S 20 AS 4915/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AS 4915/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 689/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Rechtsprechung des BSG zum erforderlichen "schlüssigen Konzept" bei der Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben an ein transparentes Verfahren bei der Berechnung der Ansprüche, die sich aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergeben.
Bemerkung
1. Die Rechtsprechung des BSG zum erforderlichen "schlüssigen Konzept" bei der Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben an ein transparentes Verfahren bei der Ber
I. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern im Zeitraum März bis August 2011 Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich weiteren 64,93 EUR zu gewähren. Der Bescheid vom 24. Februar 2011 in der Fassung des Bescheides vom 26. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2011 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. März 2011 bis 31. August 2011. Der am 1957 geborene Kläger zu 1 und die am 1958 geborene Klägerin zu 2 beantragten bei dem Beklagten am 9. Dezember 2008 erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Sie bewohnen seit 1992 eine 3-Raum-Wohnung mit einer Größe von ca. 73 m². Gemäß dem Schreiben des Vermieters vom 15. Oktober 2010 betrug die Nettokaltmiete ab 1. März 2010 monatlich 330,39 EUR. Die Nebenkostenvorauszahlung betrug monatlich 81 EUR und die Heizkostenvorauszahlung monatlich 65 EUR. Mit Schreiben vom 6. Februar 2009 hatte der Beklagte die Kläger zur Senkung der Kosten der Unterkunft aufgefordert. Die Kläger bezogen zunächst im Zeitraum Dezember 2008 bis April 2010 Leistungen nach dem SGB II. Nachdem die Klägerin zu 2 eine Abfindung aus einem aufgelösten Arbeitsverhältnis bezogen hatte, lehnte der Beklagte für den Zeitraum bis Februar 2011 die Gewährung von Leistungen wegen übersteigenden Einkommens ab. Auf den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom 7. Februar 2011 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 2011 für die Monate März bis Juni 2011 monatlich 437,84 EUR und für Juli bis August 2011 monatlich 1057,60 EUR. Die Klägerin zu 2 bezog bis 30. Juni 2011 monatlich 659,70 EUR Arbeitslosengeld I. Mit Änderungsbescheid vom 26. März 2011 bewilligte der Beklagte den Klägern für die Monate März bis Juni 2011 monatlich 447,84 EUR und für Juli bis August 2011 monatlich 1067,60 EUR. Die Kläger erhoben am 28. März 2011 Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2011 zurückwies. Die Kläger haben am 8. September 2011 Klage vor dem Sozialgericht Dresden erhoben. Sie tragen im Wesentlichen vor, laut Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei für die Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft ein schlüssiges Konzept erforderlich. Bisher habe der Beklagte kein geeignetes schlüssiges Konzept vorgelegt. Die Kläger beantragen: 1. Der Bescheid des Beklagten vom 24. Februar 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2011 wird aufgehoben. 2. Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern für den Zeitraum März bis August 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Angemessen seien nur Kosten der Unterkunft in Höhe von 347 EUR. Am 19. Dezember 2011 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben, dass er der Berechnung der Leistungen zur Sicherung der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II im Zeitraum vom 1. März 2011 bis 31. August 2011 Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 347 EUR zuzüglich 65 EUR Heizkosten zu Grunde lege. Die Kläger haben das Teilanerkenntnis angenommen. In der mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2013 hat der Beklagte der Klägerin zu 2 für den Zeitraum März bis August 2011 monatlich weitere 1,46 EUR für die bislang zu niedrig angesetzte Kfz-Haftpflichtversicherung gewährt. Die Klägerin zu 2 hat das Teilanerkenntnis angenommen. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist – soweit sie nicht gemäß § 101 Abs. 2 SGG durch angenommene Teilanerkenntnisse erledigt ist – begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf Übernahme der vollen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im streitgegenständlichen Zeitraum. Der Bescheid vom 24. Februar 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, soweit er ihnen diesen Anspruch versagt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, Leistungen nach dem SGB II. Die Kläger erfüllen im streitgegenständlichen Zeitraum von März bis August 2011 alle Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Sie lebten im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Dies ergibt sich aus § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe a SGB II. Die Kläger haben nur Anspruch auf Leistungen, soweit sie hilfebedürftig sind (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die Höhe des Anspruches auf Arbeitslosengeld II bemisst sich nach § 19 SGB II. Der Bedarf der Kläger ergibt sich zum einen aus dem ihnen gemäß § 20 Abs. 4 SGB II zustehenden Regelbedarf in Höhe von je 328 EUR. Zum anderen gehört dazu der den Klägern gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zustehende Bedarf für Unterkunft und Heizung. Die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung der Kläger betrugen 411,93 EUR für die Bruttokaltmiete zuzüglich 65 EUR Heizkostenvorauszahlung. Es ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Kürzung der Aufwendungen für die Unterkunft gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II im streitgegenständlichen Zeitraum vorlagen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie unangemessen hoch gewesen wären. Nach der Rechtsprechung des BSG hat der Beklagte zur Feststellung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft in mehreren Schritten vorzugehen (Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R): In einem ersten Schritt ist die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard zu bestimmen. In einem zweiten Schritt ist festzulegen, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist. Sodann ist in einem dritten Schritt nach der "Produkttheorie" zu ermitteln, wie viel auf diesem Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist. Hierbei ist der ermittelte Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards mit der dem Hilfeempfänger zugestandenen Quadratmeterzahl zu multiplizieren und so die angemessene Miete festzustellen. Die Ermittlung der regionalen Angemessenheitsgrenze (BSG, Urteil vom 18.6.2008 – B 14/7b AS 44/06 R) muss auf Grundlage eines überprüfbaren "schlüssigen Konzepts" erfolgen. Das schlüssige Konzept soll die hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden. Ein Konzept ist ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall. Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt: = Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung), = es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z. B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße, = Angaben über den Beobachtungszeitraum, = Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z. B. Mietspiegel), = Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten, = Validität der Datenerhebung, = Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und = Angaben über die gezogenen Schlüsse (z. B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze) (BSG, Urteil vom 22. September 2009, a. a. O., Rn. 18 f.). Diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erscheint der Kammer im Lichte der Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u. a. – nicht mehr tragfähig. Das BVerfG hat in diesem Urteil festgestellt, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ergibt. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG wiederum erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern, wobei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei den unausweichlichen Wertungen zukommt, die mit der Bestimmung der Höhe des Existenzminimums verbunden sind. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, a. a. O., Rn. 133). Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (BVerfG, a. a. O., Rn. 135). Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Dies verlangt bereits unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthält. Dies findet auch in weiteren verfassungsrechtlichen Grundsätzen seine Stütze. Schon aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergibt sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz geht. Zudem kann sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich ist die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen sind aber dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, a. a. O., Rn. 136). Zur Konkretisierung des Anspruchs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu hat er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibt ihm dafür keine bestimmte Methode vor; er darf sie vielmehr im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auswählen. Abweichungen von der gewählten Methode bedürfen allerdings der sachlichen Rechtfertigung (BVerfG, a. a. O., Rn 139). Diesen Vorgaben genügt die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" nicht (im Ergebnis ebenso bereits: SG Mainz, Urteil vom 8. Juni 2012 – S 17 AS 1452/09). Die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung sind überschritten, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stellt. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren ist nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff "angemessen" (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II a. E.) auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden muss. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genügt, kann daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a – 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" sich in der Praxis auswirkt, kann bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen ist, ein "schlüssiges Konzept" zu erstellen, das vor dem BSG Bestand hatte, und dass derzeit allein gegen den Beklagten vor dem Sozialgericht Dresden eine vierstellige Zahl von Verfahren anhängig ist, in denen der Beklagte die geltend gemachten Bedarfe der Unterkunft für unangemessen hält. Die Rechtsprechung des BSG hat in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums – die Sicherung der Unterkunft ist eine der wichtigsten Grundlagen der physischen Existenz des Menschen – keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zur Verfügung steht, erscheint es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 – B 4 AS 44/12 R, Rn. 19). Wird der Tabellenwert für einen Haushalt mit 2 Mitgliedern der Mietstufe III (Dresden) in Höhe von 402 EUR um 10 % erhöht, so übersteigt dieser Betrag (442,20 EUR) die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für Bedarfe der Unterkunft im streitgegenständlichen Zeitraum (411,93 EUR). Für eine Kürzung der Bedarfe für Unterkunft war daher kein Raum. Selbst bei Anwendung der Rechtsprechung des BSG ergäbe sich nichts anderes. Denn der vom Beklagten als angemessen angesehene Quadratmeterpreis beruht nicht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG (vgl. im Einzelnen: SG Dresden, Urteil vom 28. Februar 2012 – S 29 AS 7524/10 m. w. N.; Urteil der Kammer vom 12. März 2012 – S 20 AS 2670/11). Schließlich hatte der Beklagte, selbst bei Annahme des Übersteigens des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, im streitgegenständlichen Zeitraum die tatsächlichen Aufwendungen in voller Höhe zu übernehmen. Wenn ein ganz beträchtlicher Zeitraum zwischen dem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug und dem erneuten Eintritt in den Leistungsbezug liegt und die Leistungsbezieher in dieser Zeit aus eigenen Einkünften die unangemessen hohen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bestreiten konnten, so ist ihnen ein erneuter Zeitraum einzuräumen, um ihre unangemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung abzusenken. In der Zeit, in der sie nicht im Leistungsbezug standen, waren sie nämlich nicht (mehr) veranlasst, ihre Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu senken. Für den dann anschließenden Zeitraum ist dann in Anwendung der Grundregel in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erneut der tatsächliche Bedarf an Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Ansatz zu bringen (ähnlich: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. Mai 2009 – L 9 AS 529/09 B ER). Ein solcher beträchtlicher Zeitraum liegt hier nach 10 Monaten ohne Leistungsbezug zur Überzeugung der Kammer vor. Den Bedarf für Heizung hat der Beklagte nach der ständigen Rechtsprechung des BSG in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, da verschwenderisches Heizverhalten nicht ersichtlich ist. Damit ergibt sich ein Anspruch der Kläger auf Übernahme von Bedarfen der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 476,93 EUR (411,93 EUR Bruttokaltmiete + 65 EUR Heizkosten). Da der Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum bislang lediglich 412 EUR monatlich übernommen hat, war er zu einer weiteren Zahlung in Höhe von monatlich 64,93 EUR zu verurteilen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Berufung, die der Zulassung bedarf, da der Wert des Beschwerdegegenstandes weniger 750 EUR beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Bei dem Sozialgericht Dresden ist eine Vielzahl von Verfahren anhängig, in denen die Kürzung der Aufwendungen für Unterkunft durch den Beklagten im Streit steht.
Rechtskraft
Aus
Saved