Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 3486/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 5393/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30.11.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin.
Die 1972 in Rumänien geborene und 1986 nach Deutschland übergesiedelte adipöse (108 kg bei 161 cm Körpergröße) Klägerin ist Mutter zweier Kinder (10 und 12 Jahre) mit eigenem Haushalt, arbeitet 20 Stunden pro Woche, jeweils montags bis freitags Vormittags vier Stunden. Sie lebt bei täglichen intensiven familiären Sozialkontakten mit ihren Eltern und der Familie ihres Bruders in einem Mehrfamilienhaus.
Am 06.08.2009 stellte die Klägerin einen Erstantrag zur Feststellung der Höhe des bei ihr vorliegenden Grades der Behinderung (GdB) nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Zur Begründung gab sie eine Fibromyalgie sowie Probleme mit den Bandscheiben an.
Der Beklagte trat sodann in medizinische Ermittlungen ein und zog Befundberichte des behandelnden Facharztes für Innere Medizin/Rheumatologie Dr. B. vom 27.01.2009 (Ausschluss Polyarthritis chronica, Fibromyalgie, Zervikalsyndrom, chronisches Lumbalsyndrom, NPP L 4/5, Zustand nach KTS rechts, Verdacht auf Sinusitis maxillaris, Zustand nach Helicobacter pylori als Erreger) und vom 24.09.2008 (Ausschluss Polyarthritis chronica, Fibromyalgie, Zervikalsyndrom, chronisches Lumbalsyndrom), des Neurologen und Psychiaters T. vom 24.07.2008 (Karpaltunnelsyndrom beidseits, Beinschmerz rechts weiter abzuklären, Kopfschmerz) sowie des behandelnden Allgemeinarztes Dr. C.-B. vom 11.11.2009 (insgesamt depressive Grundstruktur gepaart mit Antriebsstörung und häufigen Schwindelanfällen) bei.
Der Versorgungsarzt Dr. S. bewertete in einer Stellungnahme vom 08.12.2009 den Bandscheibenschaden und das Fibromyalgiesyndrom mit einem GdB von 10, was sogleich den Gesamt-GdB bildete. Mit Bescheid vom 20.01.2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Feststellung des GdB mit der Begründung ab, die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen Bandscheibenschaden und Fibromyalgiesyndrom würden keinen GdB von wenigstens 20 bedingen, daher sei eine Feststellung nach § 69 Abs. 1 SGB IX nicht zu treffen.
Zur Begründung ihres am 08.02.2010 erhobenen Widerspruches trug die Klägerin vor, das bei ihr vorliegende Fibromyalgiesyndrom erfordere eine laufende fachärztliche Behandlung sowie eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme und bedinge ferner erhebliche psychische Probleme mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Die Klägerin legte einen Befundbericht des Arztes für Anästhesie und spezielle Schmerztherapie Dr. M. vom 19.11.2009 (sonstiger chronischer Schmerz, Fibromyalgie an mehreren Lokalisationen, Verdacht auf chronische Polyarthritis: mehrere Lokalisationen, Zervikalneuralgie, Radiculopathie: Lumbalbereich, Zustand nach Karpaltunnelsyndrom rechts, depressive Episode nicht näher bezeichnet, andauernde bio-psycho-soziale Konsequenzen bei chronischem Schmerzsyndrom, Verdacht auf essenzielle Hypertonie, Adipositas, nicht näher bezeichnet) vor. Der Beklagte zog den Rehabilitationsentlassungsbericht der Luisen-Klinik (Zentrum für Verhaltensmedizin) vom 28.06.2010 (mittelgradige depressive Episode, Fibromyalgie, Zervikalneuralgie, Radiculopathie und Adipositas) bei, wo die Klägerin sich auf Kosten der Deutschen Rentenversicherung vom 06.05.2010 bis zum 17.06.2010 stationär aufgehalten hatte. Aus der Rehabilitation war die Klägerin für ihre Tätigkeit als Sachbearbeiterin vollschichtig leistungs- und arbeitsfähig entlassen worden. In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.07.2010 bewertete Dr. M.-T. den Bandscheibenschaden mit einem Teil-GdB von 10, die depressive Verstimmung zusammen mit dem Fibromyalgiesyndrom ebenfalls mit einem Teil-GdB 10 und den Bluthochdruck ebenfalls mit Teil-GdB von 10. Den Gesamt-GdB bewertete die Versorgungsärztin weiterhin mit 10.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31.08.2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auch unter Berücksichtigung des Befundberichtes von Dr. M. und dem Entlassungsbericht der Luisen-Klinik sei die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme seien weiterhin keine Gesundheitsstörungen festzustellen, welche einen GdB von wenigstens 20 bedingten.
Hiergegen hat die Klägerin am 29.09.2010 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen vernommen.
Dr. B. hat unter dem 30.11.2010 angegeben, die Klägerin vom 11.09.2008 bis zum 20.01.2010 gelegentlich behandelt zu haben. Die Klägerin klage über Schmerzen im Rücken, der Gelenke und der Muskulatur. Dies erschwere alle Bewegungen, vermindere die Kraft und begrenze die Ausdauer. Dazu komme ein schlechter, nicht erholsamer Schlaf, permanente Müdigkeit, eine verminderte Stressfähigkeit und ein stark vermindertes Konzentrationsvermögen. Der GdB für den psychosomatischen könne auf 30, für den funktionellen Aspekt auf 20 bis 40 und unter Berücksichtigung außergewöhnlicher Schmerzen und des separaten und zusätzlich zu bewertenden Wirbelsäulensyndroms auf insgesamt 40 bis 50 geschätzt werden. Die höhere Bewertung komme dann in Betracht, wenn die stärkere Ausprägung der Leiden entsprechend aufwendig zu behandeln sei, eventuell stationär in einer Reha oder Rheumaklinik, bei einem Psychotherapeuten, wenn Fehlzeiten am Arbeitsplatz und Entsprechendes nachweisbar oder die Klägerin auf fremde Hilfe zur Lebensgestaltung angewiesen wäre, was er jetzt nicht vollständig überblicken könne.
Dr. M. hat unter dem 29.12.2010 die bereits im Verwaltungsverfahren von ihm genannten Diagnosen wiederholt (Behandlungstermine: 12.10.2009, 19.11.2009, 19.01.2010, 11.03.2010 und zuletzt 27.04.2010). Die Klägerin sei durch die genannten Erkrankungen und Problembereiche in sehr hohem Maße eingeschränkt. Er halte einen GdB von 10 für die Einschränkung der Klägerin als nicht ausreichend. Zwar habe er weder die Klägerin seit dem stationären Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik wiedergesehen, noch wisse er, ob dieser stationäre Aufenthalt überhaupt stattgefunden habe, der Schweregrad der Depression und des sogenannten chronic-widespread-pain (CWP)-Syndroms seien jedoch auch vor dem 06.05.2010 (Antritt der Rehabilitationsmaßnahme) mit mindestens einem GdB von 30 zu bewerten gewesen. Sollte die stationäre Behandlung ergebnislos verlaufen sein oder sich die Chronifizierung verstärkt haben, sei ein GdB von 50 vertretbar. Dann halte er auch Eingliederungsversuche in irgendwelche regelmäßigen Arbeitsprozesse für aussichtslos.
Der Beklagte hat ein Anerkenntnis gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. B. vom 03.05.2011 dahingehend abgegeben, dass der GdB 30 ab dem 01.06.2008 betrage. Dieser hat die depressive Verstimmung und das Fibromyalgiesyndrom mit einem Teil-GdB von 30, die Bandscheibenschäden mit einem Teil-GdB von 10 und den Bluthochdruck mit einem Teil-GdB von 10 bewertet und als Gesamt-GdB 30 ab dem 01.06.2008 vorgeschlagen. Dieses Anerkenntnis hat die Klägerin nicht angenommen.
Der Nervenarzt Dr. M. hat als sachverständiger Zeuge sodann unter dem 26.08.2011 mitgeteilt, die Klägerin habe ihn erstmals am 01.12.2008 aufgesucht. Damals habe eine depressiv gefärbte Anpassungsstörung bestanden. Die Symptomatik sei allerdings so gering ausgeprägt gewesen, dass eine medikamentöse Behandlung nicht erforderlich gewesen sei. Am 15.03.2011 habe die Klägerin sich wieder in der Praxis vorgestellt. Seitdem sei es zu vier Kontakten, zuletzt am 28.07.2011 gekommen. Die Klägerin leide an einer Depression gemischt mit Angst. Zusätzlich bestehe noch eine Fibromyalgie. Die Gesundheitsstörungen seien mittelgradiger Ausprägung. Aus psychiatrischer Sicht sei die Einstufung der depressiven Verstimmung zu würdigen, die zusätzlich vorliegende Fibromyalgie könne auch als körperlicher Ausdruck der Depressionssymptomatik gesehen werden. Damit handele es sich um eine nicht nur leichte, sondern stärker behindernde Störung, die sich auch im Alltag und hinsichtlich der sozialen Kontakte beeinträchtigend auswirke. Die Einstufung mit einem Teil-GdB von 10 sei nicht angemessen, sondern diese sei mit einem Teil-GdB von 30 einzuschätzen. Die im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik beschriebene Besserung habe im weiteren Verlauf nicht angehalten.
Der Beklagte hat das Anerkenntnis vom 12.05.2011 mit Schreiben vom 08.11.2011 als Vergleich angeboten, dem die Klägerin nicht zugestimmt hat. Mit Schreiben vom 29.12.2011 hat der Beklagte das Vergleichsangebot vom 08.11.2011 als Teilanerkenntnis abgegeben und gleichzeitig eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 22.12.2011 (Gesamt-GdB weiterhin 30) vorgelegt. Das Teilanerkenntnis hat die Klägerin ebenfalls nicht angenommen.
Auf nochmalige Nachfrage des SG hat der Nervenarzt Dr. M. am 17.02.2012 mitgeteilt, die Klägerin habe sich erneut am 25.01.2012 vorgestellt. Nach wie vor bestünden eine deutlich ausgeprägte depressive Verstimmung, Ängste, nächtliches Herzrasen. Subjektiv berichtet werde eine Verschlechterung seit Ende Oktober 2011. Er halte weiterhin einen GdB von 30 für angemessen. Dr. B. hat auf erneute Nachfrage unter dem 20.02.2012 mitgeteilt, der GdB könne unter dem psychosomatischen Aspekt und unter dem funktionellen Aspekt inzwischen jeweils auf 40 geschätzt werden. Da die psychosomatische Rehabilitationsbehandlung keine nachhaltige Verbesserung erreicht habe, würde er inzwischen einen GdB von 50 insgesamt vorschlagen.
Das SG hat von Amts wegen den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. H. mit der Erstattung eines Gutachtens vom 03.05.2012 beauftragt. Anlässlich der am 23.04.2012 durchgeführten Untersuchung hat Dr. H. zusammenfassend ausgeführt, die geklagte rechtsseitige Hypästhesie und Hypalgesie lasse sich nicht auf eine umschriebene Störung des zentralen oder peripheren Nervensystems beziehen. Eine funktionelle Bedeutung komme ihr nicht zu. Auf psychiatrischem Gebiet würden die Kriterien für das Vorliegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung erfüllt. Im Übrigen lasse sich eine depressive Erkrankung nachweisen, wobei aktuell eine leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode vorliege, ein phasenhafter Krankheitsverlauf im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung sei hingegen nicht berichtet worden. Eine Angsterkrankung lasse sich ebenso wenig nachweisen wie eine posttraumatische Belastungsstörung. Auch kognitive Leistungseinschränkungen hätten sich nicht gezeigt. Die vorliegende depressive Erkrankung und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung ließen sich in ihren Auswirkungen letztendlich nicht trennen. Der Gutachter hat für die von ihm diagnostizierten Erkrankungen einen GdB von 30 vorgeschlagen. Dies hat er mit dem Vorliegen einer stärker behinderten Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit begründet. Er hat die Einholung eines orthopädisch-rheumatologischen Gutachtens angeregt.
Dementsprechend hat das SG den Facharzt für Innere Medizin, Rheumatologie und spezielle Schmerztherapie Dr. Sch. von Amts wegen mit der Erstattung eines Gutachtens vom 17.07.2012 (Untersuchung am 12.07.2012) beauftragt. Dr. Sch. hat die von ihm diagnostizierte chronifizierte Schmerzerkrankung im Stadium III nach Gerbershagen (somatoforme Schmerzstörung/Fibromyalgiesyndrom) mit einem Teil-GdB von 40 bewertet. Diese sei untrennbar mit dem Komplex der Depressionen verbunden. Bezüglich der Depression hat Dr. Sch. die Bewertung von Dr. H. mit einem Teil-GdB von 30 übernommen. Die in Zusammenhang mit dem diagnostizierten degenerativen Wirbelsäulensyndrom mit HWS-Syndrom und LWS-Syndrom bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L 4/L 5 ohne neurologische Defizite geklagten, erheblichen Schmerzen seien eher im Rahmen der chronischen Schmerzerkrankung zu sehen. Angesichts der eher geringen funktionellen Auswirkungen halte er trotz der Schmerzangabe im Bereich der Wirbelsäule einen GdB von 30 für angemessen. Den Zustand nach operativer Therapie eines Karpaltunnelsyndroms rechts ohne schwerwiegende Störung der Handfunktionen hat er nicht mit einem eigenen Teil-GdB bewertet. Den bei der Klägerin vorliegenden Gesamt-GdB hat Dr. Sch. mit 40 bewertet.
Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 23.10.2012 hat der Beklagte die Anhebung des GdB auf 40 ab 01.06.2008 als Teilanerkenntnis erklärt. Die Klägerin hat auch dieses Teilanerkenntnis nicht angenommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2012 hat das SG den Beklagten nach vorangegangener Anhörung im Wege des "Anerkenntnisurteils" verurteilt, bei der Klägerin einen GdB von 40 seit dem 01.06.2008 festzustellen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Ein höherer GdB als 40 könne bei der Klägerin nicht festgestellt werden. Für die depressive Verstimmung und das chronifizierte Schmerzsyndrom (Fibromyalgiesyndrom) hat das SG einen Teil-GdB von 30 und für die Bewegungseinschränkung im Bereich des Achsenskeletts einen GdB von 20 angenommen. Mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ließen sich aus den Befunden und Messwerten nicht ableiten. Eine entzündlich rheumatische Erkrankung liege nicht vor.
Gegen den ihr am 05.12.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27.12.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie zum einen ausgeführt, das SG habe am 30.11.2012 entschieden, obwohl man ihr mit Schreiben vom 15.11.2012 mitgeteilt habe, dass sie bis zu diesem Datum Gelegenheit habe, sich zu äußern. Sie habe mit Fax vom 29.11.2012 um Fristverlängerung bis zum 20.12.2012 gebeten, was jedoch angesichts der Entscheidung am 30.11.2012 keinen Niederschlag gefunden habe. Zum anderen ist die Klägerin weiterhin der Ansicht, dass die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen Fibromyalgiesyndrom, Depression und psychische Belastungsstörung nicht im ausreichenden Maße gewürdigt worden seien.
Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. November 2012 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 20. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2010 bei ihr einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit dem 1. Juni 2008 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte ist unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 23.10.2012 weiterhin der Ansicht, das unter Berücksichtigung der Gutachten von Dr. H. und Dr. Sch. die somatoforme Schmerzstörung der Klägerin in Verbindung mit der depressiven Verstimmung und dem Fibromyalgiesyndrom mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten sei und die Bewegungseinschränkung im Bereich des Achsenskelettes mit einem Teil-GdB von 20. In der Gesamtschau ergebe sich hiernach ein Gesamt-GdB von 40.
Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 26.03.2013 den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert. Hinsichtlich der Angaben der Klägerin wird auf die Niederschrift vom 26.03.2013 verwiesen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß erhobene sowie auch im übrigen zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet.
Zwar ist die Rüge der Klägerin, sie sei vor Erlass des Gerichtsbescheides nicht ordnungsgemäß angehört worden, berechtigt, der Senat hat aber von einer Zurückverweisung im Rahmen seines Ermessens abgesehen. § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG schreibt die Anhörung der Beteiligten zwingend vor, sie gewährleistet den Grundsatz auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG. Eine Frist für die Anhörung sieht das Gesetz zwar nicht vor, die Beteiligten müssen jedoch ausreichend Zeit zur Stellungnahme haben (BSG, Beschluss vom 22.05.2000 - B 2 U 80/00 B - Juris). Sie muss angemessen sein und sollte 14 Tage nicht unterschreiten, wobei die Postlaufzeit zu der Klägerin zusätzlich zu berücksichtigen ist (BSG, Beschlüsse vom 23.10.2003 - B 4 RA 37/03 B - SozR4-1500 § 62 Nr. 1- und vom 06.10.2011 - B 9 VJ 8/10 B - Juris und Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2004 - L 11 KR 5239/03 - Rz. 24, zit. nach Juris). Vorliegend hat das SG in der Ankündigung des Gerichtsbescheides vom 15.11.2012 eine Stellungnahmefrist bis zum 30.11.2012 eingeräumt. Unter Berücksichtigung der Postlaufzeiten unterschreitet diese Fristsetzung bei Absendung am 15.11.2012 damit die angemessene Frist von 14 Tagen. Die Klägerin hat am Tag des Fristablaufs ausweislich der erstinstanzlichen Akte per Fax am 30.11.2012 noch um Fristverlängerung bis zum 20.12.2012 gebeten und somit zu erkennen gegeben, dass sie, ohne dass der Antrag auf angemessene Frist für die Stellungnahme missbräuchlich gestellt wurde, sich noch zu dem rechtlichen Hinweis vom 15.11.2012 äußern will. Das SG hat diesen Schriftsatz nicht berücksichtigt, sondern bereits am 30.11.2012 den Rechtsstreit entschieden. Das SG hat somit eine angemessene Frist unterschritten und auch auf die beantragte Fristverlängerung nicht reagiert. Dies stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar. Dieser kann nach § 159 SGG die Zurückverweisung der Sache an das SG dann zur Folge haben, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Vielmehr ist der Rechtsstreit entscheidungsreif und es sind keine Ermittlungen mehr durchzuführen. Von einer Zurückverweisung der Sache an das SG nach § 159 SGG war daher abzusehen.
Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist in der Sache nicht zu beanstanden, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 seit dem 01.06.2008.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 4 und 6 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe, wobei das Gericht nur bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (erster Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen muss (BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - m. w. N.). Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem zweiten und dritten Verfahrensschritt hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die als sogenannte antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) in der jeweils gültigen Fassung - zuletzt 2008 - einbezogen worden. Dementsprechend waren die AHP nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten (BSG a. a. O.). Für die seit dem 01.01.2009 an deren Stelle getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 - (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) gilt das Gleiche (BSG a. a. O.).
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und alten Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, d. h. für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, d. h. Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (z. B. "Altersdiabetes", "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen - wie im Falle der Klägerin - mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und in wieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein: Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung kann die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber auch nicht verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Gesundheitsschäden der Klägerin keinen höheren GdB als 40 rechtfertigen.
GdB-relevante Funktionseinschränkungen bestehen bei der Klägerin zunächst im Funktionssystem Rumpf, die mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten sind.
Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung, Minderbelastbarkeit) und die Beteiligung anderer Organsysteme bestimmt, wobei sich das Funktionsausmaß der Gelenke nach der Neutral-Null-Methode bemisst. Auch bei Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und dem sogenannten Postdiskotomiesyndrom) ergibt sich nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 der GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Dementsprechend beträgt bei Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40 (VG, Teil B, Nr. 18.9).
Den Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule ist zur Überzeugung des Senats ausreichend mit dem Teil-GdB von 20 Rechnung zu tragen. Der Senat legt die von Dr. Sch. bei der Untersuchung am 12.07.2012 erhobenen Befunde, welche im Rahmen der Bewegungsprüfung mit den Normalwerten (Messblatt für die Wirbelsäule, abgedruckt in Mehrhoff/Meindel/Mohr, Unfallbegutachtung, Zwölfte Auflage, Seite 134) zu vergleichen sind, zugrunde. Die Halswirbelsäule ist in der Rotation mit einem Bewegungsmaß von 45/0/45 Grad (Normalwerte 60 bis 80/0/60 bis 80 Grad) deutlich vermindert. In der Reklination ist die Halswirbelsäule allenfalls endgradig vermindert, das Seitneigen konnte mit 30 Grad rechts und 30 Grad links nur endgradig vermindert vorgeführt werden (Normalwert 45/0/45 Grad). Die Bewegungseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule bei der Klägerin sind daher geringgradig. Bewegungseinschränkungen im Bereich der Brustwirbelsäule bestehen nicht. Aus dem Gutachten von Dr. Sch. ergibt sich weiterhin eine geringgradige Bewegungseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule. Der Fingerbodenabstand beträgt 10 cm. Die Seitneigung der Lendenwirbelsäule nach links und rechts ist um ca. die Hälfte eingeschränkt. Das Zeichen nach Ott mit 30/31 cm und das Zeichen nach Schober mit 10/14 cm sind im Normbereich. Neurologische Defizite, Atrophien oder Paresen hat Dr. Sch. nicht festgestellt. Die rechtsseitig geklagte Hypästhesie ist ohne Korrelat. Es handelt sich daher um gering bis mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Diese sind nach den VG mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Soweit Dr. Sch. hier einen Teil-GdB von 30 für angezeigt hält, kann sich der Senat dem nicht anschließen, da ein Teil-GdB von mindestens 30 bei Wirbelsäulensyndromen mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten bzw. schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt voraussetzt, welche bei der Klägerin aber gerade nicht vorliegen. Das hat Dr. R. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.10.2012 zutreffend ausgeführt.
Die von Dr. Sch. diagnostizierte chronifizierte Schmerzerkrankung (somatoforme Schmerzstörung/Fibromyalgiesyndrom) im Stadium III nach Gerbershagen, die auch schon die behandelnden Ärzte Dr. B., Dr. M. und Dr. M. beschrieben haben, erhöht den Einzel-GdB nicht. Unabhängig davon, dass erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände bereits bei der GdB-Bewertung berücksichtigt sind, hat der Sachverständige die Erkrankung fachfremd beurteilt. Denn die Bewertung dieses Leidens fällt weder in das internistisch-rheumatologische noch in das orthopädische, sondern vielmehr in das nervenheilkundliche Fachgebiet (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe z. B. Urteil vom 13.12.2012 - L 6 SB 4838/10 - Rz. 33 zit. nach Juris). Dr. Sch. hat in seinem Gutachten selbst zur Begründung ausgeführt, es gehe um die Auswirkung des Leidens auf den Alltag der Klägerin und sieht sie demzufolge untrennbar verbunden mit dem Komplex der Depression. Dementsprechend sind nach den VG, Teil B, Nr. 18.4 die Fibromyalgie und ähnliche Syndrome jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Vorliegend betreffen diese Auswirkungen das nervenheilkundliche Fachgebiet (somatoforme Störungen; so LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 27.01.2012 - L 8 SB 668/11, vom 19.12.2008 - L 8 SB 3720/07, vom 29.08.2008 - L 8 SB 5525/06 und vom 23.11.2007 - L 8 SB 4995/04), sodass sie für das Funktionssystem Rumpf nicht den Einzel-GdB erhöhen. Offenbar sieht Dr. Sch. das im Ergebnis ebenso, weil er trotz des von ihm angesetzten Einzel-GdB von 40 für die Schmerzerkrankung nur einen Gesamt-Gdb von 40 für ausreichend erachtet, was eine Überschneidung mit dem Funktionssystem Psyche (dazu siehe unten) nahelegt.
Auch unter Berücksichtigung der somatoformen Schmerzstörung im Funktionssystem Gehirn, einschließlich Psyche, beträgt der Einzel-GdB nicht mehr als 30.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (beispielsweise ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB 30 bis 40 und nur bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB 50 bis 70.
Bei der Klägerin liegt nach den Gutachten von Dr. H. vom 23.04.2012 und von Dr. Sch. vom 12.07.2012 eine leichte depressive Episode sowie eine somatoforme Schmerzstörung (chronifizierte Schmerzstörung/Fibromyalgiesyndrom) vor. Die hieraus resultierenden Funktionsstörungen rechtfertigen allenfalls die Annahme einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Gegen eine starke Ausprägung der seelischen Erkrankung sprechen die vorhandenen Alltagskompetenzen, die der Senat den Anamnesen der Gutachtern, aber auch den Darlegungen der Klägerin im Erörterungstermin entnimmt. Der von der Klägerin geschilderte Tagesablauf rechtfertigt danach nicht die Annahme einer schweren seelischen Störung. Die Klägerin ist noch neben ihren familiären Verpflichtungen mit zwei schulpflichtigen Kindern in der Lage, Teilzeit zu arbeiten. Sie fährt mit dem Auto zur Arbeit und erledigt diese, wegen krankheitsbedingter Vertretungen oft über 100 % des eigentlich angedachten Arbeitspensums, ohne dass längere Arbeitsunfähigkeitszeiten auftreten (Angaben bei Dr. Sch.). Bei den von Dr. Sch. abgefragten Alltagskompetenzen hat die Klägerin zumindest deren Durchführbarkeit bejaht. Allein der Umstand, dass die Klägerin früh aufsteht, hält der Senat dabei nicht für ausschlaggebend, da ihr Ehemann berufsbedingt bereits um 4 Uhr morgens seinen Dienst anzutreten hat. Es ist daher ebenfalls nachvollziehbar, dass ein Familienleben in den späten Abendstunden nicht mehr stattfindet. Dr. Sch. hat keine schmerzbedingten Schonhaltungen feststellen können und Muskelatrophien ausdrücklich verneint. Die Angabe der Klägerin gegenüber Dr. Sch., bei Alltagsverrichtungen nicht eingeschränkt zu sein, deckt sich auch mit denen gegenüber Dr. M. bei dessen Untersuchung 2009. Auch unter Berücksichtigung des von Dr. H. erhobenen psychischen Befundes lässt sich nach Auffassung des Senats noch keine schwere Störung mit Anpassungsschwierigkeiten feststellen. So hat sich die Klägerin ohne Einschränkungen der Auffassung, der Konzentration und des Durchhaltevermögens in der Untersuchung gezeigt, obwohl die Klägerin angeblich jahrelang unter Durchschlafstörungen leidet. Störungen der Merkfähigkeit des Kurz- bzw. Langzeitgedächtnisses hat Dr. H. nicht festgestellt. Insgesamt stellte sich bei Dr. H. die Stimmungslage der Klägerin leicht, streckenweise mäßig gedrückt bei themenabhängiger Auflockerung dar. Schwerwiegende Beeinträchtigungen der affektiven Schwingungsfähigkeit hat Dr. H. bei leicht bis mäßig reduziertem Antrieb nicht gefunden. In Übereinstimmung mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. ist der Senat daher der Auffassung, dass es in der Zusammenschau der bei der Klägerin vorliegenden Schmerzstörung und der leichtgradigen Depression zu einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gekommen ist, aber angesichts der eher mäßigen Einschränkungen der für stärker behindernde Störungen eröffnete GdB-Rahmen zwischen 30 und 40 nicht nach oben auszuschöpfen ist. Soweit der behandelnde Rheumatologe Dr. B. in seiner letzten Stellungnahme von einem Gesamt-GdB von 50 ausgeht, findet dies keine Begründung in den von ihm mitgeteilten Befunden, denn er hat einen psychiatrischen Befund gerade nicht erhoben, sondern nur die von der Klägerin anamnestisch mitgeteilten Beschwerden aufgenommen. Schwere körperliche Bewegungseinschränkungen hat Dr. B. nicht dokumentiert. Die von Dr. B. selbst in seiner sachverständigen Zeugenaussage dargestellten Grundsätze, wann ein höherer GdB als 30 für die vorliegende Gesundheitsbeeinträchtigung anzusetzen ist, sind bei der Klägerin auch nach seinen Befunden nicht erfüllt. Bei der Klägerin fehlt es auch an einem nachvollziehbaren Leidensdruck. Obwohl bereits die stationäre Rehabilitation zu einer deutlichen Besserung führte und sie als arbeitsfähig entlassen werden konnte, hat sie seit 2010 keinen Schmerztherapeuten mehr aufgesucht. Sie wird gelegentlich beim Nervenarzt Dr. M. behandelt, um richtig auf die Antidepressiva eingestellt zu werden, die sie niedrig dosiert erhält (Valdoxan 25 0-0-1). Schmerzmittel sind nur bei Bedarf alle 2 Wochen erforderlich, hierbei sind frei zugängliche, nicht verschreibungspflichtige (Ibuflam 600) ausreichend. Weder findet eine psychotherapeutische Behandlung der Klägerin statt, noch wird vermehrt fremde Hilfe in der Lebensgestaltung in Anspruch genommen, noch liegen massive Fehlzeiten am Arbeitsplatz vor. Die Einschätzung von Dr. B. ist daher selbst nach den von ihm angewandten Grundsätzen nicht nachzuvollziehen. Gleiches gilt für die abweichende Einschätzung von dem behandelnden Schmerztherapeuten Dr. M., der den bei der Klägerin vorliegenden Gesamt-GdB auf 30 schätzte, wobei die Aussagekraft schon allein deswegen begrenzt ist, weil die Klägerin bei ihm nicht langfristig und zuletzt am 27.04.2010 in Behandlung befand.
Für das Funktionssystem Herz-Kreislauf beträgt der Einzel-GdB allenfalls 10.
Nach den VG, Teil B, Nr. 9.3 beträgt für einen Bluthochdruck in leichter Form (keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung; höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) der GdB 0 bis 10 und in mittelschwerer Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonikus I-II und/oder Linkshypertrophie des Herzes und/oder Proteinueri), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung je nach Leistungsbeeinträchtigung der GdB 20 bis 40. Die Klägerin wird mit einem Blutdruckmedikament behandelt, da dieser schwankt und nach ihren Angaben gegenüber Dr. H. manchmal zu hoch ist. Aus dem Rehabilitationsentlassungsbericht der Luisen-Klinik ergibt sich, dass die Klägerin am 07.05.2010 bis auf zwei ventrikuläre Extrasystolen ein unauffälliges EKG hat. Einen weiteren pathologischen Befund haben die Ärzte nicht erhoben. Leistungsbeeinträchtigungen oder Augenhintergrundveränderungen, ganz zu schweigen von weiteren Organbeteiligungen, liegen ausweislich der medizinischen Unterlagen nicht vor. Daher ist allenfalls von einer ganz leichten Form des Bluthochdruckes auszugehen, welche mit einem Teil-GdB von 10 ausreichend bewertet ist.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB 20 für das Funktionssystem Rumpf, Einzel-GdB 30 für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche und Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem Herz-Kreislauf) beträgt der Gesamt-GdB jedenfalls nicht mehr als 40. Dies ergibt sich aus den dargestellten Überschneidungen der Auswirkungen der Behinderungen auf orthopädischem und nervenheilkundlichem Fachgebiet.
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin.
Die 1972 in Rumänien geborene und 1986 nach Deutschland übergesiedelte adipöse (108 kg bei 161 cm Körpergröße) Klägerin ist Mutter zweier Kinder (10 und 12 Jahre) mit eigenem Haushalt, arbeitet 20 Stunden pro Woche, jeweils montags bis freitags Vormittags vier Stunden. Sie lebt bei täglichen intensiven familiären Sozialkontakten mit ihren Eltern und der Familie ihres Bruders in einem Mehrfamilienhaus.
Am 06.08.2009 stellte die Klägerin einen Erstantrag zur Feststellung der Höhe des bei ihr vorliegenden Grades der Behinderung (GdB) nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Zur Begründung gab sie eine Fibromyalgie sowie Probleme mit den Bandscheiben an.
Der Beklagte trat sodann in medizinische Ermittlungen ein und zog Befundberichte des behandelnden Facharztes für Innere Medizin/Rheumatologie Dr. B. vom 27.01.2009 (Ausschluss Polyarthritis chronica, Fibromyalgie, Zervikalsyndrom, chronisches Lumbalsyndrom, NPP L 4/5, Zustand nach KTS rechts, Verdacht auf Sinusitis maxillaris, Zustand nach Helicobacter pylori als Erreger) und vom 24.09.2008 (Ausschluss Polyarthritis chronica, Fibromyalgie, Zervikalsyndrom, chronisches Lumbalsyndrom), des Neurologen und Psychiaters T. vom 24.07.2008 (Karpaltunnelsyndrom beidseits, Beinschmerz rechts weiter abzuklären, Kopfschmerz) sowie des behandelnden Allgemeinarztes Dr. C.-B. vom 11.11.2009 (insgesamt depressive Grundstruktur gepaart mit Antriebsstörung und häufigen Schwindelanfällen) bei.
Der Versorgungsarzt Dr. S. bewertete in einer Stellungnahme vom 08.12.2009 den Bandscheibenschaden und das Fibromyalgiesyndrom mit einem GdB von 10, was sogleich den Gesamt-GdB bildete. Mit Bescheid vom 20.01.2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Feststellung des GdB mit der Begründung ab, die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen Bandscheibenschaden und Fibromyalgiesyndrom würden keinen GdB von wenigstens 20 bedingen, daher sei eine Feststellung nach § 69 Abs. 1 SGB IX nicht zu treffen.
Zur Begründung ihres am 08.02.2010 erhobenen Widerspruches trug die Klägerin vor, das bei ihr vorliegende Fibromyalgiesyndrom erfordere eine laufende fachärztliche Behandlung sowie eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme und bedinge ferner erhebliche psychische Probleme mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Die Klägerin legte einen Befundbericht des Arztes für Anästhesie und spezielle Schmerztherapie Dr. M. vom 19.11.2009 (sonstiger chronischer Schmerz, Fibromyalgie an mehreren Lokalisationen, Verdacht auf chronische Polyarthritis: mehrere Lokalisationen, Zervikalneuralgie, Radiculopathie: Lumbalbereich, Zustand nach Karpaltunnelsyndrom rechts, depressive Episode nicht näher bezeichnet, andauernde bio-psycho-soziale Konsequenzen bei chronischem Schmerzsyndrom, Verdacht auf essenzielle Hypertonie, Adipositas, nicht näher bezeichnet) vor. Der Beklagte zog den Rehabilitationsentlassungsbericht der Luisen-Klinik (Zentrum für Verhaltensmedizin) vom 28.06.2010 (mittelgradige depressive Episode, Fibromyalgie, Zervikalneuralgie, Radiculopathie und Adipositas) bei, wo die Klägerin sich auf Kosten der Deutschen Rentenversicherung vom 06.05.2010 bis zum 17.06.2010 stationär aufgehalten hatte. Aus der Rehabilitation war die Klägerin für ihre Tätigkeit als Sachbearbeiterin vollschichtig leistungs- und arbeitsfähig entlassen worden. In ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.07.2010 bewertete Dr. M.-T. den Bandscheibenschaden mit einem Teil-GdB von 10, die depressive Verstimmung zusammen mit dem Fibromyalgiesyndrom ebenfalls mit einem Teil-GdB 10 und den Bluthochdruck ebenfalls mit Teil-GdB von 10. Den Gesamt-GdB bewertete die Versorgungsärztin weiterhin mit 10.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31.08.2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auch unter Berücksichtigung des Befundberichtes von Dr. M. und dem Entlassungsbericht der Luisen-Klinik sei die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme seien weiterhin keine Gesundheitsstörungen festzustellen, welche einen GdB von wenigstens 20 bedingten.
Hiergegen hat die Klägerin am 29.09.2010 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und ihr Begehren weiter verfolgt.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen vernommen.
Dr. B. hat unter dem 30.11.2010 angegeben, die Klägerin vom 11.09.2008 bis zum 20.01.2010 gelegentlich behandelt zu haben. Die Klägerin klage über Schmerzen im Rücken, der Gelenke und der Muskulatur. Dies erschwere alle Bewegungen, vermindere die Kraft und begrenze die Ausdauer. Dazu komme ein schlechter, nicht erholsamer Schlaf, permanente Müdigkeit, eine verminderte Stressfähigkeit und ein stark vermindertes Konzentrationsvermögen. Der GdB für den psychosomatischen könne auf 30, für den funktionellen Aspekt auf 20 bis 40 und unter Berücksichtigung außergewöhnlicher Schmerzen und des separaten und zusätzlich zu bewertenden Wirbelsäulensyndroms auf insgesamt 40 bis 50 geschätzt werden. Die höhere Bewertung komme dann in Betracht, wenn die stärkere Ausprägung der Leiden entsprechend aufwendig zu behandeln sei, eventuell stationär in einer Reha oder Rheumaklinik, bei einem Psychotherapeuten, wenn Fehlzeiten am Arbeitsplatz und Entsprechendes nachweisbar oder die Klägerin auf fremde Hilfe zur Lebensgestaltung angewiesen wäre, was er jetzt nicht vollständig überblicken könne.
Dr. M. hat unter dem 29.12.2010 die bereits im Verwaltungsverfahren von ihm genannten Diagnosen wiederholt (Behandlungstermine: 12.10.2009, 19.11.2009, 19.01.2010, 11.03.2010 und zuletzt 27.04.2010). Die Klägerin sei durch die genannten Erkrankungen und Problembereiche in sehr hohem Maße eingeschränkt. Er halte einen GdB von 10 für die Einschränkung der Klägerin als nicht ausreichend. Zwar habe er weder die Klägerin seit dem stationären Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik wiedergesehen, noch wisse er, ob dieser stationäre Aufenthalt überhaupt stattgefunden habe, der Schweregrad der Depression und des sogenannten chronic-widespread-pain (CWP)-Syndroms seien jedoch auch vor dem 06.05.2010 (Antritt der Rehabilitationsmaßnahme) mit mindestens einem GdB von 30 zu bewerten gewesen. Sollte die stationäre Behandlung ergebnislos verlaufen sein oder sich die Chronifizierung verstärkt haben, sei ein GdB von 50 vertretbar. Dann halte er auch Eingliederungsversuche in irgendwelche regelmäßigen Arbeitsprozesse für aussichtslos.
Der Beklagte hat ein Anerkenntnis gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. B. vom 03.05.2011 dahingehend abgegeben, dass der GdB 30 ab dem 01.06.2008 betrage. Dieser hat die depressive Verstimmung und das Fibromyalgiesyndrom mit einem Teil-GdB von 30, die Bandscheibenschäden mit einem Teil-GdB von 10 und den Bluthochdruck mit einem Teil-GdB von 10 bewertet und als Gesamt-GdB 30 ab dem 01.06.2008 vorgeschlagen. Dieses Anerkenntnis hat die Klägerin nicht angenommen.
Der Nervenarzt Dr. M. hat als sachverständiger Zeuge sodann unter dem 26.08.2011 mitgeteilt, die Klägerin habe ihn erstmals am 01.12.2008 aufgesucht. Damals habe eine depressiv gefärbte Anpassungsstörung bestanden. Die Symptomatik sei allerdings so gering ausgeprägt gewesen, dass eine medikamentöse Behandlung nicht erforderlich gewesen sei. Am 15.03.2011 habe die Klägerin sich wieder in der Praxis vorgestellt. Seitdem sei es zu vier Kontakten, zuletzt am 28.07.2011 gekommen. Die Klägerin leide an einer Depression gemischt mit Angst. Zusätzlich bestehe noch eine Fibromyalgie. Die Gesundheitsstörungen seien mittelgradiger Ausprägung. Aus psychiatrischer Sicht sei die Einstufung der depressiven Verstimmung zu würdigen, die zusätzlich vorliegende Fibromyalgie könne auch als körperlicher Ausdruck der Depressionssymptomatik gesehen werden. Damit handele es sich um eine nicht nur leichte, sondern stärker behindernde Störung, die sich auch im Alltag und hinsichtlich der sozialen Kontakte beeinträchtigend auswirke. Die Einstufung mit einem Teil-GdB von 10 sei nicht angemessen, sondern diese sei mit einem Teil-GdB von 30 einzuschätzen. Die im Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik beschriebene Besserung habe im weiteren Verlauf nicht angehalten.
Der Beklagte hat das Anerkenntnis vom 12.05.2011 mit Schreiben vom 08.11.2011 als Vergleich angeboten, dem die Klägerin nicht zugestimmt hat. Mit Schreiben vom 29.12.2011 hat der Beklagte das Vergleichsangebot vom 08.11.2011 als Teilanerkenntnis abgegeben und gleichzeitig eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 22.12.2011 (Gesamt-GdB weiterhin 30) vorgelegt. Das Teilanerkenntnis hat die Klägerin ebenfalls nicht angenommen.
Auf nochmalige Nachfrage des SG hat der Nervenarzt Dr. M. am 17.02.2012 mitgeteilt, die Klägerin habe sich erneut am 25.01.2012 vorgestellt. Nach wie vor bestünden eine deutlich ausgeprägte depressive Verstimmung, Ängste, nächtliches Herzrasen. Subjektiv berichtet werde eine Verschlechterung seit Ende Oktober 2011. Er halte weiterhin einen GdB von 30 für angemessen. Dr. B. hat auf erneute Nachfrage unter dem 20.02.2012 mitgeteilt, der GdB könne unter dem psychosomatischen Aspekt und unter dem funktionellen Aspekt inzwischen jeweils auf 40 geschätzt werden. Da die psychosomatische Rehabilitationsbehandlung keine nachhaltige Verbesserung erreicht habe, würde er inzwischen einen GdB von 50 insgesamt vorschlagen.
Das SG hat von Amts wegen den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. H. mit der Erstattung eines Gutachtens vom 03.05.2012 beauftragt. Anlässlich der am 23.04.2012 durchgeführten Untersuchung hat Dr. H. zusammenfassend ausgeführt, die geklagte rechtsseitige Hypästhesie und Hypalgesie lasse sich nicht auf eine umschriebene Störung des zentralen oder peripheren Nervensystems beziehen. Eine funktionelle Bedeutung komme ihr nicht zu. Auf psychiatrischem Gebiet würden die Kriterien für das Vorliegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung erfüllt. Im Übrigen lasse sich eine depressive Erkrankung nachweisen, wobei aktuell eine leichte depressive Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode vorliege, ein phasenhafter Krankheitsverlauf im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung sei hingegen nicht berichtet worden. Eine Angsterkrankung lasse sich ebenso wenig nachweisen wie eine posttraumatische Belastungsstörung. Auch kognitive Leistungseinschränkungen hätten sich nicht gezeigt. Die vorliegende depressive Erkrankung und die anhaltende somatoforme Schmerzstörung ließen sich in ihren Auswirkungen letztendlich nicht trennen. Der Gutachter hat für die von ihm diagnostizierten Erkrankungen einen GdB von 30 vorgeschlagen. Dies hat er mit dem Vorliegen einer stärker behinderten Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit begründet. Er hat die Einholung eines orthopädisch-rheumatologischen Gutachtens angeregt.
Dementsprechend hat das SG den Facharzt für Innere Medizin, Rheumatologie und spezielle Schmerztherapie Dr. Sch. von Amts wegen mit der Erstattung eines Gutachtens vom 17.07.2012 (Untersuchung am 12.07.2012) beauftragt. Dr. Sch. hat die von ihm diagnostizierte chronifizierte Schmerzerkrankung im Stadium III nach Gerbershagen (somatoforme Schmerzstörung/Fibromyalgiesyndrom) mit einem Teil-GdB von 40 bewertet. Diese sei untrennbar mit dem Komplex der Depressionen verbunden. Bezüglich der Depression hat Dr. Sch. die Bewertung von Dr. H. mit einem Teil-GdB von 30 übernommen. Die in Zusammenhang mit dem diagnostizierten degenerativen Wirbelsäulensyndrom mit HWS-Syndrom und LWS-Syndrom bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L 4/L 5 ohne neurologische Defizite geklagten, erheblichen Schmerzen seien eher im Rahmen der chronischen Schmerzerkrankung zu sehen. Angesichts der eher geringen funktionellen Auswirkungen halte er trotz der Schmerzangabe im Bereich der Wirbelsäule einen GdB von 30 für angemessen. Den Zustand nach operativer Therapie eines Karpaltunnelsyndroms rechts ohne schwerwiegende Störung der Handfunktionen hat er nicht mit einem eigenen Teil-GdB bewertet. Den bei der Klägerin vorliegenden Gesamt-GdB hat Dr. Sch. mit 40 bewertet.
Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 23.10.2012 hat der Beklagte die Anhebung des GdB auf 40 ab 01.06.2008 als Teilanerkenntnis erklärt. Die Klägerin hat auch dieses Teilanerkenntnis nicht angenommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.11.2012 hat das SG den Beklagten nach vorangegangener Anhörung im Wege des "Anerkenntnisurteils" verurteilt, bei der Klägerin einen GdB von 40 seit dem 01.06.2008 festzustellen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Ein höherer GdB als 40 könne bei der Klägerin nicht festgestellt werden. Für die depressive Verstimmung und das chronifizierte Schmerzsyndrom (Fibromyalgiesyndrom) hat das SG einen Teil-GdB von 30 und für die Bewegungseinschränkung im Bereich des Achsenskeletts einen GdB von 20 angenommen. Mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ließen sich aus den Befunden und Messwerten nicht ableiten. Eine entzündlich rheumatische Erkrankung liege nicht vor.
Gegen den ihr am 05.12.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27.12.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie zum einen ausgeführt, das SG habe am 30.11.2012 entschieden, obwohl man ihr mit Schreiben vom 15.11.2012 mitgeteilt habe, dass sie bis zu diesem Datum Gelegenheit habe, sich zu äußern. Sie habe mit Fax vom 29.11.2012 um Fristverlängerung bis zum 20.12.2012 gebeten, was jedoch angesichts der Entscheidung am 30.11.2012 keinen Niederschlag gefunden habe. Zum anderen ist die Klägerin weiterhin der Ansicht, dass die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen Fibromyalgiesyndrom, Depression und psychische Belastungsstörung nicht im ausreichenden Maße gewürdigt worden seien.
Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30. November 2012 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 20. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2010 bei ihr einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit dem 1. Juni 2008 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte ist unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 23.10.2012 weiterhin der Ansicht, das unter Berücksichtigung der Gutachten von Dr. H. und Dr. Sch. die somatoforme Schmerzstörung der Klägerin in Verbindung mit der depressiven Verstimmung und dem Fibromyalgiesyndrom mit einem Teil-GdB von 30 zu bewerten sei und die Bewegungseinschränkung im Bereich des Achsenskelettes mit einem Teil-GdB von 20. In der Gesamtschau ergebe sich hiernach ein Gesamt-GdB von 40.
Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 26.03.2013 den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert. Hinsichtlich der Angaben der Klägerin wird auf die Niederschrift vom 26.03.2013 verwiesen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgemäß erhobene sowie auch im übrigen zulässige Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unbegründet.
Zwar ist die Rüge der Klägerin, sie sei vor Erlass des Gerichtsbescheides nicht ordnungsgemäß angehört worden, berechtigt, der Senat hat aber von einer Zurückverweisung im Rahmen seines Ermessens abgesehen. § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG schreibt die Anhörung der Beteiligten zwingend vor, sie gewährleistet den Grundsatz auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG. Eine Frist für die Anhörung sieht das Gesetz zwar nicht vor, die Beteiligten müssen jedoch ausreichend Zeit zur Stellungnahme haben (BSG, Beschluss vom 22.05.2000 - B 2 U 80/00 B - Juris). Sie muss angemessen sein und sollte 14 Tage nicht unterschreiten, wobei die Postlaufzeit zu der Klägerin zusätzlich zu berücksichtigen ist (BSG, Beschlüsse vom 23.10.2003 - B 4 RA 37/03 B - SozR4-1500 § 62 Nr. 1- und vom 06.10.2011 - B 9 VJ 8/10 B - Juris und Baden-Württemberg, Urteil vom 05.10.2004 - L 11 KR 5239/03 - Rz. 24, zit. nach Juris). Vorliegend hat das SG in der Ankündigung des Gerichtsbescheides vom 15.11.2012 eine Stellungnahmefrist bis zum 30.11.2012 eingeräumt. Unter Berücksichtigung der Postlaufzeiten unterschreitet diese Fristsetzung bei Absendung am 15.11.2012 damit die angemessene Frist von 14 Tagen. Die Klägerin hat am Tag des Fristablaufs ausweislich der erstinstanzlichen Akte per Fax am 30.11.2012 noch um Fristverlängerung bis zum 20.12.2012 gebeten und somit zu erkennen gegeben, dass sie, ohne dass der Antrag auf angemessene Frist für die Stellungnahme missbräuchlich gestellt wurde, sich noch zu dem rechtlichen Hinweis vom 15.11.2012 äußern will. Das SG hat diesen Schriftsatz nicht berücksichtigt, sondern bereits am 30.11.2012 den Rechtsstreit entschieden. Das SG hat somit eine angemessene Frist unterschritten und auch auf die beantragte Fristverlängerung nicht reagiert. Dies stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar. Dieser kann nach § 159 SGG die Zurückverweisung der Sache an das SG dann zur Folge haben, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Vielmehr ist der Rechtsstreit entscheidungsreif und es sind keine Ermittlungen mehr durchzuführen. Von einer Zurückverweisung der Sache an das SG nach § 159 SGG war daher abzusehen.
Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist in der Sache nicht zu beanstanden, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 seit dem 01.06.2008.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Sätze 4 und 6 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe, wobei das Gericht nur bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (erster Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen muss (BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - m. w. N.). Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es indessen nach § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem zweiten und dritten Verfahrensschritt hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die als sogenannte antizipierte Sachverständigengutachten anzusehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) in der jeweils gültigen Fassung - zuletzt 2008 - einbezogen worden. Dementsprechend waren die AHP nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten (BSG a. a. O.). Für die seit dem 01.01.2009 an deren Stelle getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG vom 10.12.2008 - BGBl. I. S. 2412 - (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) gilt das Gleiche (BSG a. a. O.).
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und alten Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, d. h. für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, d. h. Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (z. B. "Altersdiabetes", "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen - wie im Falle der Klägerin - mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und in wieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein: Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung kann die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber auch nicht verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
In Anwendung dieser durch den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Gesundheitsschäden der Klägerin keinen höheren GdB als 40 rechtfertigen.
GdB-relevante Funktionseinschränkungen bestehen bei der Klägerin zunächst im Funktionssystem Rumpf, die mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten sind.
Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung, Minderbelastbarkeit) und die Beteiligung anderer Organsysteme bestimmt, wobei sich das Funktionsausmaß der Gelenke nach der Neutral-Null-Methode bemisst. Auch bei Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und dem sogenannten Postdiskotomiesyndrom) ergibt sich nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 der GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Dementsprechend beträgt bei Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40 (VG, Teil B, Nr. 18.9).
Den Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule ist zur Überzeugung des Senats ausreichend mit dem Teil-GdB von 20 Rechnung zu tragen. Der Senat legt die von Dr. Sch. bei der Untersuchung am 12.07.2012 erhobenen Befunde, welche im Rahmen der Bewegungsprüfung mit den Normalwerten (Messblatt für die Wirbelsäule, abgedruckt in Mehrhoff/Meindel/Mohr, Unfallbegutachtung, Zwölfte Auflage, Seite 134) zu vergleichen sind, zugrunde. Die Halswirbelsäule ist in der Rotation mit einem Bewegungsmaß von 45/0/45 Grad (Normalwerte 60 bis 80/0/60 bis 80 Grad) deutlich vermindert. In der Reklination ist die Halswirbelsäule allenfalls endgradig vermindert, das Seitneigen konnte mit 30 Grad rechts und 30 Grad links nur endgradig vermindert vorgeführt werden (Normalwert 45/0/45 Grad). Die Bewegungseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule bei der Klägerin sind daher geringgradig. Bewegungseinschränkungen im Bereich der Brustwirbelsäule bestehen nicht. Aus dem Gutachten von Dr. Sch. ergibt sich weiterhin eine geringgradige Bewegungseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule. Der Fingerbodenabstand beträgt 10 cm. Die Seitneigung der Lendenwirbelsäule nach links und rechts ist um ca. die Hälfte eingeschränkt. Das Zeichen nach Ott mit 30/31 cm und das Zeichen nach Schober mit 10/14 cm sind im Normbereich. Neurologische Defizite, Atrophien oder Paresen hat Dr. Sch. nicht festgestellt. Die rechtsseitig geklagte Hypästhesie ist ohne Korrelat. Es handelt sich daher um gering bis mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten. Diese sind nach den VG mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Soweit Dr. Sch. hier einen Teil-GdB von 30 für angezeigt hält, kann sich der Senat dem nicht anschließen, da ein Teil-GdB von mindestens 30 bei Wirbelsäulensyndromen mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten bzw. schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt voraussetzt, welche bei der Klägerin aber gerade nicht vorliegen. Das hat Dr. R. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 23.10.2012 zutreffend ausgeführt.
Die von Dr. Sch. diagnostizierte chronifizierte Schmerzerkrankung (somatoforme Schmerzstörung/Fibromyalgiesyndrom) im Stadium III nach Gerbershagen, die auch schon die behandelnden Ärzte Dr. B., Dr. M. und Dr. M. beschrieben haben, erhöht den Einzel-GdB nicht. Unabhängig davon, dass erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände bereits bei der GdB-Bewertung berücksichtigt sind, hat der Sachverständige die Erkrankung fachfremd beurteilt. Denn die Bewertung dieses Leidens fällt weder in das internistisch-rheumatologische noch in das orthopädische, sondern vielmehr in das nervenheilkundliche Fachgebiet (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe z. B. Urteil vom 13.12.2012 - L 6 SB 4838/10 - Rz. 33 zit. nach Juris). Dr. Sch. hat in seinem Gutachten selbst zur Begründung ausgeführt, es gehe um die Auswirkung des Leidens auf den Alltag der Klägerin und sieht sie demzufolge untrennbar verbunden mit dem Komplex der Depression. Dementsprechend sind nach den VG, Teil B, Nr. 18.4 die Fibromyalgie und ähnliche Syndrome jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Vorliegend betreffen diese Auswirkungen das nervenheilkundliche Fachgebiet (somatoforme Störungen; so LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 27.01.2012 - L 8 SB 668/11, vom 19.12.2008 - L 8 SB 3720/07, vom 29.08.2008 - L 8 SB 5525/06 und vom 23.11.2007 - L 8 SB 4995/04), sodass sie für das Funktionssystem Rumpf nicht den Einzel-GdB erhöhen. Offenbar sieht Dr. Sch. das im Ergebnis ebenso, weil er trotz des von ihm angesetzten Einzel-GdB von 40 für die Schmerzerkrankung nur einen Gesamt-Gdb von 40 für ausreichend erachtet, was eine Überschneidung mit dem Funktionssystem Psyche (dazu siehe unten) nahelegt.
Auch unter Berücksichtigung der somatoformen Schmerzstörung im Funktionssystem Gehirn, einschließlich Psyche, beträgt der Einzel-GdB nicht mehr als 30.
Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (beispielsweise ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB 30 bis 40 und nur bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB 50 bis 70.
Bei der Klägerin liegt nach den Gutachten von Dr. H. vom 23.04.2012 und von Dr. Sch. vom 12.07.2012 eine leichte depressive Episode sowie eine somatoforme Schmerzstörung (chronifizierte Schmerzstörung/Fibromyalgiesyndrom) vor. Die hieraus resultierenden Funktionsstörungen rechtfertigen allenfalls die Annahme einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Gegen eine starke Ausprägung der seelischen Erkrankung sprechen die vorhandenen Alltagskompetenzen, die der Senat den Anamnesen der Gutachtern, aber auch den Darlegungen der Klägerin im Erörterungstermin entnimmt. Der von der Klägerin geschilderte Tagesablauf rechtfertigt danach nicht die Annahme einer schweren seelischen Störung. Die Klägerin ist noch neben ihren familiären Verpflichtungen mit zwei schulpflichtigen Kindern in der Lage, Teilzeit zu arbeiten. Sie fährt mit dem Auto zur Arbeit und erledigt diese, wegen krankheitsbedingter Vertretungen oft über 100 % des eigentlich angedachten Arbeitspensums, ohne dass längere Arbeitsunfähigkeitszeiten auftreten (Angaben bei Dr. Sch.). Bei den von Dr. Sch. abgefragten Alltagskompetenzen hat die Klägerin zumindest deren Durchführbarkeit bejaht. Allein der Umstand, dass die Klägerin früh aufsteht, hält der Senat dabei nicht für ausschlaggebend, da ihr Ehemann berufsbedingt bereits um 4 Uhr morgens seinen Dienst anzutreten hat. Es ist daher ebenfalls nachvollziehbar, dass ein Familienleben in den späten Abendstunden nicht mehr stattfindet. Dr. Sch. hat keine schmerzbedingten Schonhaltungen feststellen können und Muskelatrophien ausdrücklich verneint. Die Angabe der Klägerin gegenüber Dr. Sch., bei Alltagsverrichtungen nicht eingeschränkt zu sein, deckt sich auch mit denen gegenüber Dr. M. bei dessen Untersuchung 2009. Auch unter Berücksichtigung des von Dr. H. erhobenen psychischen Befundes lässt sich nach Auffassung des Senats noch keine schwere Störung mit Anpassungsschwierigkeiten feststellen. So hat sich die Klägerin ohne Einschränkungen der Auffassung, der Konzentration und des Durchhaltevermögens in der Untersuchung gezeigt, obwohl die Klägerin angeblich jahrelang unter Durchschlafstörungen leidet. Störungen der Merkfähigkeit des Kurz- bzw. Langzeitgedächtnisses hat Dr. H. nicht festgestellt. Insgesamt stellte sich bei Dr. H. die Stimmungslage der Klägerin leicht, streckenweise mäßig gedrückt bei themenabhängiger Auflockerung dar. Schwerwiegende Beeinträchtigungen der affektiven Schwingungsfähigkeit hat Dr. H. bei leicht bis mäßig reduziertem Antrieb nicht gefunden. In Übereinstimmung mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. ist der Senat daher der Auffassung, dass es in der Zusammenschau der bei der Klägerin vorliegenden Schmerzstörung und der leichtgradigen Depression zu einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gekommen ist, aber angesichts der eher mäßigen Einschränkungen der für stärker behindernde Störungen eröffnete GdB-Rahmen zwischen 30 und 40 nicht nach oben auszuschöpfen ist. Soweit der behandelnde Rheumatologe Dr. B. in seiner letzten Stellungnahme von einem Gesamt-GdB von 50 ausgeht, findet dies keine Begründung in den von ihm mitgeteilten Befunden, denn er hat einen psychiatrischen Befund gerade nicht erhoben, sondern nur die von der Klägerin anamnestisch mitgeteilten Beschwerden aufgenommen. Schwere körperliche Bewegungseinschränkungen hat Dr. B. nicht dokumentiert. Die von Dr. B. selbst in seiner sachverständigen Zeugenaussage dargestellten Grundsätze, wann ein höherer GdB als 30 für die vorliegende Gesundheitsbeeinträchtigung anzusetzen ist, sind bei der Klägerin auch nach seinen Befunden nicht erfüllt. Bei der Klägerin fehlt es auch an einem nachvollziehbaren Leidensdruck. Obwohl bereits die stationäre Rehabilitation zu einer deutlichen Besserung führte und sie als arbeitsfähig entlassen werden konnte, hat sie seit 2010 keinen Schmerztherapeuten mehr aufgesucht. Sie wird gelegentlich beim Nervenarzt Dr. M. behandelt, um richtig auf die Antidepressiva eingestellt zu werden, die sie niedrig dosiert erhält (Valdoxan 25 0-0-1). Schmerzmittel sind nur bei Bedarf alle 2 Wochen erforderlich, hierbei sind frei zugängliche, nicht verschreibungspflichtige (Ibuflam 600) ausreichend. Weder findet eine psychotherapeutische Behandlung der Klägerin statt, noch wird vermehrt fremde Hilfe in der Lebensgestaltung in Anspruch genommen, noch liegen massive Fehlzeiten am Arbeitsplatz vor. Die Einschätzung von Dr. B. ist daher selbst nach den von ihm angewandten Grundsätzen nicht nachzuvollziehen. Gleiches gilt für die abweichende Einschätzung von dem behandelnden Schmerztherapeuten Dr. M., der den bei der Klägerin vorliegenden Gesamt-GdB auf 30 schätzte, wobei die Aussagekraft schon allein deswegen begrenzt ist, weil die Klägerin bei ihm nicht langfristig und zuletzt am 27.04.2010 in Behandlung befand.
Für das Funktionssystem Herz-Kreislauf beträgt der Einzel-GdB allenfalls 10.
Nach den VG, Teil B, Nr. 9.3 beträgt für einen Bluthochdruck in leichter Form (keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung; höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) der GdB 0 bis 10 und in mittelschwerer Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonikus I-II und/oder Linkshypertrophie des Herzes und/oder Proteinueri), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung je nach Leistungsbeeinträchtigung der GdB 20 bis 40. Die Klägerin wird mit einem Blutdruckmedikament behandelt, da dieser schwankt und nach ihren Angaben gegenüber Dr. H. manchmal zu hoch ist. Aus dem Rehabilitationsentlassungsbericht der Luisen-Klinik ergibt sich, dass die Klägerin am 07.05.2010 bis auf zwei ventrikuläre Extrasystolen ein unauffälliges EKG hat. Einen weiteren pathologischen Befund haben die Ärzte nicht erhoben. Leistungsbeeinträchtigungen oder Augenhintergrundveränderungen, ganz zu schweigen von weiteren Organbeteiligungen, liegen ausweislich der medizinischen Unterlagen nicht vor. Daher ist allenfalls von einer ganz leichten Form des Bluthochdruckes auszugehen, welche mit einem Teil-GdB von 10 ausreichend bewertet ist.
Unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte (Einzel-GdB 20 für das Funktionssystem Rumpf, Einzel-GdB 30 für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche und Einzel-GdB 10 für das Funktionssystem Herz-Kreislauf) beträgt der Gesamt-GdB jedenfalls nicht mehr als 40. Dies ergibt sich aus den dargestellten Überschneidungen der Auswirkungen der Behinderungen auf orthopädischem und nervenheilkundlichem Fachgebiet.
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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