L 7 AS 329/13 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 941/13 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 329/13 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Aufrechnung gegen Geldleistungsansprüche nach SGB II erfolgt gemäß § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II durch Verwaltungsakt. Dieser Verwaltungsakt wird von § 39 SGB II nicht erfasst, so dass Widerspruch und Klage gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung haben.
Die Dauer der Aufrechnung ist gemäß § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II grundsätzlich auf drei Jahre begrenzt. Dies zeigt, dass die Geltungsdauer eines Aufrechnungsverwaltungsaktes nicht an die Grenzen eines Bewilligungszeitraums von regelmäßig sechs Monaten gebunden ist. Soweit eine laufende Bewilligung die bereits festgelegte Aufrechnung als Rechungsposten wiedergibt, handelt es sich lediglich um eine wiederholende Verfügung ohne erneute sachliche Prüfung.
Ob eine Deckelung der Gesamtaufrechnung auf 30 % des Regelbedarfs nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB II durch Verwaltungsakt erfolgt oder sich die zu hohe Aufrechnung ohne Verwaltungsakt erledigt, kann im einstweiligen Rechtsschutz offen bleiben, weil in der Reduzierung der Aufrechnung keine Beschwer liegt.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom
23. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.
Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, ob die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) durch Aufrechnungen reduziert werden dürfen.

Der 1953 geborene Antragsteller bezieht vom Antragsgegner laufend Arbeitslosengeld II.

Aufgrund einer Nachzahlung von Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) erging am 11.09.2012 ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für die Zeit von Februar bis Juli 2011 mit einer Gesamtforderung von 1572,54 Euro. Zugleich wurde in diesem Bescheid eine Aufrechnung in Höhe von monatlich 112,20 Euro (30 % des Regelbedarfs von 374,- Euro) verfügt. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 20.02.2013). Eine Klage erfolgte nicht.

Aufgrund eines nicht mitgeteilten Einkommens aus Arbeit erging am 15.01.2013 ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für den November 2012 mit einer Gesamtforderung von 994,- Euro. Zugleich wurde in diesem Bescheid eine Aufrechnung in Höhe von monatlich 38,20 Euro (10 % des Regelbedarfs von 382,- Euro) verfügt. Dagegen wurde weder Widerspruch noch Klage erhoben.

Mit Schreiben vom 01.03.2013 (Verwaltungsakte S. 835) teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass sich die Rückforderungssumme aus dem Erstattungsbetrag von 1572,54 Euro ab April 2013 auf monatlich 76,40 Euro (20 % des Regelbedarfs) und aus dem Erstattungsbetrag von 994,- Euro auf monatlich 38,20 Euro (10 % des Regelbedarfs) belaufe. Der Antragsteller möge daneben beachten, dass auch die Stromabschlagszahlungen von monatlich 81,- Euro laufend an die Stadtwerke überwiesen werden. Dieses Schreiben war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zum Widerspruch versehen.

Der Antragsteller legte gegen das Schreiben vom 01.03.2013 Widerspruch ein. Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2013 als unzulässig verworfen. Bei dem Schreiben handle es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern hinsichtlich der Aufrechnungen lediglich um wiederholende Verfügungen. Ob gegen den Widerspruch Klage erhoben wurde, ist nicht bekannt.

Bereits am 18.04.2013 stellte der Antragsteller anlässlich eines Erörterungstermins am Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Der Bescheid vom 01.03.2013 sei aufzuheben und ihm ab April 2013 der volle Regelbedarf in Höhe von 382,- Euro ohne Abzug von Aufrechnungsbeträgen zu gewähren bzw. die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 01.03.2013 festzustellen. Die Nachzahlung des Arbeitsamtes habe er nie erhalten. Von der derzeit überwiesenen Summe von 186,40 Euro könne er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten.

Mit Beschluss vom 23.05.2013 lehnte das Sozialgericht München den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Zulässig sei ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 01.03.2013. Dieser Antrag sei jedoch nicht begründet. § 39 SGB II erfasse nicht die Aufrechnung nach § 43 SGB II. Eine gerichtliche deklaratorische Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs analog § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei hier grundsätzlich möglich. Dies scheitere hier aber daran, dass das Schreiben vom 01.03.2013 kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei. Die Aufrechnungen seien in den beiden Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden enthalten, die bestandskräftig seien. Das Schreiben vom 01.03.2013 sei lediglich eine Wiederholung dieser Verfügungssätze. Die Wiederholung eines Verwaltungsaktes sei selbst dann kein Verwaltungsakt, wenn sie - wie vorliegend - in der Form eines Bescheides mit Rechtsbehelfsbelehrung und Gründen erfolgt ist (BSG, Urteil vom 17.04.1991, 1 RR 2/89 = BSGE 68, 228). Mit der Reduzierung der einen Aufrechnung von 30 % auf 20 % des Regelbedarfs vollziehe der Antragsgegner lediglich die gesetzlichen Vorgaben des § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB II. Der Beschluss sei unanfechtbar.

Mit Bescheid vom 03.06.2013 wurde dem Antragsteller für die Zeit von 01.06.2010 bis 30.11.2013 Arbeitslosengeld II von monatlich 1.002,- Euro bewilligt. Auf Seite 5 dieses Bescheides wurde unter Auszahlungsmodalitäten auf eine monatliche Aufrechnung von insgesamt 114,60 Euro (30 % von 382,- Euro) verwiesen.

Der Antragsteller hat am 04.06.2013 Beschwerde eingelegt. Die Entscheidung des Sozialgerichts sei anfechtbar, weil es um eine Aufrechnung in Höhe von 1572,54 Euro gehe. Die Entscheidung des Sozialgerichts sei falsch, weil die Kürzung des Regelbedarfs weit über 30 % liege.

Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 23.05.2013 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm ab April 2013 den vollen Regelbetrag ohne Abzug der Aufrechnungsbeiträge zu gewähren bzw. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31.03.2013 gegen den Bescheid vom 01.03.2013 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Bereits am 03.06.2013 hat der Antragsteller beim Sozialgericht München erneut einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (Az. S 32 AS 1272/13 B ER). Der Bescheid vom 01.03.2013 sei aufzuheben und Antragsgegner sei zu verpflichten, ihm ab Juni 2013 den ungekürzten Regelbedarf zu gewähren bzw. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 01.03.2013 anzuordnen. Mit Beschluss vom 12.06.2013 lehnte das Sozialgericht diesen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Der Antrag sei bereits unzulässig. Der Beschluss vom 23.05.2013, S 16 AS 941/13 ER, habe bereits über die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 01.03.2013 entschieden. Die dagegen gerichtete Beschwerde sei bei Bay. Landessozialgericht anhängig. Auch wenn man zugunsten des Antragstellers davon ausgehe, dass das Sozialgericht im vorgenannten Beschluss lediglich für die Zeit bis zum Ablauf der damaligen Bewilligung (31.05.2013) entschieden habe, bestehe keine Erfolgsaussicht. Eine Klage sei gegen den Widerspruchsbescheid vom 04.06.2013 nicht eingelegt worden. Das Schreiben vom 01.03.2013 enthalte im Übrigen neben wiederholenden Verfügungen keine Beschwer, weil in diesem Schreiben lediglich eine bereits bestehende Aufrechnung von 30 % auf 20 % reduziert worden sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akten S 16 AS 941/13 ER und S 32 AS 1272/13 ER des Sozialgerichts sowie die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.

II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht abgewiesen hat.

Bei der Frage der Zulässigkeit der Beschwerde geht das Beschwerdegericht zugunsten des Antragstellers davon aus, dass er sich im Verfahren S 16 AS 941/13 ER gegen jedwede Verkürzung seiner ab April 2013 gezahlten Leistungen durch Aufrechnungen gewandt hat. Dies entspricht dem Verständnis des Antragstellers vom Bedeutungsgehalt des Schreibens vom 01.03.2013, das nicht an bestimmte Bewilligungszeiträume gebunden ist.

Eine Aufrechnung gegen Ansprüche auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II ist gemäß § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II durch Verwaltungsakt zu erklären. Dieser Verwaltungsakt ist nicht gemäß § 39 SGB II sofort vollziehbar (Gagel, SGB II/ SGB III, § 39 Rn. 19; Münder, LPK SGB II, 4. Auflage 2011, § 39 Rn. 13). Es handelt sich bei einer Aufrechnung weder um eine Aufhebung (§ 48 SGB X), eine Rücknahme (§ 45 SGB X), einen Widerruf (§ 47 SGB X), noch um eine Feststellung einer Pflichtverletzung verbunden mit einer Minderung des Auszahlungsanspruchs (§§ 31 bis 32 SGB II) nach § 39 Nr. 1 SGB II. Die anderen Fallgestaltungen des § 39 SGB II kommen ohnehin nicht in Betracht.

Ein Widerspruch oder eine Klage gegen einen Verwaltungsakt, der eine Aufrechnung verfügt, hätte gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung. Eine aufschiebende Wirkung in Bezug auf das Schreiben vom 01.03.2013 kann das Gericht aber nicht feststellen, weil dieses Schreiben keine Aufrechnung zulasten des Antragstellers verfügte.

In § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II ist festgelegt, dass eine Aufrechnung spätestens drei Jahre nach Bestandskraft der Aufrechnungsentscheidung endet. Mit dieser Regelungsdauer überschreitet sie einzelne Bewilligungszeiträume von i.d.R. sechs Monaten (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) bei weitem. Ein Aufrechnungsverwaltungsakt bezieht sich also nicht nur auf die laufende Bewilligung. Soweit eine laufende Bewilligung die bereits festgelegte Aufrechnung als Rechnungsposten wiedergibt, handelt es sich lediglich um eine wiederholende Verfügung ohne erneute sachliche Prüfung der Aufrechnung (vgl. von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 31 Rn. 32). Gleiches gilt für das Schreiben vom 01.03.2013, das - abgesehen vom Hinweis auf die Verringerung der einen Aufrechnung - hinsichtlich der beiden Aufrechnungen keinen Verwaltungsakt, sondern nur wiederholende Verfügungen enthält.

Es kann offen bleiben, ob die Mitteilung im Schreiben vom 01.03.2013, dass sich die Aufrechnung aus dem Bescheid vom 11.09.2012 von knapp 30 % auf 20 % des aktuellen Regelbedarfs verminderte, ein eigenständiger Verwaltungsakt ist. Dafür spräche, dass die Aufrechnung nach § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II grundsätzlich durch Verwaltungsakt zu regeln ist sowie das äußere Erscheinungsbild des Schreibens vom 01.03.2013 mit einer Rechtsbehelfsbelehrung. Dagegen spräche, dass gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB II später erklärte Aufrechnungen (Verwaltungsakte) vorherige Aufrechnungserklärungen (Verwaltungsakte) "erledigen", soweit sich sonst ein Aufrechnungsbetrag von mehr als 30 % ergeben würde. Dieses "Erledigen" knüpft an den Wortlaut von § 39 Abs. 2 SGB X an, wonach die Erledigung eines Verwaltungsakts gerade außerhalb eines darauf gerichteten Verwaltungsverfahrens stattfindet (in diesem Sinn Hauck/Noftz, SGB II, § 43 Rn. 139). Diese Frage kann offen bleiben, weil die Verminderung der Aufrechnung den Antragsteller nicht belastet und er sich nicht gegen die Herabsetzung der Aufrechnung vom 11.09.2012 wendet.

Insgesamt ist festzustellen, dass der Antragsteller sich in diesem Eilverfahren nicht erfolgreich gegen den Vollzug der Aufrechnung wehren kann. Die Aufrechnungen wurden zuvor bestandskräftig verfügt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved