Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 SB 629/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 SB 123/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die erstinstanzliche Entscheidung zur Kostenübernahme auf die Staatskasse ist im Beschwerdeverfahren voll, d.h. nicht nur auf Ermessensfehler, überprüfbar. Die Befugnis zur Ausübung des Ermessens geht mit der Beschwerde in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht über.
2. Eine nur teilweise Kostenübernahme ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig nicht sachgerecht.
3. Über den Umfang der Kostenübernahme auf die Staatskasse kann keine Sanktionierung der Qualität eines Gutachtens in dem Sinn erfolgen, dass der Antragsteller die Kosten soweit selbst zu tragen hat, als die Ausführungen eines Gutachters bei der Erledigung nicht als zutreffende Bewertung zugrunde gelegt worden sind.
2. Eine nur teilweise Kostenübernahme ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig nicht sachgerecht.
3. Über den Umfang der Kostenübernahme auf die Staatskasse kann keine Sanktionierung der Qualität eines Gutachtens in dem Sinn erfolgen, dass der Antragsteller die Kosten soweit selbst zu tragen hat, als die Ausführungen eines Gutachters bei der Erledigung nicht als zutreffende Bewertung zugrunde gelegt worden sind.
I. Der Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 9. Juli 2012,
Az.: S 6 SB 629/09, wird dahingehend abgeändert, dass die Kosten für das
gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. K. vom 09.08.2011 (i.V.m. dem Gutachten des Dipl.-Psych. K. vom 28.06.2011) nicht nur zur Hälfte, sondern in voller Höhe auf die Staatskasse übernommen werden.
II. Der Beschwerdeführerin sind die notwendigen außergerichtlichen
Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
In dem am Sozialgericht Regensburg (SG) unter dem Az.: S 6 SB 629/09 anhängig gewesenen Rechtsstreit der Klägerin und jetzigen Beschwerdeführerin (Bf) gegen den Freistaat Bayern wegen der Höhe des Grads der Behinderung (GdB) erstellte am 15.11.2010 zunächst die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K.-R. ein Gutachten. Sie kam dabei u.a. zu der Einschätzung, dass bei der Bf seelische Störungen vorlägen, die mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten seien. Den Gesamt-GdB schätzte sie auf 30.
In dem von der Bf gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragten Gutachten durch den Nervenarzt Dr. K. bewertete dieser unter Berücksichtigung eines psychologischen Zusatzgutachtens des Dipl.-Psych. K. vom 28.06.2011 die seelische Störung der Bf und ebenso den Gesamt-GdB bis April 2010 mit einem GdB von 40. Danach - so Dr. K. im Gutachten vom 09.08.2011 - betrage der Gesamt-GdB wegen eines neu hinzugekommenen und mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Tinnitus 50.
Der Beklagte unterbreitete daraufhin ein Vergleichsangebot, mit dem er einen GdB von 50 ab dem 16.05.2011 (Tag der Untersuchung durch Dr. K.) anbot. Die Bf nahm dieses Angebot am 04.11.2011 an. Gleichzeitig hat sie beim SG beantragt, die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. K. samt Zusatzgutachten der Staatskasse aufzuerlegen.
Mit Beschluss vom 09.07.2012, zugestellt am 27.07.2012, hat das SG die Hälfte der Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. K. vom 09.08.2011 (i.V.m. dem Gutachten des Dipl.-Psych. K. vom 28.06.2011) auf die Staatskasse übernommen. Begründet worden ist dies damit, dass die Ausführungen im Gutachten des Dr. K. die Grundlage für die vergleichsweise Erledigung gewesen seien. Für den Zeitraum von der Antragstellung bis zur Begutachtung durch Dr. K. sei es aber bei der Einschätzung der Sachverständigen gemäß § 106 SGG verblieben.
Am 06.08.2012 hat die Bf Beschwerde gegen die nur teilweise Kostenübernahme eingelegt und dies damit begründet, dass die vergleichsweise Einigung im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. K. zurückzuführen sei; die Kosten seien daher voll auf die Staatskasse zu übernehmen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten sind nicht nur zur Hälfte, sondern vollständig auf die Staatskasse zu übernehmen.
Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des behinderten Menschen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann - wie dies im vorliegenden Fall auch erfolgt ist - davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten dafür vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts auch endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine "andere Entscheidung" in diesem Sinn hat die Bf beim SG beantragt.
1. Kriterien für die Entscheidung über die Kostenübernahme
Die Entscheidung darüber, ob die Kosten eines gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen sind, wird als Ermessensentscheidung (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 109, Rdnr. 16) des Gerichts bezeichnet, das das Gutachten angefordert hat (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 18). Bei der Entscheidung über die Kostenübernahme auf die Staatskasse ist zu berücksichtigen, ob das Gutachten die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 16a). Entscheidend ist dabei, ob durch das Gutachten neue beweiserhebliche Gesichtspunkte zu Tage getreten sind oder die Beurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Beteiligten überzeugendere Grundlage gestellt worden ist. Von einer Förderung der Sachaufklärung ist regelmäßig dann auszugehen, wenn das Gutachten gemäß § 109 SGG weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich gemacht hat (vgl. Bayer. Landessozialgericht - LSG -, Beschluss vom 19.08.1999, Az.: L 18 B 303/96 V). Nur dann, wenn in einem solchen Fall das von Amts wegen eingeholte Gutachten lediglich die Unrichtigkeit des Gutachtens nach § 109 SGG bestätigt, ohne wesentliche, darüber hinausgehende zusätzliche Erkenntnisse zu bringen, ist eine Kostenübernahme auf die Staatskasse nicht angezeigt (vgl. Udsching, Besonderheiten des Sachverständigenbeweises im sozialgerichtlichen Verfahren, NZS 1992, 50, 55). Denn in einem solchen Fall hat, wie sich im Rahmen des anschließend von Amts wegen eingeholten Gutachtens und damit im Nachhinein zeigt, kein objektiver Grund für weitere Ermittlungen von Amts wegen bestanden. Vielmehr hat in einem solchen Fall mit dem Gutachten gemäß § 109 SGG nur ein tatsächlich unzutreffendes Gutachten zunächst den falschen Eindruck vermittelt, dass weitere Ermittlungen erforderlich wären. Dass sich dieser Eindruck erst nachträglich durch das von Amts wegen eingeholte Gutachten als falsch herausgestellt hat, kann nicht dazu führen, dass die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG auf die Staatskasse zu übernehmen wären. Würde man dies anders sehen, hätte dies faktisch zur Konsequenz, dass ein tatsächlich weder zur Sachaufklärung beitragendes noch entscheidungserhebliches Gutachten allein deshalb aus der Staatskasse zu bezahlen wäre, weil es inhaltlich falsch gewesen ist. Dies würde eine durch nichts zu rechtfertigende Besserstellung gegenüber einem Kläger bedeuten, dessen gemäß § 109 SGG benannter Sachverständiger sorgfältig arbeitet und damit nicht den Anschein der Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen weckt. Denn in einem solchen Fall wäre die Konsequenz die, dass die Kosten für dieses Gutachten wegen des fehlenden Beitrags zur Sachaufklärung und Entscheidungserheblichkeit nicht auf die Staatskasse zu übernehmen wären. Dass ein derartig widersprüchliches Ergebnis nicht akzeptabel wäre, bedarf keiner weiteren Erläuterungen (vgl. auch Beschluss des Senats vom 12.03.2012, Az.: L 15 SB 22/12 B).
Nicht entscheidend ist, ob das Gutachten den Rechtsstreit in einem für den Antragsteller günstigen Sinn beeinflusst hat. Kein maßgeblicher Gesichtspunkt für eine Ermessensausübung im Sinne eines Antragsstellers ist es auch, wenn dieser nach Bestätigung der Ergebnisse, wie sie der von Amts wegen bestellte Sachverständige festgestellt hat, durch den gemäß § 109 SGG benannten Gutachter die Klage oder Berufung zurücknimmt. Denn mit der Kostenübernahme auf die Staatskasse bzw. der Ablehnung der Kostenübernahme darf keine Belohnung bzw. Sanktionierung eines bestimmten prozessualen Verhaltens erfolgen (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 12.03.2012, Az.: L 15 SB 22/12 B, und vom 14.11.2012, Az.: L 15 SB 33/09).
Eine nur teilweise Kostenübernahme ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig nicht sachgerecht (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 16a). Sie wird daher überhaupt nur in seltenen Fällen in Betracht gezogen werden können (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 01.03.2012, Az.: L 15 SB 153/09, und vom 12.03.2012, Az.: L 15 SB 22/12 B). Denkbar ist dies bei einem teilbaren Streitgegenstand (z.B. Höhe des GdB einerseits und Merkzeichen andererseits), wenn das Gutachten gemäß § 109 SGG nur für einen Teil des Streitgegenstands neue Erkenntnisse gebracht bzw. nur diesbezüglich zur Erledigung geführt hat, nicht aber für den anderen Teil des Streitgegenstands.
2. Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren
Der Prüfungsumfang in Beschwerdeverfahren, nicht nur im Rahmen der Kostentragung gemäß § 109 SGG, ist strittig.
Einerseits wird die Ansicht vertreten, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren voll, d.h. nicht nur auf Ermessensfehler, überprüfbar sei (zu Beschlüssen nach § 109 SGG: vgl. z.B. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 22; Roller, in: Lüdtke, SGG, 3. Aufl. 2009, § 109, Rdnr. 28; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage Stand 10/2011, § 109, Anm. 7 d; Bayer. LSG, Beschlüsse vom 23.02.1955, Az.: L 12/BV 100/55g, und vom 10.07.1959, Az.: L 9/V 17/58 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 18.04.2005, Az.: L 5 B 33/04 SB, und vom 30.06.2006, Az.: L 5 B 3/05 SB SF; LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 17.03.2009, Az.: L 10 U 1056/09 KO-B, und vom 04.05.2012, Az.: L 10 R 1764/12 B; zur vergleichbaren Regelung des § 193 Abs. 1 Halbsatz 2 SGG a.F. (heute § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG): LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss 16.04.1998, Az.: L 3 Sb 84/97).
Andererseits wird von einer nur eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch das Beschwerdegericht dahingehend ausgegangen, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 15.12.2008, Az.: L 1 B 961/08 R, vom 13.11.2009, Az.: L 13 R 898/09 B, und vom 18.01.2012, Az.: L 2 U 221/11 B). Letztere Meinung wird vereinzelt auch zu anderen gesetzlichen Regelungen vertreten, die eine Ermessensentscheidung des Gerichts vorsehen und daher mit § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG und der danach zu treffenden Entscheidung zur Kostentragung vergleichbar sind (so zu § 5 Abs. 5 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz: Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss vom 05.06.2009, Az.: 6 W 68/09).
Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung (volle Überprüfung, eigene Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts) an. Eine andere Auslegung hält er nicht für überzeugend begründbar.
Die Tatsache, dass die Entscheidung über die endgültige Kostentragung als Ermessensentscheidung bezeichnet wird, kann keine nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit durch das Beschwerdegericht nach sich ziehen. Der Grundsatz der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit, wie er für Ermessensentscheidungen der Verwaltung gilt, ist nicht auf die Überprüfung von gerichtlichen Entscheidungen im Instanzenzug übertragbar. Er beruht auf dem Spannungsverhältnis zwischen dem verfassungsrechtlichen Bekenntnis zum Grundsatz des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -) einerseits und zum Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) andererseits (vgl. z.B. Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2010, § 114 VwGO, Rdnr. 1). Dieses Spannungsverhältnis kann nur sinnvoll aufgelöst werden, wenn der Verwaltung Entscheidungen ermöglicht werden, für die nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte besteht. Mit der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit von im Ermessen der Verwaltung stehenden Entscheidungen wird sichergestellt, dass der Gestaltungsspielraum der Verwaltung als ihr allein zustehender Kernbereich der Verwaltungstätigkeit unangetastet bleibt und die Gewaltenteilung eingehalten wird.
Die Gerichte haben Ermessenentscheidungen der Verwaltung nur auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und dürfen dabei nicht ihre eigenen Bewertungen und Einschätzungen, die der Ausübung von Ermessen zugrunde liegen, an die Stelle der Bewertungen und Einschätzungen der Verwaltung setzen (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 08.07.1982, Az.: 2 BvR 1187/80). Eine solche Legitimation lässt sich für die Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen im Instanzenweg nicht finden, da erst- und zweitinstanzliches Gericht - anders als Behörde und Gericht - nicht Teile unterschiedlicher verfassungsrechtlich vorgegebener Gewalten sind und insofern kein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich, der eine Begrenzung der gerichtlichen Kontrolldichte begründen würde, vorhanden ist.
Auch die richterliche Unabhängigkeit verlangt keine nur eingeschränkte Überprüfbarkeit im Instanzenzug. Die mit Art. 97 Abs. 1 GG garantierte richterliche Unabhängigkeit zählt zu den hergebrachten Grundsätzen des richterlichen Amtsrechts im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. Sie hat den Zweck, die rechtsprechende Tätigkeit von jeder vermeidbaren Einflussnahme der Exekutive freizuhalten (vgl. BVerfG, z.B. Beschlüsse vom 07.01.1981, Az.: 2 BvR 401/76, 2 BvR 606/76, vom 01.09.2008, Az.: 2 BvR und vom 22.06.2006, Az.: 2 BvR 957/05). Sie beinhaltet aber keinen Entscheidungs- oder Ermessensspielraum bei gerichtlichen Entscheidungen, der einer weiteren Überprüfung in der nächsten Instanz entzogen wäre. Vielmehr gehört die volle Überprüfbarkeit gerichtlicher Entscheidungen im Instanzenzug zu den wesenstypischen Merkmalen des Rechtsstaatsprinzips.
Hätte der Gesetzgeber eine nur eingeschränkte Überprüfbarkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung durch die zweite Instanz, nämlich auf Ermessensfehler, gewollt, hätte er dies durch eine gesetzgeberische Entscheidung zum Ausdruck bringen müssen. Eine legitimierende gesetzliche Regelung dafür fehlt aber. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen der Verwaltung in § 114 Verwaltungsgerichtsordnung und in § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG sogar ausdrücklich klargestellt hat, obwohl wegen der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Überlegungen auch ohne explizite Regelung von einer nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit ausgegangen werden müsste, er aber für den Bereich der Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen im Instanzenzug eine entsprechende Regelung, die hier nicht klarstellenden, sondern konstitutiven Charakter hätte, nicht geschaffen hat, sieht der Senat als klaren Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte im Instanzenzug gerade nicht gewollt hat.
Rein vorsorglich und zur Vermeidung etwaiger Missverständnisse weist der Senat darauf hin, dass aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu § 93 a Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (vgl. z.B. Beschlüsse vom 27.03.1985, Az.: IVb ZB 121/84, vom 08.02.1989, Az.: IVb ZB 174/88, vom 06.12.1989, Az.: IVb ZB 90/89, vom 31.01.2001, Az.: XII ZB 121/00, und vom 28.02.2007, Az.: XII ZB 165/06) nicht der Rückschluss gezogen werden kann, dass bei Beschwerdeentscheidungen die Überprüfungsmöglichkeit durch das Beschwerdegericht auf die Frage beschränkt wäre, ob das erstinstanzliche Gericht von dem ihm eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Denn wenn der BGH nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz sieht, ist dies dem Umstand geschuldet, dass dessen Entscheidungen im Rahmen von Rechtsbeschwerden ergangen sind, für die das Verfahren dem Revisionsverfahren nachgebildet ist (vgl. Reichhold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 33. Aufl. 2012, vor § 574, Rdnr. 2), bei denen nur eine eingeschränkte Überprüfung auf Rechtsfehler gemäß § 576 ZPO zulässig ist und somit eine neue Tatsacheninstanz, wie es das "normale" Beschwerdeverfahren darstellt, nicht eröffnet ist. Die vom BGH weiter gegebene pauschale Begründung, dass "Sinn und Zweck" des Ermessens nur eine eingeschränkte Überprüfung zulassen würden, kann für das Beschwerdeverfahren nicht überzeugen. Ganz abgesehen davon, dass eine legitimierende gesetzliche Grundlage für eine eingeschränkte Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts nicht zu finden ist, spricht das Argument von "Sinn und Zweck" nach Ansicht des Senats gerade für eine volle Überprüfbarkeit durch die Beschwerdeinstanz. Denn nur bei einer vollen Überprüfung durch die Beschwerdeinstanz ist gewährleistet, dass sich eine im Sinne der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen einheitliche Rechtsprechung entwickeln kann.
Jede andere Auslegung würde im Übrigen auch in der Praxis zu untragbaren Ergebnissen führen. Dies zeigt beispielsweise der Fall, wenn das Sozialgericht in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit seinem Urteil oder Gerichtsbescheid negativ über einen Antrag auf Übernahme der Kosten eines von ihm eingeholten Gutachtens gemäß § 109 SGG entscheidet, weil aus seiner Sicht dieses Gutachten weder neue Erkenntnisse gebracht noch Anlass für weitere Ermittlungen gegeben noch zur Erledigung beigetragen hat, dann aber das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten in der Berufungsinstanz als Anlass für weitere Ermittlungen gesehen wird oder dort sogar unmittelbar zur Erledigung beiträgt. In einem derartigen Fall wäre die ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts - jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung - nicht ermessensfehlerhaft, da das Gutachten nach der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Einschätzung des Sozialgerichts nichts Neues ergeben oder nichts zur Erledigung beigetragen hat. Diese Einschätzung würde sich erst später, nämlich im Laufe des Verfahrens vor dem Berufungsgericht ändern. Es läge daher in einem solchen Fall das Dilemma vor, dass die Ablehnung der Kostenübernahme zwar nicht ermessensfehlerhaft gewesen wäre, zu einem späteren Zeitpunkt aber zweifellos eine andere Entscheidung getroffen hätte werden müssen. Dieses Dilemma kann nur durch eine volle Überprüfung in der Beschwerdeinstanz und damit eine eigene Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts aufgelöst werden.
Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, dass im Rahmen der Beschwerdeentscheidung die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht übergegangen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.03.2009, Az.: L 10 U 1056/09 KO-B) und daher eine eigene Ausübung des Ermessens durch den Senat zu erfolgen hat.
3. Entscheidung im vorliegenden Fall
Im vorliegenden Fall sind die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG voll auf die Staatskasse zu übernehmen. Das Gutachten hat, wie dies im Übrigen auch das Sozialgericht festgestellt hat, neue Erkenntnisse gebracht und damit zudem auch wesentlich zur Erledigung des Klageverfahrens durch Vergleich beigetragen.
Für eine nur teilweise Kostenübernahme sieht der Senat keinen Raum. Vorliegend hat es sich mit der Höhe des GdB um einen einheitlichen Streitgegenstand gehandelt, was einer Kostenaufteilung entgegen steht. Keinen Grund für eine nur anteilige Kostenübernahme liefert die Tatsache, dass den Erkenntnissen des Gutachters gemäß § 109 SGG im abgeschlossenen Vergleich nicht in vollem Umfang gefolgt worden ist. Über den Umfang der Kostenübernahme auf die Staatskasse kann keine Sanktionierung der Qualität eines Gutachtens in dem Sinn erfolgen, dass der Antragsteller die Kosten soweit selbst zu tragen hat, als die Ausführungen eines Gutachters bei der Erledigung nicht als zutreffende Bewertung zugrunde gelegt worden sind (vgl. Beschluss des Senats vom 01.03.2012, Az.: L 15 SB 153/09).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung von
§ 193 Abs. 1 SGG (vgl. Beschlüsse des Senats vom 09.02.2009, Az.: L 15 SB 12/09 B, und vom 12.03.2012, Az.: L 15 SB 22/12 B).
Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG endgültig.
Az.: S 6 SB 629/09, wird dahingehend abgeändert, dass die Kosten für das
gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. K. vom 09.08.2011 (i.V.m. dem Gutachten des Dipl.-Psych. K. vom 28.06.2011) nicht nur zur Hälfte, sondern in voller Höhe auf die Staatskasse übernommen werden.
II. Der Beschwerdeführerin sind die notwendigen außergerichtlichen
Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
In dem am Sozialgericht Regensburg (SG) unter dem Az.: S 6 SB 629/09 anhängig gewesenen Rechtsstreit der Klägerin und jetzigen Beschwerdeführerin (Bf) gegen den Freistaat Bayern wegen der Höhe des Grads der Behinderung (GdB) erstellte am 15.11.2010 zunächst die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K.-R. ein Gutachten. Sie kam dabei u.a. zu der Einschätzung, dass bei der Bf seelische Störungen vorlägen, die mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten seien. Den Gesamt-GdB schätzte sie auf 30.
In dem von der Bf gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragten Gutachten durch den Nervenarzt Dr. K. bewertete dieser unter Berücksichtigung eines psychologischen Zusatzgutachtens des Dipl.-Psych. K. vom 28.06.2011 die seelische Störung der Bf und ebenso den Gesamt-GdB bis April 2010 mit einem GdB von 40. Danach - so Dr. K. im Gutachten vom 09.08.2011 - betrage der Gesamt-GdB wegen eines neu hinzugekommenen und mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Tinnitus 50.
Der Beklagte unterbreitete daraufhin ein Vergleichsangebot, mit dem er einen GdB von 50 ab dem 16.05.2011 (Tag der Untersuchung durch Dr. K.) anbot. Die Bf nahm dieses Angebot am 04.11.2011 an. Gleichzeitig hat sie beim SG beantragt, die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. K. samt Zusatzgutachten der Staatskasse aufzuerlegen.
Mit Beschluss vom 09.07.2012, zugestellt am 27.07.2012, hat das SG die Hälfte der Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten des Dr. K. vom 09.08.2011 (i.V.m. dem Gutachten des Dipl.-Psych. K. vom 28.06.2011) auf die Staatskasse übernommen. Begründet worden ist dies damit, dass die Ausführungen im Gutachten des Dr. K. die Grundlage für die vergleichsweise Erledigung gewesen seien. Für den Zeitraum von der Antragstellung bis zur Begutachtung durch Dr. K. sei es aber bei der Einschätzung der Sachverständigen gemäß § 106 SGG verblieben.
Am 06.08.2012 hat die Bf Beschwerde gegen die nur teilweise Kostenübernahme eingelegt und dies damit begründet, dass die vergleichsweise Einigung im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. K. zurückzuführen sei; die Kosten seien daher voll auf die Staatskasse zu übernehmen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Kosten für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten sind nicht nur zur Hälfte, sondern vollständig auf die Staatskasse zu übernehmen.
Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des behinderten Menschen ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann - wie dies im vorliegenden Fall auch erfolgt ist - davon abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller die Kosten dafür vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts auch endgültig trägt (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine "andere Entscheidung" in diesem Sinn hat die Bf beim SG beantragt.
1. Kriterien für die Entscheidung über die Kostenübernahme
Die Entscheidung darüber, ob die Kosten eines gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens auf die Staatskasse zu übernehmen sind, wird als Ermessensentscheidung (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 109, Rdnr. 16) des Gerichts bezeichnet, das das Gutachten angefordert hat (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 18). Bei der Entscheidung über die Kostenübernahme auf die Staatskasse ist zu berücksichtigen, ob das Gutachten die Sachaufklärung objektiv wesentlich gefördert und somit Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung oder den Ausgang des Verfahrens gewonnen hat (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 16a). Entscheidend ist dabei, ob durch das Gutachten neue beweiserhebliche Gesichtspunkte zu Tage getreten sind oder die Beurteilung auf eine wesentlich breitere und für das Gericht und die Beteiligten überzeugendere Grundlage gestellt worden ist. Von einer Förderung der Sachaufklärung ist regelmäßig dann auszugehen, wenn das Gutachten gemäß § 109 SGG weitere Ermittlungen von Amts wegen erforderlich gemacht hat (vgl. Bayer. Landessozialgericht - LSG -, Beschluss vom 19.08.1999, Az.: L 18 B 303/96 V). Nur dann, wenn in einem solchen Fall das von Amts wegen eingeholte Gutachten lediglich die Unrichtigkeit des Gutachtens nach § 109 SGG bestätigt, ohne wesentliche, darüber hinausgehende zusätzliche Erkenntnisse zu bringen, ist eine Kostenübernahme auf die Staatskasse nicht angezeigt (vgl. Udsching, Besonderheiten des Sachverständigenbeweises im sozialgerichtlichen Verfahren, NZS 1992, 50, 55). Denn in einem solchen Fall hat, wie sich im Rahmen des anschließend von Amts wegen eingeholten Gutachtens und damit im Nachhinein zeigt, kein objektiver Grund für weitere Ermittlungen von Amts wegen bestanden. Vielmehr hat in einem solchen Fall mit dem Gutachten gemäß § 109 SGG nur ein tatsächlich unzutreffendes Gutachten zunächst den falschen Eindruck vermittelt, dass weitere Ermittlungen erforderlich wären. Dass sich dieser Eindruck erst nachträglich durch das von Amts wegen eingeholte Gutachten als falsch herausgestellt hat, kann nicht dazu führen, dass die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG auf die Staatskasse zu übernehmen wären. Würde man dies anders sehen, hätte dies faktisch zur Konsequenz, dass ein tatsächlich weder zur Sachaufklärung beitragendes noch entscheidungserhebliches Gutachten allein deshalb aus der Staatskasse zu bezahlen wäre, weil es inhaltlich falsch gewesen ist. Dies würde eine durch nichts zu rechtfertigende Besserstellung gegenüber einem Kläger bedeuten, dessen gemäß § 109 SGG benannter Sachverständiger sorgfältig arbeitet und damit nicht den Anschein der Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen weckt. Denn in einem solchen Fall wäre die Konsequenz die, dass die Kosten für dieses Gutachten wegen des fehlenden Beitrags zur Sachaufklärung und Entscheidungserheblichkeit nicht auf die Staatskasse zu übernehmen wären. Dass ein derartig widersprüchliches Ergebnis nicht akzeptabel wäre, bedarf keiner weiteren Erläuterungen (vgl. auch Beschluss des Senats vom 12.03.2012, Az.: L 15 SB 22/12 B).
Nicht entscheidend ist, ob das Gutachten den Rechtsstreit in einem für den Antragsteller günstigen Sinn beeinflusst hat. Kein maßgeblicher Gesichtspunkt für eine Ermessensausübung im Sinne eines Antragsstellers ist es auch, wenn dieser nach Bestätigung der Ergebnisse, wie sie der von Amts wegen bestellte Sachverständige festgestellt hat, durch den gemäß § 109 SGG benannten Gutachter die Klage oder Berufung zurücknimmt. Denn mit der Kostenübernahme auf die Staatskasse bzw. der Ablehnung der Kostenübernahme darf keine Belohnung bzw. Sanktionierung eines bestimmten prozessualen Verhaltens erfolgen (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 12.03.2012, Az.: L 15 SB 22/12 B, und vom 14.11.2012, Az.: L 15 SB 33/09).
Eine nur teilweise Kostenübernahme ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber bei einem einheitlichen Streitgegenstand regelmäßig nicht sachgerecht (vgl. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 16a). Sie wird daher überhaupt nur in seltenen Fällen in Betracht gezogen werden können (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 01.03.2012, Az.: L 15 SB 153/09, und vom 12.03.2012, Az.: L 15 SB 22/12 B). Denkbar ist dies bei einem teilbaren Streitgegenstand (z.B. Höhe des GdB einerseits und Merkzeichen andererseits), wenn das Gutachten gemäß § 109 SGG nur für einen Teil des Streitgegenstands neue Erkenntnisse gebracht bzw. nur diesbezüglich zur Erledigung geführt hat, nicht aber für den anderen Teil des Streitgegenstands.
2. Prüfungsumfang im Beschwerdeverfahren
Der Prüfungsumfang in Beschwerdeverfahren, nicht nur im Rahmen der Kostentragung gemäß § 109 SGG, ist strittig.
Einerseits wird die Ansicht vertreten, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren voll, d.h. nicht nur auf Ermessensfehler, überprüfbar sei (zu Beschlüssen nach § 109 SGG: vgl. z.B. Keller, a.a.O., § 109, Rdnr. 22; Roller, in: Lüdtke, SGG, 3. Aufl. 2009, § 109, Rdnr. 28; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage Stand 10/2011, § 109, Anm. 7 d; Bayer. LSG, Beschlüsse vom 23.02.1955, Az.: L 12/BV 100/55g, und vom 10.07.1959, Az.: L 9/V 17/58 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 18.04.2005, Az.: L 5 B 33/04 SB, und vom 30.06.2006, Az.: L 5 B 3/05 SB SF; LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 17.03.2009, Az.: L 10 U 1056/09 KO-B, und vom 04.05.2012, Az.: L 10 R 1764/12 B; zur vergleichbaren Regelung des § 193 Abs. 1 Halbsatz 2 SGG a.F. (heute § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG): LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss 16.04.1998, Az.: L 3 Sb 84/97).
Andererseits wird von einer nur eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch das Beschwerdegericht dahingehend ausgegangen, ob die Voraussetzungen und die Grenzen des Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind (vgl. Bayer. LSG, Beschlüsse vom 15.12.2008, Az.: L 1 B 961/08 R, vom 13.11.2009, Az.: L 13 R 898/09 B, und vom 18.01.2012, Az.: L 2 U 221/11 B). Letztere Meinung wird vereinzelt auch zu anderen gesetzlichen Regelungen vertreten, die eine Ermessensentscheidung des Gerichts vorsehen und daher mit § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG und der danach zu treffenden Entscheidung zur Kostentragung vergleichbar sind (so zu § 5 Abs. 5 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz: Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss vom 05.06.2009, Az.: 6 W 68/09).
Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung (volle Überprüfung, eigene Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts) an. Eine andere Auslegung hält er nicht für überzeugend begründbar.
Die Tatsache, dass die Entscheidung über die endgültige Kostentragung als Ermessensentscheidung bezeichnet wird, kann keine nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit durch das Beschwerdegericht nach sich ziehen. Der Grundsatz der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit, wie er für Ermessensentscheidungen der Verwaltung gilt, ist nicht auf die Überprüfung von gerichtlichen Entscheidungen im Instanzenzug übertragbar. Er beruht auf dem Spannungsverhältnis zwischen dem verfassungsrechtlichen Bekenntnis zum Grundsatz des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -) einerseits und zum Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) andererseits (vgl. z.B. Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2010, § 114 VwGO, Rdnr. 1). Dieses Spannungsverhältnis kann nur sinnvoll aufgelöst werden, wenn der Verwaltung Entscheidungen ermöglicht werden, für die nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte besteht. Mit der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit von im Ermessen der Verwaltung stehenden Entscheidungen wird sichergestellt, dass der Gestaltungsspielraum der Verwaltung als ihr allein zustehender Kernbereich der Verwaltungstätigkeit unangetastet bleibt und die Gewaltenteilung eingehalten wird.
Die Gerichte haben Ermessenentscheidungen der Verwaltung nur auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen und dürfen dabei nicht ihre eigenen Bewertungen und Einschätzungen, die der Ausübung von Ermessen zugrunde liegen, an die Stelle der Bewertungen und Einschätzungen der Verwaltung setzen (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 08.07.1982, Az.: 2 BvR 1187/80). Eine solche Legitimation lässt sich für die Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen im Instanzenweg nicht finden, da erst- und zweitinstanzliches Gericht - anders als Behörde und Gericht - nicht Teile unterschiedlicher verfassungsrechtlich vorgegebener Gewalten sind und insofern kein verfassungsrechtlich geschützter Kernbereich, der eine Begrenzung der gerichtlichen Kontrolldichte begründen würde, vorhanden ist.
Auch die richterliche Unabhängigkeit verlangt keine nur eingeschränkte Überprüfbarkeit im Instanzenzug. Die mit Art. 97 Abs. 1 GG garantierte richterliche Unabhängigkeit zählt zu den hergebrachten Grundsätzen des richterlichen Amtsrechts im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG. Sie hat den Zweck, die rechtsprechende Tätigkeit von jeder vermeidbaren Einflussnahme der Exekutive freizuhalten (vgl. BVerfG, z.B. Beschlüsse vom 07.01.1981, Az.: 2 BvR 401/76, 2 BvR 606/76, vom 01.09.2008, Az.: 2 BvR und vom 22.06.2006, Az.: 2 BvR 957/05). Sie beinhaltet aber keinen Entscheidungs- oder Ermessensspielraum bei gerichtlichen Entscheidungen, der einer weiteren Überprüfung in der nächsten Instanz entzogen wäre. Vielmehr gehört die volle Überprüfbarkeit gerichtlicher Entscheidungen im Instanzenzug zu den wesenstypischen Merkmalen des Rechtsstaatsprinzips.
Hätte der Gesetzgeber eine nur eingeschränkte Überprüfbarkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung durch die zweite Instanz, nämlich auf Ermessensfehler, gewollt, hätte er dies durch eine gesetzgeberische Entscheidung zum Ausdruck bringen müssen. Eine legitimierende gesetzliche Regelung dafür fehlt aber. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber die eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen der Verwaltung in § 114 Verwaltungsgerichtsordnung und in § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG sogar ausdrücklich klargestellt hat, obwohl wegen der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Überlegungen auch ohne explizite Regelung von einer nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit ausgegangen werden müsste, er aber für den Bereich der Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen im Instanzenzug eine entsprechende Regelung, die hier nicht klarstellenden, sondern konstitutiven Charakter hätte, nicht geschaffen hat, sieht der Senat als klaren Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber eine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte im Instanzenzug gerade nicht gewollt hat.
Rein vorsorglich und zur Vermeidung etwaiger Missverständnisse weist der Senat darauf hin, dass aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu § 93 a Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung (vgl. z.B. Beschlüsse vom 27.03.1985, Az.: IVb ZB 121/84, vom 08.02.1989, Az.: IVb ZB 174/88, vom 06.12.1989, Az.: IVb ZB 90/89, vom 31.01.2001, Az.: XII ZB 121/00, und vom 28.02.2007, Az.: XII ZB 165/06) nicht der Rückschluss gezogen werden kann, dass bei Beschwerdeentscheidungen die Überprüfungsmöglichkeit durch das Beschwerdegericht auf die Frage beschränkt wäre, ob das erstinstanzliche Gericht von dem ihm eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Denn wenn der BGH nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz sieht, ist dies dem Umstand geschuldet, dass dessen Entscheidungen im Rahmen von Rechtsbeschwerden ergangen sind, für die das Verfahren dem Revisionsverfahren nachgebildet ist (vgl. Reichhold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 33. Aufl. 2012, vor § 574, Rdnr. 2), bei denen nur eine eingeschränkte Überprüfung auf Rechtsfehler gemäß § 576 ZPO zulässig ist und somit eine neue Tatsacheninstanz, wie es das "normale" Beschwerdeverfahren darstellt, nicht eröffnet ist. Die vom BGH weiter gegebene pauschale Begründung, dass "Sinn und Zweck" des Ermessens nur eine eingeschränkte Überprüfung zulassen würden, kann für das Beschwerdeverfahren nicht überzeugen. Ganz abgesehen davon, dass eine legitimierende gesetzliche Grundlage für eine eingeschränkte Prüfungskompetenz des Beschwerdegerichts nicht zu finden ist, spricht das Argument von "Sinn und Zweck" nach Ansicht des Senats gerade für eine volle Überprüfbarkeit durch die Beschwerdeinstanz. Denn nur bei einer vollen Überprüfung durch die Beschwerdeinstanz ist gewährleistet, dass sich eine im Sinne der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen einheitliche Rechtsprechung entwickeln kann.
Jede andere Auslegung würde im Übrigen auch in der Praxis zu untragbaren Ergebnissen führen. Dies zeigt beispielsweise der Fall, wenn das Sozialgericht in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit seinem Urteil oder Gerichtsbescheid negativ über einen Antrag auf Übernahme der Kosten eines von ihm eingeholten Gutachtens gemäß § 109 SGG entscheidet, weil aus seiner Sicht dieses Gutachten weder neue Erkenntnisse gebracht noch Anlass für weitere Ermittlungen gegeben noch zur Erledigung beigetragen hat, dann aber das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten in der Berufungsinstanz als Anlass für weitere Ermittlungen gesehen wird oder dort sogar unmittelbar zur Erledigung beiträgt. In einem derartigen Fall wäre die ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts - jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung - nicht ermessensfehlerhaft, da das Gutachten nach der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Einschätzung des Sozialgerichts nichts Neues ergeben oder nichts zur Erledigung beigetragen hat. Diese Einschätzung würde sich erst später, nämlich im Laufe des Verfahrens vor dem Berufungsgericht ändern. Es läge daher in einem solchen Fall das Dilemma vor, dass die Ablehnung der Kostenübernahme zwar nicht ermessensfehlerhaft gewesen wäre, zu einem späteren Zeitpunkt aber zweifellos eine andere Entscheidung getroffen hätte werden müssen. Dieses Dilemma kann nur durch eine volle Überprüfung in der Beschwerdeinstanz und damit eine eigene Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts aufgelöst werden.
Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, dass im Rahmen der Beschwerdeentscheidung die Befugnis zur Ausübung des Ermessens in vollem Umfang auf das Beschwerdegericht übergegangen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.03.2009, Az.: L 10 U 1056/09 KO-B) und daher eine eigene Ausübung des Ermessens durch den Senat zu erfolgen hat.
3. Entscheidung im vorliegenden Fall
Im vorliegenden Fall sind die Kosten für das Gutachten gemäß § 109 SGG voll auf die Staatskasse zu übernehmen. Das Gutachten hat, wie dies im Übrigen auch das Sozialgericht festgestellt hat, neue Erkenntnisse gebracht und damit zudem auch wesentlich zur Erledigung des Klageverfahrens durch Vergleich beigetragen.
Für eine nur teilweise Kostenübernahme sieht der Senat keinen Raum. Vorliegend hat es sich mit der Höhe des GdB um einen einheitlichen Streitgegenstand gehandelt, was einer Kostenaufteilung entgegen steht. Keinen Grund für eine nur anteilige Kostenübernahme liefert die Tatsache, dass den Erkenntnissen des Gutachters gemäß § 109 SGG im abgeschlossenen Vergleich nicht in vollem Umfang gefolgt worden ist. Über den Umfang der Kostenübernahme auf die Staatskasse kann keine Sanktionierung der Qualität eines Gutachtens in dem Sinn erfolgen, dass der Antragsteller die Kosten soweit selbst zu tragen hat, als die Ausführungen eines Gutachters bei der Erledigung nicht als zutreffende Bewertung zugrunde gelegt worden sind (vgl. Beschluss des Senats vom 01.03.2012, Az.: L 15 SB 153/09).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung von
§ 193 Abs. 1 SGG (vgl. Beschlüsse des Senats vom 09.02.2009, Az.: L 15 SB 12/09 B, und vom 12.03.2012, Az.: L 15 SB 22/12 B).
Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG endgültig.
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