L 8 B 225/05 KR

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 KR 138/05
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 B 225/05 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Mitglied einer Vereinigung im Sinne von § 73 Abs. 3 Satz 6 i. V. m. § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG ist berechtigt, ein Mitglied dieser Vereinigung vor den Sozialgerichten zu vertreten, wenn das zur Prozessführung bevollmächtigte Mitglied von dieser Vereinigung zur Vertretung seiner Mitglieder beauftragt wurde und eine auf ihn ausgestellte Prozessvollmacht des klagenden Mitgliedes vorlegt.
2. Eine Vereinigung im Sinne von § 73 Abs. 3 Satz 6 i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG muss die in § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG genannten Kriterien – mit Ausnahme der Berechtigung zum Vorschlag der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter – erfüllen.
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. August 2005 aufgehoben. Der Beschwerdeführer ist berechtigt als Bevollmächtigter der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e. V., den Kläger B. als Prozessbevollmächtigter vor dem Sozialgericht Darmstadt (Az. S 10 KR 138/05) zu vertreten.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Zurückweisung als Prozessbevollmächtigter.

Mit Schreiben vom 8. Februar 2005 hat der Beschwerdeführer als Bevollmächtigter des Klägers, Herrn B., Klage gegen die Barmer Ersatzkasse erhoben und die Erstattung von Fahrtkosten für die Teilnahme am Rehabilitationssport begehrt. Er hat eine auf ihn ausgestellte Prozessbevollmächtigung der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten in Deutschland e.V. (FGQ) zur Vertretung seiner Mitglieder sowie eine von dem Kläger unterzeichnete Prozessvollmacht vorgelegt.

Mit Beschluss vom 4. August 2005 hat das Sozialgericht Darmstadt die FGQ, vertreten durch den Beschwerdeführer, als Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückgewiesen. Diese sei satzungsgemäß nicht zur Prozessvertretung befugt; von einer Vertretung ihrer Mitglieder, etwa vor Behörden oder vor Gerichten, sei in der Satzung nicht die Rede. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer selbst zur Prozessführung berechtigt sei.

Gegen den am 6. August 2005 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 6. September 2005 Beschwerde eingelegt, auf deren Begründung Bezug genommen wird.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer ist berechtigt, als Bevollmächtigter des Klägers diesen vor dem Sozialgericht zu vertreten.

Für die Zurückweisung von Bevollmächtigten und Beiständen gilt gemäß § 73 Abs. 6 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Vorschrift des § 157 Zivilprozessordnung (ZPO) in entsprechender Anwendung. Nach § 157 Abs. 1 ZPO sind Personen – mit Ausnahme der Rechtsanwälte –, die die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, als Bevollmächtigte und Beistand in der Verhandlung ausgeschlossen. Die Vorschrift bildet damit die Rechtsgrundlage für die Zurückweisung solcher Personen, deren Tätigkeit gegen das Rechtsberatungsgesetz verstößt.

§ 73 Abs. 6 Satz 3 SGG in der ab 2. Januar 2001 geltenden Fassung des Sechsten Änderungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz (6. SGGÄndG) enthält hierzu eine Sonderregelung. Danach gilt § 157 Abs. 1 ZPO nicht für Bevollmächtigte, die Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern, von berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft und von den in § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG genannten Vereinigungen sind, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozessvertretung berufen sind.

Die geschäftsmäßige Vertretung des Klägers durch den Beschwerdeführer verstößt nicht gegen die Regelung des Rechtsberatungsgesetzes.

Nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Rechtsberatungsgesetzes - RBerG - vom 13. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1478), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21.06.2002 (BGBl. I S. 2010) darf die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten geschäftsmäßig nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Stelle die Erlaubnis erteilt ist. Nach Art. 1 § 7 Satz 1 RBerG bedarf es einer Erlaubnis aber nicht, wenn auf berufsständischer oder ähnlicher Grundlage gebildete Vereinigungen oder Stellen im Rahmen ihres Aufgabenbereichs ihren Mitgliedern Rat und Hilfe in Rechtsangelegenheiten gewähren. Hierzu ist erforderlich, dass die Mitglieder der Vereinigung durch ein bestimmtes und gemeinschaftlich verfolgtes Interesse verbunden sind, das für die Mitglieder von gleichem Gewicht ist wie die Interessen, die von einem Berufsstand verfolgt werden (OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 703 m.w.N.).

Im Sinne von Art. 1 § 7 RBerG gewährt die FGQ im Rahmen ihres satzungsmäßigen Aufgabenbereichs ihren Mitgliedern Rat und Hilfe in Rechtsangelegenheiten. Das ergibt sich jedenfalls aus § 2 ihrer Satzung in der Fassung vom 15. November 2005, wonach die Vertretung Betroffener nunmehr ausdrücklich zum Satzungszweck erhoben worden ist. Insoweit hat sich der diesbezügliche Einwand des Sozialgerichts durch die vorgenommene Satzungsänderung erledigt.

Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf die FGQ erfüllt. Es handelt sich um eine Vereinigung, deren satzungsmäßiges Ziel die Förderung der Interessen der Querschnittsgelähmten, insbesondere durch Zusammenarbeit mit anderen privaten und öffentlichen Einrichtungen durch Öffentlichkeitsarbeit, Informations- und Beratungstätigkeit Betroffener und die finanzielle Förderung finanziell Bedürftiger, ist. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass der so beschriebene Vereinszweck für die Mitglieder der FGQ von gleichem Gewicht ist wie die Interessen eines Berufsverbands.

Vorliegend unterliegt es auch keinerlei Bedenken, die FGQ als Vereinigung im Sinne von § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG i.V.m. § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG in der ab 2. Januar 2001 geltenden Fassung anzusehen.

Mit dieser neu eingeführten Verweisung des § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG auf den neu gefassten § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG sollen erstmalig die dort näher bezeichneten Vereinigungen – auch – berechtigt sein, ihre Mitglieder vor den Sozialgerichten zu vertreten, unter der Voraussetzung, dass die gemeinschaftliche Interessensvertretung, Beratung und Vertretung von Leistungsempfängern nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder von behinderten Personen einen wesentlichen Teil ihrer satzungsmäßigen Aufgaben ausmacht und sie unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit und ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Beratung und Vertretung bietet (so ähnlich auch Peter/Sautter/Wolff in Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., § 73 Rdnr. 115). Die Fördergemeinschaft bietet die Gewähr dafür, dass sie die Aufgabe der gemeinschaftlichen Interessenvertretung, der Beratung und Vertretung der behinderten Menschen sachkundig erfüllt. Wie sich aus dem substantiierten Vorbringen des Beschwerdeführers und den von ihm vorgelegten Unterlagen ergibt, handelt es sich bei der Fördergemeinschaft um eine Organisation mit ca. 6.000 Mitgliedern, die bundesweit tätig ist, durch Herausgabe einer eigenen Zeitschrift (PARAPLEGIKER) hervortritt und deren Mitglieder als ehrenamtliche Richter an Sozialgerichten tätig werden.

Der Befugnis des Beschwerdeführers zur Prozessvertretung der Mitglieder der Fördergemeinschaft steht nicht entgegen, dass diese in Hessen – nach Auskunft des für die Berufung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter der hessischen Sozialgerichtsbarkeit zuständigen Hessischen Ministeriums der Justiz vom 1. Februar 2006 – nicht zu den vorschlagsberechtigten Stellen nach § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG zählt. Die Verweisung des § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG auf § 14 Abs. 6 Satz 3 SGG erfasst lediglich die dort vorgenommene Beschreibung von Vereinigungen, nicht jedoch die dort geregelte Vorschlagsberechtigung. Dies ergibt sich zum einen aus dem unterschiedlichen Regelungsinhalt beider Vorschriften. § 14 Abs. 3 SGG regelt u. a. das Vorschlagsrecht bestimmter Vereinigungen für die Berufung der ehrenamtlichen Richter für die Kammern für Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts. Entsprechend dem Fachkammerprinzip der Sozialgerichtsbarkeit (§ 12 Abs. 4 SGG) gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG sind die Vereinigungen für die Berufung der ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Versorgungsberechtigten vorschlagsberechtigt, die sich die gemeinschaftliche Interessensvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen zur satzungsmäßigen Aufgabe gemacht haben. Die Vorschlagsberechtigung ist jedoch an weitere Voraussetzungen gebunden, wie der Wortlaut des § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG zeigt. Neben der näheren Beschreibung der Vereinigung verlangt § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG weitere Voraussetzungen für die Vorschlagsberechtigung, die sich aus dem Vorschlagsrecht rechtfertigen. Aus dem unterschiedlichen Regelungsbereich des § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG (Vertretungsberechtigung) und des § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG (Vorschlagsberechtigung für die Berufung ehrenamtlicher Richter für Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts) ist damit zu schließen, dass die Verweisung des § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG lediglich auf die Beschreibung der Vereinigung in § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG abstellt. Dies ergibt sich auf der anderen Seite auch aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit den anderen in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG genannten Vereinigungen. Denn für diese – unmittelbar in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG genannten Vereinigungen – wird auf die Vorschlagsberechtigung nach § 13 Abs. 3 Satz 2 SGG als Voraussetzung für deren Vertretungsbefugnis nicht abgestellt.

Die erforderliche Bevollmächtigung zur Prozessvertretung durch die FGQ hat der Beschwerdeführer ebenso nachgewiesen wie die Bevollmächtigung durch den Kläger, so dass seinem Tätigwerden nichts im Wege steht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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