L 11 KR 4741/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 4095/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4741/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.10.2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 07.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2010 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 53.356,99 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 01.07.2002 bis zum 07.04.2005 iHv 30.487,49 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen iHv 22.869,50 EUR.

Die Klägerin ist ein in der Rechtsform einer GmbH betriebenes Unternehmen zum Fassadenbau aus Metall, Aluminium und Kunststoff mit den Gesellschaftern M. und G. R. und sowie bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2004 P. Sch ... Zum Geschäftsführer wurde laut Handelsregisterauszug (HRB ...) des Handelsregisters des Amtsgerichts Calw (Bl 27 der Strafverfahrensakte) M. R. bestellt. Der Beigeladene zu 1) war bis Mitte 2004 als Zeitungszusteller bei der Schw. B. M. mbH in O. versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend bezog er Arbeitslosengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 21.04.2005. Außerdem wurde der Beigeladene zu 1) seit 2002 beim Finanzamt F. unter der Steuernummer ... mit Dachdecker- und Fassadenarbeiten erfasst.

Nachdem der Beigeladene zu 1) am 28.10.2004 bei einer Kontrolle des Hauptzollamts H. auf der Bundesautobahn 81 überprüft worden war, leitete das Hauptzollamt ein Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer M. R. wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB ein. In dem vom Hauptzollamt K. durchgeführten Ermittlungsverfahren wurden der Beigeladene zu 1) sowie der Geschäftsführer M. R. vernommen, eine Durchsuchung bei der Klägerin sowie dem Beigeladenen zu 1) durchgeführt und bei Letzterem zwei Kalenderbücher der Jahre 2004 und 2005 betreffend Eintragungen, die auf Beschäftigungen des Beigeladenen hinweisen, aufgefunden. Des Weiteren wurden Unterlagen über eine Steuerprüfung für die Jahre 2002 und 2003 bei der Klägerin vom Finanzamt C. sowie Unterlagen über eine abgekürzte Steueraußenprüfung beim Beigeladenen zu 1) durch das Finanzamt F. beigezogen. Im Rahmen dieser Steuerprüfung, die aufgrund der Kontrollmitteilung eines Betriebsprüfers durchgeführt wurde, hatte der Beigeladene zu 1) mit Schreiben vom 28.07.2006 ausgeführt, richtig sei, dass er stundenweise in der Firma der Klägerin ausgeholfen und sporadisch Geldbeträge erhalten habe. Er habe auch Unterschriften leisten müssen, welche als Blankobelege (als Quittungen bezeichnet) vorgelegt worden seien. Insgesamt habe er aber niemals den Betrag von 14.870,77 EUR erhalten. Der Geschäftsführer der Klägerin habe ihm immer Hoffnungen gemacht, ihn einmal fest einzustellen, daher sei er für ihn im Bedarfsfall verfügbar gewesen. Dazu sei es aber nicht gekommen, weil angeblich keine Aufträge mehr vorhanden gewesen seien, was aber nicht den Tatsachen entsprochen habe. Abschließend benennt er einige Kriterien, an denen ersichtlich sei (zB falsche Schreibweise seines Vornamens), dass die angeblich von ihm ausgestellten Rechnungen manipuliert worden seien. Das Finanzamt F. setzte aufgrund der Außenprüfung Einkünfte des Beigeladenen zu 1) aus Gewerbetrieb nach Abzug geschätzter Betriebsausgaben iHv 12.870 EUR fest. Gegenüber dem Finanzamt P. führte das Finanzamt F. in einem Schreiben vom 16.11.2006 aus, eine steuerliche Auswirkung durch die Kontrollmitteilung ergebe sich aufgrund der sonstigen steuerlichen Verhältnisse beim Beigeladenen zu 1) nicht. Allerdings ließen dessen Ausführungen vermuten, dass bei der Klägerin mit blanko unterschriebenen Belegen als auch durch Unterschriftsfälschungen überhöhte bzw unzutreffende Betriebsausgaben produziert worden seien. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf Bl 21 bis 60 sowie 102 bis 105 der Verwaltungsakte verwiesen. Das anschließende strafrechtliche Ermittlungsverfahren mit dem Aktenzeichen 12 Js .../05 bzw Strafverfahren mit dem Aktenzeichen 2 Ds 17 Js .../05 vor dem Amtsgericht Nagold wurde mit Beschluss vom 16.06.2009 nach § 153a Abs 2 Strafprozessordnung (StPO) gegen Zahlung einer Geldbuße von 3.000 EUR zunächst vorläufig und später endgültig eingestellt.

Nach erfolgter Anhörung mit Schreiben vom 08.04.2010 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2010 insgesamt 53.356,99 EUR inklusive Säumniszuschläge iHv 22.869,50 EUR für den Zeitraum vom 01.07.2002 bis zum 07.04.2005 nach. Dabei ging die Beklagte davon aus, dass die Klägerin den Beigeladenen zu 1) als Arbeitnehmer und Dachdecker gegen Entgelt im Prüfzeitraum beschäftigt habe, ohne diesen bei der entsprechenden Einzugsstelle (Krankenkasse) anzumelden und die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge abzuführen.

Gegen den Bescheid vom 07.06.2010 legte die Klägerin am 09.06.2010 Widerspruch ein. Sie machte geltend, der angefochtene Bescheid sei grob fehlerhaft. Es seien in keiner Weise Nachweise erbracht worden, dass eine abhängige Beschäftigung vorliegt. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2010 zurück und führte zur Begründung an, dass der Beigeladene zu 1) bei der Kontrolle am 28.10.2004 mit dem Firmenfahrzeug der Klägerin unterwegs gewesen sei. Die tägliche Arbeitszeit sei in einem Buch (Terminplaner) eingetragen worden, die Stundenaufstellung der Klägerin am Monatsende übergeben worden. Als Stundenlohn seien anfangs 10 EUR später 12,50 EUR vereinbart und ausgezahlt worden. Anfangs sei die Vergütung durch einen Quittungsbeleg bestätigt, später dem Arbeitnehmer monatlich eine "Rechnung" zur Unterschrift vorgelegt worden. Gegenüber dem Finanzamt F. habe der Beigeladene zu 1) am 28.07.2006 mitgeteilt, dass die Rechnungen manipuliert worden seien. Auch seien hinsichtlich der Arbeit Weisungen erteilt worden. Der Arbeitnehmer habe sich morgens gemeldet, damit ihm die zu verrichtende Arbeit zugewiesen werden konnte. Zudem habe er mit anderen Beschäftigten der Klägerin zusammen gearbeitet. Eine kurzfristige Beschäftigung sei lediglich vom 16.07. bis zum 26.07.2002 gemeldet worden. Eine selbständige Tätigkeit sei nach Angaben des Arbeitnehmers erst zum 21.04.2005 aufgenommen worden. Auch sei die Arbeit vom Arbeitnehmer persönlich ausgeführt worden und es seien keine eigenen finanziellen Mittel eingesetzt worden. Ein Unternehmerrisiko sei nicht zu erkennen. Sämtliche Ermittlungsergebnisse belegten zweifelsfrei, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe.

Am 28.09.2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, diese aber nicht begründet. Das SG hat mit Verfügung vom 08.06.2011 einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreitet, den die Beklagte nicht angenommen hat (Bl 56/57 der SG-Akte). Mit Gerichtsbescheid vom 20.10.2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Einwand der Klägerin, der Beigeladene zu 1) sei bei ihr nicht beschäftigt gewesen, sondern habe für sie als selbständiger Subunternehmer gearbeitet, sei nicht zutreffend. Der Beigeladene zu 1) habe bei seiner Vernehmung durch das Hauptzollamt K. am 30.05.2007 ausgeführt, dass er als Fahrer mit LKW der Klägerin unterwegs gewesen sei, für die Klägerin kleinere Reparaturen auf Dächern ausgeführt und Dachrinnen angebracht habe. Dabei habe er meistens im Team mit zwei oder drei Arbeitnehmern der Klägerin gearbeitet. Dies entspreche auch den Angaben des Geschäftsführers der Klägerin bei seiner Vernehmung durch das Hauptzollamt K. am 15.03.2006. Der Beigeladene zu 1) sei mithin in ein Team von Arbeitnehmern der Klägerin eingebunden gewesen und habe Arbeiten wie diese verrichtet. Er teile daher deren versicherungsrechtlichen Status als Arbeitnehmer. Eine Konstruktion als selbständiger Subunternehmer würde den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Auch sei der Beigeladene zu 1) selbst davon ausgegangen, dass ein Beschäftigungsverhältnis vorliege. Nach seinen Angaben gegenüber dem Hauptzollamt K. am 30.05.2007 habe er den Geschäftsführer der Klägerin wiederholt dazu gedrängt, ihn bei der Einzugsstelle anzumelden.

Gegen den am 26.10.2011 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 31.10.2011 eingelegte Berufung der Klägerin. Die Klägerin macht Verstöße gegen Verfahrensgrundsätze geltend. So habe das SG zunächst am 14.07.2011 mitgeteilt, dass der Rechtsstreit zur mündlichen Verhandlung vorgesehen sei. Nachdem einem Verlegungsantrag wegen eines zum gleichen Tag bereits anberaumten anderen Gerichtstermins des Klägervertreters stattgegeben worden sei, sei mitgeteilt worden, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden solle. Der Klägervertreter habe daraufhin beantragt, mündlich zu verhandeln, da es auf den Zeugen G. in dem Verfahren entscheidend ankomme. Das SG habe, ohne sich mit dem Antrag der Klägerin auf Vernehmung des Beigeladenen zu 1) auseinanderzusetzen, ohne mündliche Verhandlung entschieden. Der Beigeladene zu 1) sei zu keinem Zeitpunkt vor einem Gericht vernommen worden. Das SG habe ohne nähere Begründung festgestellt, dass seine Aussagen glaubhaft seien. Auch setze sich das SG nicht mit dem Umstand auseinander, dass es durchaus möglich sei, dass ein Subunternehmer mit anderen Arbeitnehmern in Einzelfällen zusammen arbeite. Es sei für den Beigeladenen zu 1) von großem Vorteil gewesen, aus einem Subunternehmerverhältnis ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu machen, da ihm dieses entsprechende Leistungen der Arbeitslosen- und Rentenversicherung sichere. Dies habe ihm auch Vorteile verschafft im Hinblick auf eine Strafe wegen Steuerhinterziehung. Das Amtsgericht N. habe das Strafverfahren eingestellt. Die Ermittlungsakte des Amtsgerichts N. sei trotz entsprechender Hinweise der Klägerin nicht beigezogen worden. Der Amtsermittlungsgrundsatz und der Grundsatz der mündlichen Verhandlung seien somit grob missachtet worden. Zudem habe der Beigeladene zu 1) eine versicherungspflichtige Tätigkeit beim Schw. B. ausgeführt. Auch sei er vom Amtsgericht L. im Jahr 2002 zu einer Strafe wegen vorsätzlichen Bankrotts und Vorenthaltens von Arbeitsentgelt verurteilt worden. Hieraus ergebe sich, dass der Beigeladene zu 1) damals selbständig gewesen sei und dass er aller Voraussicht nach kein Interesse an einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit gehabt habe, da er mit einer Pfändung habe rechnen müsse. Auch seien die dem Beigeladenen zu 1) zugeordneten Beschäftigungsorte und -daten nicht nachvollziehbar. Er sei nicht in der vom SG zugrunde gelegten Art und Umfang tätig geworden. Er habe die Klägerin in genau abgesprochener Weise bei typischen Dachdeckerarbeiten unterstützt, die von der Klägerin so nicht hätten durchgeführt werden können. Hierfür habe er Rechnungen erstellt. Eine Eingliederung in den Betriebsablauf der Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Dies habe der Beigeladene zu 1) auch nicht gewollt, da er noch zuhauf eigene Baustellen durchgeführt habe. Auch könne die Aussage des Geschäftsführers der Klägerin vor dem Hauptzollamt nicht verwertet werden, da dieser nicht ausreichend bzw gar nicht über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt worden sei. Die Mitnahme von Arbeitnehmern der Klägerin durch den Beigeladenen zu 1) stelle noch keine Eingliederung in den Betrieb dar, da dies nur gelegentlich erfolgt sei und völlig unterschiedliche Arbeiten ausgeführt worden seien. Der Beigeladene zu 1) sei unglaubwürdig, da er trotz seiner angeblich bestehenden Insolvenz noch zwei wertvolle Fahrzeuge besessen habe. Die Finanzverwaltung habe die selbständige Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) anerkannt und ihm auch Betriebsausgabenabzug bewilligt. Die ausgeführten Dachdeckerarbeiten gehörten nicht zum Programm der Klägerin und seien daher entsprechend frei mit ihm abgestimmt worden. Auch habe der Beigeladene zu 1) über ein eigenes Lieferfahrzeug, ein eigenes Lager sowie eigene Maschinen und Gerätschaften verfügt. Nach der abgekürzten Außenprüfung beim Beigeladenen zu 1) am 16.11.2006 und dem Prüfbescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 29.11.2006 mit dem Prüfzeitraum vom 01.01.2002 bis zum 31.12.2005 ergebe sich, dass die Klägerin habe darauf vertrauen können, dass diese Entscheidungen Bestand haben. Es werde vorsorglich die Einrede der Verjährung erhoben. Eine weitere Lohnsteueraußenprüfung bei der Klägerin habe keine nachteiligen Feststellungen ergeben. Zudem sei die Beitragszusammensetzung nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.10.2011 und den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte führt zur Berufungserwiderung an, dass die Klägerin keinen Nachweis für die vermeintlich selbständige Tätigkeit des Beigeladenen G. biete. Der Beigeladene zu 1) habe keine "Aufträge" im Sinne einer werkvertraglich vereinbarten Leistung für die Klägerin ausgeführt, sondern auf Weisung zum Teil gemeinsam mit abhängig Beschäftigten der Klägerin fremdbestimmte Tätigkeiten verrichtet und hierbei ausschließlich seine Arbeitskraft eingesetzt. Er habe keinerlei unternehmerisches Risiko getragen. Von einem echten unternehmerischen Risiko sei erst dann auszugehen, wenn trotz fehlender Einnahmen Betriebsausgaben zu tragen seien und insoweit tatsächlich die Gefahr eines wirtschaftlichen Verlustes bestehe. Eventuell weitere Beschäftigungen und Tätigkeiten des Beigeladenen zu 1) seien bezüglich der Beurteilung seiner Tätigkeit für die Klägerin nicht relevant, da jede Tätigkeit separat sozialversicherungsrechtlich einzuordnen sei. Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a Abs 2 StPO führe nicht dazu, dass die Klägerin für den Beigeladenen zu 1) keine Beiträge zu zahlen habe. Auch zeige der Umstand, dass der Beigeladene zu 1) den Geschäftsführer mehrfach erfolglos um Anmeldung und Abrechnung im Rahmen einer abhängigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gebeten habe, dass die Klägerin die Beiträge zumindest mit bedingtem Vorsatz vorenthalten habe, also die Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen habe. Insofern sei auch nicht von einer Verjährung der Beitragsforderung auszugehen. Auch die Säumniszuschläge seien zu Recht erhoben worden.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die beigezogene Strafverfahrensakte der Staatsanwaltschaft Tübingen sowie des Amtsgerichts Nagold verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, und in der Sache auch begründet. Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 07.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2010 zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 07.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beitragsnachforderung hält einer Überprüfung durch den Senat nicht stand.

Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 28p SGB IV. Nach Abs 1 dieser Vorschrift prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung soll in kürzeren Zeitabständen erfolgen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Die Einzugsstelle unterrichtet den für den Arbeitgeber zuständigen Träger der Rentenversicherung, wenn sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber für erforderlich hält. Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs 2 SGB IV sowie § 93 in Verbindung mit § 89 Abs 5 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht. Zwar entscheidet grundsätzlich gemäß § 28h Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Dies gilt aber ausnahmsweise nicht für Entscheidungen im Rahmen einer Arbeitgeberprüfung.

Betriebsprüfungen durch den Rentenversicherungsträger haben nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur eine Kontrollfunktion. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern, andererseits die Sozialversicherungsträger davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Der Prüfbescheid stellt sich vor diesem Hintergrund als kombinierte – positive oder negative - Feststellung von Versicherungspflicht und Beitragsnachentrichtung oder Beanstandung dar. Die Besonderheit eines Bescheides nach § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV liegt insoweit darin, dass über das Bestehen von Versicherungspflicht und die daraus resultierende Beitragsnachforderung gemeinsam zu entscheiden ist. Dies unterscheidet das Nachprüfverfahren hinsichtlich der Feststellung der Versicherungspflicht vom Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs 1 Satz 1 SGB IV (BSG 14.09.2004, B 12 KR 1/04, SozR 4-2400 § 22 Nr 2). Eine reine Statusfeststellung ist auf der Grundlage von § 28p SGB IV nicht zulässig (vgl BayLSG 28.06.2011, L 5 R 880/10, juris). Die hier streitigen Beiträge werden als Gesamtsozialversicherungsbeitrag vom Arbeitgeber gezahlt (§§ 28d Sätze 1 und 2, 28e Abs 1 Satz 1 SGB IV).

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht (§ 5 Abs 1 Nr 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB IV, § 25 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 24.01.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4 - 2400 § 7 Nr 7, BSG 04.07.2007, B 11a AL 5/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 8) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit BVerfG SozR 3 - 2400 § 7 Nr 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl BSG 24.01.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 7).

Ob unter Beachtung dieser Grundsätze die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) in der Zeit vom 01.07.2002 bis zum 07.04.2005 als abhängige Beschäftigung zu werten ist, kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Schriftliche vertragliche Vereinbarungen zwischen dem Beigeladenen zu 1) und der Klägerin liegen nicht vor. Die Art der Tätigkeit - Anbringen von Dachrinnen, Dachausbesserungen - spricht weder für noch gegen eine abhängige Beschäftigung. Gleiches gilt für die Art der Entlohnung nach Anzahl der geleisteten Stunden.

Unabhängig davon ist die Beitragsforderung nach Auffassung des Senats jedenfalls verjährt. Ansprüche auf Beiträge verjähren nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Auch die bis Mitte 2005 fällig gewordenen Beiträge sind somit unter Zugrundelegung der 4jährigen Verjährungsfrist ab 01.01.2010 verjährt. Die Regelung in § 25 SGB IV erfasst nicht nur Beiträge, sondern auch darauf entfallende Nebenleistungen wie zB Säumniszuschläge, die mit der Hauptleistung verjähren (Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Stand September 2010, SGB IV § 25 RdNr 4). Eine Hemmung der Verjährung durch die mit Bescheid der Beklagten vom 08.12.2006 abgeschlossene Betriebsprüfung bei der Klägerin nach § 28p SGB IV (§ 25 Abs 2 Satz 2 SGB IV) ist nicht erfolgt, da von einer Verjährungshemmung nur die im Rahmen der Betriebsprüfung festgestellten Beitragsansprüche betroffen sind (vgl Baier aaO RdNr 18). Für vorsätzlich vorenthaltene Beiträge beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre (§ 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV), doch kann dem Geschäftsführer der Klägerin ein derartiger Vorwurf nicht gemacht werden.

Für Vorsatz, wie ihn § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV voraussetzt, sind das Bewusstsein und der Wille erforderlich, die Abführung der fälligen Beiträge zu unterlassen. Es reicht es für das Eingreifen der 30jährigen Verjährungsfrist aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Zum Vorsatz muss das Vorliegen des inneren (subjektiven) Tatbestandes festgestellt, dh anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und bezogen auf den betreffenden Beitragsschuldner durch Sachverhaltsaufklärung individuell ermittelt werden. Die Feststellungslast (Beweislast) für den subjektiven Tatbestand trifft im Zweifel den Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige lange Verjährungsfrist beruft. Hat der Beitragsschuldner bei Eintritt der Fälligkeit noch keinen Vorsatz zur Vorenthaltung, läuft zunächst vom folgenden Kalenderjahr an eine vierjährige Verjährungsfrist. Diese verlängert sich jedoch durch eine rückwirkende Umwandlung in die 30jährige Verjährungsfrist, wenn der Beitragsschuldner noch vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist bösgläubig wird. Die anfänglich vorhandene Gutgläubigkeit begründet keinen Vertrauensschutz, wenn nach Fälligkeit, aber noch vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist Vorsatz hinzutritt. Vorsätzlich sind Beiträge auch dann vorenthalten, wenn der Schuldner von seiner bereits früher entstandenen und fällig gewordenen Beitragsschuld erfährt oder er diese erkennt, die Entrichtung der rückständigen Beiträge aber dennoch willentlich unterlässt (zum Ganzen BSG 30.03.2000, B 12 KR 14/99 R, SozR 3-2400 § 25 Nr 79.

Der Geschäftsführer der Klägerin hat bis zuletzt daran festgehalten, dass er von einer Selbständigkeit des Beigeladenen zu 1) ausgegangen ist. Auch aufgrund der konkreten Einzelheiten des Sachverhalts lässt sich nicht feststellen, dass Geschäftsführer der Klägerin entgegen seinen Beteuerungen den Willen hatte, Beiträge auch dann nicht abzuführen, wenn er davon ausgegangen wäre, dass der Beigeladene zu 1) tatsächlich eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hätte. Zwar musste er schon aufgrund des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens damit rechnen, dass eine Beitragspflicht besteht. Dies allein genügt für die Annahme von Vorsatz jedoch nicht. Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass der Beigeladene zu 1) jedenfalls im Jahr 2003 Einkünfte aus Gewerbebetrieb versteuert hat und beim Finanzamt F. unter einer eigenen Steuernummer mit Dachdecker- und Fassadenarbeiten erfasst war. Dies stützt den Vortrag des Geschäftsführers der Klägerin, der Beigeladenen zu 1) sei ihm gegenüber als Selbständiger aufgetreten. Ab dem 21.04.2005 war der Beigeladene zu 1) ebenfalls wieder unbestritten selbständig tätig. Das Verhalten des Beigeladenen zu 1) ist zudem ausgesprochen widersprüchlich. So hat er einerseits in seinem Schreiben gegenüber dem Finanzamt F. erklärt, wegen des Nichtvorliegens eines Gewerbes keine Rechnungen stellen zu können (Blatt 104 der Verwaltungsakte), andererseits wurden Einkünfte aus Gewerbebetrieb steuerlich geltend gemacht. Es ist somit nicht ausgeschlossen, sondern sogar naheliegend, dass der Beigeladene zu 1) selbst den Eindruck einer selbstständigen Tätigkeit vermitteln wollte und vermittelt hat. Dies wird bestätigt durch das Schreiben des auch im Berufungsverfahren als Zeugen angeB.nen Karl Keppler (Blatt 144 der Strafverfahrensakte), wonach der Beigeladene zu 1) ihm gegenüber als selbstständiger Handwerker aufgetreten sei. Hinzu kommt, dass der Geschäftsführer der Klägerin angegeben hat, die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) mit seinem Steuerberater besprochen zu haben (vgl auch Verfügung des Amtsgericht Nagold vom 11.09.2008, Blatt 140 der Strafverfahrensakte). Eine Vernehmung desselben im Strafverfahren ist letztlich jedoch nicht erfolgt. Die festgestellten Tatsachen reichen nach Auffassung des Senats nicht für die Annahme eine bedingten Vorsatzes aus. Der vom Finanzamt F. geäußerte Verdacht, dass der Geschäftsführer der Klägerin und der Beigeladene zu 1) möglicherweise zusammengewirkt haben, um für die Klägerin überhöhte Betriebsausgaben zu produzieren, genügt für die Feststellung, dass Sozialversicherungsbeiträge vorsätzlich vorenthalten wurden, selbst dann nicht, wenn sich der Verdacht erhärten ließe. Denn ein solches Vorhaben setzt nicht zwangsläufig eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin voraus.

Im Übrigen bestünden auch Bedenken im Hinblick auf die Höhe der geltend gemachten Beiträge. Die Beklagte hat vorliegend die Beiträge anhand der Rechnungen für den Zeitraum vom 08.11.2002 bis zum 30.12.2003 sowie für die Jahre 2004 und 2005 anhand des Terminkalenders berechnet. Diese Unterlagen sind jedoch zur Überzeugung des Senats angesichts der Einlassungen des Beigeladenen zu 1) und der Klägerin im vorangegangenen Ermittlungs-, Straf- und Verwaltungsverfahren nicht geeignet, die tatsächlich geschuldeten und gezahlten Summen zu belegen. Der Senat schließt dies aus der Einlassung des Beigeladenen zu 1) gegenüber dem Finanzamt F. vom 28.07.2006 (Blatt 104/105 der Verwaltungsakte). Dort hat dieser zunächst erklärt, dass er gegenüber dem Geschäftsführer der Klägerin nie Rechnungen gestellt habe, da er wegen Nichtvorliegens eines Gewerbes hierzu nicht berechtigt sei. Er sei stundenweise für die Klägerin tätig gewesen und habe auch Unterschriften leisten müssen, welche als Blankobelege (Quittungen) bezeichnet, vorgelegt worden seien. Anschließend hat der Beigeladene zu 1) im Einzelnen ausgeführt, dass die Rechnungen vom 08.11.2002, 25.11.2002, 06.12.2002 seine Unterschrift tragen würden, jedoch die handschriftlichen Eintragungen nicht vom ihm stammten. Die Summen und Stunden seien alle zu hoch angesetzt, er habe diese Beträge nicht erhalten. Auch bezüglich weiterer Rechnungen hat er ausgeführt, dass diese entweder nur seine Unterschrift tragen würden, die Summe falsch sei oder die handschriftlichen Eintragungen nicht von ihm stammten (Rechnungen aufgeführt Blatt 105 der Verwaltungsakte). Abschließend hat der Beigeladene zu 1) noch erklärt, dass die Rechnungen manipuliert worden seien, da Schreibfehler in seinem Namen und seiner Anschrift auftauchten und die Form der Rechnung nicht den üblichen Anforderungen entspreche. Auch unterschreibe er grundsätzlich Rechnungen nicht. Angesichts dieser Einlassungen kann nach Auffassung des Senats nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Rechnungen die tatsächlich geleisteten Stunden sowie die geschuldeten und gezahlten Entgelte wiedergeben. Auch nach Auffassung des Finanzamtes F. war es angesichts des Vorbringens des Beigeladenen zu 1) fraglich, ob die Summen tatsächlich so geschuldet und gezahlt wurden. Es wurde sogar die Vermutung geäußert, die Klägerin habe mit blanko unterschriebenen Belegen und Unterschriftsfälschungen überhöhte bzw unzutreffende Betriebsausgaben produziert (Blatt 102 der Verwaltungsakte). Auch die Klägerin hat in der Berufungsbegründung vom 02.11.2011 den von der Beklagten zugrunde gelegten Umfang der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bestritten. Die der Beitragsberechnung zugrundeliegenden Unterlagen sind daher nicht ausreichend valide, um die tatsächliche Anzahl der geleisteten Stunden und gezahlten Summen zu belegen. Ob eine Schätzung nach § 28f Abs 2 Satz 3 SGB IV, die von der Beklagten nicht vorgenommen wurde, vom Gericht erfolgen könnte, bedarf keiner Entscheidung, da die Beiträge insgesamt verjährt sind.

Die Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder sie noch die Klägerin zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) bis 4) sind ihr nicht aufzuerlegen, weil diese keine Anträge gestellt und damit auch kein Prozessrisiko auf sich genommen haben (§ 197a Abs 1 SGG iVm §§ 154 Abs 3, 162 Abs 3 VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Gerichtskostengesetz. Die Höhe des Streitwerts entspricht dem im angefochtenen Bescheid geforderten Betrag. Bei der Berechnung des Streitwerts sind über die umstrittene Beitragsforderung hinaus Säumniszuschläge werterhöhend zu berücksichtigen (BSG 10.06.2010, B 2 U 4/10 B, SozR 4-1920 § 43 Nr 1; LSG Baden-Württemberg 26.01.2009, L 10 R 5795/08 W-B).
Rechtskraft
Aus
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