L 17 U 239/11

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 U 34/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 239/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 216/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Beratungsarzt des Unfallversicherungsträgers ist bei Vorliegen eines Dienstvertrages höherer Art kein Dritter i.S.d. § 67 Abs. 10 S. 2 SGB X.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.02.2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Herausnahme zweier ärztlicher Äußerungen aus den Akten.

Der Kläger teilte der Beklagten mit Schreiben vom 14.09.1997 mit, dass er an einem Krankheitsbild leide, das vielleicht durch den beruflich bedingten Kontakt mit Holzschutzmitteln verursacht worden sei. Er habe nämlich in der Zeit vom 25.02.1980 bis 30.04.1991 in einer Schreinerei gearbeitet.

Nach Einholung verschiedener Unterlagen und Auskünfte (unter anderem einer Arbeitsplatzbeschreibung des Klägers) sowie Beiziehung von Sicherheitsdatenblättern über vom Kläger verwandte Holzschutzmittel durch die Beklagte äußerte sich am 23.02.1998 ein Beamter des Technischen Aufsichtsdienstes zu einer möglichen Exposition des Klägers gegenüber Lösemitteln an seinem früheren Arbeitsplatz. Mit Schreiben vom 03.03.1998 bat die Beklagte dann Dr. S. (im Folgenden: S.) um eine beratungsärztliche Stellungnahme. Dieser äußerte sich am 15.03.1998.

Mit Bescheid vom 25.08.1998 (Widerspruchsbescheid vom 06.11.1998) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Erkrankung weder eine Berufskrankheit nach der Zifferngruppe 13 noch nach irgendeiner Ziffer der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung darstelle. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg - SG - erhoben (S 15 U 364/98). Das Verfahren ist noch rechtshängig. In dem Verfahren hat das SG ein arbeitsmedizinisch-wissenschaftliches Gutachten von Prof. Dr. H. vom 09.08.1999 eingeholt. Auf Antrag des Klägers hat Dr. B. am 31.08.2000 ein umweltmedizinisches Gutachten (mit Nachtrag vom 25.09.2000) erstellt. Am 21.11.2001 hat Professor
Dr. H. ergänzend Stellung genommen. Der Kläger hat eine Stellungnahme des Dermatologen und Umweltmediziners Dr. M. vom 16.08.2001 sowie eine Stellungnahme des Arztes für Laboratoriumsmedizin PD Dr. B. und des Diplombiologen M. vom 30.11.2001 vorgelegt. Die Beklagte hat ihrerseits am 30.01.2002 Dr. L. (im Folgenden: L.) um eine Stellungnahme gebeten. Dieser hat am 11.02.2002 eine "Beratung nach Aktenlage gemäß des Auftragschreibens vom 30.01.2002 über die Erkrankung des Klägers" abgegeben.

Erstmals mit Schreiben vom 14.08.2002 (Eingang beim SG am 19.08.2002) hat der Kläger (unter anderem) die Löschung der Stellungnahmen von S. und L. gefordert. Mit Schriftsatz an das SG vom 02.11.2004 hat der Kläger (unter anderem) den Antrag gestellt, die Beklagte zu verurteilen, (unter anderem) diese Stellungnahmen aus den Akten zu entfernen. Einen entsprechenden Antrag hat der Kläger schließlich mit Schriftsatz vom 25.09.2006 unmittelbar bei der Beklagten gestellt. Mit Bescheid vom 24.10.2006 (Widerspruchsbescheid vom 19.01.2007) hat diese entschieden, dass ein Anspruch auf Löschung der Stellungnahmen von S. und L. nicht besteht. Die hiergegen erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 16.02.2011 abgewiesen.

Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Die Beklagte hat auf Anforderung des Gerichts die mit S. und L. geschlossenen Vereinbarungen über eine beratungsärztliche Tätigkeit übersandt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.02.2011 sowie den Bescheid vom 24.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die ärztlichen Stellungnahmen des Dr. S. vom 15.03.1998 und des Dr. L. vom 11.02.2002 aus den Verwaltungsakten zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.02.2011 zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie der Akten des SG zum Verfahren S 15 U 364/98 verwiesen

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 24.10.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2007 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die schriftliche Äußerungen des S. vom 15.03.1998 und des L. vom 11.02.2002 aus den Verwaltungsakten zu entfernen. Ein Anspruch des Klägers hierauf besteht nicht.

Als Grundlage für den vom Kläger geltend gemachten Löschungsanspruch kommt allein § 84 Abs. 2 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht, der dem Bürger einen Anspruch auf Löschung bei unzulässiger Speicherung von Sozialdaten gibt (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 20.07.2010, B 2 U 17/09 R; Urteil vom 11.04.2013, B 2 U 34/11 R).

Zwar stellte das Einfügen der Stellungnahmen des S. vom 15.03.1998 sowie der Stellungnahme des L. vom 11.02.2002 in die Akten der Beklagten ein "Speichern auf einem Datenträger" im Sinne des § 84 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 67 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 SGB X dar (siehe dazu BSG, Urteil vom 20.07.2010, B 2 U 17/09 R). Jedoch war dies gemäß § 35 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) i.V.m. § 67c Abs. 1 SGB X zulässig. Es erfolgte nämlich zu dem Zweck, den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung eine Berufskrankheit und eines gegebenenfalls daraus resultierenden Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) in medizinischer Hinsicht zu prüfen und zu entscheiden. Es lagen auch weder SGB X-spezifische Unzulässigkeitsgründe noch ein Verstoß gegen das Widerspruchsrecht nach § 200 Abs. 2 Hs. 2 SGB VII i.V.m. § 76 Abs. 2 SGB X 8 (dazu unter 1.) oder gegen die Vorschrift des § 199 Abs. 3 SGB VII (dazu unter 2.) vor.

1. § 200 Abs. 2 Hs. 2 SGB VII schreibt vor, dass der Unfallversicherungsträger den Versicherten vor Erteilung eines Gutachtenauftrages auf sein Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 SGB X hinweisen und über den Zweck des Gutachtens informieren soll.

Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob ein Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB VII die Unzulässigkeit der Speicherung des Gutachtens zur Folge hätte (siehe dazu BSG a.a.O.). Denn aus Sicht des Senats liegt bereits kein Verstoß vor.

Eine Hinweispflicht im Sinne des § 200 Abs. 2 Hs. 2 SGB VII besteht nur in Fällen, in denen der Unfallversicherungsträger externe ärztliche Sachverständige einschaltet, also Sachverständige, die nicht bei ihm beschäftigt sind oder nicht als interne Berater im weiteren Sinne in einer besonderen Rechtsbeziehung zum Unfallversicherungsträger stehen, so dass sie nicht als Teil des Unfallversicherungsträgers tätig werden. Eine solche besondere Rechtsbeziehung kann durch den Abschluss entsprechender Dienst- oder Beratungsverträge höherer Art mit so genannten Beratungsärzten begründet werden (BSG, Urteile vom 05.02.2008, B 2 U 8/07 R u. B 2 U 10/07 R; so auch Urteil vom 11.04.2013,
B 2 U 34/11 R; Kranig in Hauck/Noftz SGB VII, Stand 01/10, § 200 Rn. 17). Liegt eine solche Rechtsbeziehung vor, handelt es sich bei der Weitergabe von Daten des Versicherten an den ärztlichen Sachverständigen nicht um eine Übermittlung von Daten an eine dritte oder eine andere Stelle außerhalb des Unfallversicherungsträgers im Sinne des § 67 Abs. 6, 10 SGB X, so dass kein Widerspruchsrecht des Versicherten im Sinne des § 76 Abs. 2 SGB X (i.V.m. § 200 Abs. 2 Hs. 2 SGB VII), auf das (gesondert) hingewiesen werden müsste, besteht (BSG, Urteile vom 05.02.2008, B 2 U 8/07 R u. B 2 U 10/07 R). Diese Rechtsprechung überzeugt auch vor dem Hintergrund, dass sie dazu dient, im gerichtlichen Verfahren Waffengleichheit (vgl. Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) zwischen Versichertem und Unfallversicherungsträger herzustellen. Dem Versicherten ist es nämlich unbenommen, im Klageverfahren im Rahmen seines Parteivorbringens privat eingeholte ärztliche Stellungnahmen und Gutachten vorzulegen und darüber hinaus gemäß § 109 SGG die Anhörung eines oder sogar mehrerer ärztlicher Sachverständiger seiner Wahl zu beantragen. Hiervon hat der Kläger im vorliegenden Fall auch wiederholt Gebrauch gemacht. Könnte der Versicherte andererseits unter Berufung auf datenschutzrechtliche Bestimmungen verhindern, dass der Unfallversicherungsträger sich seinerseits fachkundig durch Ärzte beraten lässt, um zu eingeholten Gutachten oder Parteivorbringen der Versichertenseite substantiell Stellung nehmen zu können, wäre eine Waffengleichheit im gerichtlichen Verfahren nicht mehr gewährleistet.

Sowohl der zwischen der Beklagten und S. geschlossene Vertrag vom 27.01.1998 (nebst Belehrung und Verpflichtung vom 09.02.1998) als auch die zwischen der Beklagten und L. geschlossene Vereinbarung (mit Nebenabrede) vom 09.02.1998 (nebst Belehrung und Verpflichtung vom 20.07.1995) stellen zur Überzeugung des Senats einen Dienstvertrag höherer Art dar. Deshalb bestand zwischen der Beklagten und S. bzw. der Beklagten und L. jedenfalls zum Zeitpunkt der Erstellung der in Streit stehenden Äußerungen eine besondere Rechtsbeziehung im Sinne der zitierten Rechtsprechung des BSG.

Dienste höherer Art zeichnen sich dadurch aus, dass sie überdurchschnittliche Kenntnis oder Fertigkeiten der Dienstleistenden verlangen oder den persönlichen Lebensbereich betreffen. Erforderlich ist zudem, dass die Dienste im Allgemeinen ihrer Art nach üblicherweise nur infolge besonderen d.h. persönlichen Vertrauens übertragen zu werden pflegen; entscheidend ist die typische Lage, nicht der konkrete Einzelfall (vgl. Weidenkaff in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., § 627 Rn. 2; siehe u.a. auch Henssler in Münchener Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, 4. Aufl., § 627 Rn. 14; Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 09.06.2011, III ZR 203/10; Urteil vom 18.10.1984, IX ZR 14/84).

S. übernahm nach den Feststellungen des Senats mit dem Beratungsvertrag die Aufgabe, ab 02.01.1998 bei der Beklagten als beratender Arzt - Atemwegserkrankungen und internistische Fragestellungen - tätig zu werden. Zu seinen Aufgaben zählten insbesondere, im schriftlichen Wege Vorschläge zur Steuerung des Feststellungsverfahrens zu unterbreiten, die Sachbearbeiter der Beklagten in medizinischen Einzelfragen zu beraten, zu Gutachten Stellung zu nehmen und Sachbearbeiter der Beklagten über medizinische Sachverhalte zu schulen. S. wurde zur Wahrung des Datenschutzes und der Geheimhaltung verpflichtet. Gemäß der Vereinbarung vom 09.02.1998 wurde L. nach den Feststellungen des Senats ebenfalls als beratender Art für die Beklagte tätig. Seine Tätigkeit umfasste insbesondere, auf dem Postwege, gegebenenfalls mit einem Frage- und Antwortbogen, die Sachbearbeiter der Beklagten zu Fragen bei bestimmten Berufskrankheiten aus arbeits- und sozialmedizinischer Sicht zu beraten, Vorschläge hinsichtlich der weiter durchzuführenden Ermittlungen wie Arbeitsplatzanalyse, Expositionen usw. zu unterbreiten und Gutachten und sonstige medizinische Unterlagen durchzusehen und zu prüfen. Auch L. wurde zur Wahrung des Datenschutzes und der Geheimhaltung verpflichtet. Die Tätigkeiten von S. und L. wurden jeweils nach Zeitaufwand (Stundensatz) vergütet.

Die Erfüllung der vertraglich vereinbarten Aufgaben durch S. und L. setzte unabdingbar besondere Fachkenntnis auf medizinischem Gebiet voraus. Zudem umfasste die vereinbarte Dienstleistung einen Teilbereich der ärztlichen Tätigkeit, welche üblicherweise ein besonderes Vertrauensverhältnis zur Vertragsgrundlage hat (vgl. u.a. BGH a.a.O.), unter anderem auch deshalb, weil sie den Umgang mit besonders sensiblen Daten des Betroffenen erfordert. In diesem Zusammenhang ist auch die von S. bzw. L. gesondert abgegebene Verpflichtungserklärung zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Obliegenheiten, insbesondere im Umgang mit den anvertrauten Daten und offenbarten Geheimnissen zu sehen. Der Senat hat daher keine Zweifel daran, dass es sich bei den von der Beklagten vorgelegten Verträgen um Dienstverträge höherer Art handelte. Auf deren Grundlage und im Rahmen des vereinbarten Aufgabenbereichs sind S. und L. auf Anfrage der Beklagten bei Abgabe der streitgegenständlichen Stellungnahmen beratungsärztlich tätig geworden.

Soweit der Kläger demgegenüber unter Berufung auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12.03.2012, L 9 U 27/11 vorträgt, dass die Verträge keine Dienstverträge höherer Art darstellen würden, da S. und L. in keiner Weise in den Betrieb der Beklagten eingegliedert gewesen seien, überzeugt das nicht. Die Argumentation verkennt, dass Dienstverträge (höherer Art) gerade typischerweise mit Personen geschlossen werden, die weder räumlich noch organisatorisch in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert sind. Sie steht auch im Widerspruch zur zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 05.02.2008, B 2 U 8/07 R u. B 2 U 10/07 R). Diese besagt, dass Ärzte, die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) beim Unfallversicherungsträger stehen, aufgrund des Abschlusses eines Dienst- oder Beratungsvertrags höherer Art im jeweiligen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren als Teil des Unfallversicherungsträgers im datenrechtlichen Sinne tätig werden. Sie stellen damit keine dritte oder andere Stelle außerhalb des Unfallversicherungsträgers im Sinne des § 67 Abs. 6, 10 SGB X dar.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass S. und L. bei Aufnahme ihrer beratungsärztlichen Tätigkeit eine Verpflichtungserklärung zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Obliegenheiten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Umgang mit den anvertrauten Daten und offenbarten Geheimnissen unterschrieben haben. Aus dem Inhalt der vorliegenden Niederschriften über Belehrung und Verpflichtung geht nicht hervor, dass es sich hierbei, wie der Kläger meint, um einen Hinweis im Sinne des § 78 Abs. 2 SGB X gehandelt hat. Auf § 78 SGB X wird in den Niederschriften gar nicht Bezug genommen, sondern auf § 1 des Gesetzes über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (VerpflG). Gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 VerpflG soll auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten verpflichtet werden, wer, ohne Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuches) zu sein, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, beschäftigt oder für sie tätig ist. Da S. und L. für die Beklagte beratungsärztlich tätig waren, wurden sie entsprechend verpflichtet. Der Senat kann darin keinen Widerspruch dazu sehen, dass S. und L. unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG als Beratungsärzte im Verwaltungs- bzw. Klageverfahren als Teil des Unfallversicherungsträgers tätig geworden sind. Vielmehr setzt die Deutung der Verpflichtung als Hinweis im Sinne des § 78 Abs. 2 SGB X durch den Kläger die - wie bereits ausgeführt - nicht zutreffende Auffassung voraus, dass es sich bei S. und L. um eine nicht-öffentliche (dritte) Stelle im Sinne des § 67 Abs. 11 SGB X gehandelt hätte.

Im Ergebnis lag somit zum jeweiligen Zeitpunkt der Anfrage bzw. der Aktenübersendung an S. bzw. L. keine Übermittlung von Daten des Klägers an eine dritte oder eine andere Stelle außerhalb des Unfallversicherungsträgers vor, die einen Hinweis auf ein Widerspruchsrecht des Klägers erfordert hätte. Ein Verstoß gegen das Widerspruchsrecht nach § 200 Abs. 2 Hs. 2 SGB VII i.V.m. § 76 Abs. 2 SGB X lag damit nicht vor.

Unabhängig davon stellen die Äußerung des S. vom 15.03.1998 sowie die Äußerung des L. vom 11.02.2002 keine Gutachten im Sinne des § 200 Abs. 2 Hs. 2 SGB VII dar.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 05.02.2008, B 2 U 8/07 R u. B 2 U 10/07 R; siehe auch Urteil vom 11.04.2013, B 2 U 34/11 R) ist der Begriff des Gutachtens im Rahmen des § 200 Abs. 2 Hs. 2 SGB VII eng auszulegen. Es fällt nicht jedwede Äußerung oder Stellungnahme eines medizinischen oder technischen Sachverständigen zu einzelnen Aspekten des Verfahrensgegenstandes darunter, sondern nur die umfassende wissenschaftliche Bearbeitung einer im konkreten Fall relevanten fachlichen Fragestellung durch den Sachverständigen. Ein Gutachten liegt vor, wenn ein solches angefordert oder ausweislich seiner Selbstbezeichnung "Gutachten" erstellt und übersandt oder abgerechnet wurde. Unabhängig von dieser rein äußerlichen Bezeichnung ist zur weiteren Unterscheidung vom Bezugspunkt der schriftlichen Äußerung des Sachverständigen auszugehen: Enthält sie vornehmlich eine eigenständige Bewertung der verfahrensentscheidenden Tatsachenfragen, z.B. des umstrittenen Ursachenzusammenhangs ist es ein Gutachten. Setzt sich die schriftliche Äußerung des Sachverständigen im Wesentlichen mit dem eingeholten Gerichtsgutachten auseinander, insbesondere im Hinblick auf dessen Schlüssigkeit, Überzeugungskraft und Beurteilungsgrundlage ist es nur eine beratende Stellungnahme. Dass eine derartige Stellungnahme, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen einem Ereignis und einer Gesundheitsstörung umstritten ist, auch Aussagen zu diesem Ursachenzusammenhang und dem einschlägigen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand enthält, ergibt sich aus der Materie. Entscheidend sind daher der Bezugspunkt der umstrittenen ärztlichen Äußerung, die an den Arzt gestellten Fragen und die von ihm gegebenen Antworten. Gerade bei einer ärztlichen Stellungnahme zu einem Gerichtsgutachten hilft es nur eingeschränkt weiter, wenn der Verfasser der Stellungnahme bloß seine von dem Gerichtsgutachten abweichende Sicht der Dinge wiedergibt. Prozessual zielgenau verwertbar für den auftraggebenden Beteiligten und das Gericht wird sie erst, wenn sie Einwendungen und Ergänzungsfragen iS des § 411 Abs. 4 Zivilprozessordnung - ZPO - zu dem Gerichtsgutachten formuliert (BSG a.a.O.).

a. Schon die äußeren Umstände sprechen im Fall der schriftlichen Äußerung des S. vom 15.03.1998 dagegen, dass diese als Gutachten zu sehen ist. So hat die Beklagte nach den Feststellungen des Senats bei S. mit Schreiben vom 03.03.1998 ausdrücklich eine beratungsärztliche Stellungnahme angefordert. Zwar war die Auftragstellung mit der "Bitte um Stellungnahme, ob hier möglicherweise eine Berufskrankheit vorliegt, wenn ja, nach welcher Ziffer" und der weiteren Frage, ob noch weitere Ermittlungen für erforderlich gehalten werden, relativ offen gehalten. Allerdings war dies dem Umstand geschuldet, dass die Beklagte aufgrund der vorliegenden (medizinischen) Unterlagen, insbesondere aber der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 23.02.1998 - zu Recht oder zu Unrecht - zu diesem Zeitpunkt keine Anhaltspunkte gesehen hat, den Sachverhalt im Hinblick auf eine bestimmte Berufskrankheit weiter ermitteln zu können. Vielmehr sollte die Einschaltung von S. dazu dienen, solche Anhaltspunkte für das weitere Vorgehen eventuell noch zu erhalten (siehe dazu BSG a.a.O.). Die Stellungnahme von S. hatte nach den Feststellungen des Senats dann folgenden Inhalt: "Die Durchsicht der von Ihnen von den verschiedenen Ärzten zusammengetragenen Unterlagen ergibt weder den Anfangsverdacht für eine lösemittelinduzierte Erkrankung noch eine mögliche Atemwegserkrankung. Ein Krankheitsgeschehen, das sinnvoll in die Liste der Berufskrankheiten einzuordnen wäre, liegt nicht vor. Die Befunde ergeben auch keinen Hinweis darauf, dass eine Berufskrankheit beim Verbleib im Schreinerberuf drohen würde." Bereits aus diesem knappen Wortlaut wird deutlich, dass durch S. keine umfassende wissenschaftliche Bearbeitung des Sachverhalts erfolgt ist. Letztlich erschöpfte sich seine Äußerung darin, dass er aus medizinischer Sicht keine Anhaltspunkte für die Annahme einer leistungsrechtlich relevanten Erkrankung des Klägers und damit auch nicht für weitere Ermittlungen der Beklagten sah. Dies stellt nach Auffassung des Senats aber offensichtlich kein Gutachten im Sinne der BSG-Rechtsprechung dar, sondern eine Beratung des Unfallversicherungsträgers zum weiteren Vorgehen. Soweit der Kläger unter Berufung auf die vom Bundesversicherungsamt geäußerte Meinung vorträgt, die Beklagte habe sich in ihrem ablehnenden Bescheid vom 25.08.1998 auf die Äußerung des S. gestützt, woraus sich deren Einordnung als Gutachten im Sinne des § 200 Abs. 2 SGB VII ergebe, ist das nicht überzeugend. Ob eine ärztliche Äußerung als Gutachten zu beurteilen ist oder nicht, kann nicht davon abhängen, in welcher Weise die Äußerung zu einem späteren Zeitpunkt verwandt wird.

b. Auch die Äußerung des L. vom 11.02.2002 sieht der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG nicht als Gutachten im Sinne des § 200 Abs. 2 SGB VII. Auch hier wurde nach den Feststellungen des Senats von der Beklagten ausweislich des Schreibens vom 30.01.2002 kein Gutachten, sondern eine Stellungnahme angefordert. L. wurde von der Beklagten gebeten, sich zum einen mit der zuvor von Gutachtern vertretenen Auffassung auseinander zusetzen, und zum anderen mit dem im Klageverfahren umstrittenen Lymphozytentransformationstest (LTT). L. hat seine Äußerung dann auch nicht als Gutachten, sondern als Beratung nach Aktenlage bzw. Beratungsstellungnahme nach Aktenlage bezeichnet. Zwar umfasst die Äußerung knapp 30 Seiten. Allerdings lagen bereits mehrere Gutachten sowie mehrere vom Kläger privat in Auftrag gegebene ärztliche Stellungnahmen (auch zum LTT) vor. Vor diesem Hintergrund ist der Umfang der Äußerung des L. - auch mit Blick auf die Größe des Schriftbildes - keinesfalls als außergewöhnlich zu sehen. Entscheidend erscheint dem Senat aber, dass Anknüpfungspunkt und stetiger Bezugspunkt der Ausführungen des L. das Gutachten von Prof. Dr. H. sowie das im Auftrag des Klägers später erstellte Sachverständigengutachten des Dr. B. sowie die von der Klägerseite vorgelegten Stellungnahmen des Dr. M. vom 16.08.2001 und des PD Dr. B. und des Diplombiologen M. vom 30.11.2001, insbesondere der von letzteren ausführlich erörterte LTT, sind. Im Wesentlichen setzt sich L. in seiner Äußerung mit der Schlüssigkeit und der Überzeugungskraft der eingeholten Gerichtsgutachten bzw. der von der Klägerseite privat in Auftrag gegebenen ärztlichen Stellungnahmen auseinander. Zur Überzeugung des Senats stellt somit auch die Äußerung des L. eine (bloße) beratungsärztliche Stellungnahme dar, und keine eigenständige Bewertung des Sachverhalts im Rahmen einer umfassenden wissenschaftlichen Bearbeitung.

2. Soweit der Kläger beanstandet, die Äußerungen von S. und L. seien (auch) unter Verstoß gegen § 199 Abs. 3 SGB VII eingeholt worden, kann es der Senat dahingestellt sein lassen, ob ein solcher Verstoß gegen die Sollvorschrift des § 199 Abs. 3 SGB VII eine rechtlich unzulässige Datenspeicherung der Stellungnahmen zur Folge haben und damit einen Anspruch auf Löschung gemäß § 84 Abs. 2 S. 1 SGB X begründen könnte. Es liegt bereits kein Verstoß gegen § 199 Abs. 3 SGB VII vor.

Gemäß § 199 Abs. 3 SGB VII soll der Unfallversicherungsträger bei der Feststellung des Versicherungsfalls Auskünfte über Erkrankungen und frühere Erkrankungen des Betroffenen von anderen Stellen oder Personen erst einholen, wenn hinreichende Anhaltspunkte für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem schädigenden Ereignis oder der schädigenden Einwirkung vorliegen.

Wie bereits ausgeführt (s.o. 1.), handelte es sich bei L. und S. nicht um andere Stellen oder Personen, da diese im Rahmen des Verwaltungs- bzw. Klageverfahrens als Teil des beklagten Unfallversicherungsträgers tätig geworden sind. Schon aus diesem Grund ist die Vorschrift nicht einschlägig.

Überdies ist der Senat der Auffassung, dass der Anwendungsbereich des § 199
Abs. 3 SGB VII Fälle wie den vorliegenden, in denen ein Unfallversicherungsträger einen Arzt mit der Einschätzung eines medizinischen Sachverhalts nach Aktenlage bzw. einer Auseinandersetzung mit vorliegenden ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen beauftragt, nicht erfasst. Wie schon der Wortlaut der Vorschrift - "Auskünfte über Erkrankungen und frühere Erkrankungen des Betroffenen" - nahelegt, ist es Zielsetzung der Vorschrift zu verhindern, dass die besonders sensiblen medizinischen Daten des Versicherten über seine Erkrankungen und Vorerkrankungen bei den behandelnden Ärzten oder anderen Versicherungsträgern (zum Beispiel Krankenkasse) erhoben werden, wenn es noch nicht einmal hinreichende Anhaltspunkte für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem schädigenden Ereignis bzw. der schädlichen Einwirkung gibt. Die beschriebene Datensammlung bzw. Datenspeicherung ist in einem solchen Fall nicht erforderlich und damit nicht gerechtfertigt. Eine derartige Datenerhebung auf Vorrat soll das in § 199 Abs. 3 SGB VII vorgesehene gestufte Ermittlungsverfahren verhindern (Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 12/09, § 199 Rn. 8). Dem Unfallversicherungsträger sollen keine Krankheitsdaten zur Kenntnis kommen, die er u.U. nicht benötigt (Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 76. Ergänzungslieferung 2012, § 199 SGB VII Rn. 7). Nicht unter die Vorschrift fällt aber die Auswertung bereits erhobener Krankheitsdaten durch beratende Ärzte des Unfallversicherungsträgers im Rahmen von Stellungnahmen oder Gutachten nach Aktenlage. Denn die Beratungsärzte erteilen selbst keine Auskünfte über Erkrankungen oder frühere Erkrankungen des Versicherten, sondern prüfen - wie auch S. und L. im vorliegenden Fall - die vorhandene Daten unter medizinischen Gesichtspunkten auf das Vorliegen von Tatbeständen, die eine Leistungspflicht des Unfallversicherungsträgers auslösen könnten (zum Beispiel das Vorliegen einer Berufskrankheit) und geben darauf beruhend eine Einschätzung ab. Oft wird auch eine derartige ärztliche Stellungnahme erforderlich sein, um überhaupt erst hinreichende Anhaltspunkte für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem schädigenden Ereignis oder der schädigenden Einwirkung feststellen zu können und damit die Basis für die Einholung von (weiteren) Auskünften zu schaffen. Solche Sachverhaltskonstellationen werden nicht von der Bestimmung des § 199 Abs. 3 SGB VII erfasst (so auch Ricke a.a.O.).

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Vorbringen der Klägerseite insoweit widersprüchlich ist, als im vorliegenden Verfahren ein Verstoß gegen § 199 Abs. 3 SGB VII geltend gemacht wird, im anhängigen Verfahren S 15 U 364/98 beim SG aber die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Zifferngruppe 13 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung und - darauf beruhend - die Gewährung einer Rente eingeklagt wird. Denn ein Verstoß gegen § 199 Abs. 3 SGB VII würde, wie ausgeführt, voraussetzen, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung vorliegen. Die Anerkennung einer Berufskrankheit würde demgegenüber aber bedingen, dass ein solcher Zusammenhang sogar mit hinreichender Wahrscheinlichkeit besteht.

Nach alledem ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass sowohl das Einfügen der Stellungnahme des S. vom 15.03.1998 als auch das Einfügen der Stellungnahme des L. vom 11.02.2002 in die Akten der Beklagten keine unzulässige Speicherung von Daten darstellte. Ein Löschungsanspruch des Klägers besteht daher nicht. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 SGG), sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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