Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AS 795/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 401/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 36/13 BH
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Betreiben eines Studiums an einer Universität iSv § 7 Abs 5 SGB II.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 12.04.2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2006 und die Erstattung überzahlter Leistungen einschließlich überzahlter Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen.
Der 1977 geborene Kläger studierte nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Bankkaufmann seit 01.10.2000 Betriebswirtschaftslehre an der Universität A-Stadt. Mit Bescheid vom 12.10.2004 lehnte das Studentenwerk O. die Leistung von Ausbildungsförderung wegen des Fehlens eines Leistungsnachweises ab. Gegenüber dem Beklagten gab der Kläger an, sein Studium am 31.12.2004 ab- bzw unterbrechen zu müssen. Ab 01.01.2005 werde eine neue Konstellation hinsichtlich "Lebensunterhalt und beruflicher Werdegang" bestehen. Ob weiterstudiert werden könne, stehe in Abhängigkeit zu einer Leistungsgewährung. Laut einem Aktenvermerk des Beklagten vom 10.01.2005 habe der Vater und Bevollmächtigte des Klägers bei einer Rücksprache mitgeteilt, der Kläger studiere seit 01.01.2005 nicht mehr. Eine Wiederaufnahme solle erfolgen, wenn durch eine Beschäftigung genügend finanzielle Mittel angespart worden seien. Der Vater sei darauf hingewiesen worden, dass für die Zeit des Studiums bzw. bei Wiederaufnahme kein Anspruch bestehe.
Daraufhin bewilligte der Beklagte dem Kläger durchgehend Alg II ab 01.01.2005 (zuletzt mit Bescheid vom 02.12.2005 für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006). Der Bewilligungsbescheid vom 10.01.2005 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 enthielt den Hinweis:
"Sie haben erklärt, dass sie das Studium der Betriebswirtschaftslehre ab 01.01.05 abgebrochen bzw. unterbrochen haben. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass die Wiederaufnahme des Studiums umgehend bei der ARGE SGB II Stadt/AA anzuzeigen ist. Ein Studium ist grundsätzlich nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) förderungsfähig. Als Student haben sie daher keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 5 SGB II)."
Auf Anfrage des Beklagten teilte die Universität A-Stadt am 24.01.2006 mit, der Kläger sei dort ununterbrochen seit dem Wintersemester 2000/2001 eingeschrieben gewesen. Der Beklagte hörte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung und Erstattungsforderung mit Schreiben vom 27.02.2006 an. Hierauf antwortete der Kläger mit Fax vom "01.03.2005" (richtig laut Aufdruck 01.03.2006). Daraufhin nahm der Beklagte mit Bescheid vom 06.03.2006 die Alg II-Bewilligung für die Zeit ab 01.01.2005 zurück und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen von insgesamt 8.860,18 EUR (6.902 EUR Alg II, 1.750,14 EUR Krankenversicherungsbeiträge und 208,04 EUR Pflegeversicherungsbeiträge). Es sei angegeben worden, der Kläger habe das Studium aufgegeben bzw unterbrochen. Die Wiederaufnahme des Studiums sei pflichtwidrig nicht mitgeteilt worden. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, er habe in der Freizeit studiert und nach den Regelungen des SGB II sollten Bildungsmaßnahmen nicht abgebrochen werden. Zwar sei er immatrikuliert gewesen, habe aber nicht studiert, sondern sich lediglich auf Prüfungen vorbereitet. Die Universität A-Stadt teilte auf weitere Nachfrage des Beklagten mit, der Kläger habe am 17.02.2005 die Diplomvorprüfung bestanden und vom 01.01.2005 bis 21.03.2006 an weiteren Prüfungen teilgenommen. Das Studentenwerk O. bestätigte, dass die Höchstdauer für eine Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) am 30.09.2004 abgelaufen sei. Im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hinsichtlich der Weiterbewilligung von Leistungen (Az: S 14 AS 472/06 ER) hat das Sozialgericht Bayreuth (SG) eine Auskunft des Prüfungsausschusses der Universität A-Stadt eingeholt. Nach dessen Stellungnahme vom 25.07.2006 müsse der Kläger zum Studienabschluss noch mehrere Prüfungen ablegen sowie eine Diplomarbeit vorlegen. Dies habe bis zum Ablauf des 12. Semesters zu erfolgen. Eine Verlängerung dieser Frist sei bisher nicht beantragt worden. Zur Diplomarbeit selbst habe er sich noch nicht angemeldet. In einer eidesstattlichen Versicherung vom 04.07.2006 erklärt der Kläger, er befinde sich in Sachen Studiumsabschluss in der akuten Phase. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2006 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Als Student habe der Kläger gemäß § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II keinen Anspruch auf Alg II. Die Angabe, seit 01.01.2005 nicht mehr zu studieren, sei unzutreffend gewesen.
Am 24.04.2007 bestand der Kläger seine Diplomprüfung und schloss sein Studium als Diplom-Kaufmann (Universität ab). Nach Vorlage einer Exmatrikulationsbescheinigung zum 31.03.2007 bewilligte der Beklagte wieder Alg II ab 09.04.2007 (Bescheid vom 24.09.2007).
Gegen den Bescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 hat der Kläger Klage beim SG erhoben. Es bestünden für Auszubildende Ausnahmeregelungen zu § 7 Abs 5 SGB II und er habe Anspruch auf Eingliederungsmaßnahmen. Hilfsweise könne Sozialgeld gewährt werden. Er dürfe mindestens 15 Stunden wöchentlich arbeiten. Es könne jedenfalls ein Härtefall angenommen werden. Leistungen könnten nicht alleine deshalb versagt werden, weil er immatrikuliert gewesen sei. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.04.2011 abgewiesen. Die Leistungsbewilligung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Das Studium des Klägers sei dem Grunde nach im Sinne des BAföG förderfähig gewesen, womit der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II greife. Auch ein besonderer Härtefall, bei dem eine darlehensweise Leistungsgewährung in Betracht komme, liege nicht vor. Es würden noch wesentliche Vorbedingungen für den erfolgreichen Studienabschluss fehlen. Ein zügiges kontinuierliches Studium lasse sich nicht erkennen. Der Kläger verfüge bereits über einen abgeschlossenen Beruf als Bankkaufmann. Bei Antragstellung seien auch vorsätzlich falsche Angaben gemacht worden. Jedenfalls habe der Kläger aber die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung grob fahrlässig nicht erkannt. Der Bescheid vom 10.01.2005 habe einen ausdrücklichen Hinweis enthalten. Der Kläger habe auch sehr wohl gewusst, dass ein Abbruch oder eine Unterbrechung des Studiums eine Exmatrikulation und nicht lediglich ein faktisches Nichtbetreiben des Studiums voraussetze.
Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Er habe nicht die Schlussfolgerung ziehen können, keinen Anspruch auf Alg II zu haben, da seinerzeit schlichtweg kein Anspruch auf BAföG bestanden habe. Es solle zudem mit dem Leistungsausschluss nur ein doppelter Leistungsbezug vermieden werden. Auch neben Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit könne Alg II bezogen werden. Ihm sei keine anderweitige Eingliederungsleistung in Arbeit gewährt worden. Er beanspruche keine Leistungen, um Studieren zu können, sondern für seinen Lebensunterhalt. Dem Arbeitsmarkt habe er zur Verfügung gestanden und zwischenzeitlich den Abschluss geschafft. Eine Leistungsversagung alleine wegen seiner Immatrikulation sei rechtswidrig. Er sei davon ausgegangen, ein Leistungsanspruch bestehe auch bei einer Immatrikulation, wenn das Studium aber tatsächlich nicht betrieben werde bzw nicht die volle Arbeitskraft in Anspruch nehme. So habe er in der streitigen Zeit nicht studiert, sondern lediglich "im Sinne der BSG-Urteils vom 22.03.2012 (B 4 AS 102/11 R)" an Prüfungen teilgenommen, mitunter in die Bibliothek gegangen und mitunter Vorlesungen besucht. Daneben habe er sich durchgehend um das Auffinden einer Tätigkeit bemüht. Eine Anhörung vor Erlass des Aufhebungsbescheides sei nicht erfolgt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 12.04.2011 und den Bescheid des Beklagten vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Akte des SG Az: S 14 AS 472/06 ER Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006, mit dem der Beklagte die Bewilligung von Alg II ab dem 01.01.2005 aufgehoben (Bescheide vom 10.01.2005, 03.06.2005 und 02.12.2005) und vom Kläger die Erstattung überzahlter Leistungen iHv 6.902 EUR sowie der überzahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv 1.958,18 EUR gefordert hat.
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere ist vor dessen Erlass eine Anhörung des Klägers durchgeführt worden (§ 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -SGB X -). Mit Schreiben vom 27.02.2006, das nach Aktenlage sowohl an den Kläger, als auch an dessen Bevollmächtigten versandt worden ist, hörte der Beklagte zu einer Aufhebung der Leistungsbewilligung ab 01.01.2005 und einer entsprechenden Erstattungsforderung im Hinblick auf die Immatrikulation des Klägers an. Hierauf äußerte sich der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Fax vom 01.03.2006 (Schreibdatum fälschlich 01.03.2005). Aus dem Inhalt des Schreibens und dem Betreff, in dem ausdrücklich das Schreiben des Beklagten "vom 27.02.2006" erwähnt wird, ist eindeutig zu schließen, dass das Anhörungsschreiben jedenfalls den Klägerbevollmächtigten erreicht hat. Unabhängig davon wäre eine fehlende Anhörung jedenfalls durch das Vorbringen des Klägers im Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X).
Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Alg II bewilligenden Bescheide waren von Anfang an rechtswidrig. Nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X iVm § 40 Abs 1 Nr 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) iVm § 330 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ist ein - von Anfang an - rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Bescheide vom 10.01.2005, 03.06.2005 und 02.12.2005, mit denen der Beklagte dem Kläger ab 01.01.2005 Alg II bewilligt hat, jeweils im Zeitpunkt ihres Erlasses und damit von Anfang an rechtswidrig gewesen sind. Unabhängig vom Vorliegen der allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 SGB II ist ein Anspruch auf Alg II jedenfalls nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, 2999) ausgeschlossen gewesen. Danach haben u.a. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das Studium der Betriebswirtschaft war dem Grunde nach unstreitig förderfähig. Insofern wurden dem Kläger zunächst auch entsprechende Leistungen bewilligt. An der Förderfähigkeit dem Grunde nach hat sich auch nach dem 01.01.2005 nichts geändert. Gemäß § 2 Abs 1 BAföG (idF des Gesetzes vom 19.06.1992, BGBl I 1062) wird Ausbildungsförderung geleistet für den Besuch von Hochschulen, wenn der Ausbildungsabschnitt mindestens ein Schul- oder Studienhalbjahr dauert und die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt (§ 2 Abs 5 BAföG). Ein Auszubildender besucht dabei eine Ausbildungsstätte, solange er dieser organisationsrechtlich angehört und er die Ausbildung an der Ausbildungsstätte tatsächlich betreibt. Bei einer Hochschulausbildung begründet der Auszubildende seine Zugehörigkeit zu der Universität durch die Immatrikulation, die ihrerseits die Einschreibung in eine bestimmte Fachrichtung notwendig macht (vgl dazu insgesamt BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 102/11 R - NJW 2012, 2221 - mwN).
Der Kläger hat die Universität A-Stadt besucht - er war dort nach der Bestätigung der Universität seit dem Wintersemester 2000/2001 immatrikuliert - und er hat dort nach Überzeugung des Senats sein Studium auch tatsächlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts betrieben. Er hat durch die Immatrikulation seine Zugehörigkeit zur Universität aufrecht erhalten und war berechtigt, an den universitären Veranstaltungen teilzunehmen. In der mündlichen Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte vorgetragen, dass der Kläger auch ab 01.01.2005 an Prüfungen teilgenommen und mitunter die Bibliothek und Vorlesungen besucht hat. Nach den Bescheinigungen der Universität hat er am 17.02.2005 die Diplomvorprüfung bestanden und an weiteren Prüfungen teilgenommen. In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 04.07.2006 hat er selbst angegeben, sich in Sachen Studiumsabschluss in der akuten Phase zu befinden. Hieraus folgt ebenfalls, dass er sein Studium vor und nach Beginn der Leistungsgewährung ab 01.01.2005 betrieben hat. Dem steht auch nicht entgegen, wenn er sich im Wesentlichen nur zu Hause für seine Prüfungen vorbereitet haben und den Vorlesungen oder anderen Veranstaltungen (teilweise) ferngeblieben sein sollte (vgl BSG, Urteil vom 22.03.2012 - aaO). Es bestehen insofern Zweifel, dass die Arbeitskraft des Klägers im Wesentlichen von seiner Ausbildung in Anspruch genommen worden ist. Ob es ihm daneben abstrakt möglich gewesen wäre, einer weiteren Tätigkeit nachzugehen, oder ob er sich neben seinem Studium um eine Arbeitsstelle bemüht hat, ist insofern ohne Belang. Er hat das Studium im Jahre 2007 auch abgeschlossen. Vom Ablegen der Diplomvorprüfung am 17.02.2005 bis zur Diplomprüfung am 24.04.2007 hat der Kläger weniger als 2 1/4 Jahre benötigt. Dies zeigt, dass er - wohl anders als zu Beginn seines Studiums - zumindest ab dem Wintersemester 2004/2005 zur Ablegung der Vordiplomprüfungen sein Studium (intensiver) betrieben hat und nicht nur eingeschrieben gewesen ist und - vergleichbar mit einem Urlaubssemester - nicht aktiv am Studium teilgenommen hat. Auch im Wintersemester 2004/2005, der Zeit der Bewilligung von Alg II ab 01.01.2005, hat der Kläger damit an der Universität A-Stadt tatsächlich studiert.
Das Studium war gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 6 BAföG grundsätzlich förderungsfähig. Unerheblich ist, dass der Kläger tatsächlich keine Leistungen nach dem BAföG erhalten konnte. Die Gewährung von Leistungen nach dem BAföG ist mithin nicht grundsätzlich, sondern lediglich aus in der Person des Klägers liegenden (individuellen) Gründen - hier die Überschreitung der Förderungshöchstdauer - nicht möglich gewesen. Das Vorliegen individueller Versagensgründe steht dem Leistungsausschluss iSd § 7 Abs 5 SGB II jedoch nicht entgegen (BSG, Urteil vom 30.08.2010 - B 4 AS 97/09 R - juris = SozR 4-4200 § 7 Nr 19 - mwN; BSG, Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 28/07 R - juris = SozR 4-4200 § 7 Nr 9). Grundsätzlich enthält bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder gemäß dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) auch die Kosten des Lebensunterhalts. Diese Ausbildungsförderungsmöglichkeiten sind nach der gesetzgeberischen Konzeption des Sozialleistungssystems abschließend, weshalb auch das Alg II nicht dazu dienen soll, subsidiär die Ausbildung in solchen Fällen zu fördern, in denen die Leistungsvoraussetzungen nach dem BAföG nicht vorliegen (vgl BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R - juris - mwN). Es ist deshalb auch kein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip oder eine Verfassungswidrigkeit der Regelung erkennbar.
Da der Kläger von einer BAföG-Förderung nicht nach § 2a BAföG ausgeschlossen gewesen ist und sich sein Bedarf nicht nach § 12 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BAföG gerichtet hätte, ergibt sich auch nach § 7 Abs 6 Nr 1 bzw Nr 2 SGB II kein Anspruch auf Alg II.
Es liegt auch kein besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II vor, der zu einer darlehensweisen Leistungsbewilligung führen konnte. Bei dem Begriff des "besonderen Härtefalls" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - juris). Ein solcher Fall ist jedoch nur gegeben, wenn ein atypischer Lebenssachverhalt vorliegt, der es für den Auszubildenden auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses objektiv nicht zumutbar erscheinen lässt, seine Ausbildung zu unterbrechen; die Folgen des Anspruchsausschlusses müssen deshalb über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung der Leistungen zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist, und es muss auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die nachrangigen Fürsorgeleistungen von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart erscheinen, vom Auszubildenden zu erwarten, von der Ausbildung teilweise, vorübergehend oder ganz Abstand zu nehmen (so bereits BVerwG, Urteil vom 14.10.1993 - 5 C 16/91 - juris - zu § 26 Abs 1 Satz 2 BSHG; LSG Hamburg, Beschluss vom 02.02.2006 - L 5 B 396/05 ER AS - juris). Es ist grundsätzlich auch hinnehmbar, dass im Hinblick auf die vom Gesetzgeber gewollte Folge eines mehrstufigen Sozialleistungssystems eine Ausbildung nach den speziellen Leistungsgesetzen - wie hier dem BAföG - nicht mehr gefördert werden kann, diese gegebenenfalls aufzugeben oder abzubrechen ist. Wegen der Einheit der Gesamtrechtsordnung kann der Kläger deshalb seinem möglichen Leistungsausschluss nach dem BAföG nicht einem anderen Sozialleistungssystem, nämlich vorliegend dem SGB II, überbürden. Nach der Stellungnahme der Universität A-Stadt vom 25.07.2006 musste der Kläger zum Studienabschluss noch mehrere Prüfungen ablegen sowie eine Diplomarbeit bis zum Ablauf des 12. Semesters vorlegen. Eine Verlängerung dieser Frist sei bisher nicht beantragt worden. Zur Diplomarbeit selbst habe er sich noch nicht angemeldet. Demnach konnte nicht davon ausgegangen werden, der Kläger stehe kurz vor einem Abschluss seines Studiums, weshalb ein Abbruch keine besondere Härte vorgelegen hat. Der Zeitpunkt des Abschlusses und ein etwaiger Erfolg waren gerade noch nicht absehbar. Zu Recht hat das SG diesbezüglich auch darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits über eine abgeschlossene Ausbildung als Bankkaufmann verfügt.
Der Kläger wusste auch bzw hat nur in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gewusst, dass er während seines Studiums keinen Anspruch auf Alg II hatte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Der Betroffene muss schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb dasjenige nicht beachtet haben, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Es ist auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit sowie die besonderen Umstände des Einzelfalls abzustellen. Es ist also nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen; es gilt der subjektive Fahrlässigkeitsbegriff (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R - juris -). Nach dem ausführlichen Hinweis im Bescheid vom 10.01.2005 und anhand der vorangegangenen telefonischen Mitteilung des Beklagten vom 10.01.2005 wusste der Kläger bzw der von ihm von Anfang an bevollmächtigte Vater - dessen Kenntnis ihm zuzurechnen ist -, dass er während des Studiums keinen Anspruch auf Alg II (als Zuschuss) hatte und dass der Beklagte davon ausgegangen war, er habe sein Studium unterbrochen bzw beendet. Er wurde auf die Verpflichtung zur Mitteilung einer erneuten Aufnahme bzw Fortsetzung des Studiums hingewiesen. Mithin war ihm die Erheblichkeit des Studiums für seinen Leistungsanspruch bekannt. Die Formulierung "Als Student haben sie daher keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II" ist eindeutig und unmissverständlich. Auch im Hinblick auf den seinerzeitigen Ausbildungsstand des Klägers als Student und Bankkaufmann sowie den Eindruck, den sich der Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung verschaffen konnte - wobei sich allerdings der Kläger selbst sich nicht äußern wollte -, ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, dass er von einer anderen Rechtslage ausgehen durfte. Vielmehr hat er schlichtweg die Augen davor verschlossen, dass er im Hinblick auf die Fortsetzung seines Studiums keinen Anspruch auf Alg II haben konnte. Zumindest aber war ihm, aufgrund der erhaltenen Informationen grob fahrlässig nicht bekannt, dass er keinen Anspruch hat.
Der Beklagte hat die Jahresfrist aus § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Ein Ermessen hatte der Beklagte bei der Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht; er war zum Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes und der Aufhebung für die Vergangenheit rechtlich verpflichtet, § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 2 SGB III.
Im Ergebnis waren daher wegen des tatsächlichen Betreibens des Studiums die Bewilligungsbescheide für die Zeit ab 01.01.2005 von Anfang an rechtswidrig gewesen und wegen Kenntnis bzw grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit dieser Bescheide rückwirkend aufzuheben.
Nach § 50 Abs 1 SGB X hat der Kläger deshalb das im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 zu Unrecht erhaltene Alg II im Umfang von 6.902 EUR (14 x 493 EUR) zu erstatten. Da - wie oben ausgeführt - hier ein Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X gegeben ist, kommt eine Reduzierung der Rückforderung für Unterkunftskosten nach § 40 Abs 2 Satz 1 SGB II nicht in Betracht, § 40 Abs 2 Satz 2 1.Alt SGB II. Die Erstattung der vom Beklagten für den Kläger in der Zeit vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv insgesamt 1.958,18 EUR folgt aus § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II iVm § 335 Abs 1 und 5 SGB III.
Die Berufung war demnach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2006 und die Erstattung überzahlter Leistungen einschließlich überzahlter Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen.
Der 1977 geborene Kläger studierte nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Bankkaufmann seit 01.10.2000 Betriebswirtschaftslehre an der Universität A-Stadt. Mit Bescheid vom 12.10.2004 lehnte das Studentenwerk O. die Leistung von Ausbildungsförderung wegen des Fehlens eines Leistungsnachweises ab. Gegenüber dem Beklagten gab der Kläger an, sein Studium am 31.12.2004 ab- bzw unterbrechen zu müssen. Ab 01.01.2005 werde eine neue Konstellation hinsichtlich "Lebensunterhalt und beruflicher Werdegang" bestehen. Ob weiterstudiert werden könne, stehe in Abhängigkeit zu einer Leistungsgewährung. Laut einem Aktenvermerk des Beklagten vom 10.01.2005 habe der Vater und Bevollmächtigte des Klägers bei einer Rücksprache mitgeteilt, der Kläger studiere seit 01.01.2005 nicht mehr. Eine Wiederaufnahme solle erfolgen, wenn durch eine Beschäftigung genügend finanzielle Mittel angespart worden seien. Der Vater sei darauf hingewiesen worden, dass für die Zeit des Studiums bzw. bei Wiederaufnahme kein Anspruch bestehe.
Daraufhin bewilligte der Beklagte dem Kläger durchgehend Alg II ab 01.01.2005 (zuletzt mit Bescheid vom 02.12.2005 für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006). Der Bewilligungsbescheid vom 10.01.2005 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 enthielt den Hinweis:
"Sie haben erklärt, dass sie das Studium der Betriebswirtschaftslehre ab 01.01.05 abgebrochen bzw. unterbrochen haben. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass die Wiederaufnahme des Studiums umgehend bei der ARGE SGB II Stadt/AA anzuzeigen ist. Ein Studium ist grundsätzlich nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) förderungsfähig. Als Student haben sie daher keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 5 SGB II)."
Auf Anfrage des Beklagten teilte die Universität A-Stadt am 24.01.2006 mit, der Kläger sei dort ununterbrochen seit dem Wintersemester 2000/2001 eingeschrieben gewesen. Der Beklagte hörte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung und Erstattungsforderung mit Schreiben vom 27.02.2006 an. Hierauf antwortete der Kläger mit Fax vom "01.03.2005" (richtig laut Aufdruck 01.03.2006). Daraufhin nahm der Beklagte mit Bescheid vom 06.03.2006 die Alg II-Bewilligung für die Zeit ab 01.01.2005 zurück und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen von insgesamt 8.860,18 EUR (6.902 EUR Alg II, 1.750,14 EUR Krankenversicherungsbeiträge und 208,04 EUR Pflegeversicherungsbeiträge). Es sei angegeben worden, der Kläger habe das Studium aufgegeben bzw unterbrochen. Die Wiederaufnahme des Studiums sei pflichtwidrig nicht mitgeteilt worden. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, er habe in der Freizeit studiert und nach den Regelungen des SGB II sollten Bildungsmaßnahmen nicht abgebrochen werden. Zwar sei er immatrikuliert gewesen, habe aber nicht studiert, sondern sich lediglich auf Prüfungen vorbereitet. Die Universität A-Stadt teilte auf weitere Nachfrage des Beklagten mit, der Kläger habe am 17.02.2005 die Diplomvorprüfung bestanden und vom 01.01.2005 bis 21.03.2006 an weiteren Prüfungen teilgenommen. Das Studentenwerk O. bestätigte, dass die Höchstdauer für eine Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) am 30.09.2004 abgelaufen sei. Im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hinsichtlich der Weiterbewilligung von Leistungen (Az: S 14 AS 472/06 ER) hat das Sozialgericht Bayreuth (SG) eine Auskunft des Prüfungsausschusses der Universität A-Stadt eingeholt. Nach dessen Stellungnahme vom 25.07.2006 müsse der Kläger zum Studienabschluss noch mehrere Prüfungen ablegen sowie eine Diplomarbeit vorlegen. Dies habe bis zum Ablauf des 12. Semesters zu erfolgen. Eine Verlängerung dieser Frist sei bisher nicht beantragt worden. Zur Diplomarbeit selbst habe er sich noch nicht angemeldet. In einer eidesstattlichen Versicherung vom 04.07.2006 erklärt der Kläger, er befinde sich in Sachen Studiumsabschluss in der akuten Phase. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2006 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Als Student habe der Kläger gemäß § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II keinen Anspruch auf Alg II. Die Angabe, seit 01.01.2005 nicht mehr zu studieren, sei unzutreffend gewesen.
Am 24.04.2007 bestand der Kläger seine Diplomprüfung und schloss sein Studium als Diplom-Kaufmann (Universität ab). Nach Vorlage einer Exmatrikulationsbescheinigung zum 31.03.2007 bewilligte der Beklagte wieder Alg II ab 09.04.2007 (Bescheid vom 24.09.2007).
Gegen den Bescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 hat der Kläger Klage beim SG erhoben. Es bestünden für Auszubildende Ausnahmeregelungen zu § 7 Abs 5 SGB II und er habe Anspruch auf Eingliederungsmaßnahmen. Hilfsweise könne Sozialgeld gewährt werden. Er dürfe mindestens 15 Stunden wöchentlich arbeiten. Es könne jedenfalls ein Härtefall angenommen werden. Leistungen könnten nicht alleine deshalb versagt werden, weil er immatrikuliert gewesen sei. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.04.2011 abgewiesen. Die Leistungsbewilligung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Das Studium des Klägers sei dem Grunde nach im Sinne des BAföG förderfähig gewesen, womit der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II greife. Auch ein besonderer Härtefall, bei dem eine darlehensweise Leistungsgewährung in Betracht komme, liege nicht vor. Es würden noch wesentliche Vorbedingungen für den erfolgreichen Studienabschluss fehlen. Ein zügiges kontinuierliches Studium lasse sich nicht erkennen. Der Kläger verfüge bereits über einen abgeschlossenen Beruf als Bankkaufmann. Bei Antragstellung seien auch vorsätzlich falsche Angaben gemacht worden. Jedenfalls habe der Kläger aber die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung grob fahrlässig nicht erkannt. Der Bescheid vom 10.01.2005 habe einen ausdrücklichen Hinweis enthalten. Der Kläger habe auch sehr wohl gewusst, dass ein Abbruch oder eine Unterbrechung des Studiums eine Exmatrikulation und nicht lediglich ein faktisches Nichtbetreiben des Studiums voraussetze.
Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Er habe nicht die Schlussfolgerung ziehen können, keinen Anspruch auf Alg II zu haben, da seinerzeit schlichtweg kein Anspruch auf BAföG bestanden habe. Es solle zudem mit dem Leistungsausschluss nur ein doppelter Leistungsbezug vermieden werden. Auch neben Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit könne Alg II bezogen werden. Ihm sei keine anderweitige Eingliederungsleistung in Arbeit gewährt worden. Er beanspruche keine Leistungen, um Studieren zu können, sondern für seinen Lebensunterhalt. Dem Arbeitsmarkt habe er zur Verfügung gestanden und zwischenzeitlich den Abschluss geschafft. Eine Leistungsversagung alleine wegen seiner Immatrikulation sei rechtswidrig. Er sei davon ausgegangen, ein Leistungsanspruch bestehe auch bei einer Immatrikulation, wenn das Studium aber tatsächlich nicht betrieben werde bzw nicht die volle Arbeitskraft in Anspruch nehme. So habe er in der streitigen Zeit nicht studiert, sondern lediglich "im Sinne der BSG-Urteils vom 22.03.2012 (B 4 AS 102/11 R)" an Prüfungen teilgenommen, mitunter in die Bibliothek gegangen und mitunter Vorlesungen besucht. Daneben habe er sich durchgehend um das Auffinden einer Tätigkeit bemüht. Eine Anhörung vor Erlass des Aufhebungsbescheides sei nicht erfolgt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 12.04.2011 und den Bescheid des Beklagten vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten, die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Akte des SG Az: S 14 AS 472/06 ER Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 06.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2006, mit dem der Beklagte die Bewilligung von Alg II ab dem 01.01.2005 aufgehoben (Bescheide vom 10.01.2005, 03.06.2005 und 02.12.2005) und vom Kläger die Erstattung überzahlter Leistungen iHv 6.902 EUR sowie der überzahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv 1.958,18 EUR gefordert hat.
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere ist vor dessen Erlass eine Anhörung des Klägers durchgeführt worden (§ 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -SGB X -). Mit Schreiben vom 27.02.2006, das nach Aktenlage sowohl an den Kläger, als auch an dessen Bevollmächtigten versandt worden ist, hörte der Beklagte zu einer Aufhebung der Leistungsbewilligung ab 01.01.2005 und einer entsprechenden Erstattungsforderung im Hinblick auf die Immatrikulation des Klägers an. Hierauf äußerte sich der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Fax vom 01.03.2006 (Schreibdatum fälschlich 01.03.2005). Aus dem Inhalt des Schreibens und dem Betreff, in dem ausdrücklich das Schreiben des Beklagten "vom 27.02.2006" erwähnt wird, ist eindeutig zu schließen, dass das Anhörungsschreiben jedenfalls den Klägerbevollmächtigten erreicht hat. Unabhängig davon wäre eine fehlende Anhörung jedenfalls durch das Vorbringen des Klägers im Widerspruchsverfahren geheilt worden (§ 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X).
Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Alg II bewilligenden Bescheide waren von Anfang an rechtswidrig. Nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X iVm § 40 Abs 1 Nr 1 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) iVm § 330 Abs 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ist ein - von Anfang an - rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Bescheide vom 10.01.2005, 03.06.2005 und 02.12.2005, mit denen der Beklagte dem Kläger ab 01.01.2005 Alg II bewilligt hat, jeweils im Zeitpunkt ihres Erlasses und damit von Anfang an rechtswidrig gewesen sind. Unabhängig vom Vorliegen der allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 SGB II ist ein Anspruch auf Alg II jedenfalls nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, 2999) ausgeschlossen gewesen. Danach haben u.a. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das Studium der Betriebswirtschaft war dem Grunde nach unstreitig förderfähig. Insofern wurden dem Kläger zunächst auch entsprechende Leistungen bewilligt. An der Förderfähigkeit dem Grunde nach hat sich auch nach dem 01.01.2005 nichts geändert. Gemäß § 2 Abs 1 BAföG (idF des Gesetzes vom 19.06.1992, BGBl I 1062) wird Ausbildungsförderung geleistet für den Besuch von Hochschulen, wenn der Ausbildungsabschnitt mindestens ein Schul- oder Studienhalbjahr dauert und die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt (§ 2 Abs 5 BAföG). Ein Auszubildender besucht dabei eine Ausbildungsstätte, solange er dieser organisationsrechtlich angehört und er die Ausbildung an der Ausbildungsstätte tatsächlich betreibt. Bei einer Hochschulausbildung begründet der Auszubildende seine Zugehörigkeit zu der Universität durch die Immatrikulation, die ihrerseits die Einschreibung in eine bestimmte Fachrichtung notwendig macht (vgl dazu insgesamt BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 102/11 R - NJW 2012, 2221 - mwN).
Der Kläger hat die Universität A-Stadt besucht - er war dort nach der Bestätigung der Universität seit dem Wintersemester 2000/2001 immatrikuliert - und er hat dort nach Überzeugung des Senats sein Studium auch tatsächlich im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts betrieben. Er hat durch die Immatrikulation seine Zugehörigkeit zur Universität aufrecht erhalten und war berechtigt, an den universitären Veranstaltungen teilzunehmen. In der mündlichen Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte vorgetragen, dass der Kläger auch ab 01.01.2005 an Prüfungen teilgenommen und mitunter die Bibliothek und Vorlesungen besucht hat. Nach den Bescheinigungen der Universität hat er am 17.02.2005 die Diplomvorprüfung bestanden und an weiteren Prüfungen teilgenommen. In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 04.07.2006 hat er selbst angegeben, sich in Sachen Studiumsabschluss in der akuten Phase zu befinden. Hieraus folgt ebenfalls, dass er sein Studium vor und nach Beginn der Leistungsgewährung ab 01.01.2005 betrieben hat. Dem steht auch nicht entgegen, wenn er sich im Wesentlichen nur zu Hause für seine Prüfungen vorbereitet haben und den Vorlesungen oder anderen Veranstaltungen (teilweise) ferngeblieben sein sollte (vgl BSG, Urteil vom 22.03.2012 - aaO). Es bestehen insofern Zweifel, dass die Arbeitskraft des Klägers im Wesentlichen von seiner Ausbildung in Anspruch genommen worden ist. Ob es ihm daneben abstrakt möglich gewesen wäre, einer weiteren Tätigkeit nachzugehen, oder ob er sich neben seinem Studium um eine Arbeitsstelle bemüht hat, ist insofern ohne Belang. Er hat das Studium im Jahre 2007 auch abgeschlossen. Vom Ablegen der Diplomvorprüfung am 17.02.2005 bis zur Diplomprüfung am 24.04.2007 hat der Kläger weniger als 2 1/4 Jahre benötigt. Dies zeigt, dass er - wohl anders als zu Beginn seines Studiums - zumindest ab dem Wintersemester 2004/2005 zur Ablegung der Vordiplomprüfungen sein Studium (intensiver) betrieben hat und nicht nur eingeschrieben gewesen ist und - vergleichbar mit einem Urlaubssemester - nicht aktiv am Studium teilgenommen hat. Auch im Wintersemester 2004/2005, der Zeit der Bewilligung von Alg II ab 01.01.2005, hat der Kläger damit an der Universität A-Stadt tatsächlich studiert.
Das Studium war gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 6 BAföG grundsätzlich förderungsfähig. Unerheblich ist, dass der Kläger tatsächlich keine Leistungen nach dem BAföG erhalten konnte. Die Gewährung von Leistungen nach dem BAföG ist mithin nicht grundsätzlich, sondern lediglich aus in der Person des Klägers liegenden (individuellen) Gründen - hier die Überschreitung der Förderungshöchstdauer - nicht möglich gewesen. Das Vorliegen individueller Versagensgründe steht dem Leistungsausschluss iSd § 7 Abs 5 SGB II jedoch nicht entgegen (BSG, Urteil vom 30.08.2010 - B 4 AS 97/09 R - juris = SozR 4-4200 § 7 Nr 19 - mwN; BSG, Urteil vom 30.09.2008 - B 4 AS 28/07 R - juris = SozR 4-4200 § 7 Nr 9). Grundsätzlich enthält bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder gemäß dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) auch die Kosten des Lebensunterhalts. Diese Ausbildungsförderungsmöglichkeiten sind nach der gesetzgeberischen Konzeption des Sozialleistungssystems abschließend, weshalb auch das Alg II nicht dazu dienen soll, subsidiär die Ausbildung in solchen Fällen zu fördern, in denen die Leistungsvoraussetzungen nach dem BAföG nicht vorliegen (vgl BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R - juris - mwN). Es ist deshalb auch kein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip oder eine Verfassungswidrigkeit der Regelung erkennbar.
Da der Kläger von einer BAföG-Förderung nicht nach § 2a BAföG ausgeschlossen gewesen ist und sich sein Bedarf nicht nach § 12 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BAföG gerichtet hätte, ergibt sich auch nach § 7 Abs 6 Nr 1 bzw Nr 2 SGB II kein Anspruch auf Alg II.
Es liegt auch kein besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs 5 Satz 2 SGB II vor, der zu einer darlehensweisen Leistungsbewilligung führen konnte. Bei dem Begriff des "besonderen Härtefalls" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - juris). Ein solcher Fall ist jedoch nur gegeben, wenn ein atypischer Lebenssachverhalt vorliegt, der es für den Auszubildenden auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses objektiv nicht zumutbar erscheinen lässt, seine Ausbildung zu unterbrechen; die Folgen des Anspruchsausschlusses müssen deshalb über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung der Leistungen zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist, und es muss auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die nachrangigen Fürsorgeleistungen von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart erscheinen, vom Auszubildenden zu erwarten, von der Ausbildung teilweise, vorübergehend oder ganz Abstand zu nehmen (so bereits BVerwG, Urteil vom 14.10.1993 - 5 C 16/91 - juris - zu § 26 Abs 1 Satz 2 BSHG; LSG Hamburg, Beschluss vom 02.02.2006 - L 5 B 396/05 ER AS - juris). Es ist grundsätzlich auch hinnehmbar, dass im Hinblick auf die vom Gesetzgeber gewollte Folge eines mehrstufigen Sozialleistungssystems eine Ausbildung nach den speziellen Leistungsgesetzen - wie hier dem BAföG - nicht mehr gefördert werden kann, diese gegebenenfalls aufzugeben oder abzubrechen ist. Wegen der Einheit der Gesamtrechtsordnung kann der Kläger deshalb seinem möglichen Leistungsausschluss nach dem BAföG nicht einem anderen Sozialleistungssystem, nämlich vorliegend dem SGB II, überbürden. Nach der Stellungnahme der Universität A-Stadt vom 25.07.2006 musste der Kläger zum Studienabschluss noch mehrere Prüfungen ablegen sowie eine Diplomarbeit bis zum Ablauf des 12. Semesters vorlegen. Eine Verlängerung dieser Frist sei bisher nicht beantragt worden. Zur Diplomarbeit selbst habe er sich noch nicht angemeldet. Demnach konnte nicht davon ausgegangen werden, der Kläger stehe kurz vor einem Abschluss seines Studiums, weshalb ein Abbruch keine besondere Härte vorgelegen hat. Der Zeitpunkt des Abschlusses und ein etwaiger Erfolg waren gerade noch nicht absehbar. Zu Recht hat das SG diesbezüglich auch darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits über eine abgeschlossene Ausbildung als Bankkaufmann verfügt.
Der Kläger wusste auch bzw hat nur in Folge grober Fahrlässigkeit nicht gewusst, dass er während seines Studiums keinen Anspruch auf Alg II hatte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Der Betroffene muss schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb dasjenige nicht beachtet haben, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Es ist auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit sowie die besonderen Umstände des Einzelfalls abzustellen. Es ist also nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen; es gilt der subjektive Fahrlässigkeitsbegriff (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R - juris -). Nach dem ausführlichen Hinweis im Bescheid vom 10.01.2005 und anhand der vorangegangenen telefonischen Mitteilung des Beklagten vom 10.01.2005 wusste der Kläger bzw der von ihm von Anfang an bevollmächtigte Vater - dessen Kenntnis ihm zuzurechnen ist -, dass er während des Studiums keinen Anspruch auf Alg II (als Zuschuss) hatte und dass der Beklagte davon ausgegangen war, er habe sein Studium unterbrochen bzw beendet. Er wurde auf die Verpflichtung zur Mitteilung einer erneuten Aufnahme bzw Fortsetzung des Studiums hingewiesen. Mithin war ihm die Erheblichkeit des Studiums für seinen Leistungsanspruch bekannt. Die Formulierung "Als Student haben sie daher keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II" ist eindeutig und unmissverständlich. Auch im Hinblick auf den seinerzeitigen Ausbildungsstand des Klägers als Student und Bankkaufmann sowie den Eindruck, den sich der Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung verschaffen konnte - wobei sich allerdings der Kläger selbst sich nicht äußern wollte -, ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, dass er von einer anderen Rechtslage ausgehen durfte. Vielmehr hat er schlichtweg die Augen davor verschlossen, dass er im Hinblick auf die Fortsetzung seines Studiums keinen Anspruch auf Alg II haben konnte. Zumindest aber war ihm, aufgrund der erhaltenen Informationen grob fahrlässig nicht bekannt, dass er keinen Anspruch hat.
Der Beklagte hat die Jahresfrist aus § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Ein Ermessen hatte der Beklagte bei der Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht; er war zum Erlass des angefochtenen Verwaltungsaktes und der Aufhebung für die Vergangenheit rechtlich verpflichtet, § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 2 SGB III.
Im Ergebnis waren daher wegen des tatsächlichen Betreibens des Studiums die Bewilligungsbescheide für die Zeit ab 01.01.2005 von Anfang an rechtswidrig gewesen und wegen Kenntnis bzw grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit dieser Bescheide rückwirkend aufzuheben.
Nach § 50 Abs 1 SGB X hat der Kläger deshalb das im Zeitraum vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 zu Unrecht erhaltene Alg II im Umfang von 6.902 EUR (14 x 493 EUR) zu erstatten. Da - wie oben ausgeführt - hier ein Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X gegeben ist, kommt eine Reduzierung der Rückforderung für Unterkunftskosten nach § 40 Abs 2 Satz 1 SGB II nicht in Betracht, § 40 Abs 2 Satz 2 1.Alt SGB II. Die Erstattung der vom Beklagten für den Kläger in der Zeit vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv insgesamt 1.958,18 EUR folgt aus § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II iVm § 335 Abs 1 und 5 SGB III.
Die Berufung war demnach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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