Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 2504/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 5290/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 06. November 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als - wie bislang - 50 sowie des Merkzeichens "G" (gehbehindert).
Bei der am 29.03.1965 geborenen Klägerin wurde zuletzt durch Bescheid vom 29.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2010 ein GdB von 50 festgestellt. Mit weiterem Bescheid vom 19.08.2010, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 08.11.2010, wurde ein Antrag der Klägerin auf Feststellung des Merkzeichens "G" abgelehnt.
Am 11.07.2011 beantragte die Klägerin erneut Neufeststellungsantrag Feststellung des Merkzeichens "G". Nach Einholung medizinischer Unterlagen, darunter die Gutachten von Dr. G. vom 27.11.2009 (eingeholt von der Deutschen Rentenversicherung [DRV] Baden-Württemberg) und von Dr. W. vom 12.05.2011 (eingeholt vom Sozialgericht Stuttgart in dem Verfahren S 17 R 3886/10) lehnte das Landratsamt E. (LRA) als Versorgungsamt den Antrag mit Bescheid vom 06.10.2011 ab. Der GdB habe sich nicht verändert. Die Voraussetzungen zur Feststellung des Merkzeichens "G" seien nicht erfüllt seien. In der diesem Bescheid zugrunde liegenden versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.10.2011 hatte Dr. L. folgende Behinderungen und Teil-GdB genannt: Depression, Psychovegetative Störungen, Chronisches Schmerzsyndrom, Funktionelle Organbeschwerden (30), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelgleiten, Nervenwurzelreizerschei¬nungen, Bandscheibenschaden, Spinalkanalstenose (30), Verlust der Gebärmutter (10), Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes, operiert (10).
Den nicht weiter begründeten Widerspruch der Klägerin wies das Regierungspräsidium Stuttgart als Landesversorgungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2012 zurück.
Die Klägerin hat am 30.04.2012 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Eine Begründung erfolgte trotz mehrerer Nachfragen nicht. Mit Schreiben vom 03.09.2012, dem Bevollmächtigten der Klägerin am 05.09.2012 zugestellt, hat das SG nach § 106a Abs. 1 und Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bis zum 28.09.2012 gesetzt und auf die gesetzlichen Folgen einer Fristversäumnis hingewiesen. Auf den Inhalt des Schreibens wird verwiesen.
Nach entsprechender Ankündigung vom 04.10.2012 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 06.11.2012 die Klage abgewiesen. Es hat hierin die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) einschließlich der medizinischen Anforderungen an einzelne GdB-Werte und die rechtlichen Voraussetzungen der Bildung eines Gesamt-GdB nach den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) aus der Anlage zu der nach § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) sowie die Voraussetzungen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" (§§ 145 Abs. 1, 146 Abs. 1 SGB IX) ausführlich dargelegt. In der Sache hat es die Bewertung der einzelnen Behinderungen der Klägerin nach der Versorgungsmedizinischen Stellungnahme von Dr. L. gebilligt. Zur Bildung des Gesamt-GdB hat es ausgeführt, leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Teil-GdB von 10 seien nicht und solche mit einem Teil-GdB von 20 vielfach nicht für eine Erhöhung heranzuziehen; hiernach erscheine der Gesamt-GdB von angemessen und ausreichend, zumal sich die Funktionsbeeinträchtigungen am Bewegungsapparat und die somatoforme Schmerzstörung in ihren Auswirkungen erheblich überschnitten. Das Merkzeichen "G" könne nicht zugebilligt werden. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule seien bereits mit dem GdB von 30 großzügig bewertet. Eine weitreichende Herabsetzung des Gehvermögens sei auch nach dem Gutachten von Dr. W. nicht zu erkennen, zumal die Klägerin jenem Gutachter gegenüber angegeben habe, sie könne - mit Mühe - ihren Arbeitsplatz zu Fuß erreichen.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihrem Prozessbevollmächtigten am 12.11.2012 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 12.12.2012 bei dem SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Nachdem die Berufung trotz mehrfacher Erinnerung nicht begründet worden ist, hat der Senat unter dem 21.03.2013 auf die Fortwirkungen der Präklusionsandrohungen erster Instanz hingewiesen und Hinweise zur Sache gegeben.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 06. November 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 06. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2012 zu verpflichten, bei der Klägerin einen höheren Grad der Behinderung als 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens (Nachteilsausgleichs) "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hat sich unter dem 25.04.2013, die Klägerin mit Schriftsatz vom 21.05.2013 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter allein ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
1. Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet nach § 155 Abs. 3, Abs. 4, § 124 Abs. 2 SGG der Berichterstatter allein durch Urteil im schriftlichen Verfahren.
2. Die Berufung ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1, §§ 143 f.) und auch sonst zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig; der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Feststellung eines höheren GdB (§§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X], 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) und des Merkzeichens "G" (§§ 145, 146 SGB IX) nicht zu.
3. Zur Begründung verweist der Senat, auch zur Vermeidung von Wiederholungen, nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid. Hierbei lässt der Senat offen, ob die VG, soweit sie Regelungen zum Merkzeichen "G" enthalten, mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage (§ 30 Abs. 17 BVG) teilweise nichtig sind. Jedenfalls ergäben sich auch nach den VG für das Merkzeichen G keine anderen Kriterien als sie das SG unter weiterer Heranziehung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit " (AHP) gewonnen hat.
4. Ergänzend sind zum Gesamt-GdB lediglich folgende Punkte anzumerken:
a) Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule sind zutreffend mit einem GdB von 30 bewertet. Nach Teil B Nr. 18.9 VG bedingen schwere funktionelle Auswirkungen in einem oder mittlere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB von 30, schwere funktionelle Auswirkungen in zwei WS-Abschnitten können mit einem GdB von 40 bewertet werden, ein GdB von 50 und ggfs. mehr kommt erst bei besonders schweren Auswirkungen, z. B. einer Versteifung großer Teile der Wirbelsäule oder einer Ruhigstellung aller drei WS-Abschnit¬te oder einer schweren Skoliose in Betracht. Bei der Klägerin liegen nach den Angaben des behandelnden Orthopäden Dr. R. im Verwaltungsverfahren und vor allem den Ausführungen des von der DRV Baden-Württemberg erhobenen Gutachtens des Chirurgen Dr. G., das der Senat als öffentliche Urkunde verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG, §§ 415, 418 Zivilprozessordnung [ZPO]), allenfalls an der Hals- und an der Lendenwirbelsäule mittelgradige Auswirkungen, wobei die Beeinträchtigungen an der HWS etwas schwerer erscheinen. Dort bestehen end- bis mittelgradige Bewegungseinschränkungen der Seit-, Vor- und Rückwärtsneigung des Kopfes, eine Verengung des Spinalkanals und nicht ausschließbar radikuläre Reizungen mit Auswirkungen in die oberen Gliedmaßen (Taubheit der Hände). An der LWS konnten ebenfalls end- bis mittelgradige Bewegungseinschränkungen festgestellt werden, dazu jedoch allenfalls geringfügige Ausstrahlungen in die unteren Gliedmaßen, jedoch keine neurologischen Ausfallerscheinungen.
b) Wie bereits in dem Schreiben vom 21.03.2013 ausgeführt, kann dagegen auf psychiatrischem Gebiet eventuell auch ein GdB von 40 angenommen werden, jedoch nicht ein solcher von 50. Nach Teil B Nr. 3.7 VG ist für einen GdB von 30 bis 40 bereits eine stärker behindernde Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, z. B. eine ausgeprägtere depressive Störung oder eine entsprechende somatoforme Störung, notwendig. Ein GdB von 50 und mehr setzt dagegen - hierin liegt ein deutlicher qualitativer Sprung - eine schwere Störung, z. B. eine schwere Zwangskrankheit mit mindestens mittelgradigen sozialen, also die Teilhabe in der allgemeinen Gesellschaft betreffenden, Anpassungsschwierigkeiten, voraus. Bei der Klägerin kann eventuell eine stärker behindernde Störung im oberen Bereich der Spanne angenommen werden. Bei ihr besteht nicht allein eine rezidivierende depressive Erkrankung, die immerhin zur Zeit der Begutachtung bei Dr. W. am 23.03.2011 eine mittelgradige Episode zeigte (F33.1 nach der ICD-10, der Internationalen Klassifikation der Krankheiten der WHO). Hinzu kommen eine Angsterkrankung bei posttraumatischer Belastungsstörung (F41.1, F43.1) und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.41). Diese ist wegen ihrer ausdrücklichen Erwähnung bei Teil B Nr. 3.7 VG bei den psychischen Erkrankungen mit zu berücksichtigen. Erst eine Fibromyalgie oder dgl. ist nach der Neufassung bei Teil B Nr. 18.14 VG durch die 1. VersMedV-ÄndV vom 01.03.2010 nicht mehr zwingend als psychische Erkrankung einzustufen. Diese verschiedenen Formen psychischer Erkrankungen wirken auch auf mehrere der psychischen Leidensdimensionen ein. Im Vordergrund steht bei der Klägerin die physische Dimension, nämlich die empfundenen erheblichen und dauerhaften Schmerzen. Aber auch die psychische Dimension ist beeinträchtigt, wie sich an den doch erheblichen Einschränkungen im Tagesablauf und in der Fähigkeit zur Lebensgestaltung ausdrückt. Die soziale Dimension ist etwas weniger betroffen, die Klägerin verfügt noch über Kontakte zur Familie und nimmt z. B. über das Radio am gesellschaftlichen Leben teil. Immerhin haben im Wesentlichen die psychischen Beeinträchtigungen auch zu der Einstufung der Klägerin als voll erwerbsgemindert geführt. Dagegen sind die Voraussetzungen einer schweren Erkrankung, vor allem einer schweren Zwangserkrankung, mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten, noch nicht zu erkennen, wie sich auch an den genannten Kontakten und dem durchaus offenen und kooperativen Verhalten der Klägerin bei den verschiedenen Begutachtungssituationen zeigt.
c) Gleichwohl ist ein höherer GdB als 50 auch dann nicht festzustellen, wenn für die psychischen Beeinträchtigungen ein Teil-GdB von 40 angenommen würde.
Weitere Teil-GdB als die beiden genannten sind für die Bildung des Gesamt-GdB nicht heranzuziehen, weil sie jedenfalls nicht höher liegen als 10 (vgl. Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG). Der Verlust der Gebärmutter bedingt bei der Klägerin, da nicht in jüngerem Alter mit bestehendem Kinderwunsch, keinen GdB (Teil B Nr. 14.2 VG), zumal der Hysterektomie auch ein Myom und kein maligner Tumor zu Grunde lag. Die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks nach Operation bedingt nach Teil B Nr. 18.13 VG gerade eben einen GdB von 10, da die Seitwärtshebung des Arms rechts noch - genau - bis 120° möglich ist und gegenüber links (130°) nur geringfügig eingeschränkt ist, wie sich aus dem Gutachten von Dr. G. ergibt.
Aus den demnach zu berücksichtigenden Teil-GdB von 30 und ggfs. 40 kann nur ein Gesamt-GdB von 50 gebildet werden. Nach Teil A Nr. 3 Buchstabe c VG ist bei der Klägerin auch der höchste GdB von ggfs. 40 nur um 10 und nicht um 20 Punkte zu erhöhen, wenn man den GdB von 30 für die Wirbelsäulenbeschwerden einbezieht. Es besteht eine ganz erheblicher Überschneidung der Auswirkungen beider Behinderungsbereiche, die sich in der Schmerzerkrankung zeigt, die orthopädischerseits als Reizerscheinungen in die oberen und ggfs. die unteren Gliedmaßen und auf psychiatrischem Gebiet als somatoforme Schmerzstörung zeigt.
d) Weitere Beeinträchtigungen sind nicht zu berücksichtigen, nachdem die Klägerin hierzu - trotz einer Präklusionsfrist nach § 106a Abs. 1 SGG - nicht vorgetragen hat.
5. Für das Merkzeichen "G" ist lediglich entsprechend auszuführen, dass bei der Klägerin nicht nur erhebliche Einschränkungen des Gehvermögens überhaupt fehlen, sondern auch, dass die vorhandenen Einschränkungen nicht auf somatischen Beeinträchtigungen der unteren Gliedmaßen und auch nicht auf Erkrankungen mit Anfallscharakter oder Sturzgefahren beruhen, sondern ggfs. auf der psychischen Erkrankung der Klägerin, die dazu führt, dass sie das Haus nicht verlassen mag.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus § 193 SGG.
7. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 ) sind nicht ersichtlich.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als - wie bislang - 50 sowie des Merkzeichens "G" (gehbehindert).
Bei der am 29.03.1965 geborenen Klägerin wurde zuletzt durch Bescheid vom 29.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2010 ein GdB von 50 festgestellt. Mit weiterem Bescheid vom 19.08.2010, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 08.11.2010, wurde ein Antrag der Klägerin auf Feststellung des Merkzeichens "G" abgelehnt.
Am 11.07.2011 beantragte die Klägerin erneut Neufeststellungsantrag Feststellung des Merkzeichens "G". Nach Einholung medizinischer Unterlagen, darunter die Gutachten von Dr. G. vom 27.11.2009 (eingeholt von der Deutschen Rentenversicherung [DRV] Baden-Württemberg) und von Dr. W. vom 12.05.2011 (eingeholt vom Sozialgericht Stuttgart in dem Verfahren S 17 R 3886/10) lehnte das Landratsamt E. (LRA) als Versorgungsamt den Antrag mit Bescheid vom 06.10.2011 ab. Der GdB habe sich nicht verändert. Die Voraussetzungen zur Feststellung des Merkzeichens "G" seien nicht erfüllt seien. In der diesem Bescheid zugrunde liegenden versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.10.2011 hatte Dr. L. folgende Behinderungen und Teil-GdB genannt: Depression, Psychovegetative Störungen, Chronisches Schmerzsyndrom, Funktionelle Organbeschwerden (30), Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Wirbelgleiten, Nervenwurzelreizerschei¬nungen, Bandscheibenschaden, Spinalkanalstenose (30), Verlust der Gebärmutter (10), Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenkes, operiert (10).
Den nicht weiter begründeten Widerspruch der Klägerin wies das Regierungspräsidium Stuttgart als Landesversorgungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2012 zurück.
Die Klägerin hat am 30.04.2012 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Eine Begründung erfolgte trotz mehrerer Nachfragen nicht. Mit Schreiben vom 03.09.2012, dem Bevollmächtigten der Klägerin am 05.09.2012 zugestellt, hat das SG nach § 106a Abs. 1 und Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bis zum 28.09.2012 gesetzt und auf die gesetzlichen Folgen einer Fristversäumnis hingewiesen. Auf den Inhalt des Schreibens wird verwiesen.
Nach entsprechender Ankündigung vom 04.10.2012 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 06.11.2012 die Klage abgewiesen. Es hat hierin die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) einschließlich der medizinischen Anforderungen an einzelne GdB-Werte und die rechtlichen Voraussetzungen der Bildung eines Gesamt-GdB nach den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) aus der Anlage zu der nach § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) sowie die Voraussetzungen für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" (§§ 145 Abs. 1, 146 Abs. 1 SGB IX) ausführlich dargelegt. In der Sache hat es die Bewertung der einzelnen Behinderungen der Klägerin nach der Versorgungsmedizinischen Stellungnahme von Dr. L. gebilligt. Zur Bildung des Gesamt-GdB hat es ausgeführt, leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Teil-GdB von 10 seien nicht und solche mit einem Teil-GdB von 20 vielfach nicht für eine Erhöhung heranzuziehen; hiernach erscheine der Gesamt-GdB von angemessen und ausreichend, zumal sich die Funktionsbeeinträchtigungen am Bewegungsapparat und die somatoforme Schmerzstörung in ihren Auswirkungen erheblich überschnitten. Das Merkzeichen "G" könne nicht zugebilligt werden. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule seien bereits mit dem GdB von 30 großzügig bewertet. Eine weitreichende Herabsetzung des Gehvermögens sei auch nach dem Gutachten von Dr. W. nicht zu erkennen, zumal die Klägerin jenem Gutachter gegenüber angegeben habe, sie könne - mit Mühe - ihren Arbeitsplatz zu Fuß erreichen.
Gegen diesen Gerichtsbescheid, der ihrem Prozessbevollmächtigten am 12.11.2012 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 12.12.2012 bei dem SG Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Nachdem die Berufung trotz mehrfacher Erinnerung nicht begründet worden ist, hat der Senat unter dem 21.03.2013 auf die Fortwirkungen der Präklusionsandrohungen erster Instanz hingewiesen und Hinweise zur Sache gegeben.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 06. November 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 06. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2012 zu verpflichten, bei der Klägerin einen höheren Grad der Behinderung als 50 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens (Nachteilsausgleichs) "G" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hat sich unter dem 25.04.2013, die Klägerin mit Schriftsatz vom 21.05.2013 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter allein ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
1. Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet nach § 155 Abs. 3, Abs. 4, § 124 Abs. 2 SGG der Berichterstatter allein durch Urteil im schriftlichen Verfahren.
2. Die Berufung ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1, §§ 143 f.) und auch sonst zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig; der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Feststellung eines höheren GdB (§§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X], 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) und des Merkzeichens "G" (§§ 145, 146 SGB IX) nicht zu.
3. Zur Begründung verweist der Senat, auch zur Vermeidung von Wiederholungen, nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des SG in dem angegriffenen Gerichtsbescheid. Hierbei lässt der Senat offen, ob die VG, soweit sie Regelungen zum Merkzeichen "G" enthalten, mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage (§ 30 Abs. 17 BVG) teilweise nichtig sind. Jedenfalls ergäben sich auch nach den VG für das Merkzeichen G keine anderen Kriterien als sie das SG unter weiterer Heranziehung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit " (AHP) gewonnen hat.
4. Ergänzend sind zum Gesamt-GdB lediglich folgende Punkte anzumerken:
a) Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule sind zutreffend mit einem GdB von 30 bewertet. Nach Teil B Nr. 18.9 VG bedingen schwere funktionelle Auswirkungen in einem oder mittlere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB von 30, schwere funktionelle Auswirkungen in zwei WS-Abschnitten können mit einem GdB von 40 bewertet werden, ein GdB von 50 und ggfs. mehr kommt erst bei besonders schweren Auswirkungen, z. B. einer Versteifung großer Teile der Wirbelsäule oder einer Ruhigstellung aller drei WS-Abschnit¬te oder einer schweren Skoliose in Betracht. Bei der Klägerin liegen nach den Angaben des behandelnden Orthopäden Dr. R. im Verwaltungsverfahren und vor allem den Ausführungen des von der DRV Baden-Württemberg erhobenen Gutachtens des Chirurgen Dr. G., das der Senat als öffentliche Urkunde verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG, §§ 415, 418 Zivilprozessordnung [ZPO]), allenfalls an der Hals- und an der Lendenwirbelsäule mittelgradige Auswirkungen, wobei die Beeinträchtigungen an der HWS etwas schwerer erscheinen. Dort bestehen end- bis mittelgradige Bewegungseinschränkungen der Seit-, Vor- und Rückwärtsneigung des Kopfes, eine Verengung des Spinalkanals und nicht ausschließbar radikuläre Reizungen mit Auswirkungen in die oberen Gliedmaßen (Taubheit der Hände). An der LWS konnten ebenfalls end- bis mittelgradige Bewegungseinschränkungen festgestellt werden, dazu jedoch allenfalls geringfügige Ausstrahlungen in die unteren Gliedmaßen, jedoch keine neurologischen Ausfallerscheinungen.
b) Wie bereits in dem Schreiben vom 21.03.2013 ausgeführt, kann dagegen auf psychiatrischem Gebiet eventuell auch ein GdB von 40 angenommen werden, jedoch nicht ein solcher von 50. Nach Teil B Nr. 3.7 VG ist für einen GdB von 30 bis 40 bereits eine stärker behindernde Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, z. B. eine ausgeprägtere depressive Störung oder eine entsprechende somatoforme Störung, notwendig. Ein GdB von 50 und mehr setzt dagegen - hierin liegt ein deutlicher qualitativer Sprung - eine schwere Störung, z. B. eine schwere Zwangskrankheit mit mindestens mittelgradigen sozialen, also die Teilhabe in der allgemeinen Gesellschaft betreffenden, Anpassungsschwierigkeiten, voraus. Bei der Klägerin kann eventuell eine stärker behindernde Störung im oberen Bereich der Spanne angenommen werden. Bei ihr besteht nicht allein eine rezidivierende depressive Erkrankung, die immerhin zur Zeit der Begutachtung bei Dr. W. am 23.03.2011 eine mittelgradige Episode zeigte (F33.1 nach der ICD-10, der Internationalen Klassifikation der Krankheiten der WHO). Hinzu kommen eine Angsterkrankung bei posttraumatischer Belastungsstörung (F41.1, F43.1) und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung (F45.41). Diese ist wegen ihrer ausdrücklichen Erwähnung bei Teil B Nr. 3.7 VG bei den psychischen Erkrankungen mit zu berücksichtigen. Erst eine Fibromyalgie oder dgl. ist nach der Neufassung bei Teil B Nr. 18.14 VG durch die 1. VersMedV-ÄndV vom 01.03.2010 nicht mehr zwingend als psychische Erkrankung einzustufen. Diese verschiedenen Formen psychischer Erkrankungen wirken auch auf mehrere der psychischen Leidensdimensionen ein. Im Vordergrund steht bei der Klägerin die physische Dimension, nämlich die empfundenen erheblichen und dauerhaften Schmerzen. Aber auch die psychische Dimension ist beeinträchtigt, wie sich an den doch erheblichen Einschränkungen im Tagesablauf und in der Fähigkeit zur Lebensgestaltung ausdrückt. Die soziale Dimension ist etwas weniger betroffen, die Klägerin verfügt noch über Kontakte zur Familie und nimmt z. B. über das Radio am gesellschaftlichen Leben teil. Immerhin haben im Wesentlichen die psychischen Beeinträchtigungen auch zu der Einstufung der Klägerin als voll erwerbsgemindert geführt. Dagegen sind die Voraussetzungen einer schweren Erkrankung, vor allem einer schweren Zwangserkrankung, mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten, noch nicht zu erkennen, wie sich auch an den genannten Kontakten und dem durchaus offenen und kooperativen Verhalten der Klägerin bei den verschiedenen Begutachtungssituationen zeigt.
c) Gleichwohl ist ein höherer GdB als 50 auch dann nicht festzustellen, wenn für die psychischen Beeinträchtigungen ein Teil-GdB von 40 angenommen würde.
Weitere Teil-GdB als die beiden genannten sind für die Bildung des Gesamt-GdB nicht heranzuziehen, weil sie jedenfalls nicht höher liegen als 10 (vgl. Teil A Nr. 3 Buchstabe d Doppelbuchstabe ee Satz 1 VG). Der Verlust der Gebärmutter bedingt bei der Klägerin, da nicht in jüngerem Alter mit bestehendem Kinderwunsch, keinen GdB (Teil B Nr. 14.2 VG), zumal der Hysterektomie auch ein Myom und kein maligner Tumor zu Grunde lag. Die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks nach Operation bedingt nach Teil B Nr. 18.13 VG gerade eben einen GdB von 10, da die Seitwärtshebung des Arms rechts noch - genau - bis 120° möglich ist und gegenüber links (130°) nur geringfügig eingeschränkt ist, wie sich aus dem Gutachten von Dr. G. ergibt.
Aus den demnach zu berücksichtigenden Teil-GdB von 30 und ggfs. 40 kann nur ein Gesamt-GdB von 50 gebildet werden. Nach Teil A Nr. 3 Buchstabe c VG ist bei der Klägerin auch der höchste GdB von ggfs. 40 nur um 10 und nicht um 20 Punkte zu erhöhen, wenn man den GdB von 30 für die Wirbelsäulenbeschwerden einbezieht. Es besteht eine ganz erheblicher Überschneidung der Auswirkungen beider Behinderungsbereiche, die sich in der Schmerzerkrankung zeigt, die orthopädischerseits als Reizerscheinungen in die oberen und ggfs. die unteren Gliedmaßen und auf psychiatrischem Gebiet als somatoforme Schmerzstörung zeigt.
d) Weitere Beeinträchtigungen sind nicht zu berücksichtigen, nachdem die Klägerin hierzu - trotz einer Präklusionsfrist nach § 106a Abs. 1 SGG - nicht vorgetragen hat.
5. Für das Merkzeichen "G" ist lediglich entsprechend auszuführen, dass bei der Klägerin nicht nur erhebliche Einschränkungen des Gehvermögens überhaupt fehlen, sondern auch, dass die vorhandenen Einschränkungen nicht auf somatischen Beeinträchtigungen der unteren Gliedmaßen und auch nicht auf Erkrankungen mit Anfallscharakter oder Sturzgefahren beruhen, sondern ggfs. auf der psychischen Erkrankung der Klägerin, die dazu führt, dass sie das Haus nicht verlassen mag.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens folgt aus § 193 SGG.
7. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 ) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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