L 3 AS 391/13 B PKH

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 22 AS 2393/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 391/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für eine Klage, in der unter anderem geltend gemacht wird, die seit 1. Januar 2011 geltenden Regelbedarfsregelungen für Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres seien nicht verfassungsgemäß, besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht im prozesskostenhilferechtlichen Sinn.

2. Gleichwohl fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für diese Klageverfahren, weil die Kläger darauf verwiesen werden können, den Ausgang eines bereits anhängigen, sogenannten unechten Musterverfahrens abzuwarten (hier das Verfahren vor dem BVerfG mit dem Az. 1 BvL 10/12).
I. Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 11. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich mit der Beschwerde gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das inzwischen abgeschlossene Klageverfahren.

Den vier Klägern, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 21. März 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26. März 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 14. März 2011 bis zum 31. Juli 2011. Hierbei berücksichtigte er beim Kläger zu 2 Leistungen, die dieser nach dem Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz – AFBG) erhielt, darunter auch den Darlehensanteil in Höhe von 669,00 EUR monatlich. Den hiergegen gerichteten Überprüfungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2012 ab.

Die Kläger haben am 29. Mai 2012 Klage erhoben und zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 11. Januar 2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die vom Beklagten zur Anrechnung der Einkünfte nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (sog. Meister-BAföG) vertretene Rechtsansicht durch die Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 16. Februar 2012 (Az. B 4 AS 94/11 R) bestätigt worden sei. Die von den Klägern gerügte Höhe der Regelleistungen seien nicht evident zu niedrig. Diesbezüglich hat sich das Sozialgericht auf die das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 12. Juli 2012 (Az. B 14 AS 153/11 R) und den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 20. November 2012 (Az. 1 BvR 2203/12) bezogen. Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 11. Januar 2013 unter Verweis auf seine Ausführungen im Urteil vom selben Tag abgelehnt.

Die Kläger haben gegen den ihnen am 15. Februar 2012 zugestellten Beschluss am 18. Februar 2013 Beschwerde eingelegt. Die angekündigte Begründung der Beschwerde ist bislang ebenso wenig eingegangen wie die der Berufung, die gegen das Urteil vom 11. Januar 2013 eingelegt worden ist (Az. L 3 AS 390/13).

Die Kläger beantragen:

Der Beschluss des Sozialgerichtes Chemnitz vom 11. Januar 2013 wird aufge-hoben und den Klägern wird antragsgemäß Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt und Herr Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.

Die Staatskasse und der Beklagte hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Instanzen und die Akte des Landessozialgerichtes Chemnitz zum Verfahren Az. L 3 AS 390/13 Bezug genommen.

II.

1. Über die Beschwerde kann auch noch nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens, hier des Klageverfahrens, entschieden werden (vgl. zur Zulässigkeit einer rückwirkenden Beschwerdeentscheidung nach rechtskräftigem Abschluss des vorausgegangenen Haupt-sacheverfahrens: Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Februar 2010 – L 3 AS 570/09 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 15, m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 10. Januar 2013 – L 3 AS 44/11 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 20, m. w. N.; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 73a Rdnr. 12c; vgl. auch LSG Niedersachsen, Beschluss vom 15. Mai 1995 – L 8 S (Vs) 52/95 – Breithaupt 1995, 735). Denn die Frage, ob die Kläger alles Erforderliche getan haben, um vor Wegfall der Rechtshängigkeit des Hauptsacheverfahrens eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zu erwirken, und die Frage, ob der Bevollmächtigte beigeordnet werden konnte mit der Folge, dass der Anspruch gegen die Staatskasse auf Erstattung von Auslagen und Gebühren gemäß §§ 45 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsan-wältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG) entstehen konnte, betrifft nicht die Zulässigkeit der Beschwerde, sondern deren Begründetheit.

2. Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 11. Januar 2013 ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaft-lichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (vgl. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass das Gericht im Prozesskostenhilfever-fahren die Prüfung der Sach- und Rechtslage nur summarisch vorzunehmen hat und aus Gründen der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten insbesondere bei von Fachgerichten zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten keine allzu überspannten Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2002 – 1 BvR 81/00NJW 2000, 1936 ff.). Damit muss der Erfolg des Rechtsbegehrens nicht gewiss sein. Erfolgsaussichten sind nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen sind (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 13. März 2013 – L 3 AS 538/12 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 10, m. w. N.).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs besaß die Klage bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO.

a) Soweit sich die Kläger dagegen wandten, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung auch den dem Kläger zu 2 darlehensweise gewährten Anteil des sogenannten Meister-BAföG als Einkommen berücksichtigte, wird auf das bereits vor der Klageer-hebung am 29. Mai 2012 ergangene Urteil des Bundessozialgericht vom 16. Februar 2012 (Az. B 4 AS 94/11 R, SozR 4-4200 § 11 Nr. 48) verwiesen. Soweit der Klägerbevollmächtigte im Schriftsatz vom 11. Januar 2013 die Auffassung vertrat, das Bundessozialgericht habe die vom ihm vorgenommene Qualifizierung des Darlehens als Einkommen "nicht ansatzweise begründet", ergibt sich diese Begründung gerade aus den vom Klägerbevollmächtigten zitierten Randnummern 18 ff. des Urteils vom 16. Februar 2012. Im Übrigen ist in Bezug auf diese Rechtsfrage auch auf die Ausführungen des erkennenden Senates im Urteil vom 31. März 2011, das der Revisionsentscheidung zugrunde lag, zu verweisen (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 31. März 2011– L 3 AS 140/09 – JURIS-Dokument Rdnr. 34 ff.).

b) Soweit die Kläger geltend machen, die seit 1. Januar 2011 geltenden Regelungen über die Höhen der Regelbedarfe seien mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, konnte der Klage eine hinreichende Erfolgsaussicht im Prozesskostenhilferechtlichen Verfahren nicht abgesprochen werden. Zwar vertrat das Bundessozialgericht im Urteil vom 12. Juli 2012 die Auffassung, dass die Höhe des Regelbedarfes für Alleinstehende nach dem SGB II für die Zeit ab 1. Januar 2011 nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden sei (vgl. BSG, Urteilt vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 153/11 R – SozR 4-4200 § 20 Nr. 17 = ZFSH/SGB 2013, 37 ff. = NZS 2013, 108 ff.). Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. November 2012 – 1 BvR 2203/12 – [n. v.]). Allerdings liegt noch keine höchstricherliche Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfsregelungen für Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres vor. Auch das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit dem Az. 1 BvL 10/12, das auf den Vorlagebeschluss des Sozialgerichtes Berlin vom 25. April 2012 (Az. S 55 AS 9238/12, ZFSH/SGB 2012, 345 ff.) zurückgeht, ist noch anhängig. Diese Rechtsfrage ist aber für die in den Jahren 2005 und 2010 geborenen Kläger zu 3 und 4 und damit im Ergebnis für die Leistungsberechnung sämtlicher vier Kläger von Bedeutung.

Obwohl danach die Klage hinreichende Erfolgsaussicht besaß, fehlte den Klägern gleichwohl das Rechtsschutzbedürfnis für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes kann ein Rechtsschutzsuchender darauf verwiesen werden, den Ausgang eines bereits anhängigen, sogenannten unechten Musterverfahrens, das heißt eines anderen Verfahrens mit derselben Rechtsfrage, abzuwarten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. November 2009 – 1 BvR 2455/08NJW 2010, 988 = JURIS-Dokument Rdnr. 10 f.). Bis zum Abschluss des sogenannten unechten Musterverfahrens ist die Beiordnung eines Rechtsanwaltes nicht erforderlich im Sinne von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO. Für eine das Klagever-fahren betreffende rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Beiordnung eines Rechtsanwaltes besteht in einem gerichtskostenfreien Verfahren aber kein Rechtsschutzinteresse. Denn neben der Freistellung des Klägers von den Vergütungsansprüchen eines Rechtsanwaltes bewirkt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 122 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO, dass die Gerichtskosten grundsätzlich nicht mehr gegenüber dem Kläger geltend gemacht werden können, und dass die Partei von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten befreit ist. Für keine dieser Varianten sind hier die Voraussetzungen gegeben. Das Klageverfahren war für die Kläger als Leistungsempfänger gemäß § 183 Satz 1 SGG gerichtskostenfrei. Die Auf-wendungen des beklagten Jobcenters sind gemäß § 193 Abs. 4 SGG i. V. m. § 184 Abs. 1 SGG nicht erstattungsfähig. Eine Verpflichtung der Kläger zur Sicherheitsleistung für die Prozesskosten bestand nicht (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 10. Januar 2013 – L 3 AS 44/11 B PKH – JURIS-Dokument Rdnr. 27). Auch können sogenannte Allgemeinkosten der Prozessführung wie Porto, Telefonkosten und Schreibauslagen, die einem hilfebedürftigen Beteiligten entstandene sind, im Falle der Prozesskostenhilfebewilligung nicht als "Gerichtskosten" übernommen werden (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 10. Januar 2013, a. a. O., Rdnr. 28, m. w. N.).

3. Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei (vgl. § 183 SGG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (vgl. § 202 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 177 SGG).

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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