L 6 SO 165/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 SO 5/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SO 165/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Gibt der aufgrund eines sog. Behindertentestaments eingesetzte Testamentsvollstrecker Vermögen durch Überweisung auf das Konto des behinderten Menschen frei, kann der nach § 19 Abs. 3 SGB XII leistungspflichtige Sozialhilfeträger in den Grenzen des § 90 SGB XII hierauf zugreifen.
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 30. Juni 2010 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Vermögenseinsatz in Höhe von 4.129,29 EUR zur Tragung der Kosten der Sozialhilfe.

Die 1953 geborene Klägerin ist bei Down-Syndrom geistig und körperlich behindert und lebt vollstationär betreut seit 28. Oktober 1997 in einer stationären Einrichtung, den A Stadter Wohnstätten in A-Stadt. Sie steht unter Betreuung. Der Beklagte ist der zuständige überörtliche Sozialhilfeträger. Die Kosten der stationären Betreuung wurden seit 1. September 1998 von dem Beklagten im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und seit 1. Januar 2005 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) getragen.

Die Eltern der Klägerin hatten in einem notariell beurkundeten gemeinschaftlichen Testament vom 28. Januar 1997 sich gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt (§ 1). Der Klägerin wurde ein Vermächtnis zugewandt (§ 2). Zur Verwaltung des der Klägerin zugewandten Vermächtnisses wurde ein Testamentsvollstrecker bestimmt (§ 3). Außerdem wurde die Klägerin zum Erben des überlebenden Ehegatten bestimmt. Die Klägerin solle befreiter Vorerbe sein, Nacherbe der Familienentlastende Dienst FED, A Stadt/AB. e.V. (§ 4). Auch bezüglich der Vorerbschaft wurde ein Testamentsvollstrecker bestimmt (§ 5). § 6 des Testaments bestimmt: "Der vorhandene Nachlass soll dazu dienen, unserem Kind zu ermöglichen, sein Leben wie bisher weiterzuführen. Wir stellen es in das Ermessen des Testamentsvollstreckers, aus den Erträgnissen und, wenn er dies für erforderlich hält, auch aus der Substanz des Vermächtnisses und der Vorerbschaft Sachleistungen und Vergünstigungen für unser Kind zu erbringen, die der Testamentsvollstrecker für zweckmäßig und sinnvoll hält und die geeignet sind, unserem Kind Erleichterungen und Hilfen zu verschaffen. Das Vermögen soll für das persönliche Wohl und für die persönlichen Bedürfnisse entsprechend dem Grad der Behinderung unseres Kindes verwandt werden. Wir denken dabei insbesondere daran, dass unserer Tochter ausreichende Mittel zur Verfügung stehen sollen für Kleidung, Bettwäsche, persönliche Anschaffungen wie z.B. Musikgeräte, Schallplatten, Fernseher, technische Geräte entsprechend der technischen Entwicklung und seinen Wünschen und Bedürfnissen, die Einrichtung seines Zimmers, Freizeiten und Urlaubsaufenthalte, einschl. der Anschaffung der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände, ärztliche Behandlungen, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht (vollständig) gezahlt werden, z.B. Brille, Zahnersatz usw., Kuraufenthalte, Besuche bei Verwandten und Freunden. ( )". Der Wert des Vermögens wurde von den Eltern bei Abfassung des Testaments mit 50.000,00 DM angegeben (§ 9).

Der Vater der Klägerin verstarb 1998, die Mutter der Klägerin 1999. Der Wert des Nachlasses betrug nach Abzug von Verbindlichkeiten laut Nachlachlassverzeichnis vom 4. Juli 1998 129.691,00 DM, das entspricht 66.309,96 EUR. Nachdem der im Testament benannte Testamentsvollstrecker das Amt nicht angenommen hatte, bestellte das Amtsgericht Hofgeismar mit Beschluss vom 20. Mai 1999 Herrn Rechtsanwalt LE. zum Testamentsvollstrecker.

Die letzte Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII im Vorfeld des hier streitigen Vermögenseinsatzes erfolgte mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. Dezember 2005 für die Zeit ab 1. Januar 2005 bis 30. November 2008. Nach diesem Bescheid bewilligt der Beklagte der Klägerin Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen in Höhe von 640,42 EUR ab 1. Januar 2005, die direkt an die Einrichtung abgeführt werden; aufgrund der testamentarischen Verfügungen der Eltern wegen der Zweckidentität aber keinen Barbetrag, keinen Zusatzbarbetrag und keine Bekleidungsbeihilfe. Außerdem bewilligt der Beklagte Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe eines Grundbetrags von 690,00 EUR und für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 317,42 EUR. Die Klägerin hat eine Rente in Höhe von monatlich 640,58 EUR und Arbeitseinkommen aus der Werkstatt für behinderte Menschen in Höhe von monatlich 87,- EUR einzusetzen. Außerdem verweist der Bescheid auf die für die Klägerin maßgebliche Vermögensfreigrenze von 2.600,00 EUR und darauf, dass die Klägerin sich mit dem diese Freigrenze übersteigenden Einkommen zu beteiligen habe. Die Verlängerung der Kostenzusage werde zum Anlass genommen, um erneut die Vermögensverhältnisse zu überprüfen. Das Vermögen aufgrund der testamentarischen Verfügungen der Eltern bleibe bei dieser Vermögensanfrage unberücksichtigt. Die Betreuerin der Klägerin wie auch die A-Stadter Wohnstätten wurden mit Schreiben vom 21. Dezember 2005 um Mitteilung gebeten, in welcher Höhe sie derzeit Vermögen (Bar-, Spar-, Grundvermögen etc.) für die Klägerin verwalteten.

Mit Eingang vom 28. Dezember 2005 teilte die Betreuerin der Klägerin dem Beklagten mit, dass die von ihr verwalteten Gelder zwischenzeitlich bis auf einen Barbestand von 5,45 EUR komplett aufgebraucht seien. Die Konten der Klägerin würden im Übrigen durch das Wohnheim und ihren Vermögensverwalter, Rechtsanwalt LE., verwaltet. Die D Stadter Werkstätten teilten mit Eingang 26. Januar 2006 mit, dass sich auf dem Taschengeldkonto der Klägerin 6.723,84 EUR befänden und übersandten mit Eingang am 1. Februar 2006 Übersichten über die Lohnkonten der Klägerin im Zeitraum 2001 bis 2005. Bei dem Taschengeldkonto der Klägerin handelt es sich um ein von den A-Stadter Wohnstätten eingerichtetes Bankkonto für alle Bewohner, für die in einer internen Buchführung die dem einzelnen Bewohner zustehenden und für diesen eingehenden Geldbeträge erfasst werden. Verfügungen der Klägerin bedurften der Zustimmung ihrer Betreuerin. Auf dieses Konto waren am 30. August 2005 aus dem Nachlass der Eltern der Klägerin durch Überweisungen des Testamentsvollstreckers ein Betrag von 1.800,00 EUR mit dem Verwendungszweck "Taschengeld 04-09/05" und ein weiterer Betrag von 5.000,00 EUR mit dem Verwendungszweck "Erbschaft" geflossen. Diese Überweisungen waren durch die Betreuerin der Klägerin mit Schreiben vom 29. März 2005 erbeten worden. 5.000,00 EUR würden für einen neue Einrichtung des Zimmers der Klägerin nach ihrem Umzug im Haus sowie für die Teilnahme an Freizeiten, 300,00 EUR monatlich an Taschengeld benötigt. Tatsächlich wurde die Zimmereinrichtung nicht angeschafft und fiel die Freizeit im Jahr 2005 aus.

Mit Bescheid vom 3. März 2006 machte der Beklagte gegenüber der Klägerin einen Zahlbetrag in Höhe von 4.129,29 EUR als weiterem Vermögenseinsatz geltend. Der Betrag errechne sich aus der Differenz zwischen dem insgesamt vorhandenem Vermögen in Höhe von 6.729,29 EUR abzüglich eines Freibetrages in Höhe von 2.600,00 EUR. Da die Klägerin ihren Bedarf an monatlicher Grundsicherung und Hilfe zum Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen sicherstelle, sei nach § 19 Abs. 3 SGB Xll für die von dem Beklagten geleistete Eingliederungshilfe das vorhandene Einkommen bzw. Vermögen einzusetzen. Das vorhandene Geldvermögen der Klägerin übersteige dabei die derzeitige Vermögensfreigrenze von 2.600,00 EUR nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB Xll i.V.m. der dazu ergangenen Durchführungsverordnung um einen Betrag von 4.129,29 EUR. Dieser Betrag sei von der Klägerin vorrangig für die geleistete Eingliederungshilfe an den Beklagten bis zum 20. April 2006 zu überweisen.

Gegen den Bescheid vom 3. März 2006 legte die Betreuerin der Klägerin am 17. März 2006 Widerspruch ein und legte mit Schreiben vom 19. Juli 2007 Unterlagen vor. Sie machte geltend, dass die Gelder auf dem Taschengeldkonto aus dem Nachlass der Eltern der Klägerin stammten und am 30. August 2005 von dem Vermögensverwalter auf Bitten der Betreuerin auf das Heimkonto der Klägerin überwiesen worden seien. Die Klägerin sei auf das Geld aus dem Nachlass angewiesen, da sie seit 1. Oktober 2003 weder Grundbarbetrag, Zusatzbarbetrag noch Bekleidungsbeihilfe nach dem SGB Xll erhalte. Die Widerspruchsbegründung bezieht sich außerdem auf einen Widerspruchsabhilfebescheid des Beklagten vom 4. September 2003. In diesem wurde in der Sache anerkannt, dass es sich beim Testament der verstorbenen Eltern der Klägerin um ein sogenanntes "Behindertentestament" ohne Zugriffsmöglichkeit durch den Beklagten handele.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2006 als unbegründet zurück. Ihrer Auffassung nach wurde der Klägerin mit der Überweisung auf das Taschengeldkonto eine Verfügungsmöglichkeit eröffnet mit der Folge, dass insoweit tatsächlich eine Vermögensbildung eingetreten sei, ohne dass der Überweisung ein konkreter Bedarf zu Grunde gelegen habe. Die verstorbenen Eltern der Klägerin hätten in einem sogenannten "Behindertentestament" verfügt, dass der Nachlass für das persönliche Wohl und die persönlichen Bedürfnisse der Klägerin verwendet werden solle, wobei Rechtsanwalt LE. als Testamentsvollstrecker eingesetzt sei. Durch die Einsetzung des Testamentsvollstreckers einerseits und die Einsetzung als nicht befreite Vorerbin andererseits habe die Klägerin selbst keine Verfügungsmöglichkeit über den Nachlass. Werde ihr aber seitens des Testamentsvollstreckers ein Betrag auf das Wohnheimkonto, also ihr Taschengeldkonto, gezahlt, erhalte die Klägerin über diesen Betrag die Verfügungsgewalt. Sinn und Zweck des Taschengeldkontos sei es, persönliche Bedürfnisse zu decken. Entsprechend der testamentarischen Verfügung solle der Testamentsvollstrecker schließlich demgemäß auch ausreichende Mittel zur Verfügung stellen z.B. für Kleidung, Bettwäsche, persönliche Anschaffungen, Zimmereinrichtung, Urlaub, ärztliche Behandlung oder Hilfsmittel. Auf dem Taschengeldkonto der Klägerin habe sich schließlich im Januar 2006 ein Betrag in Höhe von 6.723,84 EUR befunden. Unabhängig davon, woher das Guthaben stamme, habe die Klägerin über diesen Betrag verfügen können. Dies sei der Sinn des Taschengeldkontos. Durch die Ansammlung von Barbeträgen über den Vermögensfreibetrag gemäß § 90 SGB Xll in Höhe von 2.600,00 EUR hinaus werde der Sinn und Zweck des Taschengeldkontos überzogen. Vorgelegt habe die Klägerin Quittungen über den Kauf von Bekleidung ab 14. März 2006, ohne dass sich bis zum Tag der Forderung am 3. März 2006 größere Ausgabepositionen zur Deckung des persönlichen Bedarfs der Klägerin fänden. Es sei damit zu unterstellen, dass die hier im August 2005 erfolgten Buchungen nur dazu gedient hätten, der Klägerin ausreichend Geld zur Verfügung zu stellen, um für einen gewissen Zeitraum keine weiteren Buchungen vornehmen zu müssen. Eine konkrete Verwendung der auf dem Taschengeldkonto ab 30. August 2005 befindlichen Beiträge sei offensichtlich nicht vorgesehen worden. Bei dem am 26. Januar 2006 auf dem Taschengeldkonto befindlichen Vermögen habe es sich somit um der Klägerin zur freien Verfügung überlassenes Vermögen ohne bestimmten Verwendungszweck und damit um Vermögen im Sinne von § 90 SGB Xll gehandelt. Im Übrigen sei anzumerken, dass keine Notwendigkeit bestehe, Beträge aus dem Nachlassvermögen der Eltern auf dem Taschengeldkonto der Klägerin zu "deponieren". Größere Anschaffungen könnten unmittelbar vom Nachlassverwalter beglichen werden und müssten nicht über den "Umweg" des Taschengeldkontos bestritten werden. Die Forderung des über dem Freibetrag in Höhe von 2.600,00 EUR liegenden Vermögens unter Berücksichtigung der von der Betreuerin verwalteten 5,45 EUR gemäß § 90 SGB Xll sei danach rechtmäßig und hinsichtlich des geforderten Betrages gerechtfertigt.

Die Klägerin hat am 15. Januar 2007 durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben und sich gegen die Inanspruchnahme des Vermögensbetrages gewandt. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig und aufzuheben. Die Überweisungen des Testamentsvollstreckers im August 2005 seien allein aus verwaltungstechnischen Vereinfachungsgründen heraus erfolgt, ohne dass der Klägerin damit eine freie Verfügungsmöglichkeit über die Gelder außerhalb der testamentarischen Bestimmungen eingeräumt worden wäre. Laut testamentarischer Bestimmungen sollte die Klägerin den Nachlass entsprechend der Zuweisung durch den Testamentsvollstrecker zur Deckung ihrer laufenden persönlichen Bedürfnisse verwenden, so dass seit 1. Oktober 2003 weder Grundbarbetrag, Zusatzbarbetrag noch Bekleidungspauschale nach dem SGB XII geleistet werden mussten. Der Vermögensverwalter sollte im bestimmungsgemäßen Umfang, und insoweit zur Befriedigung der vorgenannten Bedarfe, der Klägerin die Beträge zuwenden. Die Klägerin, die das Down-Syndrom habe, sei außerdem intellektuell gar nicht in der Lage sei, selbst über Gelder zu verfügen. Ausweislich eines ärztlichen Attestes vom 30. Januar 2007 sei sie nicht in der Lage, Dinge des täglichen Lebens allein zu bewältigen. Sie benötige Hilfe bei Vermögens- und Gesundheitsfragen, bei der Bestimmung des Aufenthaltsortes, bei Behördengängen und bei der Anleitung zur Körperhygiene und Kleidung. Demzufolge habe sie auch keine Verfügungsgewalt über das Taschengeldkonto. Mangels Zugriffsmöglichkeit durch die Klägerin liege auch kein verwertbares Vermögen im Sinne des SGB Xll vor.

Der Beklagte hat vorgetragen, das Taschengeldkonto der Klägerin werde zwar vom Wohnheim verwaltet, jedoch habe jeder Leistungsberechtigte Verfügungsgewalt über sein Konto und erfolge die Verwaltung für den Leistungsberechtigten, für den das Taschengeldkonto eingerichtet sei. Sinn und Zweck eines Taschengeldkontos sei es, den Barbetrag und den Zusatzbarbetrag sowie kleinere Geldbeträge für den jeweiligen Leistungsberechtigten vorzuhalten, damit dieser kleinere Bedarfe aus dem Konto decken könne. Sinn und Zweck dieses Kontos sei es keinesfalls, größere Beträge zu verwalten. Insbesondere sei es bei Ansparung größerer Summen auf dem Taschengeldkonto völlig unstreitig, dass hinsichtlich der über den Vermögensfreibetrag von 2.600,00 EUR hinausgehenden Beträge eine Verwertung erfolge und der Leistungsberechtigte aus diesem Vermögen zu den Kosten der Sozialhilfe beizutragen habe. So sei auch hier verfahren worden. Der sich auf dem Konto befindliche Betrag habe das übliche Maß bei weitem überstiegen. Auch wenn der Betrag aus dem Nachlass der verstorbenen Eltern der Klägerin stamme, sei er durch Einzahlung auf das Taschengeldkonto der Verfügungsgewalt des Testamentsvollstreckers entzogen worden. Damit handele es sich um kein geschütztes Vermögen im Sinne des § 88 BSHG bzw. des § 90 SGB Xll mehr. Ein Vermögenseinsatz unter Berücksichtigung des Vermögensfreibetrages von 2.600,00 EUR sei damit möglich. Sinn und Zweck eines Taschengeldkontos würden durch die Überweisungen in ihr Gegenteil verkehrt. Die Finanzierung größerer Anschaffungen bzw. von Freizeiten und Urlaubsaufenthalten könne über andere Zahlungswege erfolgen. Derartige Aufgaben könne die Betreuerin über das von ihr verwaltete Konto abwickeln. Der Testamentsvollstrecker sei insoweit gehalten, die erforderlichen Beträge auf ein entsprechendes Konto, nicht aber auf das Taschengeldkonto, anzuweisen. Tue er es dennoch, stehe der Betrag in der Verfügung der Leistungsberechtigten und könne als Vermögen abgeschöpft werden.

Das Sozialgericht hat den Prozessbevollmächtigten der Klägerin und Testamentsvollstrecker aus dem Nachlass der verstorbenen Eltern der Klägerin zum Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung befragt. Der Inhalt dieser Befragung lässt sich der Sitzungsniederschrift nicht entnehmen. Mit Urteil vom 30. Juni 2010 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den Bescheid vom 3. März 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2006 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Der vom Beklagten vorliegend in Höhe von 4.129,29 EUR geforderte Vermögenseinsatz sei im vorliegenden Einzelfall aus dem Vorbringen der Klägerin heraus, das sich die Kammer zu Eigen mache, nicht gerechtfertigt, auch wenn dem Beklagten zuzugestehen sei, dass die vorgenommenen Überweisungen auf das Taschengeldkonto der Klägerin hier zumindest in der getätigten Höhe nicht mehr dem Sinn und Zweck eines Taschengeldkontos entsprächen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und Testamentsvollstrecker der verstorbenen Eltern der Klägerin habe dem Gericht in der mündlichen Verhandlung jedoch nachvollziehbar und glaubhaft versichert, dass die Überweisungen allein aus verwaltungstechnischen Vereinfachungsgründen erfolgt seien, ohne dass der Klägerin damit eine freie Verfügungsmöglichkeit über die Gelder außerhalb der testamentarischen Bestimmungen eingeräumt worden wäre und ohne dass der Klägerin selbst eine entsprechende Zugriffsmöglichkeit nicht zuletzt aus gesundheitlichen Gründen tatsächlich überhaupt gegeben gewesen wäre. Zumindest in dieser Konstellation handele es sich nach Auffassung der Kammer bei den überwiesenen Geldern um kein verwertbares Vermögen im Sinne des § 90 SGB Xll, auch wenn die Überweisungen eine solche Annahme zunächst gerechtfertigt erscheinen ließen. Nach den nachvollziehbaren und glaubhaften Erläuterungen zu Sinn und Zweck der Überweisungen sollten im Ergebnis einerseits die der Klägerin aus Sozialhilfemitteln gerade nicht gezahlten Barbeträge und Bekleidungsbeihilfen ausgeglichen werden und zum anderen und in erster Linie Einzelanweisungen im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung des Nachlasses lediglich aus verwaltungstechnischen Vereinfachungsgründen verhindert werden. Dass hierfür das Taschengeldkonto mit dem Beklagten nicht den geeigneten "Ort" darstelle, sei einzuräumen; allein die Überweisung der Gelder auf das Taschengeldkonto ändere jedoch nichts an ihrer "Zweckbestimmung".

Das Urteil ist der Klägerin und dem Beklagten jeweils am 12. August 2010 zugestellt worden. Mit seiner am 10. September 2010 beim Hessischen Landessozialgericht eingelegten Berufung verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für rechtsfehlerhaft. Er trägt, seinen Vortrag aus der ersten Instanz vertiefend vor, der Testamentsvollstrecker habe am 30. August 2005 Vermögenswerte aus dem von ihm zu verwaltenden Nachlass in nicht unerheblicher Höhe (1.800,00 EUR "Taschengeld", 5.000,00 EUR "Erbschaft"), auf das sogenannte Taschengeldkonto der Klägerin angewiesen. Taschengeldkonten würden zwar vom Wohnheim verwaltet, jedoch habe jeder Leistungsberechtigte Verfügungsgewalt über sein Konto. Die Verwaltung erfolge entsprechend den Wünschen desjenigen Leistungsberechtigten, für den das Taschengeldkonto eingerichtet sei. Sinn und Zweck des Taschengeldkontos sei es, den Barbetrag und den Zusatzbarbetrag sowie kleinere Geldbeträge für den jeweiligen Leistungsberechtigten vorzuhalten, damit dieser kleinere Bedarfe gemäß seinen Wünschen aus dem Konto decken könne. Sinn und Zweck dieses Kontos sei es keineswegs, größere Beträge zu verwalten. Hier habe der sich auf dem Konto befindliche Betrag bei Weitem das übliche Maß überstiegen. Auch wenn der Betrag aus dem Nachlass der Klägerin - gemeint: aus dem Nachlass der Mutter der Klägerin - stamme, sei er durch Einzahlung auf das Taschengeldkonto der Verfügungsgewalt des Testamentsvollstreckers entzogen worden. Damit sei der Betrag kein geschütztes Vermögen im Sinne des § 90 SGB XIl mehr. Ein Vermögenseinsatz unter Berücksichtigung des Vermögensfreibetrages von 2.600,00 EUR sei damit möglich. Der Vermögenseinsatz erfolge auch nicht über Gebühr, da der bestehende Vermögensfreibetrag von 2.600,00 EUR allemal ausreichend gewesen sei, um den üblichen Bedarf zu decken. Dies habe sich hier dadurch gezeigt, dass die im Widerspruchsverfahren seitens der Klägerin vorgelegten Belege Aufwendungen von unter 2.600,00 EUR betrafen. Der Sinn und Zweck des Taschengeldkontos, nämlich den persönlichen Bedarf der Klägerin zu decken, sei damit entsprechend der gesetzlichen Vorgaben erfüllt worden. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts könne der Testamentsvollstrecker sich seiner Aufgaben nicht dadurch entledigen, dass er aus Vereinfachungsgründen das monatliche Taschengeld für die Klägerin nicht monatlich gestaffelt, sondern in einer Summe auf das Taschengeldkonto anweise. Tue er es dennoch, stehe der Betrag zur Verfügung der Klägerin und könne als Vermögen abgeschöpft werden. Der Umstand, dass die Klägerin hier zusätzlich unter gesetzlicher Betreuung stehe, ändere daran nichts. Die Betreuerin sei nicht der verlängerte Arm des Testamentsvollstreckers, sondern Vertreterin der Klägerin. Damit sei die Klägerin - auch mit Hilfe ihrer Betreuerin – verfügungsberechtigt über das sich auf dem Taschengeldkonto befindliche Vermögen, Auf die tatsächlichen kognitiven Fähigkeiten der Klägerin komme es dabei nicht an, da sie durch ihre Betreuerin vertreten bzw. unterstützt werde. Mit Überweisung auf das Taschengeldkonto sei der Geldbetrag dem Zugriff des Testamentsvollstreckers entzogen und unterliege damit nicht mehr der testamentarisch verfügtenrechtlichen Beschränkung. Damit sei das sich in der Hand der Leistungsberechtigten bzw. der Betreuerin befindliche Vermögen - die Ausnahmen des § 90 Abs. 2 SGB Xll i.Ü. griffen nicht - verwertbares Vermögen. Das auf dem Taschengeldkonto befindliche Vermögen oberhalb der Freigrenze könne grundsätzlich als verfügbares Vermögen im Sinne des § 90 SGB Xll angesehen werden. Dies insbesondere auch im Hinblick auf den sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatz des § 2 SGB Xll und im Hinblick auf die Besonderheit des § 92 Abs. 1 SGB XII. Der Beklagte habe hier im Rahmen der vollstationären Betreuung die Kosten zunächst in voller Höhe übernommen. Stelle sich im Nachhinein heraus, dass verwertbares Vermögen vorhanden sei, sei dieses im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben, d.h. soweit möglich und zumutbar, zur Wiederherstellung des Nachranggrundsatzes einzusetzen.

Auf Nachfrage des Berichterstatters hat der Beklagte ergänzt, die Überweisung auf das Taschengeldkonto stelle eine Verfügung bzw. Überlassung i. S. der §§ 2205, 2217 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dar. Es liege eine Dauertestamentsvollstreckung i. S. des § 2209 BGB vor. Der Testamentsvollstrecker habe den Nachlass i. S. des § 2205 BGB ordnungsgemäß zu verwalten. Diese Verwaltung beinhalte auch die Verfügungsgewalt über den Nachlass i. S. der Vorgaben der Erblasser. Damit einher gehe die Verfügungsbeschränkung der Klägerin gemäß § 2211 BGB. Mit der Überweisung des Vermögensbetrages aus dem Nachlass auf das Taschengeldkonto der Klägerin erlange diese freie Verfügungsmöglichkeit über die Gelder und die Verwaltungs- bzw. Verfügungsmöglichkeit des Testamentsvollstreckers ende. Eine Verwaltung des Nachlasses auf dem Konto der Klägerin durch den Testamentsvollstrecker i. S. einer Bindung des Vermögens könne nach zivilrechtlichen Grundsätzen nicht angenommen werden. Vielmehr begebe sich der Testamentsvollstrecker mit Anweisung des Geldbetrages auf das Taschengeldkonto seiner Verfügungsmöglichkeit und räume diese der Klägerin selbst, vertreten durch ihre gesetzliche Betreuerin, ein. Eine Freigabe liege in der Regel dann vor, wenn der Testamentsvollstrecker einen Gegenstand rechtswirksam und endgültig so aufgebe, dass der Erbe im Rechtsverkehr darüber frei verfügen könne. Der Testamentsvollstrecker habe hier "zur Verwaltungsvereinfachung" den Geldbetrag auf das Konto der Klägerin verfügt und die weitere Verwendung Anderen überlassen. Damit habe seine Verwaltungstätigkeit geendet und die Klägerin habe über ihr Taschengeldkonto i. S. des § 2217 BGB verfügen können. Etwas anderes ergebe sich auch nicht im Hinblick auf § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II. Zum einen gehe es hier um Leistungen nach dem SGB Xll; zum anderen handele es sich bei der Anweisung des Betrages nicht um Einkommen, sondern um einen Vermögenswert, der entsprechend § 90 Abs. 1 SGB Xll grundsätzlich vorrangig einzusetzen sei. Der nach § 90 Abs. 2 SGB Xll zu gewährende Freibetrag sei der Klägerin zur freien Verfügung überlassen worden. Aus diesem Betrag habe sie die im Rahmen der Testamentsvollstreckung vorgesehenen Aufwendungen entsprechend ihren Wünschen ohne weiteres bestreiten können. Eine den Vermögenseinsatz hindernde Zweckbindung des überlassenen Betrages sei bereits deshalb nicht anzunehmen, weil mit der Überweisung keinerlei konkrete Anordnungen des Testamentsvollstreckers für die Verwendung des Betrages verbunden gewesen seien. Vielmehr sei der Betrag ohne weiteres auf das Konto angewiesen worden. Eine Zweckbindung für Beträge, die auf ein Taschengeldkonto angewiesen werden, könne ohne detaillierte Angabe, welcher Betrag für welche Ausgaben gedacht sei, nicht angenommen werden. Dies insbesondere im Hinblick darauf nicht, dass das Taschengeldkonto gerade dem Zweck diene, dem leistungsberechtigten behinderten Menschen die Möglichkeit einzuräumen, unabhängig von Vorgaben Dritter, frei, seinen Wünschen entsprechend, über die dort befindlichen Beträge zu verfügen. Es soll gerade dem ansonsten in seiner Verfügungsgewalt - durch Testamentsvollstreckung – beschränkten behinderten Menschen die Möglichkeit eröffnet werden, ohne Zustimmung Dritter zu agieren. Dies steht grundsätzlich auch nicht im Widerspruch zu den testamentarischen Vorgaben oder zu dem Umstand, dass die Klägerin dabei Unterstützung von ihrer gesetzlichen Betreuerin erhalte. Ob die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung tatsächlich in der Lage gewesen sei, frei zu verfügen oder dies mit Unterstützung ihrer Betreuerin tun konnte, sei insoweit rechtlich nicht entscheidungserheblich. Demgemäß komme es auch auf den erst jetzt erfolgten Vortrag, im Vorfeld sei mit dem Betreuungsverein Korrespondenz geführt worden, im Hinblick darauf, dass konkrete Absprachen getroffen wurden, nicht an. Im Übrigen werde bestritten, dass konkrete Absprachen getroffen wurden.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 30. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, die Annahme des Beklagten, durch die Überweisung des Vermögensbetrages aus dem Nachlass auf das Taschengeldkonto sei die freie Verfügungsmöglichkeit der Klägerin erlangt, sei unzutreffend. Wie bereits erstinstanzlich dargelegt, sei sie tatsächlich gar nicht in der Lage, eine freie Verfügung vorzunehmen. Die Überweisung des seinerzeitigen Betrages sei in genauer Abstimmung mit dem Betreuungsverein erfolgt, um ihr die Lebensumstände so angenehm wie möglich zu erleichtern. Soweit der Beklagte weiterhin darauf abstellen wolle, dass eine den Vermögenseinsatz hindernde Zweckbindung deshalb nicht gegeben sei, weil mit der Überweisung keinerlei konkrete Anordnung des Testamentsvollstreckers für die Verwendung des Betrages verbunden gewesen seien, so gehe dies fehl. Es werde auf die im Vorfeld mit dem Betreuungsverein geführte Korrespondenz und im Hinblick darauf, dass konkrete Absprachen getroffen worden seien, verwiesen.

Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in erster Instanz diese wegen Aufgabe der Rechtsanwaltstätigkeit nicht mehr vertritt, ist die Betreuerin der Klägerin gebeten worden, den Schriftverkehr zwischen dem früheren Testamentsvollstrecker und Prozessbevollmächtigten der Klägerin und dem Betreuungsverein e.V. A-Stadt, zur Verwendung der am 30. August 2005 überwiesenen Geldbeträge von 1.800,- EUR und 5.000,- EUR vorzulegen. Die Klägerin hat hierauf das Schreiben ihrer Betreuerin vom 29. März 2005 an den früheren Testamentsvollstrecker vorgelegt, in dem jene 5.000,00 EUR für einen neue Einrichtung des Zimmers der Klägerin nach ihrem Umzug im Haus sowie für die Teilnahme an Freizeiten anforderte sowie um die Einrichtung eines Dauerauftrags in Höhe von 300,00 EUR monatlich für Taschengeld bat.

Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 26. Juni 2013 verwiesen. Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte (zwei Bände) des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.

Die Berufung ist auch begründet.

Die von der Klägerin angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Beklagte machte zu Recht mit Bescheid vom 3. März 2006 gegenüber der Klägerin, die Leistungen nach Kapitel 3 des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt) sowie Leistungen nach Kapitel 6 des SGB XII (Eingliederungshilfe) erhält, einen Zahlbetrag in Höhe von 4.129,29 EUR als weiterem Vermögenseinsatz nach § 19 Abs. 3 SGB XII innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen des Elften Kapitels des SGB XII geltend.

Der von dem Beklagten geltend gemachte Zahlungsanspruch ist ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 19 Abs. 5 Satz 1 SGB XII, der dem Sozialhilfeträger zusteht, wenn er im Wege der sogenannten erweiterten Hilfe Sozialhilfeleistungen in Abweichung vom Nachranggrundsatz der Sozialhilfe gewährt hat, obwohl der begünstigten Person die Aufbringung der Mittel aus eigenem Einkommen oder Vermögen zumutbar war. Eine Fallgruppe, in der ein solcher Aufwendungsersatzanspruch nach erweiterter Hilfe anerkannt ist, bilden Fälle, in denen Leistungen von einem Dritten – hier den A-Stadter Wohnstätten - erbracht werden und die Leistungen insgesamt vom Sozialhilfeträger getragen werden, unabhängig davon, ob der Leistungsberechtigte in bestimmten Zeitabschnitten einen Teil der Kosten aus eigenem Einkommen und Vermögen tragen kann (vgl. Wenzel, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl. 2009, § 19 Rn. 25). Eine weitere Fallgruppe ist gegeben, wenn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht geklärt sind, es dem Leistungsberechtigten aber nicht zugemutet werden kann, bis zum Abschluss der Ermittlungen auf die Leistungen zu verzichten (vgl. Coseriu, jurisPK-SGB XII, 1. Auflage 2011, Stand: 13. Mai 2013, § 19 Rn. 58; SG Hamburg, Urteil vom 25. Juni 2007 – S 56 SO 440/06, juris Rn. 30). Diese beiden Fallgruppen sind hier einschlägig. Eine durchgehende Betreuung der Klägerin in der Einrichtung, in der sie seit langem wohnt, ist zu gewährleisten, unabhängig davon, wie sich ihre Einkommens- und Vermögenssituation entwickelt. Dem hat der Beklagte Rechnung getragen, indem er seine Leistungsbewilligung ausdrücklich unter den Vorbehalt der Überprüfung der Vermögensverhältnisse gestellt hat. So heißt es im Bewilligungsbescheid vom 21. Dezember 2005, dass der Beklagte zunächst die gesamten Kosten des Aufenthalts der Klägerin in der Einrichtung übernehme und dem Einrichtungsträger eine entsprechende Kostenzusage gebe. Soweit es der Klägerin jedoch nach den Vorschriften des SGB XII über den Einsatz von Einkommen und Vermögen zuzumuten sei, einen Teil der Kosten selbst zu tragen, sei sie verpflichtet, einen entsprechenden Kostenbeitrag zu leisten

Der Betrag des Aufwendungsersatzanspruchs des Beklagten errechnet sich aus der Differenz zwischen dem im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides insgesamt auf dem Taschengeldkonto der Klägerin vorhandenen Vermögen in Höhe von 6.729,29 EUR und einem Freibetrag in Höhe von 2.600,00 EUR.

Nach § 90 Abs. 1 SGB XII ist das gesamte verwertbare Vermögen des Sozialhilfebeziehers einzusetzen. Nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen. Nach § 90 Abs. 3 SGB XII darf Sozialhilfe ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.

Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII (vom 11. Februar 1988 (BGBl. I S. 150), zuletzt geändert durch Artikel 15 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022), sind kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, 1. wenn die Sozialhilfe vom Vermögen der nachfragenden Person abhängig ist, a) bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch 1.600 Euro, jedoch 2.600 Euro bei nachfragenden Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, sowie bei voll Erwerbsgeminderten im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung und den diesem Personenkreis vergleichbaren Invalidenrentnern, b) bei den Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch 2.600,00 Euro, zuzüglich eines Betrages von 256 Euro für jede Person, die von der nachfragenden Person überwiegend unterhalten wird.

Die Anerkennung eines geschützten Freibetrags in Höhe von 2.600,00 EUR durch den Beklagten bei der Berücksichtigung von Vermögen nach § 19 Abs. 3, § 90 SGB XII ist danach nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte für eine besondere Notlage der nachfragenden Person, also der Klägerin, die nach § 2 Abs. 1 der Verordnung eine angemessene Erhöhung des Freibetrags gebietet, sind nicht ersichtlich.

Der Auffassung der Vorinstanz, dass das auf dem sog. Taschengeldkonto liegende, den Vermögensfreibetrag übersteigende Geld der Klägerin dieser nicht zur Verfügung gestanden habe und deshalb von dieser nicht einzusetzen sei, ist nicht zu folgen.

Darauf, ob die Klägerin geistig überhaupt in der Lage ist, mit Geld umzugehen, kommt es insoweit nicht an. Zwar heißt es in einem Entwicklungsbericht der A-Stadter Wohnstätten über die Klägerin vom 21. Juni 2001, sie kenne nicht den Wert von Geld, wisse aber dass man sich damit etwas kaufen könne. Jedoch hat die Klägerin zum einen eine Betreuerin, die sie insoweit vertritt. Zum anderen kann es im Rahmen der Frage, welches Vermögen geschützt ist, nicht auf die individuellen, behinderungsbedingten Einschränkungen des Berechtigten im Umgang mit seinem Vermögen, sondern nur darauf ankommen, ob dieses Vermögen überhaupt für die Befriedigung persönlicher Wünsche und Bedarfe zur Verfügung steht. Andernfalls wäre die Einrichtung eines Taschengeldkontos für geistig behinderte Menschen an sich schon unsinnig.

Solange der Betrag von 6.729,29 EUR abzüglich eines Freibetrages in Höhe von 2.600,00 EUR sich in der Verwaltung des Testamentsvollstreckers befand, konnte der Beklagte als Gläubiger der Klägerin hierauf nicht zugreifen. Die hierzu benutzte testamentarische Konstruktion des sog. Behindertentestaments ist nach h.M. zulässig und nicht sittenwidrig (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1990 – IV ZR 169/89, NJW 1990, 2055; BGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 – IV ZR 231/92, BGHZ 123, 368; Eichenhofer, JZ 1999, 226, 227 f.). Danach erscheint es im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip nicht anstößig, wenn Eltern eines behinderten Kindes ihr Vermögen (im Interesse des Kindes) von Todes wegen so weiterleiten, dass der Sozialhilfeträger keine Möglichkeit hat, seine Aufwendungen für das Kind daraus (teilweise) zu decken. Es wäre zuviel verlangt, von den Eltern eines behinderten Kindes zu erwarten, dass sie die zuvörderst ihnen zukommende sittliche Verantwortung für das Wohl des Kindes dem Interesse der öffentlichen Hand an einer Teildeckung ihrer Kosten hintansetzten. Dem sog. Behindertentestament liegt eine Kombination aus Vorerbschaft und Testamentsvollstreckung zugrunde. Ein behinderter Abkömmling (hier: die Klägerin) des Erblassers (hier: der zuletzt verstorbenen Mutter der Klägerin) wird zum befreiten Vorerben eingesetzt. Die Vorerbschaft sichert dem behinderten Menschen die Nutzungen des Nachlasses. Dem Testamentsvollstrecker (hier: dem früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwalt LE.) wird auferlegt, die Nutzungen dem Vorerben zukommen zu lassen, § 2216 BGB. Dem Testamentsvollstrecker kann auch auferlegt werden, die Substanz des Nachlasses dem Vorerben insoweit zur Verfügung zu stellen, als sie Schonvermögen i.S. des § 90 SGB XII darstellt. Die Substanz des Nachlasses ist durch die Testamentsvollstreckung dem Zugriff der Eigengläubiger des Vorerben, insbes. des Sozialhilfeträgers, entzogen (§ 2214 BGB), auch ohne dass der Vorerbe nach allg. Vorschriften die Sonderung der Vermögensmassen herbeiführen müsste (vgl. näher Kummer in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 3. Aufl. 2008, § 2100 Rn. 24).

Vorliegend macht § 6 des Testaments detaillierte Vorgaben, wie Erträgnisse und Substanz des Nachlasses für das persönliche Wohl und die persönlichen Bedürfnisse der Klägerin eingesetzt werden sollen. Indem der Testamentsvollstrecker am 30. August 2005 insgesamt 6.800,00 EUR überwiesen hat, hat er indessen der Klägerin Nachlasssubstanz in einem Umfang zur Verfügung gestellt, der das Schonvermögen i.S. des § 90 SGB XII überstieg und den Zugriff des Beklagten in dem mit den angegriffenen Bescheiden geltend gemachten Umfang erlaubte.

Solange sich die Geldbeträge von insgesamt 6.800,- EUR aus dem Nachlass noch in der Verwaltung des Testamentsvollstreckers befanden, waren sie dem Zugriff der Gläubiger der Klägerin, also auch des Sozialhilfeträgers, nach § 2214 BGB entzogen. Mit der Überweisung der beiden Geldbeträge, ihrer Überlassung oder Freigabe i.S. des § 2217 Abs. 1 S. 2 BGB, erlosch das Recht des Testamentsvollstreckers zur Verwaltung dieses Geldes und es endete das Zugriffsverbot für die Privatgläubiger der Klägerin (§ 2214).

Die Freigabe ist nach herrschender Meinung ein einseitiges, abstraktes, dingliches Rechtsgeschäft, das durch empfangsbedürftige, auch konkludente Willenserklärung zustande kommt und den Verzicht auf das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Testamentsvollstreckers hinsichtlich des betreffenden Gegenstandes enthält. Es muss hinreichend klar zum Ausdruck gelangen, dass der Testamentsvollstrecker den Gegenstand endgültig aus seiner Verfügungsmacht entlassen wollte (vgl. Zimmermann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2010, § 2217 Rn. 7; Mayer, in: Bamberger/Roth, BGB, 2003, § 2217 Rn. 6 jeweils m.w.N.).

Eine solche Freigabe liegt hier mit den beiden Überweisungen mit den Verwendungszwecken "Taschengeld" und "Erbschaft" vor. Die Freigabe von Vermögenswerten erfolgte nicht nur mit Einverständnis der Betreuerin der Klägerin, sondern gemäß dem Schreiben vom 29. März 2005 sogar auf ihre Anforderung. Der Testamentsvollstrecker hatte keinerlei Zugriffsmöglichkeit auf das Konto des Wohnheims und damit auf das interne Taschengeldkonto der Klägerin. Auch hatte der Testamentsvollstrecker keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die Verwendung des Geldes durch die Betreuerin der Klägerin, die den Betrag von 5.000,00 EUR denn auch nicht für die von ihr in ihrem Schreiben vom 29. März 2005 genannten Verwendungszwecke (Möbelkauf, Freizeitteilnahme) einsetzte. Eine Zweckbindung der Überweisung und rechtliche Bindung der Betreuerin, die diese gleichsam als verlängerten Arm des Testamentsvollstreckers erscheinen ließe, lag nicht vor. Insbesondere liegt in der Anforderung der Geldbeträge durch die Betreuerin keine Zweckbindung durch den Testamentsvollstrecker, die es erlauben würde, die Geldbeträge auch nach Überweisung durch den Testamentsvollstrecker als noch durch diesen verwaltet anzusehen. Der Überweisung über 5.000,00 EUR mit dem angegebenen Verwendungszweck "Erbschaft" ist kein konkreter Bedarf der Klägerin und keine konkrete Nutzung durch diese zugeordnet. Der Überweisung über 1.800,00 EUR mit dem angegebenen Verwendungszweck "Taschengeld" ist die Nutzung zur freien Verfügung ausdrücklich mitgegeben. Aus Sicht der Empfängerin des Geldes, also aus Sicht der Klägerin und ihrer Betreuerin, liegt in beiden Überweisungen die einseitige, konkludente Willenserklärung des Inhalts "Überlassung und Freigabe der Vermögenswerte aus der Verwaltung des Testamentsvollstreckers zur Nutzung für die Klägerin". Nach allem ergeben sich weder aus dem Vortrag der Klägerin noch aus dem vorgelegten Schreiben zwischen dem Betreuungsverein und dem Testamentsvollstrecker irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass der Testamentsvollstrecker nach Überweisung der Gelder auf das Taschengeldkonto der Klägerin noch irgendeinen Zugriff auf diese Gelder oder eine Kontrolle über deren Verwendung hatte.

Darauf, ob der Testamentsvollstrecker bei der Freigabe am 30. August 2005 im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung nach § 2216 BGB handelte oder nicht, kommt es für die Wirkung der Freigabe nicht an. Die Wirkungen treten unabhängig davon ein, ob die Voraussetzungen für eine Freigabe in sachlicher Hinsicht erfüllt sind (vgl. Zimmermann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2010, § 2217 Rn. 7; jurisPK-BGB Heilmann § 2217 Rn. 12 f. jeweils m.w.N.). Damit kommt es vorliegend auch nicht darauf an, ob in der Überlassung der das Schonvermögen übersteigenden Geldbeträge aus den von dem Sozialgericht in der angegriffenen Entscheidung angeführten "verwaltungstechnischen Vereinfachungsgründen" eine pflichtwidrige Freigabe des Vermögens liegt, die den Testamentsvollstrecker, wenn ihm ein Verschulden zur Last fällt, u.U. schadensersatzpflichtig macht (§ 2219 BGB).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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