L 9 SO 26/05 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 SO 160/05 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 26/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft entsteht dann nicht, wenn bei Vorliegen einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft aus Nächstenliebe die umfangreiche Pflege des Mitbewohners gegen Erhalt des Pflegegeldes übernommen wird.
Um die Hauptsache nicht vorwegzunehmen, ist es auch bei Leistungen der Grundsicherung gerechtfertigt, eine Abrundung vorzunehmen (hier unter 4 %).
Leistungen der Grundsicherung stellen keine rentenähnlichen Dauerleistungen dar. Im Rahmen einstweiliger Anordnungen ist es daher angezeigt, eine Verpflichtung nur bis zum Ende des Folgemonats der Entscheidung auszusprechen.
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 22. August 2005 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 26. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2005 eine monatliche Grundsicherung in Höhe von EUR 400,- zu zahlen, sowie in diesem Zeitraum entstehende Kosten der Krankenbehandlung ohne Einkommensanrechnung zu übernehmen. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

II. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Instanzen zu tragen.

Gründe:

I.

Der 1938 geborene Antragsteller erhält eine monatliche Altersrente in Höhe von EUR 276,37. Ferner bezog er von dem Antragsgegner Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) in Höhe von zuletzt EUR 293,36 bis zum 31. Oktober 2004. Während dieser Zeit wohnte er als Untermieter bei Frau C. (Frau C.). Ausweislich einer hausärztlichen Bescheinigung vom 22. März 2005 (Dr. D.) besteht eine Behinderung von 100 % bei Diabetes mellitus, diabetischer Mikroangiopathie (Unterschenkelamputation beider Beine), diabetische Polyneuropathie, diabetische Retinopathie bds., arterieller Hypertonus, chronisches immobilitätsbedingtes LWS-Syndrom, chronische Depression. Der Antragsteller sei massiv pflegebedürftig bei Urininkontinenz (Urinkatheder), unkontrollierter Stuhlinkontinenz, die trotz Versorgung mit Windelhosen eine fast permanente Pflegebereitschaft notwendig mache. Der Antragsteller brauche Hilfe bei der Medikamentengabe, bei allen Umbettungs- oder Umsetzungsaktionen und sei auch abhängig von vielen kleinen Handreichungen; er sei immobil im Rollstuhl, in den er gesetzt werden müsse, in dem er es aber druckbedingt nicht lange aushalte. Die Unterschenkelprothesen könnten nur mit Hilfe angelegt werden und auch die mit Prothesen gestarteten Mobilisierungsversuche (Rollator) bedürften der zusätzlichen Stützung und Begleitung. Für die adäquate Pflege sei eine dauerpräsente Pflegekraft notwendig. Das dem Antragsteller gewährte Pflegegeld erhält die die Pflege durchführende Frau C. Zum 1. November 2004 schlossen der Antragsteller und Frau C. einen Mietvertrag über eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Wohnanlage A-Straße in A-Stadt (57,37 m², Grundmiete EUR 430,30, Betriebskostenvorauszahlung EUR 119,70), die über 15 behindertengerechte Wohnungen verfüge. Es handele sich dabei nicht um ein Altersheim. Mit Bescheid vom 30. September 2004 lehnte der Antragsgegner die Weitergewährung von Leistungen nach dem GSiG für die Zeit ab 1. November 2004 vorerst ab, da der Antragsteller mit Frau C. eine eheähnliche Lebensgemeinschaft im Sinne des § 122 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) führe, so dass zunächst Einkommen und Vermögen von Frau C. zu ermitteln seien. Den Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2004 ab, da sich in einem persönlichen Gespräch mit Frau C. der Eindruck verfestigt habe, dass eine eheähnliche Gemeinschaft vorliege, u. a. weil beide bereits vor dem gemeinsam beschlossenen Umzug in die Seniorenwohnanlage zusammen gelebt hätten, weil Frau C. nicht nur die Pflege und die hauswirtschaftlichen Verrichtungen für den Antragsteller übernehme, sondern auch alle anderen Wege für ihn erledige und ihn gegenüber Behörden vertrete. Es erfolge keine getrennte Haushaltsführung. Die Versorgung des Antragstellers bedeute für Frau C. nicht nur eine nicht unerhebliche Belastung und Einschränkung ihrer persönlichen Belange, was sich nicht nur durch ein ausgeprägtes soziales Verantwortungsbewusstsein erkläre, sondern auch das Bestehen einer persönlichen Bindung vermuten lasse. Bei Berücksichtigung eines fiktiven Renteneinkommens der Frau C. zeige sich, dass das anzurechnende gemeinsame Einkommen den Bedarfssatz überschreite, so dass sich kein Grundsicherungsanspruch ergebe. Dagegen hat der Antragsteller am 1. Dezember 2004 vor dem Verwaltungsgericht Kassel Klage erhoben (5 E 2891/04). Am 8. Dezember 2004 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Kassel den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel der vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem GSiG. Mit Beschluss vom 10. März 2005 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass nach den bestehenden Indizien Frau C. Verantwortung übernommen habe und eine innere Bindung empfinde. Dabei stelle auch die Nächstenliebe ein Mitgefühl als Form der inneren Bindung und des Füreinander-Einstehens dar. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies der Hessische VGH mit Beschluss vom 10. Mai 2005 im Wesentlichen mit der Begründung ab, da die Sozialgerichtsbarkeit seit 1. Januar 2005 über solche Ansprüche der Sozialhilfe zu befinden habe, sei es dem Antragsteller zuzumuten, hinsichtlich der hier noch möglichen Leistung von ca. drei Wochen das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Mit Bescheid vom 21. Juni 2005 und Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2005 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB 12) mit der Begründung ab, dass eine eheähnliche Gemeinschaft mit Frau C. vorliege. Die hiergegen am 18. Juli 2005 erhobene Klage vor dem Sozialgericht Kassel (S 5 SO 150/05) ist noch anhängig. Ein weiteres noch vor dem Sozialgericht Kassel anhängiges Verfahren (S 5 SO 149/05) hat die Frage der Richtigkeit der Erhebung eines Eigenanteils zur Hilfe bei Krankheit zum Gegenstand. Insoweit verlangt der Antragsgegner einen von dem Antragsteller zu entrichtenden Eigenanteil an den entstehenden Kosten der Krankenbehandlung in Höhe von EUR 402,12. Am 26. Juli 2005 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Kassel den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt hinsichtlich der vorläufigen Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB 12. Er hat vorgetragen, er lebe mit Frau C. lediglich in einer Wohngemeinschaft. Anlass für Frau C., im Jahre 1996 einen Untermieter zu suchen, sei nicht der Wunsch gewesen, einen Lebenspartner zu finden, sondern der Tod ihrer Mutter, die bis dahin mit in der Wohnung gelebt habe. Die Wohnung sei schlicht zu groß und für sie allein zu teuer gewesen. Auf der anderen Seite habe sie die vertraute Umgebung nicht verlassen wollen. Der Antragsteller sei ihr von der Schwester des Antragsstellers als ruhiger Untermieter empfohlen worden. Es sei richtig, dass sie nach einer Eigenbedarfskündigung des Vermieters gemeinsam aus der Wohnung aus- und in eine behindertengerechte Wohnung eingezogen seien. Dies habe jedoch nichts mit einer eheähnlichen Gemeinschaft zu tun, sondern sei aus Praktikabilitätsgründen erfolgt. Frau C. pflege den Antragsteller und er trage seine eigenen Lebenshaltungskosten. Der Aufwand für Miete, Mietnebenkosten sowie des Haushaltes würden geteilt. Er erhalte von Frau C. keinerlei Zuwendungen und hätte auch keinen Anspruch darauf. Seit dem 1. November 2004 habe er sich deshalb Geld von einer Freundin (nicht Frau C.) geliehen, die jedoch nicht mehr bereit sei, ihm weiteres Geld zu leihen. Der Antragsteller hat u. a. eine eidesstattliche Versicherung der Frau C. vorgelegt, dass sie mit ihm lediglich in einer Wohngemeinschaft und nicht in einer eheähnlichen oder Wirtschaftsgemeinschaft lebe. Der Antragsgegner hat sich insbesondere auf einen Aktenvermerk des zuständigen Sachbearbeiters mit Frau C. (Gespräch vom 25.10.2004) gestützt. Danach habe Frau C. mitgeteilt, dass sie nach dem Tod ihres früheren Partners wieder jemanden gesucht habe. Eine Freundin sei an sie herangetreten und habe ihr den Antragsteller "ans Herz gelegt". Die Versorgung des Antragstellers bedeute eine nicht unerhebliche Belastung und Einschränkung ihrer persönlichen Belange und lasse sich nicht nur durch ausgeprägtes soziales Verantwortungsbewusstsein erklären, sondern lasse eine persönliche Bindung vermuten. Mit Beschluss vom 22. August 2005 hat das Sozialgericht Kassel den Antrag abgelehnt und dies u. a. damit begründet, es liege zwar ein Anordnungsgrund vor, jedoch kein Anordnungsanspruch. Bereits das Verwaltungsgericht Kassel habe in seinem Beschluss vom 10. März 2005 ausgeführt, dass eine innere Bindung zwischen dem Antragsteller und Frau C. bestehe. Das vom Antragsteller bezogene Pflegegeld in Höhe von EUR 410,- entspreche nur der Pflegestufe II und zeige, dass allein die pflegerische Tätigkeit die Anwesenheit der Frau C. von 24 Stunden am Tag nicht erfordere. Zutreffend habe deshalb das VG Kassel dargelegt, dass vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen sei. Dem schließe sich die Kammer an. Das Zusammenleben gestalte sich nicht anders als in einer funktionierenden Ehe, in der ein Ehepartner den anderen pflege. Schließlich werde auch die Wohnung gemeinsam benutzt. Es würden zwar die Kosten der Haushaltsführung nach Möglichkeit geteilt, jedoch werde keine getrennte Haushaltsführung vorgenommen. Alles in allem müsse das Gericht daher zugrunde legen, dass es sich vorliegend um eine geradezu "klassische" nichteheliche Lebensgemeinschaft handele. Hiergegen hat der Antragsteller am 2. September 2005 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (7. September 2005). Der Antragsteller trägt vor, der Aktenvermerk vom 26.10.2004 sei ihm unbekannt und er bestreite dessen Richtigkeit. Frau C. habe ihn nicht wegen ihres sozialen Engagements in ihrer Wohnung aufgenommen, sondern weil sie für die nach dem Tod der Mutter zu große Wohnung einen Untermieter gesucht habe. Damals sei er auch nicht pflegebedürftig krank gewesen. Frau C. habe auch nichts von seinem Sozialhilfebezug gewusst, sondern dies erfahren, als die erste Miete ausgeblieben sei. Eine Kündigung sei auch nicht aus sozialem Engagement unterblieben, sondern, weil in der Folgezeit die Mieten pünktlich gezahlt worden seien. Die Begründung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft sei im Beschwerdeverfahren angegriffen worden. Der VGH habe die Beschwerde wegen Fehlen eines Anordnungsgrundes zurückgewiesen, da es dort lediglich um eine Leistung in Höhe von EUR 227,12 gegangen sei. Entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts bedürfe er einer fast 24-stündigen Pflege mit fast permanenter Pflegebereitschaft. Die Pflegestufe III erhalte er zur Zeit nur deshalb nicht, weil er die Nahrungsaufnahme noch selbständig bewerkstelligen könne. Nachts könne er ohne fremde Hilfe das Bett zum Aufsuchen des Abortes nicht verlassen. Dies sei jedoch trotz Windelversorgung durchschnittlich 2x pro Nacht notwendig. Für den Fall des Auszuges der Pflegeperson müsse er zwingend in ein Heim zur Vollzeitpflege aufgenommen werden. Er könne auch keinen Eigenanteil für die Krankenversicherung aufbringen. Unterhaltsansprüche habe er weder gegen Frau C. noch gegen sonstige Dritte. Das verfassungsrechtliche Gebot des Schutzes der Menschenwürde bedeute daher, dass er in die Lage versetzt werden müsse, seinen elementaren Lebensbedarf aktuell zu befriedigen. Die Versagung der einstweiligen Anordnung stelle daher eine unzulässige "Vorwegnahme der Hauptsache" dar. Er sei dringend auf eine Entscheidung angewiesen, da er seine Grundversorgung nicht mit seinen Mitteln sicherstellen könne. Der Antragsteller und Frau C. haben auf Anfrage des Senats eidesstattliche Versicherungen am 6. November 2005 abgegeben, auf die Bezug genommen wird.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 22. August 2005 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch 12. Buch ab dem 26. Juli 2005 bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren (Sozialgericht Kassel S 5 SO 150/05) in gesetzlicher Höhe zu erbringen.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner bezieht sich auf den angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Kassel, sowie auf sein bisheriges Vorbringen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Der erkennende Senat hat die Akten des Verwaltungsgerichts Kassel (7 G 2958/04 = VGH 10 TG 971/05, ferner fotokopiert Stand 28.7.2005 die Akten 5 E 2891/04) sowie des Sozialgerichts Kassel S 5 SO 149/05 und S 5 SO 150/05 beigezogen. Die Beschwerdeakten des erkennenden Senates L 9 B 146/05 SO wurden ebenfalls zum Gegenstand der Entscheidung gemacht.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), insbesondere statthaft, sowie form- und fristgerecht eingelegt worden, § 173 SGG. Die Beschwerde ist auch weitgehend begründet. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichtes Kassel vom 22. August 2005 ist rechtswidrig und war deshalb aufzuheben. Nach Auffassung des erkennenden Senates liegen die Voraussetzungen zum Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne der Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen der Grundsicherung gemäß § 41 ff. SGB 12 vor.

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine Einstweilige Anordnung kann auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Nach der herrschenden Meinung (die sich u. a. auf die in § 86b Abs. 2 Satz 4 und der vergleichbaren Regelung in § 123 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO - ausgesprochene Verweisung auf die §§ 920 ff Zivilprozessordnung – ZPO – stützen kann, vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 86b, RdNr. 26 ff.) setzt der Erlass einer Einstweiligen Anordnung auch in der Form der Regelungsanordnung sowohl das Vorliegen eines Anordnungsgrundes als auch eines Anordnungsanspruchs voraus. Dabei darf grundsätzlich mit der Einstweiligen Anordnung nicht die Hauptsache vorweggenommen werden. Als Anordnungsanspruch muss eine Rechtsposition gegeben sein, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist und möglich erscheint. Wenn eine Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist eine geschützte Rechtsposition nicht vorhanden (vgl. Meyer-Ladewig § 86b RdNr. 29). Es muss zumindest glaubhaft gemacht werden, dass ein solcher Anspruch dem Grunde nach besteht. Daneben muss ebenfalls glaubhaft gemacht werden, dass wesentliche Nachteile drohen, wenn eine vorläufige Regelung unterbleibt (Anordnungsgrund), es für den Betroffenen als nicht zumutbar erscheint, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. Meyer-Ladewig § 86b RdNrn. 27a, 28). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden ein voneinander abhängiges bewegliches System (vgl. Meyer-Ladewig § 86b RdNr. 27 m.w.N.). Im vorliegenden Verfahren ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben. Denn der Antragsteller gehört zum anspruchsberechtigten Personenkreis des § 41 Abs. 1 und 2 SGB 12. Nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens kann mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass eine Anrechnung von Einkommen und Vermögen der Frau C. gemäß § 43 Abs. 1 SGB 12 nicht in Betracht kommt. Denn nach derzeitiger Aktenlage, den abgegebenen Erklärungen und eidesstattlichen Versicherungen des Antragstellers und Frau C. ist das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft eher unwahrscheinlich. Eine eheähnliche Gemeinschaft setzt regelmäßig das Vorhandensein einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft voraus. Dass eine solche Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau C. besteht, dürfte jedenfalls insoweit nicht ernsthaft streitig sein, als der Antragsteller und Frau C. hinsichtlich aller häuslichen Belange entweder die Kosten teilen oder etwa hinsichtlich der Telefonkosten nach dem Verursacher der Kosten aufteilen. Allein das Vorhandensein einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft reicht aber für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht aus. Eine eheähnliche Gemeinschaft liegt bei verfassungskonformer Auslegung des § 43 Abs. 1 SGB 12 vielmehr nur dann vor, wenn zwischen den Partnern so enge Bindungen bestehen, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann (Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft; vgl. Beschluss des erkennenden Senates vom 30.9.2005 L 9 AS 52/05 ER, BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87BVerfGE 87, 234 zu § 137 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz – AFG – und BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995 – 5 C 16/93BVerwGE 98, 195 zu § 122 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz – BSHG). Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre Lage mit derjenigen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar. Ob eine Gemeinschaft von Mann und Frau diese besonderen Merkmale der eheähnlichen Gemeinschaft aufweist, lässt sich in der Verwaltungspraxis nur anhand von Indizien feststellen. Als solche Hinweistatsachen, die sich nicht erschöpfend aufzählen lassen, kommen etwa in Betracht die lange Dauer des Zusammenlebens, die Intensität der Bekanntschaft vor Begründung der Wohngemeinschaft sowie der Anlass für das Zusammenziehen, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen (BVerfGE 87, 234, 265). Eine lange Dauer des Zusammenlebens ist als gewichtigstes Indiz anzusehen (BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 1999 5 B 114/98). Die genannten Hinweistatsachen sind weder abschließend noch müssen diese kumulativ vorliegen (BVerwGE 98, 195, 200 f.). Entscheidend ist stets das Gesamtbild der für den streitgegenständlichen Zeitraum feststellbaren Indizien. Stellen die Partner einer Gemeinschaft zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicher, bevor sie ihr persönliches Einkommen für die Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, kann im Regelfall auf das Vorliegen der inneren Bindungen, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen (vgl. BVerfGE 87, 234, 264), geschlossen werden (BVerwGE 98, 195, 198). Unter Berücksichtigung der vorstehenden Kriterien spricht im vorliegenden Fall mehr gegen das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft als dafür. In der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers vom 6. November 2005, der Frau C. durch bestätigende eidesstattliche Versicherung beigetreten ist, wurde erklärt, dass es keine gemeinsamen Bankkonten gibt, dass der Antragsteller sein (Pflege)Zimmer mit eigenen Möbeln eingerichtet hat, die Kosten der Wohnung und Haushaltsführung geteilt werden, die übrigen Kosten des alltäglichen Lebens abgerechnet werden, der Antragsteller sich seit November 2004 insgesamt EUR 1.800,- von verschiedenen Personen (nicht von Frau C.) geliehen hat, er einen Anteil von EUR 25,- für Strom bezahlt und Telefon nach Einheiten abrechnet und keine gegenseitige testamentarische Einsetzung besteht. Daraus ergeben sich keine Indizien für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Soweit der Antragsgegner sich auf einen Aktenvermerk des zuständigen Sachbearbeiters (vom 25. oder 26. Oktober 2004) bezieht, war der Antragsteller bei dem Gespräch (Sachbearbeiter mit Frau C.) nicht dabei. Auch Frau C. hat die Richtigkeit des Vermerks nicht bestätigt, sondern bestreitet in der Form der eidesstattlichen Versicherung, entsprechende inhaltliche Angaben gemacht zu haben. Hinsichtlich der Vorgeschichte des Einzuges des Antragstellers als Untermieter in die durch den Tod der Mutter der Frau C. zu groß gewordenen Wohnung ergibt sich kein Hinweis auf das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft als Grund für den Einzug. Dass der Antragsteller der Frau C. empfohlen oder "ans Herz gelegt" worden sei, dürfte auch eher gegen die damalige Gründung einer eheähnlichen Gemeinschaft sprechen als dafür. Die Begründung eheähnlicher Gemeinschaften auf Empfehlung Dritter dürfte eher einem seltener vorkommenden Verhaltensmuster erwachsener deutscher Mitbürger entsprechen als die Begründung eines Untermietverhältnisses auf Empfehlung Dritter. Bestand aber in der früheren Wohnung – jedenfalls zunächst - kein eheähnliches Verhältnis, müssten durch Indizien erkennbare Veränderungen eingetreten sein, die eine eheähnliche Gemeinschaft hätten entstehen lassen. Der Eintritt der Pflegebedürftigkeit des Antragstellers kann nach Auffassung des erkennenden Senates ein solches Ereignis kaum gewesen sein. Auch die Tatsache, dass Frau C. die Pflege ihres Untermieters gegen Bezahlung (in Höhe des dem Antragsteller gewährten Pflegegeldes von EUR 410,-) übernommen hat, spricht nach Auffassung des erkennenden Senates kaum dafür, dass nunmehr deutlich Merkmale einer eheähnlichen Gemeinschaft zu erkennen wären. Das Verwaltungsgericht und ihm folgend das Sozialgericht verkennen die vom Antragsteller vorgetragene Abhängigkeit von der Pflegebereitschaft durch Frau C. über fast 24 Stunden täglich. Denn, wenn nächtliche Einsätze zur Unterstützung bei dem Gang zur Toilette erforderlich sind, lassen sich diese Leistungen eben nicht durch eine tagsüber zeitlich begrenzte Pflege erledigen. Die (fast) ständige Anwesenheit der Frau C. ist dann auch wegen der erforderlichen Pflege erforderlich. Beide Gerichte verkennen überdies, dass die nächtliche Anwesenheit der Frau C. natürlich auch daraus folgt, dass sie mit dem Antragsteller eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft bildet. Dies allein reicht aber zur Feststellung einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht aus, wie oben ausgeführt wurde. Soweit beide Gerichte aus der Übernahme von Verantwortung durch Frau C. aus zugegebener "Nächstenliebe" auf das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft schließen, verkennen sie die Bedeutung von Nächstenliebe. Der große Brockhaus (1979) führt hierzu aus:

"Nächstenliebe, die dem Wohl des Nächsten zugewandte aktive Gefühls- und Willenshaltung; im N.T. [Neues Testament] neben und mit der Gottesliebe Grundprinzip des sittlichen Verhaltens und Summe der göttl. Gebote, konkret als Liebe zu dem jeweiligen Hilfsbedürftigen." Die Übernahme von Verantwortung aus Nächstenliebe ist von den Grundlagen her nicht auf einen Menschen beschränkt und unterscheidet sich damit wesentlich von dem Füreinander-Einstehen ausschließlich eines Mannes und einer Frau im Rahmen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Es muss Frau C. auch überlassen bleiben, in welchem Umfang sie Verantwortung für den Antragsteller übernehmen will. Zur Überzeugung des erkennenden Senates spricht jedenfalls nach dem derzeitigen Stand nicht sehr viel dafür, dass Frau C. zusätzlich zu den von ihr übernommenen Pflegeleistungen (gegen Bezahlung) auch noch finanziell für den Antragsteller eintreten will oder eingetreten ist. Indizien hierfür sind nicht zu erkennen, insbesondere auch nicht durch den gemeinsamen Umzug in die behindertengerechte Wohnung. Hierin ist vielmehr die konsequente Fortsetzung der einmal übernommenen Pflege zu sehen.

Damit ist auch die Berücksichtigung von Einkommen der Frau C. hinsichtlich erforderlicher Krankenbehandlungen im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig aufzuheben.

Am Vorliegen eines Anordnungsgrundes hat der erkennende Senat keine Zweifel. Ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung ist dem Antragsteller nicht zumutbar. Die finanzielle Situation des Antragstellers ist so ungünstig, dass er aus eigenem Einkommen die notwendigen Mittel für seinen Unterhalt nicht bestreiten kann. Es erscheint auch glaubhaft, dass es für ihn immer schwieriger wird, im Freundeskreis Geld zu leihen. Eine (vorläufige) Entscheidung durch den erkennenden Senat erscheint damit eilbedürftig. Auch, wenn dem erkennenden Senat eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts wegen der Eilbedürftigkeit nicht möglich erscheint, ist unter Berücksichtigung der Folgenabwägung zugunsten des Antragstellers zu entscheiden (vgl. BVerfG 12.5.2005 – 1 BvR 569/05 = info also 2005, 166). Die mit großer Wahrscheinlichkeit vorliegende (finanzielle) Hilfebedürftigkeit des Antragstellers mit dem Fehlen der notwendigen existenzsichernden Mittel wiegt schwerer als die vorläufige Zahlung durch den Antragsgegner und die Schwierigkeit, evtl. ohne Rechtsgrund ausgegebene Leistungen später zurück zu erhalten.

Die Grundlage für die Höhe der vorläufigen Leistung ergibt sich aus dem
Regelbedarf (§§ 41, 42, 28 SGB 12) EUR 345,-
Mehrbedarf 17 % (§§ 42, 30 SGB 12) EUR 58,65
Unterkunftsbedarf (§§ 42, 29 SGB 12) EUR 275,-
Pflegeversicherung EUR 13,69
abzüglich eigene Rente./. EUR 276,36
Summe EUR 415,98

Um nicht die Hauptsache (auch nur zeitweise) vorwegzunehmen, erscheint es dem erkennenden Senat angezeigt, eine Abrundung auf EUR 400,- durchzuführen, die sich im Bereich unterhalb von 4 % hält. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass im Regelsatz nunmehr auch Anteile für langlebige Wirtschaftsgüter enthalten sind.

Eine Beschränkung auf die Zeit ab 26. Juli 2005 (Tag der Antragstellung) und bis zum Ablauf des Folgemonats der Entscheidung berücksichtigt, dass Leistungen der Grundsicherung keine rentengleiche Dauerleistungen darstellen, sondern nur für bestimmte Bewilligungsabschnitte gewährt werden und unter dem Vorbehalt evtl. Veränderungen und evtl. erforderlicher Überprüfungen stehen (vgl. Schellhorn, BSHG, 16. Auflage, § 4 RdNr. 46, BVerG 30.11.1966 – V C 29.66 = BVerwGE 25, 307, vom 18.1.1979 – 5 C 4/78 = BVerwGE 57,237, 26.9.1991 – 5 C 14/87 = BVerwGE 89,81). Eine (vorläufige) Verpflichtung des Antragsgegners bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b RdNr. 19) kam deshalb nicht in Betracht. Insoweit war der Antrag des Antragstellers abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Dabei war von einem weit überwiegenden Obsiegen des Antragstellers auszugehen, so dass keine Kostenquotelung in Betracht kam (Rechtsgedanke aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 Zivilprozessordnung).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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