Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 686/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SB 345/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger beantragte am 00.00.0000 bei dem Beklagten die Feststellung eines GdB. Hierbei gab er an, er leide unter Bluthochdruck sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der Beklagte forderte Entlassungsberichte der Klinik für Berufskrankheiten C. S. aus Juni und November 2011 an. Aus diesen ergab sich u.a., dass der Kläger am 00.00.0000 im Rahmen seiner Tätigkeit als Busfahrer von einer alkoholisierten Frau in verbal und tätlich angegriffen worden war. Der Beklagte holte darüber hinaus Befundberichte des PD Dr. G. sowie des Allgemeinmediziner Dr. O. ein. Der Beklagte ließ die eingeholten Unterlagen durch Frau Dr. N. auswerten. Diese kam zu der Einschätzung, beim Kläger liege eine psychische Beeinträchtigung vor, die einen GdB von 30 bedinge.
Mit Bescheid vom 00.00.0000 stellte der Beklagte daraufhin beim Kläger ab dem 00.00.0000 einen GdB von 30 fest. Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mit Telefax vom 00.00.0000 Widerspruch ein. Nachdem eine Begründung des Widerspruchs nicht erfolgte wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 als unbegründet zurück.
Am 00.00.0000 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben. Er ist der Auffassung, seine psychische Beeinträchtigung sei mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten. Der Kläger hat darüber hinaus eine ärztliche Stellungnahme des PD Dr. G. zu den Akten gereicht.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch psychiatrischen Gutachtens der Frau Dr. T ... Zu diesem hat der Kläger mit Schriftsatz vom 00.00.0000 ausgeführt, es überzeuge ihn nicht. Die Gutachterin hat mit Schreiben vom 00.00.0000 ergänzend zu Ihrem Gutachten Stellung genommen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu verpflichten, den GdB des Klägers ab dem 00.00.0000 mit 50 zu bewerten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltung und Widerspruchsverfahren sowie auf die Ausführungen der Gutachterin Frau Dr. T. sowie die Stellungnahmen seines ärztlichen Beraters Dr. N. im vorliegenden Verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere richtet sie sich gegen den richtigen Klagegegner.
Durch § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen – Eingliederungsgesetz - (Art. 1 Abschnitt I des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GV. NRW S. 482 – Straffungsgesetz –) hat der Landesgesetzgeber die den Versorgungsämtern nach §§ 69 und 145 SGB des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) zugewiesenen Aufgaben in zulässiger Weise mit Wirkung vom 01.01.2008 auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen (vgl. dazu Landessozialgericht – LSG - Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.02.2008 - L 6 SB 101/06; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 05.03.2008 - L 10 SB 40/06; zur Anwendung des Behördenprinzips in Nordrhein-Westfalen bei sozialgerichtlichen Streitigkeiten, vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 24.03.2009, B 9 SO 29/07 R). Die Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster zur Entscheidung über den Widerspruch ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Eingliederungsgesetz in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25.10.2011 (GV. NRW S. 542; vgl. dazu auch LSG NRW Beschluss vom 16.01.2012 – L 10 SB 197/11 = juris Rn. 16; LSG NRW Urteil vom 6.12.2009 - L 10 SB 39/09 = juris Rn. 23 ff.).
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG nicht beschwert, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Dem Kläger steht derzeit kein höherer GdB als 30 zu.
Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 –B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter
(1.) einer rezidivierenden depressiven Störung vor dem Hintergrund einer eher depressiven Persönlichkeitsstruktur (2.) Bluthochdruck (3.) Zustand nach diversen Knie- und Sprunggelenksverletzungen.
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie des Gutachtens der Frau Dr. T. fest.
Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einer erfahrenen medizinischen Gutachterin unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Insbesondere sind die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 00.00.0000 nicht geeignet, die Feststellungen der Gutachterin in Zweifel zu ziehen. Soweit der Prozessbevollmächtigte die Auffassung vertritt, es sei nicht erkennbar, wo hier die Gutachterin ihre Erkenntnisse in Bezug auf den Kläger erhalten habe, so trifft dies nach Auffassung der Kammer nicht zu. Es handelt sich bei Frau Dr. T. um eine erfahrene Gutachterin und Fachärztin für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie. Sie beherrscht vor diesem Hintergrund auch die Erhebung psychopathologischer Befunde (vgl. zur Methodik der psychiatrischen Begutachtung etwa, Hoffmann-Richter, Die psychiatrische Begutachtung, 2005, S. 29 ff.; Schneider/Frister/Olzen, Begutachtung psychiatrischer Störungen, 2. Aufl. 2010, S. 37 ff.). Auch die von ihr durchgeführten Testungen sind nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Unter Berücksichtigung dieses "Handwerkzeugs" kommt die Gutachterin lege artis zu Ihren Feststellungen und Befunden.
Soweit PD Dr. G. und auch der Beklagte im Verwaltungsverfahren zunächst vom Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgehen, so trifft dies nach den überzeugenden Feststellungen der Gutachterin nicht zu.
Dabei ist sich die Kammer bewusst, dass die Frage, ob – und unter welchen Voraussetzungen - eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliegt, auch medizinisch nicht eindeutig geklärt ist (vgl. dazu etwa Gemeinsame Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin [DGPM], der Deutschen Gesellschaft für Psychonanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie [DGPT], des Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin [DKPM], der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie [AÄGP] und der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie [DeGPT], abrufbar unter: www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/051-010.htm; vgl. auch Foerster, Die pschychoreaktiven Störungen - auch außerhalb der Begutachtung ein häufig schwieriges Thema, MedSach 2010, S. 16 ff.).
So erfasst die ICD 10 (GM) 2013 die posttraumatische Belastungsstörung unter F 43.1 wie folgt:
Die posttraumatische Belastungsstöung "( ) entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.".
Etwas differenzierter erscheint die Beschreibung in der vierten Auflage des "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (DSM IV). Dieses beschrieb die Voraussetzungen für eine PTBS wie folgt:
"A. The person has been exposed to a traumatic event in which both of the following were present: (1) the person experienced, witnessed, or was confronted with an event or events that involved actual or threatened death or serious injury, or a threat to the physical integrity of self or others (2) the person s response involved intense fear, helplessness, or horror. ( ) B. The traumatic event is persistently reexperienced in one (or more) of the following ways: (1) recurrent and intrusive distressing recollections of the event, including images, thoughts, or perceptions. ( ) (2) recurrent distressing dreams of the event. ( ) (3) acting or feeling as if the traumatic event were recurring (includes a sense of reliving the experience, illusions, hallucinations and dissociative flashback episodes, including those that occur on awakening or when intoxicated) ( ) (4) intense psychological distress at exposure to internal or external cues that symbolize or resemble an aspect of the traumatic event (5) physiological reactivity on exposure to internal or external cues that symbolize or resemble an aspect of the traumatic event C. Persistent avoidance of stimuli associated with the trauma and numbing of general responsiveness (not present before the trauma), as indicated by three (or more) of the following: (1) efforts to avoid thoughts, feelings, or conversations associated with the trauma (2) efforts to avoid activities, places, or people that arouse recollections of the trauma (3) inability to recall an important aspect of the trauma (4) markedly diminished interest or participation in significant activities (5) feeling of detachment or estrangement from others (6) restricted range of affect (e.g., unable to have loving feelings) (7) sense of a foreshortened future (e.g., does not expect to have a career, marriage, children, or a normal life span) D. Persistent symptoms of increased arousal (not present before the trauma), as indicated by two (or more) of the following: (1) difficulty falling or staying asleep (2) irritabilty or outbursts of anger (3) difficulty concentrating (4) hypervigilance (5) exaggerated startle response E. Duration of the disturbance (symptoms in Criteria B, C, and D) is more than 1 month. F. The disturbance causes clinically significant distress or impairment in social, occupational, or other important areas of functioning."
Gegenüber der Gutachterin hat er den Überfall so geschildert, dass eine alkoholisierte Frau bei der Fahrscheinkontrolle beim Einsteigen zunächst "laut und frech" geworden sei um ihm anschließend ins Gesicht zu schlagen und sofort aus dem Bus herauszulaufen. Er sei mit dem Kopf gegen das seitliche Fenster links geschlagen. Anschließend sei er weiter gefahren. Nach seiner Ablösung sei er dann im Krankenhaus ambulant behandelt worden. Er sei innerlich enorm erregt gewesen.
Es erscheint der Kammer schon fraglich, ob der Kläger beim dem Angriff durch die Täterin eine Situation erlebt hat, die sich als solche außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Es sind somit schon die "A-Kriterien" nach DSM IV und das auslösende Ereignis nach ICD 10 – fraglich (vgl. zu den Änderungen durch DSM V http://www.dsm5.org/Documents/PTSD%20Fact%20Sheet.pdf). Anhaltspunkt für das B-Kriterium nach DSM IV, etwa im Sinne von Flashbacks und/oder wiederkehrenden Albträume werden vom Kläger ebenfalls nicht beschrieben und sind auch in den Arztberichten und Gutachten nicht erkennbar.
Auch der behandelnde Arzt PD. Dr. G. geht in seiner Stellungnahme vom 00.00.0000 nicht mehr von dem Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung sondern von einer Anpassungsstörung (ICD 10 F 43.2) aus.
Ob diese Diagnose der Anpassungsstörung oder aber die von der Gutachterin benannte rezidivierende depressive Störung vor dem Hintergrund einer eher depressiven Persönlichkeitsstruktur die beim Kläger vorliegende psychische Beeinträchtigung besser beschreibt, ist letztlich für die hier maßgebliche Bewertung des GdB unerheblich.
In beiden Fällen richtet sich die Bewertung des GdB nach Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Es ist danach zu beurteilen, ob und in welchem Umfang der Kläger durch seine psychischen Störungen beeinträchtigt ist.
Nach dem Gutachten der Frau. Dr. T.– unter Berücksichtigung der eingeholten Befund- und Arztberichte – geht die Kammer davon aus, dass beim Kläger zwar mittlerweile wesentliche Beeinträchtigungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bestehen, insbesondere im Hinblick darauf, dass er sich – wie er im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – nun endgültig nicht mehr in der Lage sieht, seinen bisherigen Beruf als Busfahrer auszuüben. Er hatte bereits der Gutachterin gegenüber erklärt, er könne nur ein paar Tage arbeiten und müsse dann wieder zu Hause bleiben um aufzutanken. Gegenüber der Gutachterin schilderte der Kläger darüber hinaus verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, ein vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schlafstörungen, erhöhte Ermüdbarkeit und Freudlosigkeit. Diese Selbsteinschätzung korrespondiert aber nicht mit den Schilderungen des Klägers hinsichtlich seines Alltags. So beschreibt er gegenüber der Gutachterin, dass Ehe und Familie sehr gut gelingen. Die Familie wandere miteinander, fahre sehr viel Rad, besuche Gartenmärkte. Der Garten sei das gemeinsame Hobby. Sein eigenes Hobby sei der Fußball. Den Vorsitz des Fußballvereins habe er vor Jahren wegen Überforderung abgegeben. Heute fahre er Rennrad zusammen mit Kollegen, was ihm sehr gut tue. Außerdem gehe er mit seinem Hund viel spazieren. Seine Frau und er hätten zahlreiche Freunde, feiern Geburtstage miteinander und machen Sonntagsausflüge. Die Beschreibung des Gesundheitszustands durch den Kläger mit den eigenen Angaben zum Aktivitäts- und Funktionsniveau passt nicht zusammen. Es ist hier von einer Symptomverdeutlichungstendenz auszugehen. Ein entsprechendes Ergebnis hat auch die Auswertung des strukturierten Fragebogens spezifischer Symptome – SFSS (nach Cima et al. 2003) durch die Gutachterin ergeben (vgl. zu diesem Fragebogen etwa Schneider/Frister/Olzen, Begutachtung psychiatrischer Störungen, 2. Aufl. 2010, S. 87 ff).
Der Kläger ist trotz bestehender Beeinträchtigungen weiterhin in der Lage ist, sich um wesentliche Belange der Alltagsanforderungen (Selbstversorgung, häusliches Leben, Mobilität) ohne externe Strukturierung oder Anleitung zu kümmern. Die Bewältigung des Alltags gelingt sogar recht gut. Es wird deutlich, dass der Kläger trotz der Belastungen durchaus auch weiter Freude empfinden kann. Eine Medikation mit Antidepressiva erfolgte nicht. Auch ist die psychotherapeutische Behandlung mit monatlich einen Termin als eher niederfrequent zu bewerten. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände geht die Kammer in Übereinstimmung mit dem Gutachten der Frau Dr. T. davon aus dass die Beeinträchtigungen des Klägers mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet ist.
Beim Kläger ist darüber hinaus ein Bluthochdruck festgestellt, welcher mit dem Wirkstoff Bisprolol behandelt wird. Bei der Untersuchung durch Frau Dr. T. war der Blutdruck gemessen nach Riva-Rocci 140/90 mmHg. Gemäß Teil B Ziffer 9.3 ist hierfür ein GdB von 0-10 in Ansatz zu bringen.
Soweit der Kläger in der Vergangenheit sich Knie und Sprunggelenks Verletzungen zugezogen hat, so bedingen diese derzeit gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinische Grundsätze mangels entsprechender objektivierbarer Bewegungseinschränkungen keinen Grad der Behinderung.
Auf der Grundlage der genannten Einzel-GdB-Werte ist bei dem Kläger für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall stehen die psychischen Beeinträchtigungen absolut im Vordergrund. Die übrigen Beeinträchtigungen, sofern sie entsprechend den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 10 zu bewerten sind, nehmen in der Regel an der Bildung des Gesamt-GdB nicht teil Ausnahmen, die im vorliegenden Fall eine Berücksichtigung gleichwohl erforderlich machten, liegen nicht vor. Insgesamt ist damit der GdB weiterhin mit 30 zu bewerten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger beantragte am 00.00.0000 bei dem Beklagten die Feststellung eines GdB. Hierbei gab er an, er leide unter Bluthochdruck sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der Beklagte forderte Entlassungsberichte der Klinik für Berufskrankheiten C. S. aus Juni und November 2011 an. Aus diesen ergab sich u.a., dass der Kläger am 00.00.0000 im Rahmen seiner Tätigkeit als Busfahrer von einer alkoholisierten Frau in verbal und tätlich angegriffen worden war. Der Beklagte holte darüber hinaus Befundberichte des PD Dr. G. sowie des Allgemeinmediziner Dr. O. ein. Der Beklagte ließ die eingeholten Unterlagen durch Frau Dr. N. auswerten. Diese kam zu der Einschätzung, beim Kläger liege eine psychische Beeinträchtigung vor, die einen GdB von 30 bedinge.
Mit Bescheid vom 00.00.0000 stellte der Beklagte daraufhin beim Kläger ab dem 00.00.0000 einen GdB von 30 fest. Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, mit Telefax vom 00.00.0000 Widerspruch ein. Nachdem eine Begründung des Widerspruchs nicht erfolgte wies die Bezirksregierung Münster den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 als unbegründet zurück.
Am 00.00.0000 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Klage erhoben. Er ist der Auffassung, seine psychische Beeinträchtigung sei mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten. Der Kläger hat darüber hinaus eine ärztliche Stellungnahme des PD Dr. G. zu den Akten gereicht.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch psychiatrischen Gutachtens der Frau Dr. T ... Zu diesem hat der Kläger mit Schriftsatz vom 00.00.0000 ausgeführt, es überzeuge ihn nicht. Die Gutachterin hat mit Schreiben vom 00.00.0000 ergänzend zu Ihrem Gutachten Stellung genommen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 zu verpflichten, den GdB des Klägers ab dem 00.00.0000 mit 50 zu bewerten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen im Verwaltung und Widerspruchsverfahren sowie auf die Ausführungen der Gutachterin Frau Dr. T. sowie die Stellungnahmen seines ärztlichen Beraters Dr. N. im vorliegenden Verfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere richtet sie sich gegen den richtigen Klagegegner.
Durch § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen – Eingliederungsgesetz - (Art. 1 Abschnitt I des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GV. NRW S. 482 – Straffungsgesetz –) hat der Landesgesetzgeber die den Versorgungsämtern nach §§ 69 und 145 SGB des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) zugewiesenen Aufgaben in zulässiger Weise mit Wirkung vom 01.01.2008 auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen (vgl. dazu Landessozialgericht – LSG - Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.02.2008 - L 6 SB 101/06; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 05.03.2008 - L 10 SB 40/06; zur Anwendung des Behördenprinzips in Nordrhein-Westfalen bei sozialgerichtlichen Streitigkeiten, vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 24.03.2009, B 9 SO 29/07 R). Die Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster zur Entscheidung über den Widerspruch ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Eingliederungsgesetz in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25.10.2011 (GV. NRW S. 542; vgl. dazu auch LSG NRW Beschluss vom 16.01.2012 – L 10 SB 197/11 = juris Rn. 16; LSG NRW Urteil vom 6.12.2009 - L 10 SB 39/09 = juris Rn. 23 ff.).
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG nicht beschwert, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Dem Kläger steht derzeit kein höherer GdB als 30 zu.
Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 –B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Der Kläger leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter
(1.) einer rezidivierenden depressiven Störung vor dem Hintergrund einer eher depressiven Persönlichkeitsstruktur (2.) Bluthochdruck (3.) Zustand nach diversen Knie- und Sprunggelenksverletzungen.
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie des Gutachtens der Frau Dr. T. fest.
Das Gutachten beruht auf umfangreichen Untersuchungen, die von einer erfahrenen medizinischen Gutachterin unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Insbesondere sind die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 00.00.0000 nicht geeignet, die Feststellungen der Gutachterin in Zweifel zu ziehen. Soweit der Prozessbevollmächtigte die Auffassung vertritt, es sei nicht erkennbar, wo hier die Gutachterin ihre Erkenntnisse in Bezug auf den Kläger erhalten habe, so trifft dies nach Auffassung der Kammer nicht zu. Es handelt sich bei Frau Dr. T. um eine erfahrene Gutachterin und Fachärztin für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie. Sie beherrscht vor diesem Hintergrund auch die Erhebung psychopathologischer Befunde (vgl. zur Methodik der psychiatrischen Begutachtung etwa, Hoffmann-Richter, Die psychiatrische Begutachtung, 2005, S. 29 ff.; Schneider/Frister/Olzen, Begutachtung psychiatrischer Störungen, 2. Aufl. 2010, S. 37 ff.). Auch die von ihr durchgeführten Testungen sind nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden. Unter Berücksichtigung dieses "Handwerkzeugs" kommt die Gutachterin lege artis zu Ihren Feststellungen und Befunden.
Soweit PD Dr. G. und auch der Beklagte im Verwaltungsverfahren zunächst vom Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgehen, so trifft dies nach den überzeugenden Feststellungen der Gutachterin nicht zu.
Dabei ist sich die Kammer bewusst, dass die Frage, ob – und unter welchen Voraussetzungen - eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliegt, auch medizinisch nicht eindeutig geklärt ist (vgl. dazu etwa Gemeinsame Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin [DGPM], der Deutschen Gesellschaft für Psychonanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie [DGPT], des Deutschen Kollegium für Psychosomatische Medizin [DKPM], der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie [AÄGP] und der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie [DeGPT], abrufbar unter: www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/051-010.htm; vgl. auch Foerster, Die pschychoreaktiven Störungen - auch außerhalb der Begutachtung ein häufig schwieriges Thema, MedSach 2010, S. 16 ff.).
So erfasst die ICD 10 (GM) 2013 die posttraumatische Belastungsstörung unter F 43.1 wie folgt:
Die posttraumatische Belastungsstöung "( ) entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.".
Etwas differenzierter erscheint die Beschreibung in der vierten Auflage des "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (DSM IV). Dieses beschrieb die Voraussetzungen für eine PTBS wie folgt:
"A. The person has been exposed to a traumatic event in which both of the following were present: (1) the person experienced, witnessed, or was confronted with an event or events that involved actual or threatened death or serious injury, or a threat to the physical integrity of self or others (2) the person s response involved intense fear, helplessness, or horror. ( ) B. The traumatic event is persistently reexperienced in one (or more) of the following ways: (1) recurrent and intrusive distressing recollections of the event, including images, thoughts, or perceptions. ( ) (2) recurrent distressing dreams of the event. ( ) (3) acting or feeling as if the traumatic event were recurring (includes a sense of reliving the experience, illusions, hallucinations and dissociative flashback episodes, including those that occur on awakening or when intoxicated) ( ) (4) intense psychological distress at exposure to internal or external cues that symbolize or resemble an aspect of the traumatic event (5) physiological reactivity on exposure to internal or external cues that symbolize or resemble an aspect of the traumatic event C. Persistent avoidance of stimuli associated with the trauma and numbing of general responsiveness (not present before the trauma), as indicated by three (or more) of the following: (1) efforts to avoid thoughts, feelings, or conversations associated with the trauma (2) efforts to avoid activities, places, or people that arouse recollections of the trauma (3) inability to recall an important aspect of the trauma (4) markedly diminished interest or participation in significant activities (5) feeling of detachment or estrangement from others (6) restricted range of affect (e.g., unable to have loving feelings) (7) sense of a foreshortened future (e.g., does not expect to have a career, marriage, children, or a normal life span) D. Persistent symptoms of increased arousal (not present before the trauma), as indicated by two (or more) of the following: (1) difficulty falling or staying asleep (2) irritabilty or outbursts of anger (3) difficulty concentrating (4) hypervigilance (5) exaggerated startle response E. Duration of the disturbance (symptoms in Criteria B, C, and D) is more than 1 month. F. The disturbance causes clinically significant distress or impairment in social, occupational, or other important areas of functioning."
Gegenüber der Gutachterin hat er den Überfall so geschildert, dass eine alkoholisierte Frau bei der Fahrscheinkontrolle beim Einsteigen zunächst "laut und frech" geworden sei um ihm anschließend ins Gesicht zu schlagen und sofort aus dem Bus herauszulaufen. Er sei mit dem Kopf gegen das seitliche Fenster links geschlagen. Anschließend sei er weiter gefahren. Nach seiner Ablösung sei er dann im Krankenhaus ambulant behandelt worden. Er sei innerlich enorm erregt gewesen.
Es erscheint der Kammer schon fraglich, ob der Kläger beim dem Angriff durch die Täterin eine Situation erlebt hat, die sich als solche außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Es sind somit schon die "A-Kriterien" nach DSM IV und das auslösende Ereignis nach ICD 10 – fraglich (vgl. zu den Änderungen durch DSM V http://www.dsm5.org/Documents/PTSD%20Fact%20Sheet.pdf). Anhaltspunkt für das B-Kriterium nach DSM IV, etwa im Sinne von Flashbacks und/oder wiederkehrenden Albträume werden vom Kläger ebenfalls nicht beschrieben und sind auch in den Arztberichten und Gutachten nicht erkennbar.
Auch der behandelnde Arzt PD. Dr. G. geht in seiner Stellungnahme vom 00.00.0000 nicht mehr von dem Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung sondern von einer Anpassungsstörung (ICD 10 F 43.2) aus.
Ob diese Diagnose der Anpassungsstörung oder aber die von der Gutachterin benannte rezidivierende depressive Störung vor dem Hintergrund einer eher depressiven Persönlichkeitsstruktur die beim Kläger vorliegende psychische Beeinträchtigung besser beschreibt, ist letztlich für die hier maßgebliche Bewertung des GdB unerheblich.
In beiden Fällen richtet sich die Bewertung des GdB nach Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Es ist danach zu beurteilen, ob und in welchem Umfang der Kläger durch seine psychischen Störungen beeinträchtigt ist.
Nach dem Gutachten der Frau. Dr. T.– unter Berücksichtigung der eingeholten Befund- und Arztberichte – geht die Kammer davon aus, dass beim Kläger zwar mittlerweile wesentliche Beeinträchtigungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bestehen, insbesondere im Hinblick darauf, dass er sich – wie er im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – nun endgültig nicht mehr in der Lage sieht, seinen bisherigen Beruf als Busfahrer auszuüben. Er hatte bereits der Gutachterin gegenüber erklärt, er könne nur ein paar Tage arbeiten und müsse dann wieder zu Hause bleiben um aufzutanken. Gegenüber der Gutachterin schilderte der Kläger darüber hinaus verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, ein vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schlafstörungen, erhöhte Ermüdbarkeit und Freudlosigkeit. Diese Selbsteinschätzung korrespondiert aber nicht mit den Schilderungen des Klägers hinsichtlich seines Alltags. So beschreibt er gegenüber der Gutachterin, dass Ehe und Familie sehr gut gelingen. Die Familie wandere miteinander, fahre sehr viel Rad, besuche Gartenmärkte. Der Garten sei das gemeinsame Hobby. Sein eigenes Hobby sei der Fußball. Den Vorsitz des Fußballvereins habe er vor Jahren wegen Überforderung abgegeben. Heute fahre er Rennrad zusammen mit Kollegen, was ihm sehr gut tue. Außerdem gehe er mit seinem Hund viel spazieren. Seine Frau und er hätten zahlreiche Freunde, feiern Geburtstage miteinander und machen Sonntagsausflüge. Die Beschreibung des Gesundheitszustands durch den Kläger mit den eigenen Angaben zum Aktivitäts- und Funktionsniveau passt nicht zusammen. Es ist hier von einer Symptomverdeutlichungstendenz auszugehen. Ein entsprechendes Ergebnis hat auch die Auswertung des strukturierten Fragebogens spezifischer Symptome – SFSS (nach Cima et al. 2003) durch die Gutachterin ergeben (vgl. zu diesem Fragebogen etwa Schneider/Frister/Olzen, Begutachtung psychiatrischer Störungen, 2. Aufl. 2010, S. 87 ff).
Der Kläger ist trotz bestehender Beeinträchtigungen weiterhin in der Lage ist, sich um wesentliche Belange der Alltagsanforderungen (Selbstversorgung, häusliches Leben, Mobilität) ohne externe Strukturierung oder Anleitung zu kümmern. Die Bewältigung des Alltags gelingt sogar recht gut. Es wird deutlich, dass der Kläger trotz der Belastungen durchaus auch weiter Freude empfinden kann. Eine Medikation mit Antidepressiva erfolgte nicht. Auch ist die psychotherapeutische Behandlung mit monatlich einen Termin als eher niederfrequent zu bewerten. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände geht die Kammer in Übereinstimmung mit dem Gutachten der Frau Dr. T. davon aus dass die Beeinträchtigungen des Klägers mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet ist.
Beim Kläger ist darüber hinaus ein Bluthochdruck festgestellt, welcher mit dem Wirkstoff Bisprolol behandelt wird. Bei der Untersuchung durch Frau Dr. T. war der Blutdruck gemessen nach Riva-Rocci 140/90 mmHg. Gemäß Teil B Ziffer 9.3 ist hierfür ein GdB von 0-10 in Ansatz zu bringen.
Soweit der Kläger in der Vergangenheit sich Knie und Sprunggelenks Verletzungen zugezogen hat, so bedingen diese derzeit gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinische Grundsätze mangels entsprechender objektivierbarer Bewegungseinschränkungen keinen Grad der Behinderung.
Auf der Grundlage der genannten Einzel-GdB-Werte ist bei dem Kläger für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB von 30 zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall stehen die psychischen Beeinträchtigungen absolut im Vordergrund. Die übrigen Beeinträchtigungen, sofern sie entsprechend den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 10 zu bewerten sind, nehmen in der Regel an der Bildung des Gesamt-GdB nicht teil Ausnahmen, die im vorliegenden Fall eine Berücksichtigung gleichwohl erforderlich machten, liegen nicht vor. Insgesamt ist damit der GdB weiterhin mit 30 zu bewerten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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