit Mühen und 2 Krücken gehen" könne. Er habe schon nach wenigen Metern eine Pause einzulegen. Ferner leide er unter gravierenden Durchblutungs- und Kreislaufbeschwerden, Schwindelzuständen, Tinnitus und eine ordnungsgemäße Atmung beeinträchtigende Schmerzen im Brustkorb. Die Atmungs- und Durchblutungsprobleme wiesen möglicherweise auf erhebliche kardiologische Beschwerden hin. Insbesondere unter Berücksichtigung der starken Schmerzen in der Brust und der damit einhergehenden Luftnot und unter Berücksichtigung der starken Beeinträchtigung des Gehapparates, die Dr. J. eindrücklich festgestellt habe, erfülle er die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG. Gerade bei multimorbiden Gehbehinderten wie ihm liege es auf der Hand, dass alleine das Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermögliche und eine Gesamtschau aller relevanten Umstände dringend erforderlich sei. Im Rahmen seiner rein orthopädischen Begutachtung habe Dr. J. bereits darauf hingewiesen, dass auf chirurgischem Fachgebiet die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG noch nicht vorlägen, aber aufgrund der besonderen Einzelsituation das Merkzeichen aG zuerkannt werden solle. Dr. J. habe zutreffend berücksichtigt, dass die übrigen, von ihm aufgrund seines Fachgebietes nicht begutachteten Beschwerden eine Gesamtschau dahingehend zuließen, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens aG insgesamt vorlägen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Februar 2012 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 30. Dezember 2009 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 12. April 2010 abzuändern, den Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Merkzeichen "außergewöhnliche Gehbehinderung" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Ansicht, neue ärztliche Erkenntnisse, die das Gehvermögen des Klägers gegebenenfalls negativ beeinflussen könnten, lägen nicht vor. Bisher seien lediglich Gleichgewichtsstörungen und Störungen der Koordination mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Das Gutachten des Dr. J. habe dem Sozialgericht vorgelegen. Danach bestehe jedoch kein wesentliches internistisches Leiden, das eine außergewöhnliche Gehbehinderung begründen könne. Sofern der Kläger demgegenüber über weitere, aktuelle ärztliche Unterlagen verfüge, werde angeregt, diese beizuziehen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens aG.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Feststellung von Merkzeichen sind die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Auf Antrag des behinderten Menschen treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen aG einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Vierte Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes [SchwbAwV]). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne des § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen (Rollstuhlfahrersymbol, Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen (zum Beispiel vom eingeschränkten Halteverbot für die Dauer von 3 Stunden). Darüber hinaus führt sie unter anderem zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz [KraftStG]) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB IX) und gegebenenfalls zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Sie macht die steuerliche Geltendmachung von Kosten des Kraftfahrzeuges, soweit sie nicht schon Werbungs- oder Betriebskosten sind, als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) in angemessenem Umfang möglich.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO). Dies ist, obwohl nach Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz (GG) erlassene Verwaltungsvorschriften keine unmittelbare Außenwirkung entfalten (Lerche in Maunz-Dürig, GG, Kommentar, Stand Januar 1985, Art. 84, Rz. 94 bis 103), ständige höchstrichterliche Rechtsprechung (zuletzt in BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann (Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO). Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO), sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 2 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO).
Der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) lassen sich im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Nachteilsausgleichs entnehmen. Denn die VG sind hinsichtlich der getroffenen Regelungen für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche G, "Berechtigung für eine ständige Begleitung" (B), aG, "Gehörlosigkeit" (Gl) und "Blindheit" (Bl) unwirksam, da es insoweit an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlt. Eine solche Ermächtigung findet sich nämlich - mit Ausnahme des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" (H) - weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30.06.2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 01.07.2011, noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX (Urteile des Senats vom 09.06.2011 - L 6 SB 6140/09, vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09; Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 09.05.2011 - L 8 SB 2294/10, vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08, vom 24.09.2010 - L 8 SB 4533/09; Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4).
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme möglich. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - BSGE 82, 37). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180). Solche Besonderheiten können aber angesichts des mit der Zuerkennung des Merkzeichens aG bezweckten Nachteilsausgleichs nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO beziehungsweise § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (BT-Drucks 8/3150, S. 9 und 10 in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - BSGE 82, 37).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Dabei lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180). Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - Behindertenrecht 2008, 138; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - VersorgVerw 2007, 61).
Auch soweit diese großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs aG reichen überdies nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität der Schmerzen beziehungsweise der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich unter anderem aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - Behindertenrecht 2008, 138; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - VersorgVerw 2007, 61).
Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann. Gerade bei multimorbiden Schwerbehinderten liegt auf der Hand, dass allein das Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert. Gerade die Anwendung eines einzelnen starren Kriteriums birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - Behindertenrecht 2008, 138; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - VersorgVerw 2007, 61).
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G festgestellt werden. Denn für den Nachteilsausgleich aG gelten gegenüber dem Nachteilsausgleich G nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 11).
Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßen-verkehrsrechtlichen Zweck des Nachteilsausgleichs aG herleiten. Insofern kommt es nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Der Nachteilsausgleich aG soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG, Urteil vom 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 - SozR 3870 § 3 Nr. 18). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahelegen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen. Aber auch diesem Ansatz ist nicht zuzustimmen. Abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze (Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) zu kurz. Denn daneben werden nach Abschnitt I Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie zum Beispiel die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot, gewährt (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - Behindertenrecht 2008, 138; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - VersorgVerw 2007, 61).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger außergewöhnlich gehbehindert war und ist. Weder gehört er zu dem in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Personenkreis, noch ist er nach Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Abs. 2 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VvV-StVO aufgrund seiner Erkrankungen diesem Personenkreis gleichzustellen. Denn der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass das Gehvermögen des Klägers auf das Schwerste eingeschränkt ist und beispielsweise mit dem Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten gleichzusetzen ist.
Zwar sieht der Senat, dass eine beträchtliche Einschränkung der Gehfähigkeit des Klägers vorliegt. Diese ist aber angemessen mit der Zuerkennung des Merkzeichens G berücksichtigt. Eine das Merkzeichen aG rechtfertigende Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße, also derart, dass sich der Kläger selbständig nur unter ebenso großen Anstrengungen wie beispielsweise ein Doppeloberschenkelamputierter oder sich nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, ist nicht festzustellen.
Mit zutreffender Argumentation ist das Sozialgericht der Schlussfolgerung des Sachverständigen Dr. B., dass die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen keine außergewöhnliche Gehbehinderung zur Folge haben, gefolgt. Der Senat schließt sich gemäß § 153 Abs. 2 SGG diesen Ausführungen nach eigener Prüfung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen an.
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt.
Zwar hat Dr. B. ein mit Gehhilfe kleinschrittiges und zögerliches, fast ataktisches Gangbild beschrieben. Er hat aber im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule nur mittelgradig eingeschränkte Beweglichkeitsstörungen sowie im Bereich der unteren Extremitäten die Hüftgelenke als weitgehend unauffällig, die Kniegelenke als frei beweglich und die oberen Sprunggelenke ebenfalls als weitgehend unauffällig bei seitengleicher Beweglichkeit beschrieben und damit für den Senat überzeugend den Einzel-GdB für das Funktionssystem Beine mit nur 10 bewertet. Ferner weist der Senat ebenso wie das Sozialgericht darauf hin, dass der Kläger nach seinen Angaben bei der Begutachtung durch Dr. B. noch etwa 500 Meter in einer Gehdauer von etwa einer halben Stunde laufen kann, ehe er wegen der Schmerzen in den Beinen stehen bleibt und sich ausruht. Wegen der geringen funktionellen und deshalb nur mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Einschränkungen im Bereich der unteren Extremitäten und den Angaben des Klägers hat Dr. B. gut nachvollziehbar die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG verneint.
Nichts anderes folgt aus den Angaben des Dr. J. in seinem Privatgutachten vom 03.11.2010, dessen Beweiswert ohnehin schon eingeschränkt ist. Schriftliche Bekundungen von Ärzten, die außerhalb einer gerichtlichen Beweiserhebung aktenkundig werden, sind nur als Urkunden im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 415 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) zu verwerten und haben deshalb einen anderen Beweiswert und eine andere, nämlich begrenzte Beweiskraft, somit einen anderen Aussagewert als ein Gutachten im Rechtssinne (BSG, Urteil vom 28.03.1984 - 9a RV 29/83 - SozR 1500 § 128 Nr. 24). Schon aus diesem Grund misst der Senat dem in erster Instanz eingeholten gerichtlichen Gutachten des Dr. B. einen höheren Beweiswert zu. Anders als ein Privatgutachter muss sich der gerichtliche Sachverständige nämlich bewusst sein, dass seine Angaben unter der Strafdrohung der §§ 153 ff. Strafgesetzbuch (StGB) stehen und er nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 ff. ZPO als Sachverständiger vereidigt werden kann. Ungeachtet dessen können auch unter Zugrundelegung der von Dr. J. erhobenen Befunde die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht angenommen werden können. Zwar hat auch er einen langsamen und kleinschrittigen Gang beschrieben. Er hat aber neben einer nur geringen Rotationseinschränkung der Hüftgelenke und einer freien Beweglichkeit der Knie- und Sprunggelenke eine normale Fußsohlenbeschwielung und keine Muskelminderung der Beine festgestellt, so dass - worauf auch schon das Sozialgericht hingewiesen hat - davon ausgegangen werden kann, dass eine Benutzung der Beine im Alltagsleben durchaus noch stattfindet. Die von ihm in seinem Befundbericht vom 08.05.2011 gemachte Angabe, es liege eine Muskelminderung am rechten und linken Bein vor, hat er nicht mit Umfangsmessungen belegt. Die übrigen beim Kläger festgestellten und einen Gesamt-GdB von 100 bedingenden Erkrankungen wirken sich nicht derart auf das Gehvermögen des Klägers aus, als dass dieser beispielsweise mit einem Doppeloberschenkelamputierten gleichgestellt werden könnte. Die zutreffend nur mit einem Einzel-GdB von 20 bewerteten Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen beeinträchtigen nach den von Dr. B., aber auch von Dr. J. erhobenen Befunden die Restgehfähigkeit des Klägers nicht in einem für die Zuerkennung des Merkzeichens aG notwendigen Ausmaß. Dasselbe gilt für die im Berufungsverfahren vorgebrachten Durchblutungs-, Kreislauf- und Atmungsbeschwerden. Eine sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Schwergradigkeit dieser Beschwerden ergibt sich aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht. Eine diesbezügliche fachärztliche Behandlung wird beim Kläger nicht durchgeführt.
Nach alledem hat und hatte der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens aG. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts vom 09.02.2012 und der Bescheid des Beklagten vom 30.12.2009 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 12.04.2010 und des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2010 haben sich mithin als rechtmäßig erwiesen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Merkzeichens "außergewöhnliche Gehbehinderung" (aG) streitig.
Im Rahmen eines früheren auf die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) gerichteten Klageverfahrens hatte das Sozialgericht Freiburg unter Zugrundelegung des von Amts wegen eingeholten Gutachtens der Prof. Dr. E., damalige Chefärztin der Orthopädischen Chirurgie am Kreiskrankenhaus R., vom 30.09.2006 (Bewegungseinschränkung und chronisches Schmerzsyndrom der Halswirbelsäule, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, chronisches Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule, leichte Funktionsbehinderung beider Hüft- und Kniegelenke, Funktionsbehinderung der rechten Hand nach Amputationsverletzung des ersten und zweiten Fingers, Funktionsbehinderung der linken Hand bei Teillähmung des linken Speichennervens; Gesamt-GdB 70; der Kläger sei im Stande, eine circa 30minütige Wegstrecke von 2 Kilometern zu Fuß zurückzulegen) und des auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch.-B. vom 01.10.2007 (Zustand nach cervikaler Bandscheiben-Operation C5/6 und C6/7, Zustand nach proximaler Ulnarisläsion links und Carpaltunnelsyndrom-Operation links, Zustand nach Verlust der Finger eins und zwei der rechten Hand, leichte Polyneuropathie, Somatisierungsstörung, Zustand nach Hirnstammischämie ohne persistierendes Defizit, Schmerzfehlverarbeitung, differentialdiagnostisch Anpassungsstörung; Gesamt-GdB 80; eine wesentliche Einschränkung des Gehvermögens liege vom nervenärztlichen Fachgebiet her nicht vor, keine neurologische Störung, psychiatrischerseits begründe die Schmerzfehlverarbeitung beziehungsweise auch eine eventuelle neurotische Entwicklung eine Einschränkung des Gehvermögens nicht) für den 1951 geborenen Kläger mit Urteil vom 29.05.2008 (S 3 SB 4633/04) den GdB mit 80 seit 10.11.2003 festgestellt und die im Übrigen auf die Feststellung des Merkzeichens "erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" (G) gerichtete Klage abgewiesen. Der diesbezügliche Ausführungsbescheid des Beklagten war unter dem 01.07.2008 erfolgt. Die eingelegte Berufung hatte der Kläger am 29.05.2009 zurückgenommen (L 8 SB 3756/08).
Der Kläger beantragte am 19.06.2009 unter anderem unter Vorlage des Befundberichts des Radiologen Dr. B. vom 16.09.2008 (Osteochondrosen C5/6 und C6/7 mit Retrospondylosen sowie begleitender Uncovertebralarthrose) die Neufeststellung des GdB. Das Landratsamt zog den Arztbrief des Prof. Dr. H, Chefarzt am Klinikum K.-L., vom 25.05.2009 (Zustand nach Fusionsoperation C5/7, Pseudoarthrose C6/7, chronische erosive Osteochondrose L5/S1, am 11.02.2009 ventrale Fusion C6/7 mit Beckenspanentnahme, Cage-Implantation und Platte, flüssiges Gangbild, Gehstrecke eine halbe Stunde) bei. Der Kläger beantragte am 25.09.2009 die Feststellung der Merkzeichen G und aG. Dr. E. berücksichtige in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 26.09.2009 als Behinderungen ein berufsgenossenschaftlich anerkanntes Leiden der rechten Hand mit einem Einzel-GdB von 30, eine Teillähmung des linken Speichennervs und eine Gebrauchseinschränkung der linken Hand mit einem Einzel-GdB von 30, eine Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen mit einem Einzel-GdB von 30, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, eine Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten und einen Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 30, eine seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden und ein chronisches Schmerzsyndrom mit einem Einzel-GdB von 30, eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke und eine Arthrose mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und eine Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB weiterhin mit 80. Sodann holte das Landratsamt den Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. E. vom 15.10.2009 (auf der Ebene freie Gehstrecke ohne Hilfsmittel 2.000 Meter und mit Gehstockstütze bis 500 Meter) ein. Dr. E. hielt in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.12.2009 an der bisherigen GdB-Beurteilung fest und führte ergänzend aus, die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und aG lägen nicht vor. Mit Bescheid vom 30.12.2009 lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag sowie die Feststellung der Merkzeichen G und aG ab.
Hiergegen erhob der Kläger am 15.01.2010 Widerspruch. Er legte die Arztbriefe des Neurochirurgen Dr. W. vom 02.09.2009, 07.09.2009 und 18.12.2009 (fragliche Fraktur von Halswirbelkörpern), des Radiologen L. vom 26.01.2010 (magnetresonanztomographisch und computertomographisch kein sicherer Anhalt für eine abgelaufene Fraktur von Corpus oder Dens C2), des Radiologen Dr. G. vom 03.02.2010 (kernspintomographisch deutliche Gefügestörung mit praktisch aufgehobener Halswirbelsäulen-Lordose), der Neurologin und Psychiaterin Dr. V. vom 05.02.2010 (auffallender neurologischer Befund) und des Orthopäden K. vom 10.02.2010 (deutlicher muskulärer Hartspann der Schulter- und Nackenmuskulatur) vor. Dr. A. berücksichtigte in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.03.2010 nunmehr die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, die Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten und den Bandscheibenschaden mit einem Einzel-GdB von 40 sowie zusätzlich eine erektile Dysfunktion und eine Entleerungsstörung mit einem Einzel-GdB von 20 sowie Gleichgewichtsstörungen und Störungen der Koordination mit einem Einzel-GdB von 20 und bewertete unter Aufrechterhaltung der ansonsten bislang anerkannten Einzel-GdB-Werte den Gesamt-GdB mit 100. Ferner befürwortete sie das Merkzeichen G. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG lägen hingegen nicht vor, da die Gehfähigkeit nicht auf das Schwerste eingeschränkt sei. Daraufhin stellte der Beklagte mit Teil-Abhilfebescheid vom 12.04.2010 den GdB mit 100 seit 19.06.2009 sowie das Merkzeichen G fest. Hinsichtlich des auf die Feststellung des Merkzeichens aG gerichteten Antrags erfolgte eine ambulante versorgungsärztliche Untersuchung des Klägers. Dr. A. berücksichtigte in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.06.2010 nunmehr die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, die Versteifung von Wirbelsäulen-Abschnitten, den Bandscheibenschaden und das Schulter-Arm-Syndrom mit einem Einzel-GdB von 50 und bewertete unter Aufrechterhaltung der ansonsten bislang anerkannten Einzel-GdB-Werte den Gesamt-GdB weiterhin mit 100. Sie führte ferner aus, der Gang sei kleinschrittig mit steifem Rumpf, wobei der Kläger circa 200 bis 300 Meter, mit Handgehstock circa 500 Meter, gehen könne. Eine Stolper- oder Fallneigung bestehe nicht. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG seien daher nicht erfüllt. Die Gehfähigkeit sei nicht auf das Schwerste eingeschränkt. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.07.2010 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 09.08.2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg erhoben.
Er hat das auf eigene Veranlassung erstellte Privatgutachten des Orthopäden Dr. J. vom 03.11.2010 samt Stellungnahme vom 22.02.2011 vorgelegt. Ferner hat Dr. J. in seinem für den Beklagten erstellten Befundbericht vom 08.05.2011 ausgeführt, der Gang des Klägers sei sehr langsam, kleinschrittig, zögernd, fast ataktisch, seitenbetont, mit Anheben des rechten Fußes wie bei einer Peronäusparese. Der Zehenspitzen- und Fersengang sei ebenfalls kleinschrittig. Der Kläger sei aufgrund der festgestellten Funktionsstörungen in der Gehfähigkeit stark eingeschränkt und müsse ständig Unterarmgehstützen benutzen.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen das Gutachten des Dr. B., Chefarzt der Orthopädischen Chirurgie am Kreiskrankenhaus R., vom 01.09.2011 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, es bestünden eine schmerzhafte Beweglichkeitseinschränkung im Halswirbelsäulenbereich, verbunden mit Gefühlsstörungen in beide Arme bis in die Hände ziehend, und mittelgradig eingeschränkte Beweglichkeitsstörungen im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich mit einem Einzel-GdB von 50, behindernde Bewegungsstörungen in beiden Schultergelenken, die nicht mehr über den rechten Winkel angehoben werden könnten, mit Minderung der groben Kraft im Bereich der oberen Extremitäten mit einem Einzel-GdB von 20, eine Amputationsverletzung der rechten Hand mit einem Einzel-GdB von 30, eine Teillähmung des linken Speichennervs mit Gebrauchseinschränkung der linken Hand mit einem allerdings auf die Halswirbelsäulenveränderungen zurückzuführenden Einzel-GdB von 30 und eine Funktionsbehinderung beider Hüft- und Kniegelenke sowie eine beidseitige diskrete Fußfehlform mit einem GdB von allenfalls 10. Die weitgehend unauffälligen Hüftgelenke seien nur in der Rotationsbewegung eingeschränkt. Die Kniegelenke seien mit einem Bewegungsmaß von 0/0/130 Grad frei beweglich. Gleiches gelte für die oberen Sprunggelenke. Die Fußsohlen seien seitengleich beschwielt. Der stark übergewichtige Kläger benutze einen Gehstock als Gehhilfe. Der Sachverständige hat ferner ausgeführt, insgesamt könne der Kläger aufgrund seiner Behinderung noch etwa 500 Meter weit laufen. Dies entspreche in etwa einer halben Stunde. Somit sei klar zu sagen, dass die strenge Definition für das Merkzeichen aG im juristischen Sinne nicht erfüllt sei. Andererseits hat der Sachverständige die Meinung vertreten, "dass von richterlicher Seite eventuell doch eine Ausnahmegenehmigung erwogen werden könnte, denn ohne Zweifel ist der Kläger mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen erheblich geschlagen und zeigt einen bemerkenswerten Willen und entsprechende Tatkraft, trotz dieser vielfältigen Behinderungen mit seinem Leben möglichst gut zurecht zu kommen", so dass eine Zuerkennung des Merkzeichens aG "aus schlicht menschlichen Gründen durchaus verständlich" wäre.
Mit Urteil vom 09.02.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Gehfähigkeit müsse, um als außergewöhnlich Gehbehinderter anerkannt zu werden, so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar sei, längere Wege zu Fuß zurückzulegen, weil darauf abzustellen sei, unter welchen Bedingungen sich der schwerbehinderte Mensch noch außerhalb seines Kraftfahrzeuges fortbewegen könne. Sei ihm praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an eine Fortbewegung zu Fuß nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung möglich, so qualifiziere sich dieser Behinderte für das Merkzeichen aG, und zwar dies auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise noch längere Wegstrecken zurücklegen müsse. Die zu fordernde große körperliche Anstrengung sei bereits dann gegeben, wenn der Behinderte eine von ihm schon nach 30 Metern einzulegende Pause deshalb mache, weil er bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft sei und neue Kräfte sammeln müsse, bevor er weiter gehen könne. Gemessen an diesem Maßstab erfülle der Kläger die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG jedenfalls noch nicht. Denn bei der Begutachtung durch Dr. B. habe der Kläger angegeben, er könne zwar jetzt mit seinem Hund nicht mehr spazieren gehen, insgesamt könne er aber noch etwa 500 Meter laufen, müsse dann wegen der Schmerzen in den Beinen stehen bleiben und sich ausruhen, die Gehdauer würde etwa eine halbe Stunde betragen und besonders schwer falle ihm auch Treppensteigen zu Hause. Daraus ergebe sich, dass der Kläger noch etwa 500 Meter laufen könne, ehe er schmerzbedingt stehen bleiben und sich ausruhen müsse, so dass er noch weit von dem Personenkreis für das Merkzeichen aG, der schon nach etwa 30 Metern Gehstrecke eine Pause einlegen müsse, entfernt sei. Auch Dr. J. habe festgestellt, dass der Kläger in Straßenschuhen an Unterarmgehstützen gehe und die Fußsohlenbeschwielung noch normal sei, so dass davon ausgegangen werden könne, dass eine Benutzung der Füße im Alltagsleben durchaus noch stattfinde. Was die beim Kläger inzwischen auch anerkannten Gleichgewichtsstörungen und Störungen der Koordination angehe, so rechtfertigten auch diese die Feststellung des Merkzeichens aG noch nicht, denn sie wirkten sich offensichtlich auf die Restgehfähigkeit des Klägers noch nicht dahingehend aus, dass dieser sich nur noch in Begleitung auf Fußwege unter Benutzung seiner Unterarmgehstützen trauen würde. Erst recht seien die Gleichgewichtsstörungen noch nicht derart schwer ausgeprägt, als dass sich der Kläger nur noch mit Begleitpersonen und unter Benutzung eines Rollstuhles zu Fuß fortbewegen könne.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 12.03.2012 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Kläger am 12.04.2012 Berufung eingelegt. Er hat ausgeführt, aufgrund seiner multiplen Erkrankungen sei er so stark beeinträchtigt, "dass er auch nur kurze Strecken, also auch unter 2 Meter, nur mit Mühen und 2 Krücken gehen" könne. Er habe schon nach wenigen Metern eine Pause einzulegen. Ferner leide er unter gravierenden Durchblutungs- und Kreislaufbeschwerden, Schwindelzuständen, Tinnitus und eine ordnungsgemäße Atmung beeinträchtigende Schmerzen im Brustkorb. Die Atmungs- und Durchblutungsprobleme wiesen möglicherweise auf erhebliche kardiologische Beschwerden hin. Insbesondere unter Berücksichtigung der starken Schmerzen in der Brust und der damit einhergehenden Luftnot und unter Berücksichtigung der starken Beeinträchtigung des Gehapparates, die Dr. J. eindrücklich festgestellt habe, erfülle er die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG. Gerade bei multimorbiden Gehbehinderten wie ihm liege es auf der Hand, dass alleine das Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermögliche und eine Gesamtschau aller relevanten Umstände dringend erforderlich sei. Im Rahmen seiner rein orthopädischen Begutachtung habe Dr. J. bereits darauf hingewiesen, dass auf chirurgischem Fachgebiet die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG noch nicht vorlägen, aber aufgrund der besonderen Einzelsituation das Merkzeichen aG zuerkannt werden solle. Dr. J. habe zutreffend berücksichtigt, dass die übrigen, von ihm aufgrund seines Fachgebietes nicht begutachteten Beschwerden eine Gesamtschau dahingehend zuließen, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens aG insgesamt vorlägen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Februar 2012 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 30. Dezember 2009 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 12. April 2010 abzuändern, den Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das Merkzeichen "außergewöhnliche Gehbehinderung" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er vertritt die Ansicht, neue ärztliche Erkenntnisse, die das Gehvermögen des Klägers gegebenenfalls negativ beeinflussen könnten, lägen nicht vor. Bisher seien lediglich Gleichgewichtsstörungen und Störungen der Koordination mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet. Das Gutachten des Dr. J. habe dem Sozialgericht vorgelegen. Danach bestehe jedoch kein wesentliches internistisches Leiden, das eine außergewöhnliche Gehbehinderung begründen könne. Sofern der Kläger demgegenüber über weitere, aktuelle ärztliche Unterlagen verfüge, werde angeregt, diese beizuziehen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens aG.
Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die Feststellung von Merkzeichen sind die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Auf Antrag des behinderten Menschen treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen einer Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die gesundheitlichen Merkmale aus (§ 69 Abs. 5 SGB IX).
Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen aG einzutragen ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Vierte Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes [SchwbAwV]). Diese Feststellung zieht straßenverkehrsrechtlich die Gewährung von Parkerleichterungen im Sinne des § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) nach sich, insbesondere die Nutzung von gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen (Rollstuhlfahrersymbol, Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) und die Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen (zum Beispiel vom eingeschränkten Halteverbot für die Dauer von 3 Stunden). Darüber hinaus führt sie unter anderem zur Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer (§ 3a Abs. 1 Kraftfahrzeugsteuergesetz [KraftStG]) bei gleichzeitiger Möglichkeit der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (§ 145 Abs. 1 SGB IX) und gegebenenfalls zur Ausnahme von allgemeinen Fahrverboten nach § 40 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG). Sie macht die steuerliche Geltendmachung von Kosten des Kraftfahrzeuges, soweit sie nicht schon Werbungs- oder Betriebskosten sind, als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) in angemessenem Umfang möglich.
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO). Dies ist, obwohl nach Art. 84 Abs. 2 Grundgesetz (GG) erlassene Verwaltungsvorschriften keine unmittelbare Außenwirkung entfalten (Lerche in Maunz-Dürig, GG, Kommentar, Stand Januar 1985, Art. 84, Rz. 94 bis 103), ständige höchstrichterliche Rechtsprechung (zuletzt in BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann (Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO). Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO), sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind (Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 2 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO).
Der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2008" (AHP) getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) lassen sich im Ergebnis keine weiteren Beurteilungskriterien für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des begehrten Nachteilsausgleichs entnehmen. Denn die VG sind hinsichtlich der getroffenen Regelungen für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche G, "Berechtigung für eine ständige Begleitung" (B), aG, "Gehörlosigkeit" (Gl) und "Blindheit" (Bl) unwirksam, da es insoweit an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlt. Eine solche Ermächtigung findet sich nämlich - mit Ausnahme des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" (H) - weder in § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis zum 30.06.2011 beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der Fassung ab dem 01.07.2011, noch in sonstigen Regelungen des BVG oder des SGB IX (Urteile des Senats vom 09.06.2011 - L 6 SB 6140/09, vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09; Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 09.05.2011 - L 8 SB 2294/10, vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08, vom 24.09.2010 - L 8 SB 4533/09; Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4).
Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme möglich. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - BSGE 82, 37). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180). Solche Besonderheiten können aber angesichts des mit der Zuerkennung des Merkzeichens aG bezweckten Nachteilsausgleichs nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist Abschnitt II Nr. 1 Satz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO beziehungsweise § 6 Abs. 1 Nr. 14 StVG (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (BT-Drucks 8/3150, S. 9 und 10 in der Begründung zu § 6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 1/97 R - BSGE 82, 37).
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Dabei lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R - BSGE 90, 180). Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt. Der gleichzustellende Personenkreis beschränkt sich daher auf Schwerbehinderte, deren Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist und die sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Vergleichsgruppen (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - Behindertenrecht 2008, 138; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - VersorgVerw 2007, 61).
Auch soweit diese großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden. Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche Wegstrecke objektiv fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs aG reichen überdies nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die Schwerbehinderte der in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität der Schmerzen beziehungsweise der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich unter anderem aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den durch die Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - Behindertenrecht 2008, 138; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - VersorgVerw 2007, 61).
Ob die danach erforderlichen großen körperlichen Anstrengungen beim Gehen vorliegen, ist Gegenstand tatrichterlicher Würdigung, die sich auf alle verfügbaren Beweismittel, wie Befundberichte der behandelnden Ärzte, Sachverständigengutachten oder einen dem Gericht persönlich vermittelten Eindruck, stützen kann. Gerade bei multimorbiden Schwerbehinderten liegt auf der Hand, dass allein das Abstellen auf ein starres Kriterium keine sachgerechte Beurteilung ermöglicht, weil es eine Gesamtschau aller relevanten Umstände eher verhindert. Gerade die Anwendung eines einzelnen starren Kriteriums birgt die Gefahr eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - Behindertenrecht 2008, 138; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - VersorgVerw 2007, 61).
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G festgestellt werden. Denn für den Nachteilsausgleich aG gelten gegenüber dem Nachteilsausgleich G nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 11).
Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßen-verkehrsrechtlichen Zweck des Nachteilsausgleichs aG herleiten. Insofern kommt es nicht auf die üblicherweise auf Großparkplätzen zurückzulegende Strecke zwischen allgemein nutzbaren Parkplätzen und Gebäudeeingängen an. Der Nachteilsausgleich aG soll die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der Wege infolge der gewährten Parkerleichterungen ausgleichen (BSG, Urteil vom 06.11.1985 - 9a RVs 7/83 - SozR 3870 § 3 Nr. 18). Ein bestimmtes Wegstreckenkriterium erschiene nur dann als sachgerecht, wenn die betreffende Wegstrecke grundsätzlich geeignet wäre, den bestehenden Nachteil auszugleichen. Das könnte es nahelegen, auf die Platzierung gesondert ausgewiesener Behindertenparkplätze abzustellen. Aber auch diesem Ansatz ist nicht zuzustimmen. Abgesehen davon, dass es keine empirischen Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze (Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) zu kurz. Denn daneben werden nach Abschnitt I Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie zum Beispiel die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot, gewährt (BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 5/06 R; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R - Behindertenrecht 2008, 138; BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - VersorgVerw 2007, 61).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger außergewöhnlich gehbehindert war und ist. Weder gehört er zu dem in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Personenkreis, noch ist er nach Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Abs. 2 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VvV-StVO aufgrund seiner Erkrankungen diesem Personenkreis gleichzustellen. Denn der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass das Gehvermögen des Klägers auf das Schwerste eingeschränkt ist und beispielsweise mit dem Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten gleichzusetzen ist.
Zwar sieht der Senat, dass eine beträchtliche Einschränkung der Gehfähigkeit des Klägers vorliegt. Diese ist aber angemessen mit der Zuerkennung des Merkzeichens G berücksichtigt. Eine das Merkzeichen aG rechtfertigende Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße, also derart, dass sich der Kläger selbständig nur unter ebenso großen Anstrengungen wie beispielsweise ein Doppeloberschenkelamputierter oder sich nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann, ist nicht festzustellen.
Mit zutreffender Argumentation ist das Sozialgericht der Schlussfolgerung des Sachverständigen Dr. B., dass die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen keine außergewöhnliche Gehbehinderung zur Folge haben, gefolgt. Der Senat schließt sich gemäß § 153 Abs. 2 SGG diesen Ausführungen nach eigener Prüfung unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen an.
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren ist gegenüber der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt.
Zwar hat Dr. B. ein mit Gehhilfe kleinschrittiges und zögerliches, fast ataktisches Gangbild beschrieben. Er hat aber im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule nur mittelgradig eingeschränkte Beweglichkeitsstörungen sowie im Bereich der unteren Extremitäten die Hüftgelenke als weitgehend unauffällig, die Kniegelenke als frei beweglich und die oberen Sprunggelenke ebenfalls als weitgehend unauffällig bei seitengleicher Beweglichkeit beschrieben und damit für den Senat überzeugend den Einzel-GdB für das Funktionssystem Beine mit nur 10 bewertet. Ferner weist der Senat ebenso wie das Sozialgericht darauf hin, dass der Kläger nach seinen Angaben bei der Begutachtung durch Dr. B. noch etwa 500 Meter in einer Gehdauer von etwa einer halben Stunde laufen kann, ehe er wegen der Schmerzen in den Beinen stehen bleibt und sich ausruht. Wegen der geringen funktionellen und deshalb nur mit einem Einzel-GdB von 10 bewerteten Einschränkungen im Bereich der unteren Extremitäten und den Angaben des Klägers hat Dr. B. gut nachvollziehbar die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG verneint.
Nichts anderes folgt aus den Angaben des Dr. J. in seinem Privatgutachten vom 03.11.2010, dessen Beweiswert ohnehin schon eingeschränkt ist. Schriftliche Bekundungen von Ärzten, die außerhalb einer gerichtlichen Beweiserhebung aktenkundig werden, sind nur als Urkunden im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 415 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) zu verwerten und haben deshalb einen anderen Beweiswert und eine andere, nämlich begrenzte Beweiskraft, somit einen anderen Aussagewert als ein Gutachten im Rechtssinne (BSG, Urteil vom 28.03.1984 - 9a RV 29/83 - SozR 1500 § 128 Nr. 24). Schon aus diesem Grund misst der Senat dem in erster Instanz eingeholten gerichtlichen Gutachten des Dr. B. einen höheren Beweiswert zu. Anders als ein Privatgutachter muss sich der gerichtliche Sachverständige nämlich bewusst sein, dass seine Angaben unter der Strafdrohung der §§ 153 ff. Strafgesetzbuch (StGB) stehen und er nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 ff. ZPO als Sachverständiger vereidigt werden kann. Ungeachtet dessen können auch unter Zugrundelegung der von Dr. J. erhobenen Befunde die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht angenommen werden können. Zwar hat auch er einen langsamen und kleinschrittigen Gang beschrieben. Er hat aber neben einer nur geringen Rotationseinschränkung der Hüftgelenke und einer freien Beweglichkeit der Knie- und Sprunggelenke eine normale Fußsohlenbeschwielung und keine Muskelminderung der Beine festgestellt, so dass - worauf auch schon das Sozialgericht hingewiesen hat - davon ausgegangen werden kann, dass eine Benutzung der Beine im Alltagsleben durchaus noch stattfindet. Die von ihm in seinem Befundbericht vom 08.05.2011 gemachte Angabe, es liege eine Muskelminderung am rechten und linken Bein vor, hat er nicht mit Umfangsmessungen belegt. Die übrigen beim Kläger festgestellten und einen Gesamt-GdB von 100 bedingenden Erkrankungen wirken sich nicht derart auf das Gehvermögen des Klägers aus, als dass dieser beispielsweise mit einem Doppeloberschenkelamputierten gleichgestellt werden könnte. Die zutreffend nur mit einem Einzel-GdB von 20 bewerteten Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen beeinträchtigen nach den von Dr. B., aber auch von Dr. J. erhobenen Befunden die Restgehfähigkeit des Klägers nicht in einem für die Zuerkennung des Merkzeichens aG notwendigen Ausmaß. Dasselbe gilt für die im Berufungsverfahren vorgebrachten Durchblutungs-, Kreislauf- und Atmungsbeschwerden. Eine sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Schwergradigkeit dieser Beschwerden ergibt sich aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht. Eine diesbezügliche fachärztliche Behandlung wird beim Kläger nicht durchgeführt.
Nach alledem hat und hatte der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung des Merkzeichens aG. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts vom 09.02.2012 und der Bescheid des Beklagten vom 30.12.2009 in der Gestalt des Teil-Abhilfebescheides vom 12.04.2010 und des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2010 haben sich mithin als rechtmäßig erwiesen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved