L 7 SO 4642/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SO 3459/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 4642/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Leistungen der Engliederungshilfe für ein gehörloses Kind umfassen gebärdensprachliche Unterrichtsleistungen zugunsten des Kindes selbst, nicht aber die Finanzierung eines Gebärdensprachkurses durch Privatlehrer für dessen Eltern aus Mitteln der Sozialhilfe. Weitergehende Leistungsrechte kann das gehörlose Kind auch weder aus Art. 26 der Charta er Grundrechte der Europäischen Union (GRCH) oder aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder aus den Art. 24 Abs. 3, 30 des Behindertenrechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN-BRÜ) herleiten.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. September 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt vom beklagten Sozialhilfeträger, die Kosten eines Hausgebärdensprachkurses für ihre Eltern im Wege der Eingliederungshilfe zu übernehmen.

Für die 2006 geborene mehrfachschwerbehinderte Klägerin, die neben anderem an einer an Taubheit grenzenden beidseitigen Schwerhörigkeit bei cochleärer Dysplasie leidet (GdB 100), stellte ein Arzt am 2009 fest, hinsichtlich der Sinnes- und Sprachbehinderung liege eine wesentliche und nicht nur vorübergehende Behinderung vor. Die Teilhabe sei beeinträchtigt. Pädagogische Eingliederungshilfe für den Regelkindergarten werde ab 2009 für die Dauer des Kindergartenbesuchs empfohlen. In der Folge erbrachte der Beklagte auf der Grundlage einer mit der Kirche als dem Kindergartenträger, des von der Klägerin besuchten Kindergartens - am 12. August 2009 geschlossenen Vereinbarung für den Zeitraum von Oktober 2009 bis Juli 2010 monatlich Leistungen für pädagogische (460,00 EUR) und begleitende Hilfen (308,00 EUR) in Höhe von insgesamt 768,00 EUR. Ein entsprechender, an die Familie der Klägerin adressierter Bescheid (25. September 2009) wurde bestandskräftig.

Auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 22. Juni 2010 erteilte der Beklagte mit an die Familie der Klägerin adressierten und ebenfalls bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 28. Juli 2010 eine Kostenzusage analog zum vorausgegangenen Bescheid vom 25. September 2009 für die Zeit von August 2010 bis Juli 2012.

Mit Antrag vom 4. April 2011 begehrte die Klägerin vom Beklagten eine Umwandlung der Frühförderung in eine Geldleistung unter Erhöhung der Förderstundenzahl im Rahmen eines Persönlichen Budgets. Darüber hinaus beantragte die Klägerin beim Beklagten am 24 Mai 2011, die Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs für die ganze Familie zu übernehmen, und legte ein auf denselben Tag datierendes Angebot des S. bei. Darin bot der Gebärdensprachdozent E. der Klägerin einen wöchentlich zweistündig stattfindenden Hausgebärdensprachkurs zum Preis von 60,00 EUR pro Stunde bei zwei Stunden Fahrzeit (240,00 EUR) und einer Wegstreckenentschädigung von 190 km/0,30 EUR (57,00 EUR) - wöchentlich also 297,00 EUR und monatlich 1.188,00 EUR - an. Zur Untermauerung der Begehren bezog sich die Klägerin auf die Stellungnahme der Fachärztin für Kinderheilkunde und Neuropädiatrie Dr. V. vom 31. März 2011. Danach sei eine Integrationshilfe für die Klägerin zum Erlernen und Trainieren der Gebärdensprache angezeigt. Eine Integrationskraft sei dafür ein wesentliches Plus. Denn eine Sprachentwicklung habe bisher nicht stattgefunden, obgleich die Klägerin zunehmend an Kommunikation interessiert sei. Geboten sei ein zeitlicher Umfang an Unterstützung von 16 Stunden wöchentlich.

Mit Bescheid vom 7. Juni 2011 lehnte der Beklagte sowohl das beantragte Persönliche Budget als auch die geltend gemachten Kostenübernahme für einen Hausgebärdensprachkurs ab. Zur Begründung hieß es, ein Persönliches Budget komme nicht in Betracht, weil der Klägerin durch die Gebärdensprache derzeit keine Teilhabe in der Gemeinschaft ermöglicht werde. Das tägliche Umfeld der Klägerin (Kinder und Erzieherinnen im Kindergarten) verfügten über keine Gebärdensprachkenntnisse. Nach Auskunft des Staatlichen Schulamts sei die Gebärdensprache auch kein Aufnahmekriterium für die Einschulung in die Sonderschule. Die Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs seien aus demselben Grund nicht aus Mitteln der Sozialhilfe aufzubringen. Insoweit seien auch eventuelle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung im Übrigen vorrangig in Anspruch zu nehmen.

Den dagegen gerichteten Widerspruch vom 15. Juni 2011 begründete die Klägerin unter Hinweis auf einen fachärztlich attestierten Förderbedarf. Sie befinde sich altersgemäß in einer sensiblen Phase, in der sie innerhalb eines optimalen Zeitfensters aktiv die Kommunikation suche. Gerade jetzt seien ihr Möglichkeiten zur Kommunikation aufzuzeigen.

Ein gleichzeitig von der Klägerin mit den Begehren Persönliches Budget und Hausgebärdensprachkurs betriebenes vorläufiges Rechtsschutzverfahren blieb sowohl vor dem Sozialgericht Heilbronn - S 11 SO 2165/11 ER, Beschluss vom 4. Juli 2011 - als auch im Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 2 SO 3024/11 ER-B, Beschluss vom 22. Juli 2011 - ohne Erfolg. Das Landessozialgericht verneinte das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, u.a. unter Hinweis des Zwischenberichts der die Klägerin seit Juni 2011 betreuenden Gebärdensprachdozentin S. vom 11. Juli 2011. Darin berichtete S. über erste Erfolge der Frühförderung der Klägerin mit Gebärdensprache und empfahl ein intensivere Förderung mit höherer Stundenzahl.

In der Folge schlossen die Beteiligten unter dem 2. und 9. August 2011 eine schriftliche Zielvereinbarung zum Persönlichen Budget für Menschen mit Behinderung. Danach verpflichtete sich der Beklagte der Klägerin im Rahmen der Eingliederungshilfe ein Persönliches Budget in Höhe einer monatlichen Pauschale von 2.400,00 EUR für die Zeit ab dem 1. August 2011, befristet jeweils auf die Dauer von sechs Monaten zu gewähren. Davon blieb die weiterbewilligte Integrationshilfe im Kindergarten (Sachleistung) unberührt. Mit an die Familie der Klägerin adressiertem und bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 12. August 2011 bestätigte der Beklagte die Zielvereinbarung, teilte mit, dass in der Pauschale von monatlich 2.400,00 EUR einmalige Beihilfen zur Beschaffung größerer Hilfemittel nicht enthalten seien und kündigte an, über den Widerspruch bezüglich des Hausgebärdensprachkurses eine separate Entscheidung zu treffen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2011 half der Beklagte sodann dem Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 7. Juni 2011 in puncto Persönliches Budget förmlich ab und nahm insoweit auf den Bewilligungsbescheid vom 12. August 2011 Bezug. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Dazu führte er aus, Leistungen der Eingliederungshilfe stünden ausschließlich dem behinderten Menschen selbst zu. Deshalb sei es ausgeschlossen den Eltern der Behinderten, ihren weiteren Familienangehörigen oder sonstigen Personen in ihrem Umfeld Förderleistungen der Eingliederungshilfe zuteilwerden zu lassen. Den Eltern der Klägerin sei es möglich und zumutbar, die Gebärdensprache etwa in Volkshochschulkursen und aus Büchern zu erlernen. Die Kosten dafür seien von ihnen selbst zu tragen.

Die dagegen am 22. September 2011 zum Sozialgericht Heilbronn - S 14 SO 3459/11 - erhobene Klage begründete die Klägerin unter Hinweis darauf, dass ohne Gebärdensprachkurs in der Familie eine Kommunikation nicht möglich sei. Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt sehe das Neunte Buch Sozialgesetzbuch ausdrücklich vor. Minimalziel sei insoweit, eine Verständigung der Behinderten mit der eigenen Familie zu erreichen.

Das Sozialgericht Heilbronn holte schriftlich Auskünfte bei der V. in H., dem S. und der L. in H. ein.

Der Verwaltungsleiter der V. in H. teilte unter dem 21. März 2012 mit, zum Erlernen der Gebärdensprache würden ein Einführungskurs (10 Abende mit je 2 Unterrichtsstunden) und ein Fortgeschrittenenkurs (10 x 2 Unterrichtsstunden) angeboten. Nach dem Besuch beider Kurse werde die Gebärdensprache indes - wie jede andere Fremdsprache - nicht fließend beherrscht.

Der Gebärdensprachdozent E., S., berichtete unter dem 28. März 2012, mit der Familie der Klägerin seit August 2011 zu arbeiten. Anfänglich habe er zweiwöchentlich unterrichtet, derzeit finde indes wöchentlicher Unterricht statt. Er unterrichte die Eltern abends ab 19:30 Uhr für jeweils zwei Zeitstunden. Die Gebärdensprachkommunikation in Dialog und Rollenspielen werde trainiert. Zudem hätten die Eltern Gelegenheit, die für sie wichtigen Vokabeln zu erfragen und zu erlernen. Da die Frühförderin der Klägerin selbst seine Lebensgefährtin sei, sei eine reibungslose Kommunikation zwischen allen Beteiligten garantiert. Insbesondere sei sichergestellt, dass die gleichen Gebärden gelernt würden. Denn auch in der Gebärdensprache gebe es Dialekte. Durch diese Art und Weise der Förderung könne optimal auf die Bedürfnisse der Beteiligten eingegangen werden.

Die Direktorin der Schule erklärte in ihrem an das Sozialgericht Heilbronn adressiertem Schreiben vom 28. Juni 2012, dass ihre Schule in jedem Schuljahr Gebärdensprachkurse für Eltern anbiete. Die Kurse umfassten 10 Abende zu je 90 Minuten und fänden an einem Wochentag statt; bei entsprechender Nachfrage fänden auch Fortgeschrittenenkurse statt. Die Kurse leiteten Hörgeschädigtenlehrer, gebärdensprachkompetene Erzieher und die gehörlose Mutter eines die Schule besuchenden Kindes. Es werde ein Teilnehmerbeitrag von 3,00 EUR je Teilnehmer und Abend erhoben. Zur Vertiefung sei es möglich, am Gebärdenstammtisch teilzunehmen. Bei Sammelbestellung könne zudem das in der Schule verbindlich eingesetzte digitale Gebärdensprachlexikon für 58,00 EUR erworben werden. In einigen Fällen übernähmen auch die gesetzlichen Krankenkassen die Anschaffungskosten von Gebärdenlernprogrammen. Auch beim Erlernen der Gebärdensprache sei ein regelmäßiges Üben und Anwenden dringend erforderlich.

Mit Urteil vom 27. September 2012 verurteilte das Sozialgericht Heilbronn den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 7. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2011, den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachkurs ihrer Eltern unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, der Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher sei vom Anspruch der Klägerin auf Eingliederungshilfe mit umfasst. Indem ihre Eltern die Gebärdensprache erlernten, werde es der Klägerin ermöglicht, am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben. Die Eltern seien das "kleinste Glied" der Gemeinschaft. Die Auffassung des Beklagten schließe die Eltern faktisch aus der Gemeinschaft aus. Wenn aber jeder Dritte außerhalb des familiären Umfelds Teil des Gemeinschaft sei und mit diesem die Kommunikation und Teilhabe eingliederungshilfefähig sei, so habe dies erst recht für die Kommunikation des Sprachbehinderten mit den eigenen Eltern zu gelten. Dabei handele es sich um keine Leistung an nichtbehinderte Dritte (die Eltern), sondern um eine dem behinderten Menschen zustehende Leistung, durch die seine Kommunikationsfähigkeiten mit der Familie und der übrigen Gesellschaft gefördert werde. Um mit ihren Eltern zu kommunizieren, sei die Klägerin darauf angewiesen, dass diese die Gebärdensprache erlernen. Dem entsprechend sei der Beklagte dem Grunde nach verpflichtet, die Kosten für einen Gebärdensprachkurs der Eltern der Klägerin aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen. Dies habe der Beklagte verkannt und deshalb das ihm zustehende pflichtgemäße Ermessen zu Art und Weise sowie Höhe der Eingliederungshilfe nicht ausgeübt. Deshalb sei er zur Neubescheidung zu verurteilen gewesen. Das Urteil wurde den Beteiligten jeweils am 8. Oktober 2012 zugestellt.

Der Beklagte hat am 7. November 2012 gegen das Urteil des Sozialgerichts Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.

Der Beklagte ist weiter der Auffassung, der Klägerin stehe bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen (Haus-)Gebärdendolmetscher ihrer Eltern aus Mitteln der Eingliederungshilfe zu. Die Klägerin erhalte bereits monatlich 3.168,00 EUR Eingliederungshilfe (2.400,00 EUR Persönliches Budget zum Erlernen der Gebärdensprache) und 768,00 EUR pädagogische und begleitende Hilfen). Darüber hinaus könne sie keine Leistungen an dritte Personen verlangen, die ihr selbst nur mittelbar zu Gute kämen. Ihre Eltern seien nicht der kleinste Teil der Gesellschaft oder Gemeinschaft, sondern ihre Familie. Außerdem seien die begehrten Leistungen unangemessen teuer. Andere Eltern gehörloser Kinder erlernten die Gebärdensprache auf eigene Kosten etwa in der Volkshochschule oder anderen Einrichtungen. Schließlich dürfte die in Streit stehende Hilfe auch nur bei Bedürftigkeit der Klägerin gewährt werden. Bedürftigkeit aber sei von der Klägerseite nie nachvollziehbar dargelegt worden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. September 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, weil ihre Eltern integraler Bestandteil ihres Lebens in der Gemeinschaft seien, das ihr erst durch eine gemeinsame Gebärdensprache eröffnet werde. Die abweichende Argumentation des Beklagten sei spitzfindig und realitätsfern. Wie andere Eltern gehörloser Kinder die Gebärdensprache erlernten, sei nicht entscheidungserheblich. Auch dass andere gehörlose Kinder die Gebärdensprache regelmäßig erst in Schulen für Hörgeschädigte erlernten, tue nichts zur Sache. Maßstäblich seien nicht andere behinderte Kinder, sondern die nicht eingeschränkten Kinder. Diese lernten im Normalfall während des Vorschulalters bei ihren Eltern sprechen. Darauf habe auch die Klägerin Anspruch. Die Kursdauer sei auf vier bis fünf Jahre angelegt.

Auf Aufforderung des Senats hat der Gebärdensprachdozent E., S. die zwischenzeitlich beglichenen Rechnungen für die Zeiträume August - September 2011 (588,00 EUR, Re. vom 21.09.2011), September - Dezember 2011 (1.176,00 EUR, Re. vom 21.12.2011), Januar bis Juni 2012 (5.946,00 EUR, Re. vom 21.02.2012) und vom Juli bis Dezember 2012 (6.540,00 EUR, Re. v. 01.06.2012) vorgelegt. Für das Jahr 2011 hat das Studio der Klägerin dabei indes nur 45,00 EUR anstatt 60,00 EUR pro Stunde in Rechnung gestellt. Außerdem hat das Studio für 2011 nur die Wegstreckenentschädigung, nicht aber zusätzlich auch Fahrtkosten geltend gemacht. Für das Jahr 2012 ist von Vis a Vis dann aber auf der Basis von 60,00 EUR pro Stunde zuzüglich 2 Stunden Fahrzeit (120,00 EUR) abgerechnet worden. Auf die ersten beiden Rechnungen haben die Eltern der Klägerin gezahlt, während die dritte und vierte Rechnung von der Stiftung inzwischen endgültig übernommen worden sind. Die weitere Kostenzusage der Stiftung ist wohl zum 31. Dezember 2012 ausgelaufen und die maximale Bezugsdauer bei der Stiftung damit ausgeschöpft.

Die Einkommens- und Vermögenssituation der Familie der Klägerin stellt sich nach ihren Angaben wie folgt dar:

Monatliches Einkommen Gehalt des Vaters, netto 1.513,18 EUR Erwerbsminderungsrente der Mutter 528,00 EUR Pflegegeld 400,00 EUR Kindergeld 184,00 EUR 2.665,18 EUR

Monatliche Ausgaben Kreditrate für das Eigenheim (mtl.) 1.010,00 EUR Wohnnebenkosten (mtl.) 289, 94 EUR Kosten für Versicherung 297,23 EUR Kreditzinsen für den Erwerb eines Pkw (mtl.) 206,74 EUR Kindergartenbeitrag 99,00 EUR Tankkosten für Therapie- und Arztfahrten 180,00 EUR 2.082,91 EUR

Weiter hat es die von den Eltern der Klägerin fernmündlich angesprochene gesetzliche Krankenkasse mit Bescheid ohne Rechtsbehelfsbelehrung vom 31. Januar 2013 abgelehnt, die Kosten für einen Gebärdensprachkurs zu übernehmen.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2013 hat das S. S. in H. einen Anspruch der Klägerin auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot festgestellt und die Klägerin ab dem 9. September 2013 befristet bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 verpflichtet, eine Schule für Geistig- und Körperbehinderte, Abteilung Geistigbehinderte, zu besuchen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 27. September 2012 ist rechtswidrig, deshalb aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen. Die Klägerin kann vom Beklagten schon dem Grunde nach keine Eingliederungshilfe für die Kosten eines Hausgebärdensprachkurses für ihre Eltern verlangen. Das schließt einen Anspruch auf Neubescheidung nach § 131 Abs. 2 S. 2 SGG aus. Deshalb erweisen sich der Bescheid des Beklagten vom 7. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. August 2011 als im Ergebnis zutreffend.

Die Klägerin hat von vornherein keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen Hausgebärdensprachkurs durch einen Privatlehrer für ihre Eltern. Denn die Klägerin erfüllt keine der tatbestandlichen Voraussetzungen nach dem Sechsten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - SGB XII - i.V.m. dem Siebten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch - SGB IX - für einen danach möglichen subjektiv öffentlichen Anspruch (1.). Weitergehende Rechte kann sie auch weder aus Art. 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCH) noch aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) herleiten (2.). Ebenso wenig begründet Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG i.V.m. den Art. 24 Abs. 3, 30 des Behindertenrechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN-BRÜ) einen solchen Anspruch (3.). Darüber hinaus steht dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin für den Zeitraum Januar 2012 bis Dezember 2012 zusätzlich der Nachranggrundsatzes nach § 2 Abs. 1 SGB XII entgegen (4.).

1. Gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhalten Personen, die wie die annähernd taube und erheblich sprachbehinderte Klägerin durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben eingeschränkt sind, Leistungen der Eingliederungshilfe wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Zu den Aufgaben der Eingliederungshilfe gehört es nach § 53 Abs. 3 SGB XII die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern, insbesondere ihnen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Nach dem nicht abschließenden Katalog der Einzelleistungen der Eingliederungshilfe des § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII gehören dazu - unter Achtung des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes (§ 2 SGB XII) - die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 26 SGB IX), zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 SGB IX) und im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten (§ 41 SGB IX) ebenso wie die hier relevanten Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 55 SGB IX) und die in Nr. 1 bis 5 der Norm aufgezählten Einzelleistungen. § 55 Abs. 1 SGB IX grenzt die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation sowie zur Teilhabe am Arbeitsleben und im Arbeitsbereich ab. Die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gliedert § 55 Abs. 2 SGB IX insbesondere in die Versorgung mit Hilfsmitteln (Nr. 1), heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind (Nr. 2), Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (Nr. 3), Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt (Nr. 4), Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen Bedürfnissen der behinderten Menschen entspricht (Nr. 5), Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten (Nr. 6) und Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben (Nr. 7).

Der Beklagte gewährt der Klägerin aufgrund ihren schweren Hör- und Sprachbehinderung monatliche Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53 Abs. 1 S. 1, 54 Abs. 1 S. 1, 57 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nrn. 2, 4 und 7 SGB IX in Höhe von insgesamt 3.168,00 EUR für die Zeit seit August 2011 bis heute (Bescheide vom 28. Juli 2010 und vom 12. August 2011). 2.400,00 EUR leistet er dabei pauschal als Persönliches Budget, weitere 768,00 EUR als pädagogische und begleitende Hilfen im Wege des Sachleistung durch Direktzahlung an den von der Klägerin besuchten Regelkindergarten. Damit kommt der Beklagte seinen aus dem SGB XII und dem SGB IX folgenden Leistungspflichten gegenüber der Klägerin nach.

Soweit die Klägerin darüber hinaus aus eigenem Recht auf der Grundlage der vorgenannten gesetzlichen Regelungen die Finanzierung eines Hausgebärdensprachkurses für ihre Eltern geltend macht, scheitert ihr Begehren am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen. Die Katalogleistungen nach den §§ 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII und 55 Abs. 2 SGB IX sind aufgrund des gesetzlichen Wortlautes - insbesondere - zwar nicht abschließend zu verstehen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. März 2009, B 8 SO 29/07 R, BSGE 103, 39 = JURIS Rn. 20; ebenso: Knittel, SGB IX, Kommentar, 6. Aufl. 2012, § 55 Rn. 6; Luthe; in jurisPK-SGB IX, 2010, § 55 Rn. 25; Schneider, in Hassel/Gurgel/Otto, HdB des Fachanwalts Sozialrecht, 3. Aufl. 2012, S. 1239, Rn. 188; Bieritz-Harder, im LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 54 Rn. 52, Wahrendorf, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2013, § 54 Rn. 2). Dem entsprechend kommen auch andere, nicht ausdrücklich genannte Maßnahmen in Betracht, sofern sie geeignet und erforderlich dafür sind, die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Vorschriften über die Eingliederungshilfe auf die Eingliederung des behinderten Menschen und damit auf Leistungen an diesen, nicht an dritte Personen, zielen, wenn nichts anderes ausdrücklich im Gesetz geregelt ist (wie etwa in § 54 Abs. 2 SGB XII - "ihnen oder ihren Angehörigen" - und dessen Vorgängernorm § 40 Abs. 2 BSHG - "den behinderten oder von einer Behinderung bedrohten Menschen oder an seine Angehörigen" - oder in § 68 Abs. 1 S. 1 SGB XII - "für die Leistungsberechtigten und ihre Angehörigen" und die Vorgängernorm § 72 Abs. 2 BSHG). Keinesfalls erheben die Vorschriften über die sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe den "Ganzheitlichkeitsanspruch" des hier nicht maßgeblichen Kinder- und Jugendhilferechts etwa in § 19 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - SGB VIII -, der im Gegensatz zur Eingliederungshilfe die Förderung aller von der Bedarfssituation betroffenen Personen in der Familie im Auge hat (Bundessozialgericht, Urteil vom 24. September 2009, a.a.O.). Hieran ändert auch § 16 SGB XII - und seine Vorgängernorm: § 7 BSHG - mit dem Gebot zur Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der Familie nichts; diese Normen enthalten nur einen Programmsatz, aus dem sich keine unmittelbaren Rechte der oder für die Familienangehörigen ableiten (Bundessozialgericht, Urteil vom 24. März 2009, a.a.O.; ebenso Bieback, in Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 16 SGB XII Rn. 5 ff.).

Für diese Auslegung des Bundessozialgerichts spricht weiter die Systematik der von § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII in Bezug genommenen §§ 55 ff. SGB IX, die die Teilhabeleistungen allein dem behinderten Menschen vorbehalten. Soweit diese Leistungen im vorliegend allein relevanten sozialen Kommunikationskontext gewährt werden, wie etwa die Hilfen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt (§ 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX) und die Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben (§ 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX), präzisieren die §§ 57 und 58 SGB IX spezielle Leistungsvoraussetzungen (vgl. Luthe, in jurisPK-SGB IX, § 57 Rn. 13), die die Klägerin ebenfalls nicht erfüllt.

Adressat des Leistungsanspruchs aus § 57 SGB IX - ähnlich seiner Vorgängerregelung, dem § 21 Eingliederungshilfe-Verordnung - ist der hörbehinderte Mensch ebenso wie der behinderte Mensch mit besonders starker Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit. Bedürfen diese Menschen aufgrund ihrer Behinderung zur Verständigung mit der Umwelt aus besonderem Anlass der Hilfe Anderer, werden ihnen die erforderlichen Hilfen zur Verfügung gestellt oder angemessene Aufwendungen hierfür erstattet. Ohne Zweifel gehört die beinahe taube Klägerin zum Personenkreis der besonders stark in ihrer Sprachfähigkeit beeinträchtigten Menschen. Indes begehrt sie mit dem Verlangen auf Finanzierung eines Hausgebärdensprachkurses für ihre Eltern aus Mitteln der Eingliederungshilfe evident eben keine sie betreffende Leistung "zur Verständigung mit der Umwelt aus besonderem Anlass". Die Leistungen nach § 57 SGB IX sind nach einhelliger Meinung nämlich nicht als allgemeine Verständigungshilfe, sondern nur für besondere Fälle gedacht, etwa für Vertragsverhandlungen, Gerichtstermine, Arztbesuche oder die Hochzeit eines Familienmitglieds (vgl. nur Knittel, SGB IX, Kommentar, 2012, § 57 R. 8 f.; Löschau, GK-SGB IX, § 57 Rn. 14; Luthe, juris-PK-SGB IX, § 57 Rn. 15; Mrozynski, SGB IX, Kommentar, 2011, § 55 Rn. 3, Fuchs-Gitschmann, in Cramer/Fuchs/Hirsch/Ritz, SGB IX, Kommentar, 2011, § 57 Rn. 4). Solch ein besonderer Fall liegt bei der Klägerin aber nicht vor, geht es ihr doch um die fortlaufende Kommunikation mit ihren Eltern im Alltag.

Die ferner nach § 58 SGB IX - früher: § 19 Eingliederungshilfe-Verordnung - möglichen Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben - vor allem Hilfen zur Förderung der Begegnung des Umgangs mit nichtbehinderten Menschen (Nr. 1), Hilfen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken dienen (Nr. 2) oder die Bereitstellung von Hilfsmitteln, die der Unterrichtung über das Zeitgeschehen oder über kulturelle Ereignisse diesen, wenn wegen der Schwere der Behinderung anders eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht oder nur unzureichend möglich ist - sind zwar weiter gefasst, indem der Gesetzgeber die Norm als flexible Auffangvorschrift ausgestaltet hat, die die Leistungsträger dann bedarfsgerecht nutzen sollen, wenn gesetzlich nicht vorausgesehene sozial-integrative Leistungsbedarfe anfallen (zutreffend: Luthe, in juris-PK SGB IX, § 58 Rn. 2; Busch, in Feldes/Kohl/Stevens-Bartol, SGB IX, Kommentar, 2009, § 58 Rn. 2). Die Voraussetzungen für die Leistungen des § 58 SGB IX und damit der Leistungsanspruch des behinderten Menschen, richtet sich indes grundsätzlich nach den speziellen Leistungsgesetzen (§ 7 SGB IX), die seinen Anwendungsbereich sowohl erweitern als auch einschränken können (vgl. Luthe, juris-PK SGB IX, § 58 Rn. 13).

An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, fällt nach dem Wortlaut des § 58 SGB IX bereits ins Auge, dass die Norm allein Hilfen zur Teilhabe in der sozialen Gemeinschaft - und damit jedenfalls regelmäßig außerhalb der Kernfamilie des Art. 6 Abs. 1 GG - im Blick hat. Es geht um einen Teilhabeanspruch des behinderten Menschen außerhalb seiner häuslichen und damit familiären Umgebung. Systematisch ist zu berücksichtigen, dass die §§ 55 Abs. 2, 58 SGB IX im Fall der Klägerin nur über die §§ 53, 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII die sozialhilferechtlichen Eingliederungsleistungen für behinderte Menschen angewandt werden können. Damit unterliegen sie der vom Bundessozialgericht gefundenen Auslegung, die Leistungen der Eingliederungshilfe allein dem behinderten Menschen selbst vorbehält und seine Angehörigen nur umfasst, soweit dies gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist (Urteil vom 24. März 2009, a.a.O., Rn. 20). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Mögliche eigene Ansprüche der Eltern der Klägerin auf öffentliche Leistungen im Zusammenhang mit dem Erlernen der Gebärdensprache sind vorliegend nicht streitgegenständlich. Nach den Vorschriften des SGB XII und damit im Verhältnis zum Beklagten sind solche aber auch nicht ersichtlich. Etwaige eigene Ansprüche der Eltern können sich u.U. gegen deren gesetzliche Krankenversicherung - Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) - etwa durch ein Gebärdensprachlernprogramm ergeben (vgl. SG Oldenburg, Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2012, S 61 KR 244/11, JURIS Rn. 23 ff.). Ein solches bietet z.B. die Lindenparkschule Heilbronn an. Eigene Ansprüche der Klägerin im Bezug auf das Begehren nach dem SGB V sind nicht gegeben.

2. Der nach Gleichstellung der Europäischen Grundrechtecharta mit dem Vertrag über die Europäische Union - EUV - und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - gemäß Art. 6 Abs. 1 Hs. 2 EUV unmittelbar als europäisches Primärrecht geltende Art. 26 GRCH bestimmt, dass die Union den Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme an der Gemeinschaft anerkennt und achtet. Die damit normierte verbindliche Regel begründet indes nach bisher einhelliger Meinung kein subjektiv-öffentliches Unionsrecht, sondern einen "festgelegten Grundsatz" i.S.v. Art. 52 Abs. 5 GRCH. Damit vermitteln diese Regeln in Verfahren, in denen es - wie vorliegend - um subjektive Rechtskontrolle geht, keine individuellen Rechtsansprüche des Primärrechts (vgl. nur Jarass, GRCH, Kommentar, 2010, Art. 26 Rn. 3 und Art. 52 Rn. 80; Folz, in Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht, 2011, Art. 26 Rn. 2 und Art. 52 Rn. 13). Unionsrechtliches Sekundärrecht, aus dem sich vorliegend subjektive Rechtsansprüche der Klägerin herleiten könnten, ist nicht ersichtlich. Die im Kontext einzig relevante behinderte Arbeitnehmer schützende Richtlinie 2000/78 EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (dazu jüngst EuGH, Urteil vom 11. April 2013, "Ring, Skoubow Wange", Rs C 335/11 und C 337/11, JURIS und zuvor grundlegend Urteil vom 17. Juli 2008, "Coleman", Rs C 303/06, JURIS) ist hier nicht einschlägig.

Art. 8 Abs. 1 EMRK garantiert jeder Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Da die Europäische Menschenrechtskonvention – in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – im Range eines förmlichen Bundesgesetzes gilt, ist sie in den Vorrang des Gesetzes einbezogen und muss insoweit von der rechtsprechenden Gewalt beachtet werden (vgl. BVerfGE 111, 307 (325 f.) "Görgülü" = JURIS Rn. 45-46). Daraus folgt eine Berücksichtigungspflicht, die zumindest erfordert, die Ausführungen des EGMR zur Kenntnis zu nehmen und im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung in den Willensbildungsprozess des zu einer Entscheidung berufenen Gerichts einfließen zu lassen. Eine gesetzesverdrängende Wirkung kommt EGMR-Urteilen aufgrund ihres Ranges zwar nicht zu. Hat der EGMR aber einen Konventionsverstoß festgestellt und dauert dieser Verstoß an, so hat sich das zuständige mitgliedsstaatliche Gericht erkennbar mit dieser Entscheidung auseinandersetzen und gegebenenfalls zu begründen, warum es der völkerrechtlichen Rechtsauffassung ausnahmsweise gleichwohl nicht folgt. Solange im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume bestehen, trifft deutsche Gerichte die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben (BVerfGE 111, 307 (330) "Görgülü" = JURIS Rn. 62).

Nach der Rechtsprechung des EGMR in den Rechtssachen Botta vs. Italien (1998, Beschwerde Nr. 21439/93, Urteil vom 24. Februar 1998, www.ris.bka.gv.at) und Zehnalova vs. Tschechische Republik (Beschwerde Nr. 38621/97, Entscheidung vom 14. Mai 2002, http://echr.ketse.com/ doc/38621.97) wird Art. 8 EMRK indessen nicht berührt, wenn der Zugang zum Meer (Botta) oder zu öffentlichen Einrichtungen (Zehnalova) nicht barrierefrei und damit für körperlich behinderte Menschen nicht zugänglich ist. Der Gerichtshof verneint in beiden Fällen einen hinreichenden Zusammenhang zwischen dem Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer und den unterlassenen staatlichen Maßnahmen zur Sicherung der Barrierefreiheit. Zugleich lehnt er es ab, die mangelnde Barrierefreiheit am allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK zu messen.

Daran orientiert, kann im Fall der schwerbehinderten Klägerin nichts anderes gelten. Denn sie begehrt nicht nur eine der Allgemeinheit zu Gute kommende tatsächliche Sozialleistung (barrierefreien Zugang), sondern sogar darüber hinaus die staatliche Finanzierung einer individuellen, auf sie und ihre Familie zugeschnitten eingliederungshilferechtlichen Sozialhilfeleistung - Finanzierung eines Hausgebärdensprachkurses für ihre Eltern - aus eigenem Recht. Ihr auf aktive staatlich finanzielle Unterstützung im Einzelfall gerichtetes Begehren geht über den in Art. 8 Abs. 1 EMRK postulierten Rechtsanspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens wesentlich hinaus und unterfällt deshalb nicht dem konventionsrechtlichen Schutz.

3. Weiterreichende Rechtsansprüche kann die Antragstellerin auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG i.V.m. Art. 24 und Art. 30 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BGBl. 2008 II S. 1419 - VN-Behindertenrechtsübereinkommen - VN-BRÜ -) herleiten (im Ergebnis ebenso: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. September 2012, L 2 SO 1378/11, JURIS Rn. 39).

Das VN-Behindertenrechtsübereinkommen ist in Deutschland am 29. März 2009 in Kraft getreten, nachdem der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates dem Übereinkommen mit Vertragsgesetz vom 21. Dezember 2008 (BGBl. II S. 1419) zugestimmt hatte. Mit dem Vertragsgesetz hat die Bundesrepublik Deutschland das völkerrechtliche Übereinkommen verbindlich übernommen. Es ist damit gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG wirksamer Bestandteil des Bundesrechts geworden, soweit dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für die materiellen Regelungen - wie hier nach dem SGB XII und dem SGB IX - zusteht.

Die hier einschlägigen Art. 24 Abs. 3 und 30 Abs. 1 Hs. 1 und Abs. 4 VN-BRÜ enthalten folgende Regelungen:

Artikel 24 Bildung

(3) Die Vertragsstaaten ermöglichen den Menschen mit Behinderungen, lebenspraktische Fähigkeiten und soziale Kompetenzen zu erwerben, um ihre volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Bildung und als Mitglieder der Gemeinschaft zu erleichtern. Zu diesem Zweck ergreifen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen unter anderem a) b) erleichtern sie das Erlernen der Gebärdensprache und die Förderung der sprachlichen Identität der Gehörlosen; c) stellen sie sicher, dass blinden, gehörlosen oder taubblinden Menschen, insbesondere Kindern, Bildung in den Sprachen und Kommunikationsformen und mit den Kommunikationsmitteln, die für den Einzelnen am besten geeignet sind, sowie in einem Umfeld vermittelt wird, das die beste schulische und soziale Entwicklung gestattet.

Art. 30 Teilhabe an kulturellen Leben sowie Erholung, Freizeit und Sport

(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen (4) Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf Anerkennung und Unterstützung ihrer spezifischen kulturellen und sprachlichen Identität, einschließlich der Gebärdensprachen und der Gehörlosenkultur.

Den Art. 24 Abs. 3 und 30 Abs. 1, Abs. 4 VN-BRÜ fehlt es für eine unmittelbare Anwendbarkeit indes an der sog. self-executing Funktion (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18. Januar 2010 - 6 B 52/09 -, JURIS Rn. 4; Hessischer VGH, Beschlüsse vom 12. November 2009 - 7 B 2763/09 - JURIS, vom 16. Mai 2012 - 7 A 1138/11.Z -, DÖV 201, 735; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. November 2012, 9 S 1833/12, JURIS; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. November 2010 - 19 E 533/10 -, JURIS). Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Völkervertragsbestimmung ist danach nur dann zu bejahen, wenn sie alle Eigenschaften besitzt, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muss, um berechtigen oder verpflichten zu können. Die Vertragsbestimmung muss nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet sein, rechtliche Wirkungen auszulösen. Insbesondere ist eine unmittelbare Vollzugsfähigkeit einer Vertragsbestimmung (sog. "self-executing") nur gegeben, wenn sie zur Entfaltung rechtlicher Wirkungen hinreichend bestimmt ist. Dagegen fehlt es an der unmittelbaren Anwendbarkeit einer Vertragsbestimmung, wenn diese zu ihrer Ausführung noch einer normativen Ausfüllung bedarf (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. Oktober 2006 - 6 B 33.06 -, JURIS Rn. 4).

Die Art. 24 Abs. 3 und 30 Abs. 1, Abs. 4 VN-BRÜ genügen danach den Anforderungen dafür nicht, unmittelbar angewandt zu werden. Für eine hinreichende Bestimmtheit der genannten Vertragsabreden wäre insbesondere erforderlich, dass die gewählten Formulierungen in zumutbarer Weise erkennen lassen, ob die zu gewährleistenden "geeigneten Maßnahmen" - Art. 24 Abs. 3 - und "Anerkennungs- und Unterstützungs"-Leistungen - Art. 30 Abs. 4 - voraussetzungslos gelten, oder ob hierfür näher zu bezeichnende tatbestandliche Voraussetzungen gegeben sein müssen. Die Regelungen enthalten selbst keine entsprechenden Verpflichtungen. Die in Art. 24 Abs. 3 und Art. 30 Abs. 4 VN-BRÜ gewählten Begriffe wie "shall enable" und "shall take" (Art. 24 Abs. 3 Satz 1 "ermöglichen" und "ergreifen) sowie "shall be entitled" (Art. 30 Abs. 4: "haben Anspruch auf"), sind von ihrem Wortlaut her lediglich auf ein vereinbartes Ziel ausgerichtet, ohne eine bestimmte Art und Weise der Zielerreichung festzulegen. Das in Art. 24 Abs. 3 VN-BRÜ genannte Ziel, es Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, lebenspraktische Fertigkeiten und soziale Kompetenzen - wie etwa das Erlernen der Gebärdensprache und die Förderung der sprachlichen Identität der Gehörlosen - Art. 24 Abs. 3 S. 2 lit. c - steht im Kontext dieser Bestimmungen und ist dahin zu verstehen, dass es der Handlungsfreiheit der Vertragsstaaten überlassen bleibt, welche geeigneten Maßnahmen sie ergreifen, um die genannten Ziele zu erreichen. Entsprechendes gilt für Art. 30 Abs. 4 VN-BRÜ, der für sich genommen zwar einen unbedingten Gleichberechtigungsanspruch formuliert. Indes ist Art. 30 Abs. 4 VN-BRÜ normsystematisch unter Berücksichtigung der generellen Zielsetzung in Art. 30 Abs. 1 S. 1 VN-BRÜ auszulegen. Dort wiederum finden sich zum "Anspruch auf Teilhabe" die aus Art. 24 Abs. 3 VN-BRÜ bekannten keine unmittelbare subjektiv-öffentliche Rechtsansprüche begründenden Zielklauseln ("regonice", shall take" "appropriate messures to ensure" - "anerkennen", "treffen", "alle geeigneten Maßnahmen"). Das spricht dafür, dass sich die Vertragsbestimmungen in Art. 24 und Art. 30 VN-BRÜ für eine unmittelbare Anwendung auf die zu entscheidenden Lebenssachverhalte als zu unbestimmt erweisen (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 12. November 2009, a.a.O. und VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. November 2012, a.a.O.). Dies gilt erst recht unter weiterer Beachtung des allgemeinen Vorbehalts in Art. 4 Abs. 2 VN-BRÜ, wonach sich jeder Vertragsstaat hinsichtlich der Konventionsrechte nur verpflichtet, "unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen, ".

Die Art. 24 Abs. 3 und 30 Abs. 1, Abs. 4 VN-BRÜ entfalten deshalb im Rahmen einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung erst nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bundesrechtlich unmittelbare Wirkung (ähnlich: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. November 2012, a.a.O.). Da es sich bei dem VN-Behindertenrechtsübereinkommen um grundrechtsrelevantes Völkerrecht handelt, dem der Bundesgesetzgeber zugestimmt hat, ist es - wie auch die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK - für die Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes von Bedeutung (vgl. zur EMRK: Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. -, BVerfGE 128, 326 "Sicherungsverwahrung"; zum VN-BRÜ: Hessischer VGH, Beschluss vom 12. November 2009, a.a.O., 606; Riedel/Arend, NVwZ 2010, 1346, 1349). Danach können beide Normen angesichts des aufgezeigten vertragsstaatlichen Umsetzungsspielraums nur ausnahmsweise in bestimmten Konstellationen als unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot zu verstehen sein (vgl. Krajewski, JZ 2010, 120, 123). Entsprechend gilt dies auch für das allgemeine Diskriminierungsverbot in Art. 5 Abs. 2 VN-BRÜ (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 12. November 2009, a.a.O.). Darüber hinaus ist bei der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Benachteiligungsverbots aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zu berücksichtigen, dass auch die Regelungen des VN-Behindertenrechtsübereinkommens zur Teilhabe im Bildungs- und kulturell-sozialen Bereich jedenfalls für Kinder nicht schrankenlos gelten. Denn bereits Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 VN-BRÜ bestimmen, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, das Wohl der Kinder - d.h. der behinderten Kinder ebenso wie der anderen (nichtbehinderten Kinder) - ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, lässt sich im Fall der mittlerweile sieben Jahre alten Klägerin auch aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG i.V.m. Art. 24, 30 VN-BRÜ kein individueller subjektiv öffentlicher Anspruch auf staatliche Leistungen für einen Hausgebärdensprachkurs zugunsten ihrer Eltern erkennen. Zum einen fehlt es insoweit an hinreichend bestimmten und konkreten völkerrechtlichen Anspruchstatbeständen. Zum anderen reichen selbst die in den Art. 24 Abs. 3, 30 Abs. 1, Abs. 4 VN-BRÜ postulierten Zielsetzungen in der Sache aber auch nicht über die in den §§ 53 ff. SGB XII i.V.m. den §§ 55 ff. SGB IX bundesstaatlich gewährten Rechtsansprüche hinaus. Auf der tatbestandlichen Seite lassen die Zielsetzungen der Art. 24 Abs. 3 und 30 VN-BRÜ keine von § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. den §§ 55, 57 und 58 SGB IX abweichende - geringgradigere - Anspruchsvoraussetzungen erkennen. Die Rechtsfolgenseite ist im Hinblick auf die konkrete Wahl der im Einzelfall geeigneten Maßnahmen zur Herstellung und Wahrung der Teilhaberechte behinderter Menschen bundesstaatlich von pflichtgemäßem Ermessen und völkervertragsrechtlich analog von den zur Verfügung stehenden Mitteln - Art. 4 Abs. 2 VN-BRÜ - sowie vom jeweils normspezifischen Umsetzungsspielraum der Vertragsstaaten geprägt.

4. Hinsichtlich des streitgegenständlichen Leistungszeitraums von August 2011 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist schließlich für die Begründung der Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs wie folgt weiter zu differenzieren. Für den Zeitraum von August 2011 bis Dezember 2011 sowie für die Zeit ab Januar 2013 bis dato besteht aus den unter 1) bis 3) genannten Rechtsgründen kein Anspruch der Klägerin auf Finanzierung eines Hausgebärdensprachkurses für ihre Eltern. Für den Zeitraum von Januar 2012 bis einschließlich Dezember 2012 steht einem solchen Anspruch der Klägerin zusätzlich die zwischenzeitlich endgültige Übernahme der begehrten Leistung durch die Lidl- und Schwarz-Stiftung entgegen. Denn gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII enthält Sozialhilfe nicht, wer die erforderliche Leistung tatsächlich von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Auf den Grund für die Leistungsübernahme durch Dritte - auch freiwillig - kommt es dabei nicht an (vgl. nur Wahrendorf, in Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 2 Rn. 35).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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