L 7 AS 251/13 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 54 AS 549/13 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 251/13 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Rechtsschutz gegen eine Kostensenkungsaufforderung besteht im Regelfall nicht. Dies gilt sowohl für das Hauptsacheverfahren als auch den einstweiligen Rechtsschutz
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 9. April 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Kostensenkungsaufforderung nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II durch den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bg).

Der Bf ist seit 21.07.2005 im Leistungsbezug nach dem SGB II. Nachdem mit Wirkung zum 01.11.2012 die Kaltmiete für die 43 m² große Wohnung des Bf in der A-Straße, A-Stadt von 475 EUR auf 543 EUR erhöht worden war (der Nebenkostenabschlag in Höhe von 50 EUR monatlich sowie der Heizkostenkostenabschlag in Höhe von ebenfalls 50 EUR monatlich blieben gleich), bewilligte der Bg zunächst mit Änderungsbescheid für den bis zum 31.01.2013 laufenden Bewilligungszeitraum die erhöhte Grundmiete von 543 EUR für die Zeit vom 01.11.2012 bis 31.01.2013, also unter Einbezug der beiden Pauschalen von jeweils 50 EUR Gesamtkosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 643 EUR monatlich. Auch für den laufenden Bewilligungszeitraum vom 01.02.2013 bis 31.06.2013 bewilligte der Bg dem Bf mit Bescheid vom 18.01.2013 Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 643 EUR monatlich.

Gleichzeitig mit dem Bewilligungsbescheid vom 18.01.2013 für den laufenden Zeitraum erhielt der Bf vom Bg ein Schreiben mit Datum vom 18.01.2013, mit dem der Bf vom Bg aufgefordert wurde, die Mietkosten bis zum 01.02.2014 zu senken. Die Kaltmiete in Höhe von 543 EUR liege um 93,79 EUR über der nach Auffassung des Bg derzeit angemessenen Mietobergrenze in Höhe von 449,21 EUR. In dem Schreiben worden dem Bf sämtliche Möglichkeiten der Mietkostenreduktion aufgezeigt und der Bf darüber informiert, dass er sich sofort intensiv um die Senkung seiner Unterkunftskosten zu bemühen habe. Für die Wohnungssuche werde ihm eine Frist bis zum 01.02.2014 gewährt. Der Bf müsse allerdings ab 01.02.2013 jeden Monat am Monatsende die Bemühungen zur Absenkung der Mietkosten nachweisen, insbesondere acht konkrete Wohnungssuchen, erstmalig am 15.03.2013.

Am 05.03.2013 erhob der Bf Unterlassungsklage zum Sozialgericht München, anhängig unter S 54 AS 554/13, und stellte zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit folgenden Anträgen:

1. Dem Antragsgegner und Beklagten wird einstweilig und darüber hinaus, solange es der M. Mietmarkt gebietet, aufgegeben, es zu unterlassen, mich aufzufordern und von mir zu verlangen, dass ich eine Wohnung in der mit Urteil LSG München vom 11.07.2012, Az.: L 16 AS 127/10 erlaubten Größe "um 50 qm" für höchstens 449,21 EUR monatlich kalt suche und dies monatlich dem Antragsgegner und Beklagten nachweise.
2. Dem Antragsgegner und Beklagten wird einstweilig und dauerhaft aufgegeben, es zu unterlassen, mich aufzufordern und von mir zu verlangen, dass ich meine derzeitige Wohnung in der angemessenen Größe von 43 qm aufgebe und stattdessen eine kleinere Wohnung suche.
3. Dem Antragsgegner und Beklagten wird einstweilig und darüber hinaus, solange es der M. Mietmarkt gebietet, aufgegeben, es zu unterlassen, eine Frist gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zur Senkung der Unterkunftskosten anlaufen zu lassen.

Der Bf ist der Auffassung, er sei mit dem Schreiben vom 18.01.2013 vom Bg zu einer zeit- und kostenaufwändigen und zugleich aus seiner Sicht völlig sinnlosen Wohnungssuche gezwungen worden. Das Wohnungsamt der Stadt A-Stadt habe mit Schreiben vom 23.10.2013 festgestellt, dass eine Miete von 543 EUR kalt im unteren Bereich des Mietmarktes läge. Die Unmöglichkeit einer Wohnungssuche auf der Basis von 449,21 EUR Kaltmiete werde durch Recherchen bei Immobilienscout24.de bestätigt. Das von ihm bewohnte Stadtviertel sei nicht teurer als andere. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sei auch berechtigt, da sozialgerichtliche Verfahren erfahrungsgemäß etwa fünf Jahre dauern und der Bg bereits ab 01.02.2014 die volle Miete nicht mehr zahlen wolle. Außerdem laufe seit 01.02.2013 eine Frist nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, die umgehend gestoppt werden müsse, damit er keinen Nachteil erleide.

Das SG wies die Anträge mit Beschluss vom 9. April 2013 ab.
Es bestünde kein Anordnungsgrund. Angesichts der großzügigen Schonfrist von einem Jahr, die über die gesetzlich vorgesehene Frist von sechs Monaten hinausginge, bestünde schon keine Notwendigkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Im Übrigen habe der Bf die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes, wenn die Kosten der Unterkunft ab 01.02.2014 tatsächlich abgesenkt würden.
Ein Anordnungsanspruch sei jedenfalls nicht gegeben.
Ein fehlerhaftes Kostensenkungsaufforderungsschreiben führe nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.02.2009 Aktenzeichen B 4 AS 30/08 R) dazu, dass der Grundsicherungsträger zur Übernahme der zu hohen Kosten der Unterkunft verpflichtet bleibe, bis die durch das fehlerhafte Schreiben verursachte Unmöglichkeit von Kostensenkungsmaßnahmen beseitigt werde. Hier könne der Bf den Einwand zu niedrig eingesetzter Mietobergrenzen im Rahmen eines Rechtsstreits über die Verpflichtung zur Übernahme unangemessener Kosten der Unterkunft über den 31.01.2014 hinaus vorbringen. Nicht begehrt werden könne vom Bf die Freistellung von jeglichen Wohnungssuchungsbemühungen. Dies gelte umso mehr, als der Nachweis erfolgloser Wohnungssuchungsbemühungen im Interesse des Bf läge und ihn vor den negativen Folgen der Kürzung der Kosten der Unterkunft schützen solle. Es liege kein widerrechtlicher Eingriff in die Rechte des Bf vor, der zu einem Unterlassungsanspruch führen würde.

Hiergegen hat der Bf Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Aus dem Beschluss des LSG NRW vom 11.11.2005, Aktenzeichen L 19 B 88/05 AS ER, ergebe sich, dass eine vorbeugende Unterlassungsklage im Hinblick auf eine Kostensenkungsaufforderung zulässig sei. Durch die Auferlegung der Pflicht, sich monatlich um eine Wohnung zu bemühen und dies nachzuweisen, verliere er Geld. Eine Kostenübernahme für die Kosten der Wohnungssuche habe der Bg mit Bescheid vom 15.04.2013 abgelehnt.

Der Bg hält seine Vorgehensweise für rechtmäßig.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Der Bf hat keinen Anspruch auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b SGG im Sinne der von ihm gestellten Anträge. Das Sozialgericht wird im Hauptsacheverfahren zu klären haben, welche Ziele der Bf mit seinen Anträgen letztlich verfolgt und ggf. auf entsprechend zielführende Anträge hinwirken müssen.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung scheitert - ohne dass es derzeit einer weiteren Präzisierung der Anträge bedürfte - schon daran, dass Eilbedürftigkeit nicht ersichtlich ist. Das SG hat zu Recht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes verneint. Der Bf hat nicht substantiiert dargelegt, weshalb schon zum jetzigen Zeitpunkt eine einstweilige Regelung notwendig sein soll. Ein Erfahrungssatz, dass erstinstanzliche sozialgerichtliche Verfahren fünf Jahre dauern würden, gibt es nicht und ist auch statistisch nicht belegbar.

Zudem fehlt es an einem qualifizierten Rechtsschutzinteresse, um eine gegenwärtige Notlage des Bf zu vermeiden (vgl. BayLSG, Beschluss vom 20.12.2012, L 7 AS 862/12 B ER). Der Bf kann seiner Kostensenkungsobliegenheit nachkommen oder auch nicht. Die künftige Kostensenkung durch den Bg muss nicht jetzt verhindert werden (vgl. BayLSG, aaO., Rz 17 zur Verhängung von Sanktionen bei Nichterfüllung von Pflichten). Einstweiliger Rechtsschutz hat nicht die Aufgabe, Rechtsfragen zu klären, die mit einer gegenwärtigen Notlage nichts zu tun haben (BayLSG, aaO., Rz 17). Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Bf hier nicht auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden könnte (BayLSG, aaO., Rz 16).

Im Übrigen ist auch bei weitestgehender Auslegung der Anträge des Bf kein Anordnungsanspruch ersichtlich.

Soweit der Bf bezüglich der konkreten Kostensenkungsaufforderung vorbeugende Unterlassung begehrt, ist dieser Antrag an sich schon nicht zielführend, da die konkrete Kostensenkungsaufforderung schon erfolgt ist und nicht mehr unterlassen werden kann.

Wenn man die Anträge des Bf dahingehend versteht, dass der Bf sich generell dagegen wenden will, dass der Bg künftig an ihn eine Kostensenkungsaufforderung richtet, scheitert ein solches Begehren an der Rechtssprechung des BSG. Zum einen hat die Kostensenkungsaufforderung, die keinen Verwaltungsakt darstellt, in erster Linie nur Warn- und Hinweisfunktion. Zum anderen kommt der Bg kommt mit einer Kostensenkungsaufforderung lediglich seiner ihm im Gesetz auferlegten Pflicht nach, den Bf auf dessen Obliegenheit zur Kostensenkung hinzuweisen und ihn aufzufordern, mit ihm in ein Gespräch über die Höhe der KdU einzutreten (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011, B 4 AS 5/10 R und BSG, Urteil vom 22.11.2011, B 4 AS 219/10 R).

Sofern das Begehren des Bf so zu verstehen ist, dass er für seine Wohnung im konkreten Fall für die Zukunft gesichert haben will, die bisherigen tatsächlichen Kosten weiterhin zu erhalten, ist eine solche Klage schon deshalb unzulässig, weil es sich insoweit um eine unzulässige Elementenfeststellungsklage handeln würde (vgl. BSG Urteil vom 06.04.2011, B 4 AS 5/10 R am Ende). Rechtsschutz erhält der Bf hier erst, aber auch ausreichend, wenn er nicht die von ihm begehrte Leistung in der von ihm begehrten Höhe erhält. Insoweit ist eine zeitlich frühere Rechtsprechung, die noch Rechtsschutz im Vorfeld der tatsächlichen Kostensenkung gewähren wollte (vgl. LSG NRW Beschluss vom 11.11.2005, L 19 B 88/05 AS ER), überholt. Das BSG hat inzwischen ausdrücklich entschieden, dass bei Uneinigkeit zwischen SGB II-Träger und Leistungsberechtigtem über die angemessenen Aufwendungen für die aktuell bereits bewohnte Unterkunft keine isolierten gerichtlichen Vorabklärungen der Angemessenheit der Unterkunftskosten erfolgen und erst danach Aktivitäten des Leistungsberechtigten um eine preisgünstigere Wohnung einsetzen sollen (vgl. BSG, Urteil vom 22.11.2011, B 4 AS 219/10 R, Rz 20 im Hinblick auf eine "Zusicherung" der Übernahme der tatsächlichen Kosten der bewohnten Unterkunft für die Zukunft). Hält der Leistungsberechtigte die vom Grundsicherungsträger vorgenommene Einschätzung über die Angemessenheit der Kosten für nicht zutreffend, so ist der Streit hierüber - ggf im einstweiligen Rechtsschutz - erst unmittelbar bei der Frage auszutragen, welche Leistungen für Unterkunft und Heizung für den betreffenden Bewilligungszeitraum zu bewilligen sind (BSG, Urteil vom 22.11.2011, B 4 AS 219/10 R, Rz 20), hier also erst für den Bewilligungsbescheid für den Zeitraum ab Februar 2014. Erst im Rahmen dieses Verfahrens ist dann auch zu prüfen, ob den Leistungsberechtigten eine Kostensenkungsobliegenheit trifft (BSG, Urteil vom 22.11.2011, B 4 AS 219/10 R, Rz 21).

Rechtsschutz gegen die dem Bf mit Schreiben vom 18.01.2013 auferlegten konkreten Pflichten, insbesondere den Nachweis von acht Wohnungssuchen pro Monat, besteht ebenfalls nicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Auferlegung konkreter Pflichten zur Umsetzung einer vom Grundsicherungsträger angenommenen Kostensenkungsobliegenheit überhaupt möglich ist. Bei Auferlegung konkreter Pflichten zur Kostensenkung würde es sich um einen belastenden Verwaltungsakt handeln, der - vergleichbar einem Eingliederungsverwaltungsakt - einer entsprechenden Rechtsgrundlage bedürfte.
Hier ist eine die Festlegung einer den Bf belastenden Pflicht nicht erkennbar.
Nach dem Gesetz ist der Bg verpflichtet, spätestens nach sechs Monaten die tatsächlichen Kosten auf die angemessenen Kosten abzusenken. Dies wäre mit Ablauf des Bewilligungszeitraumes am 31.07.2013 für den nachfolgenden, ab 01.08.2013 beginnenden Bewilligungszeitraum zwingend der Fall. Diese dahingehende Warn- und Hinweisfunktion erfüllt das Schreiben vom 18.01.2013 dadurch, dass dem Bf in diesem Schreiben mitgeteilt wird, was die angemessene Miete aus Sicht des Bg ist, und welche Kostensenkungsmaßnahmen generell in Frage kommen. Eine Belastung des Bf, insbesondere durch die Festlegung von konkreten Pflichten insoweit, ist dem Schreiben vom 18.01.2013 nicht entnehmbar.
Vielmehr stehen die konkreten Pflichten in Zusammenhang mit einer über das Gesetz hinausgehenden Begünstigung des Bf. Denn soweit dem Bf Pflichten auferlegt werden, etwa acht Bemühungen um eine billigere Wohnung pro Monat nachzuweisen, ergibt sich aus dem Schreiben vom 18.01.2013, dass diese Pflichten im Zusammenhang mit der vom Bg zugunsten des Bf auf ein Jahr verlängerten Frist zur Kostensenkung stehen. Insoweit handelt sich um eine schriftliche Zusicherung des Bg, über die gesetzliche sechsmonatige Frist hinaus, die am 31.07.2013 endet, beginnend von August 2013 bis einschließlich zumindest Februar 2014 die tatsächlichen Kosten zu übernehmen, evtl. sogar für die Zeit danach. Diese Zusicherung ist allerdings nur unter der Bedingung erfolgt, dass der Bf die ihm vom Bg in diesem Zusammenhang auferlegten Pflichten erfüllt und entsprechende Bemühungen nachweist. Da es sich bei der Verlängerung der gesetzlichen Frist von sechs Monaten auf ein Jahr um einen begünstigenden Verwaltungsakt des Bg handelt, ist für dessen Anfechtung kein Rechtsschutzinteresse des Bf ersichtlich. Ob er die Pflichten erfüllt und damit in den Genuss der verlängerten Frist kommt, bleibt allein ihm überlassen. Den gesetzlichen Anspruch auf die Übernahme der tatsächlichen Kosten für die in § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II vorgesehene Zeitspanne hat der Bg ersichtlich nicht von der Erfüllung der mit Schreiben vom 18.01.2013 auferlegten Pflichten abhängig gemacht.

Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass der Bf mit seinem Begehren erfolglos bleibt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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