L 5 R 3887/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 R 2386/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3887/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.6.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Nachzahlung von Altersrente für Frauen unter Festsetzung eines früheren Rentenbeginns.

Die 1941 geborene Klägerin stellte am 6.11.2000 einen Rentenantrag. Mit Bescheid vom 5.4.2001 gewährte die Beklagte der Klägerin Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit ab 1.3.2001. Der Zahlbetrag wurde ab 1.6.2001 auf monatlich 1.489,98 DM festgesetzt. Für die Zeit vom 1.3.2001 bis 31.5.2001 wurde Rente i. H. v. 4.469,94 DM nachgezahlt. In Anlage 6 des Rentenbescheids ist ausgeführt, der Zugangsfaktor der Rente betrage 1,0, werde aber für jeden Monat, für den die Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch genommen werde, um 0,003 vermindert. Die Minderung betrage für 50 Kalendermonate 0,150, womit sich (für die Entgeltpunkte der Klägerin) ein Zugangsfaktor von 0,850 ergebe. Widerspruch gegen den Rentenbescheid wurde nicht erhoben.

Mit Schreiben vom 7.11.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, man habe festgestellt, dass sie auch die Voraussetzungen für die Gewährung von Altersrente für Frauen gemäß § 237a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erfülle. Bei dieser Altersrente ergäbe sich kein oder nur ein geringerer Rentenabschlag; die Rente wäre also höher. Die Klägerin möge mitteilen, ob sie anstelle der bisherigen Rente die günstigere Altersrente für Frauen in Anspruch nehmen wolle. Bei Gewährung der Altersrente für Frauen könnten Nachzahlungen in entsprechender Anwendung des § 44 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) höchstens für vier Kalenderjahre rückwirkend erbracht werden. Dem Schreiben war eine Probeberechnung beigefügt, wonach die Altersrente für Frauen ab 1.1.2009 892,77 EUR monatlich betragen würde.

Mit Schreiben vom 17.11.2008 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie beantrage Altersrente für Frauen. Die Beklagte möge prüfen, ob die (höhere) Altersrente nicht schon ab 1.3.2001 zu gewähren sei.

Mit Bescheid vom 27.11.2008 gewährte die Beklagte der Klägerin anstelle der bisherigen Rente Altersrente für Frauen ab 1.1.2004. Der Zahlbetrag wurde ab 1.1.2009 auf monatlich 892,77 EUR festgesetzt. Für die Zeit vom 1.1.2004 bis 31.12.2008 wurde Rente i. H. v. 6.568,99 EUR nachgezahlt. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Voraussetzungen für die Gewährung von Altersrente für Frauen seien ab 28.2.2001 erfüllt. Die höhere Leistung werde allerdings längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des (ursprünglichen) Rentenbescheids erbracht. Dabei werde der Zeitpunkt der Rücknahme vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde oder der Antrag auf Rücknahme des Bescheides gestellt worden sei.

Am 11.12.2008 beantragte die Klägerin die Neuberechnung der Altersrente (schon) ab 1.3.2001 und entsprechende Rentennachzahlung.

Mit Bescheid vom 18.12.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, gem. § 44 SGB X sei sie verpflichtet, einen rechtswidrigen Bescheid zurückzunehmen, wenn sich herausstelle, dass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei und deshalb Leistungen zu Unrecht nicht erbracht worden seien. Der Bescheid vom 27.11.2008 sei indessen rechtmäßig und beruhe auch auf einem zutreffenden Sachverhalt. Die höhere Rente werde längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des (ursprünglichen) Bescheids erbracht. Daraus folge hier der Beginn der (höheren) Altersrente für Frauen zum 1.1.2004.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, für die Rentenantragstellung gelte das Günstigkeitsprinzip (BSG, Urt. v. 29.11.2007, - B 13 R 44/07 R -). Die Beklagte hätte ihr daher die höhere Altersrente für Frauen ab 1.3.2001 gewähren müssen; daraus folge eine entsprechend höhere Nachzahlung (vgl. BSG Urt. v. 26.6.2007 - B 4 R 19/07 R -).

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.3.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, mit Bescheid vom 27.11.2008 habe man der Klägerin anstelle der bisherigen Rente Altersrente für Frauen im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bewilligt. Die Altersrente für Frauen sei aber erst ab 1.1.2004 zu zahlen. Das folge aus § 44 Abs. 4 SGB X, wonach Geldleistungen, die einem bestimmten Bezugszeitraum zuzuordnen seien, längstens für vier Jahre rückwirkend erbracht würden. § 44 Abs. 4 SGB X regele eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist, die selbst dann gelte, wenn den Rentenversicherungsträger ein Verschulden treffe. Hierzu enthielten die von der Klägerin angeführten Urteile des Bundessozialgerichts keine Aussage.

Am 6.4.2009 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart. Sie trug ergänzend vor, im Hinblick auf die Fristvorschrift in § 44 Abs. 4 SGB X berufe sich die Beklagte der Sache nach auf Verjährung. Dies verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und sei rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte müsse sie so stellen, wie sie bei korrektem Verwaltungshandeln stehen würde. Man hätte bereits im Jahr 2001 prüfen müssen, welche Rentenart die für sie günstigere sei, und ihr von Anfang an (ab 1.3.2001) die höhere Altersrente für Frauen gewähren müssen. Das sei zu Unrecht unterblieben. Außerdem habe man sie über die günstigste Rentenart nicht zutreffend beraten. Sie habe seinerzeit mehrfach Außenstellen der Beklagten aufgesucht; dort sei ihr gesagt worden, es werde alles richtig gehandhabt und sie werde die günstigste Rentenart erhalten. Der Rentenabschlag von 15 % (bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit) werde im Rentenbescheid vom 5.4.2001 auf der letzten Seite erwähnt und nicht hinreichend verständlich dargestellt; dort sei, für Laien nicht nachvollziehbar, die Rede von einer Verminderung des Zugangsfaktors auf 0,850. Der Beklagten dürfe ihr rechtswidriges Verhalten nicht zum Vorteil gereichen. Man müsse ihr deshalb die höhere Altersrente für Frauen bereits ab 1.3.2001 gewähren und entsprechende Nachzahlungen leisten.

Am 11.11.2009 führte das Sozialgericht eine Erörterungsverhandlung durch. Die Beklagte gab an, man habe die zu gewährende Rentenart intern überprüft und im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs den Rentenbescheid vom 27.11.2008 erlassen. Für die Nachzahlung gelte die Frist des § 44 Abs. 4 SGB X.

Mit Urteil vom 28.6.2012 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin könne die Neuberechnung ihrer Altersrente zum 1.3.2001 und die Nachzahlung von Rente für die Zeit vom 1.3.2001 bis 31.12.2003 nicht beanspruchen. Dahinstehen könne, ob die Beklagte mit dem Rentenbescheid vom 27.11.2008 einen so genannten "Zugunstenbescheid" erlassen oder nach Maßgabe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs entschieden habe. Stufe man den Bescheid vom 5.4.2001 insoweit als rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakt ein, als der Klägerin entgegen § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI und entgegen den Günstigkeitsprinzip nicht die höhere Altersrente für Frauen gewährt worden sei, hätte sich ihr Antrag vom 17.11.2008 auf Rücknahme dieses Bescheids gerichtet. Damit wäre die Fristregelung in § 44 Abs. 4 SGB X unmittelbar anwendbar. Nehme man eine Verletzung der Beratungspflicht an, weil der Klägerin nicht die für sie günstigere Rentenart angeraten worden sei, stünde der Klägerin ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu. Dann wäre die Fristvorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X entsprechend anzuwenden. Auf Verschulden der Beklagten komme es nicht an (vgl. BSG, Urt. v. 27.3.2007, - B 13 R 58/06 R - und - B 13 R 34/06 R -). Dem Urteil war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, wonach die Klägerin Berufung innerhalb von drei Monaten einlegen müsse.

Auf das ihr am 12.7.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5.9.2012 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Die Geltendmachung der Vierjahresfrist in § 44 Abs. 4 SGB X verstoße gegen Treu und Glauben. Dadurch verschaffe sich die Beklagte einen rechtswidrigen Vorteil. Die Beklagte habe sie nicht über die für sie günstigste Rente beraten, insoweit auch den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und den Rentenabschlag von 15% im Rentenbescheid vom 5.4.2001 nicht hinreichend deutlich herausgestellt. Deswegen dürfe § 44 Abs. 4 SGB X nicht angewendet werden. Die Berufung auf Verjährung sei treuwidrig.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.6.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.3.2009 zu verurteilen, den Rentenbescheid vom 27.11.2008 abzuändern (teilweise zurückzunehmen) und ihr (schon) ab 1.3.2001 anstelle von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit Altersrente für Frauen zu gewähren und den Differenzbetrag für die Zeit vom 1.3.2001 bis 31.12.2003 zzgl. Zinsen nachzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Man räume ein, dass die Klägerin bei Rentenantragstellung nicht ausreichend beraten worden sei. Für die ihr daraus erwachsenden (Nachzahlungs-)Ansprüche gelte aber die Fristvorschrift in § 44 Abs. 4 SGB X entsprechend. Für die Anwendung dieser Vorschrift komme es auf ein Verschulden des Leistungsträgers nicht an.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten auf die einschlägige Senatsrechtsprechung (zuletzt Urt. v. 20.2.2013, - L 5 R 344/11 -) und außerdem darauf hingewiesen, dass der Senat die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen kann, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält; das sei vorliegend beabsichtigt. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Klägerin hat abschließend bekräftigt, die Beklagte dürfe wegen ihrer schwerwiegenden Pflichtverletzungen Verjährung nicht einwenden; dies würde gegen Treu und Glauben verstoßen. Sie habe darauf vertraut, dass der Rentenantrag richtig bearbeitet werde; das habe man ihr in den Außenstellen der Beklagten versichert. Ihr Vertrauen sei schutzwürdig und gehe der Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.

II.

Der Senat weist die Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurück, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen.

Die Berufung der Klägerin ist gem. §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig; da dem Urteil des Sozialgerichts eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung beigefügt war (Berufung binnen drei Monaten einzulegen), ist die knapp zwei Monate nach Urteilszustellung eingelegte Berufung nicht verspätet erhoben.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 4 SGG). Ergänzend ist insbesondere im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beteiligten anzumerken:

Die Klägerin kann die Bewilligung der (höheren) Altersrente für Frauen und entsprechende Nachzahlungen (unter teilweiser Rücknahme bzw. Abänderung des Rentenbescheids vom 27.11.2008) schon ab 1.3.2001 nicht beanspruchen. Dem steht die von der Beklagten rechtsfehlerfrei angewendete Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X entgegen, der in Fällen der vorliegenden Art die Nachzahlung von Sozialleistungen (und damit auch von Renten - § 11 SGB I) für die Vergangenheit auf vier Jahre begrenzt. Der Rentenbescheid vom 27.11.2008 ist daher auch insoweit rechtmäßig, als darin das mit der Klage verfolgte Begehren der Klägerin der Sache nach abgelehnt worden ist. Daran ändert es nichts, dass der Klägerin seinerzeit (unstreitig) die höhere Altersrente für Frauen von Anfang an (ab 1.3.2001) hätte bewilligt werden müssen (dazu auch etwa BSG, - Urt. v, 29.11.2007, - B 13 R 44/07 R -) und dass die Beklagte dies und eine zutreffende Beratung der Klägerin (ebenfalls unstreitig) unterlassen hat. Die Beklagte hat dem im Rahmen des gesetzlich Möglichen mit dem Rentenbescheid vom 27.11.2008 Rechnung getragen und der Klägerin ab 1.4.2004 Altersrente für Frauen anstelle der ursprünglich bewilligten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit gewährt und die höhere Rente für den in § 44 Abs. 4 SGB X vorgesehenen Vierjahreszeitraum nachgezahlt. Weitergehende Ansprüche hat die Klägerin nicht. Es steht nicht im (pflichtgemäßen) Ermessen des Leistungsträgers, ob er sich auf § 44 Abs. 4 SGB X "beruft" oder nicht; er hat diese Vorschrift vielmehr anzuwenden. Hierfür kommt es auch auf Pflichtverletzungen oder Verschulden des Leistungsträgers nicht an. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) steht der Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X ebenfalls nicht entgegen (BSG, Urt. v. 7.2.2012, - B 13 R 40/11 R -). Mit der in § 44 Abs. 4 SGB X vorgesehenen Frist für die rückwirkende Gewährung von rechtswidrig nicht bewilligten Sozialleistungen berücksichtigt das Gesetz (verfassungsrechtlich unbedenklich) den allgemeinen Rechtsgedanken, wonach es wegen des Unterhaltscharakters laufender Sozialleistungen untunlich ist, diese für einen längeren Zeitraum nachzuzahlen (von Wulffen/Wiesner, SGB X § 44 Rdnr. 20). § 44 Abs. 4 SGB X ist auch bei Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu beachten (vgl. etwa BSG, Urt. v. 25.8.2009, - B 3 KS 1/09 B -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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