S 12 R 4529/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 4529/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Für die Dauer eines Ruhenszeitraumes nach § 143 a
SGB III a.F. ist auf die Witwenrente ein vergleichbares
Einkommen aus einer Abfindungszahlung anzurechnen.

2. § 143 a SGB III a.F. (nunmehr § 158 SGB III) kommt auch
dann zur Anwendung, wenn nach Beendigung des Be-
schäftigungsverhältnisses durch Auflösungsvertrag eine
Altersrente bezogen wird.

3. Eines Querverweises auf § 143 a SGB III a.F. (nunmehr
§ 158 SGB III) in den Vorschriften des § 97 SGB VI und
§ 18 a SGB IV) bedarf es nicht.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin für die Monate Januar und Februar 2012 einen Anspruch auf Zahlung der ihr gewährten Witwenrente ohne Anrechnung von Einkommen aus einer Abfindungszahlung hat.

Die am 06.01.1950 geborene Klägerin ist die Witwe des am 10.08.1944 geborenen und am 21.04.2010 verstorbenen Xxx. Der Verstorbene war bei der Beklagten ge-setzlich rentenversichert.

Mit Bescheid vom 09.06.2010 gewährte die Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag hin eine Witwenrente. Auf die Witwenrente wurde das von der Klägerin bei der Fa. Xxx GmbH & Co. KG erzielte Einkommen angerechnet.

Auf ihren Antrag vom 26.09.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 08.12.2011 eine Altersrente für Frauen. Mit weiterem Bescheid vom 22.12.2012 wurde deswegen die Witwenrente ab 01.01.2012 neu berechnet.

Mit Schreiben vom 04.01.2012, welches am 05.01.2012 bei der Beklagten einging, teilte die Klägerin mit, dass ihr im Dezember 2011 eine Abfindung in Höhe von 18.000,00 EUR aufgrund eines Aufhebungsvertrages ausbezahlt worden sei. Um eine Überzahlung zu vermeiden, bat sie um Neuberechnung ihrer Altersrente und Witwen-rente. Dem Schreiben war die Entgeltabrechnung für den Monat Dezember 2011 beigefügt.

Nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts (telefonische Auskunft bei der Fa. Xxx vom 19.01.2012) berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 01.02.2012 die Witwenrente ab dem 01.03.2012 neu und stellte für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 29.02.2012 eine Überzahlung in Höhe von 314,22 EUR fest.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch, der damit begründet wurde, es handele sich um keinen Fall der Einkommensanrechnung, da im Anschluss an die Abfindungszahlung weder Arbeitslosengeld beantragt noch bezogen worden sei, wies die Beklagte nach Erlass des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2012 zurück. Ihre Entscheidung begründete die Beklagte mit einer analogen Anwendung von § 143 a Abs. 1 und 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) a. F. in Verbindung mit § 97 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Deswegen hat die Klägerin am 13.12.2012 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung trägt sie vor, die Vorschrift des § 97 SGB VI einerseits und die Vorschrift des § 18 a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) andererseits ließen einen Quervergleich zu den Bestimmungen des Rechts der Arbeitslosenversicherung nicht erkennen. Es gebe keine Veranlassung, die Einmalzahlung auf mehrere Monate zu verteilen, als ob die Klägerin ein Verschulden an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses treffe. Die Interessenlage sei im SGB III eine andere als im SGB VI. Auch sei der 28.02.2012 als fiktiver Kündigungszeitpunkt des Arbeitgebers nicht korrekt berechnet, da die ordentliche Kündigungsfrist 6 Wochen zum Kalendervierteljahr betragen habe, somit sei bei Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages im September 2011 und Beendigung zum 31.12.2011 die ordentliche Kündigungsfrist eingehalten worden. Der Aufhebungsvertrag sei geschlossen worden, um die Klägerin finanziell für den Ruhestand abzufedern. Insofern enthalte die Abfindung ausschließlich eine soziale Komponente, und keine Arbeitsentgeltanteile, welche auf die Witwenrente angerechnet werden könnten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 01.02.2012 in der Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 jeweils in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheids vom 29.11.2012 verurteilt, der Klägerin für die Monate Januar und Februar 2012 als Witwenrente noch 314,22 EUR nachzubezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtenen Entscheidungen weiterhin für zutreffend und verweist insoweit auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids. Ergänzend führt sie aus, die Kündigungsfrist habe nach Auskunft des Arbeitgebers 6 Monate betragen, insofern sei das Ende des Beschäftigungsverhältnisses zum 28.02.2012 richtig errechnet worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben und den ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin, die Fa. Xxx GmbH & Co. KG, schriftlich zum Zeitraum der Beschäftigung, zur Höhe des Jahresbruttoverdienstes und zum Aufhebungsvertrag befragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie wegen des wei-teren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 01.02.2012 in der Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 27.07.2012 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbe-scheids vom 29.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der ihr gewährten Witwenrente ohne Anrechnung von Einkommen für den Ruhenszeitraum 01.01.2012 bis zum 28.02.2012. Die Rente war insoweit in Höhe von 314,22 EUR aufzuheben.

1. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit (1.) die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, (2.) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, (3.) nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder (4.) der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

2. Eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X ist nach Erlass des Rentenbescheids vom 22.12.2011 insoweit eingetreten, als dass die Klägerin ver-gleichbares Einkommen erzielt hat, dass auf die ihr gewährte Witwenrente anzurechnen ist.

a. Gemäß § 97 Abs. 1 SGB VI wird Einkommen (§§ 18 a bis 18 e SGB IV) von Be-rechtigten, das mit einer Witwenrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Gemäß § 18 a Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ist Erwerbseinkommen als Einkommen bei Renten wegen Todes zu berücksichtigen. Erwerbseinkommen im Sinne von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 sind Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen und vergleichbares Einkommen (§ 18 a Abs. 2 Satz 1 SGB IV).

b. Bei der Abfindung in Höhe von 18.000,00 EUR, die der Klägerin aufgrund des im Sep-tember mit dem Arbeitgeber geschlossenen Aufhebungsvertrages gewährt wurde, handelt es sich um vergleichbares Einkommen im Sinne von § 18 a SGB IV.

Eine Abfindung, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt wird, setzt sich zum einen aus einer Abgeltung für den vorzeitigen - vor dem Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist - eingetretenen Wegfall des Arbeitsentgelts (sogenannter Arbeitsentgeltanteil) und zum anderen aus einer Entschädigung für den Verlust sozialer Besitzstände, insbesondere des Arbeitsplatzes (sogenannter sozialer Anteil) zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 28.04.1987 - 12 RK 50/85, Rn. 14 nach juris). Die Klägerin kann deswegen nicht damit gehört werden, die ihr gezahlte Abfindung enthalte ausschließlich soziale Komponenten und keine Arbeitsentgeltanteile. Aus der mit dem Arbeitgeber am 19.09.2011 geschlossenen Vereinbarung lässt sich nichts dahingehend entnehmen, dass die Abfindung ausschließlich aus sozialen Erwägungen heraus gezahlt worden ist. Auch die Tatsache, dass die ordentliche Kündigungsfrist sechs Monate zum Kalendervierteljahr betragen hätte, mithin das Arbeitsverhältnis erst zum 31.03.2012 durch den Arbeitgeber hätte beendet werden können, unterstreicht den Gesichtspunkt, dass die Abfindung auch als Abgeltung für den Wegfall des Arbeitsentgelts gezahlt worden ist. In diesem Zusammenhang kann sich die Kammer auch nicht der Argumentation der Klägerin anschließen, eine Kündigungsfrist hätte nicht eingehalten werden müssen, da die Klägerin zum 01.01.2012 ohnehin eine Altersrente bezogen hat. Die ihr gemäß § 237 a SGB VI gewährte Altersrente für Frauen hat die Klägerin vorzeitig, dass heißt noch vor Vollendung der Regelaltersgrenze in Anspruch genommen. Die Altersgrenze wäre im Falle der Klägerin gemäß § 237 a Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit Anlage 20 zum SGB VI das 65. Lebensjahr gewesen. Der Klägerin hätte es somit freigestanden noch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres einer Beschäftigung nachzugehen.

c. Aus dem Arbeitsentgeltanteil wird nach § 143 a SGB III in der bis zum 31.03.2012 gültigen Fassung (nunmehr § 158 SGB III) ein sogenannter Ruhenszeitraum errechnet. Für diesen Ruhenszeitraum wird das bisher berücksichtigte Einkommen (Arbeitsentgelt) weiterhin als Einkommen zugrundegelegt (vgl. Paulus in juris PK-SGB IV, 2. Auflage 2011, § 18 a SGB IV, Rdnr. 50). Die Anwendung des § 143 a SGB III a.F. (§158 SGB III) ist entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht systemwidrig.

Es bedarf weder innerhalb des SGB IV noch des SGB VI eines Querverweises auf die Vorschrift des § 143 a SGB III a.F. (§ 158 SGB III). Auch wenn das SGB III einerseits und das SGB VI andererseits andere Ziele verfolgen, so gehen doch beide So-zialgesetzbücher vom gleichen Einkommensbegriff, nämlich demjenigen des SGB IV als deren vorgelagerten allgemeinen Teil, aus.

Wenn man aber zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der Abfindungszahlung grundsätzlich um anrechenbares Einkommen handelt, so würde eine unterschiedliche Behandlung derjenigen, die im Anschluss an die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Auflösungsvertrag nach dem SGB III Arbeitslosengeld beziehen und derjenigen, die unmittelbar danach eine Altersrente beziehen, zu sozialen Ungerechtigkeiten führen. Letztendlich würde es vom Zufall abhängen, ob eine Abfindungszahlung auf Sozialleistungen anzurechnen ist oder nicht.

Auch der Sinn und Zweck des § 143 a SGB III a.F. (§ 158 SGB III) spricht für die analoge Anwendung der Anrechnung von Abfindungszahlungen auf die Witwenrente. Der Vorschrift liegt die Erwägung zugrunde, dass Sozialleistungen nicht oder nicht in vollem Umfang benötigt werden, solange trotz Arbeitslosigkeit kein Verdienstausfall eintritt (vgl. Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Auflage, § 158 SGB III, Rdnr. 1).

d. Die Kammer hat auch keine Bedenken hinsichtlich der Berechnung des Ruhenszeitraums. Unter Zugrundelegung einer ordentlichen Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Kalendervierteljahr, einem Beschäftigungszeitraum vom 21.02.1995 bis zum 31.12.2011 (16 Jahre Betriebszugehörigkeit), einem Lebensalter der Klägerin zum Zeitpunkt der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses von 61 Jahren und einem Bruttoarbeitsentgelt im Jahre 2011 in Höhe von 25.427,11 EUR, gelangt auch das erkennende Gericht zu einem Ruhenszeitraum von 58 Tagen, mithin vom 01.01.2012 bis zum 28.02.2012. Im Übrigen hat die Klägerin aber auch die Richtigkeit des Ruhenszeitraums nicht bestritten.

3. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 50 Abs. 1 SGB X). Die Witwenrente ist daher in Höhe von 314,22 EUR von der Klägerin zu erstatten.

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

II. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten beruht auf § 193 SGG.

III. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved