L 7 KA 84/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 533/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 84/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung (hier: Richtgrößenprüfung) zwingt nur hinreichend substantiiertes Vorbringen des Vertragsarztes zu Praxisbesonderheiten die Prüfeinrichtungen zur Prüfung bzw. Berücksichtigung dieses Vorbringens.
2. Die Entscheidung des Beschwerdeausschusses muss die von ihm angewandten Beurteilungsmaßstäbe erkennen lassen. Für den Fall, dass er bestimmte vom Vertragsarzt dargelegte Umstände überhaupt nicht oder nur teilweise als Praxisbesonderheit berücksichtigt, muss seiner Entscheidung daher nachvollziehbar zu entnehmen sein, warum die geltend gemachten Praxisbesonderheiten insgesamt oder teilweise nicht anerkannt wurden.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2011 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Regressfestsetzung in Höhe von 73.099,27 Euro im Rahmen der Richtgrößenprüfung für das Jahre 2003.

Die Klägerin war bis zum Jahr 2008 als Fachärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung in Berlin zugelassen.

Der Prüfungsausschuss hatte die Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise bei Arznei-, Verband- und Heilmitteln aus dem Jahr 2003 wegen Überschreitung der Richtgrößensumme um 86, 29 % von Amts wegen überprüft und eine Stellungnahme der Klägerin eingeholt. In dieser Stellungnahme machte die Klägerin unter Beifügung von Tagesprotokollen für sieben Patienten folgende Praxisbesonderheiten geltend:

- sie habe sich auf Diabetes mellitus Typ II spezialisiert und führe deshalb eine Schwerpunktpraxis, ohne dass es der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) bzw. den Kassen bekannt sei. Im Jahr 2003 seien 31 Diabetes-Typ-II- und 2 Diabetes-Typ-I-Patienten mit intensivierter lnsulintherapie (ICT) oder supplementärer Insulintherapie (SIT) behandelt worden. Diese Patienten hätten Begleit- oder Folgeerkrankungen. Durch die Begleit- und Folgeerkrankungen seien die Therapiekosten zusätzlich gestiegen. Es seien Kosten in Höhe von 87.371,79 Euro angefallen.

- zahlreiche türkisch sprechende Patienten (ca. 90% ihrer Klientel);

- neun Patientinnen hätten kostenintensiver Therapie besonders mit Clopidogrel bedurft, für die hochgerechnet Verordnungskosten von 5.000,00 Euro entstanden seien;

- 40 polymorbide Patienten mit KHK, Hyperlipidämie‚ Z.n. Stent-Implantation, ICD-Implantation oder ACVB;

- ein hoher Anteil an Patienten mit Hypertonie (durchschnittlich 25%). Wegen den Nebenwirkungen der ACE-Hemmer erhielten 109 Patienten AT-1-Rezeptorenblocker. Es seien hochgerechnet Kosten von 45.000,00 Euro angefallen. Die Hälfte der Hypertoniepatienten habe einer 2-, 3-, bzw. sogar 4-fach-Kombination bedurft. Es seien hochgerechnet Kosten von 65.000,00 Euro angefallen.

- hoher Anteil ausländischer Frauen mit der Folge erhöhten medikamentösen Aufwandes;

- hoher Anteil an Patienten mit gastroösophagialer Refluxkrankheit, Helicobacter-pylorie-induzierter Gastritis und/oder Ulcus duodeniae/ventriculae mit hochgerechneten Behandlungskosten von 26.000,00 Euro;

- hoher Rentneranteil von 26 Prozent.

Mit Beschluss vom 24. September 2007 setzte der Prüfungsausschuss eine Ersatzverpflichtung in Höhe von 89.366,29 Euro gegen die Klägerin fest. Seine Prüfung nahm er unter Berücksichtigung der am 01. Juli 2002 vereinbarten und im KV-Blatt 8/2002 veröffentlichten Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 2002 vor, deren Weitergeltung für das Jahr 2003 von den Beigeladenen zu 1) bis 6) vereinbart worden war (KV-Blatt 5/2003). Der Prüfungsausschuss erkannte Praxisbesonderheiten und nicht-richtgrößenrelevante Verordnungskosten in einem Umfang von insgesamt 33.297,11 Euro an, die sich wie folgt zusammen setzten:

- Verordnungskosten für die Insulintherapie einschließlich Blutzuckerteststreifen in Höhe von 26.574,09 Euro, wobei die nur teilweise Anerkennung damit begründet wurde, dass der Anteil an Analoginsulinen um einen unwirtschaftlichen Anteil gekürzt worden sei, da nur ein Anteil von 30 % der Analoginsuline am Gesamtumsatz der Insuline als wirtschaftlich angesehen werden könne, da diese teurer seien als Humaninsuline;

- Verordnungskosten für Betäubungsmittel über 2.890,67 Euro,

- Verordnungskosten für die basistherapeutische, immunsuppressive Behandlung von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises sowie ggf. Heilmittel in Höhe von 160,39 Euro,

- nicht-richtgrößenrelevante Verordnungskosten für Heilmittel in Höhe von 96,14 Euro und

- nicht richtgrößenrelevante Verordnungskosten ohne Handelsnamen und Pharmazentralnummer in Höhe von 3.575,82 Euro.

Zusätzliche Praxisbesonderheiten seien nicht anzuerkennen, so dass die obere Interventionsgrenze überschritten werde und der Mehraufwand in Höhe des Überschreitungsbetrages der unteren Interventionsgrenze zu erstatten sei.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch trug die Klägerin vor: Die Verordnungskosten von Analoginsulinen müssten in voller Höhe anerkannt werden, da es in dem streitbefangenen Verordnungsjahr 2003 noch keine Therapiehinweise oder ähnliches gegeben habe. Sie habe kurz wirksame Analoginsuline nur bei bestimmten Indikationen eingesetzt und hiermit insbesondere wegen des verringerten Spritz-Ess-Abstandes eine bessere Compliance der Patienten erzielt. Die Kosten für Blutzuckerteststreifen von 5.913,63 Euro seien deutlich zu niedrig angesetzt, da mit so wenigen Teststreifen eine intensivierte (ICT) und supplementäre (SIT) Insulintherapie nicht durchgeführt werden könne. Die Verordnungskosten von Betäubungsmitteln zur Behandlung starker Schmerzzustände hätten im Jahr 2003 mindestens 3.315,57 Euro betragen. Ferner seien weitere Praxisbesonderheiten mit teureren Indikationsgebieten anzuerkennen, insbesondere polymorbide Patienten mit koronarer Herzerkrankung (KHK), Hyperlipidämie, Zustand nach Stent-Implantation, ICD-Implantation, AVCB, schwere Hypertonie, Rentneranteil, gastroösophagiale Refluxkrankheit, Helicobacter-pylorie-indizierte Magenerkrankungen, überwiegender Anteil ausländischer Patienten, Patienten mit rheumatischen Erkrankungen, Tumorpatienten und Patienten mit Schädigungen des Nervensystems. Sie habe jedes Quartal ca. 40 bis 50 Patienten mit diesen Krankheiten.

Mit Beschluss vom 28. April 2009 reduzierte der Beklagte die festgesetzte Ersatzverpflichtung auf 73.099,27 Euro und wies den weitergehenden Widerspruch zurück. Als weitere Praxisbesonderheiten seien Verordnungskosten für Bisphosphonate in Höhe von 10.611,73 Euro und Verordnungskosten für Evista in Höhe von 8.716,96 Euro anzuerkennen. Es werde jeweils der Betrag in voller Höhe berücksichtigt, da die Verordnungskosten im Vergleich zur Fachgruppe deutlich höher lägen. Weitere Praxisbesonderheiten seien aufgrund der unwirtschaftlichen Medikamentenauswahl unter Auswertung der vorliegenden Datensätze sowie der Widerspruchsbegründung nicht festzustellen. Die Kosten für Blutzuckerteststreifen seien bereits durch den Prüfungsausschuss in vollem Umfang anerkannt worden.

Mit ihrer am 01. August 2009 erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, die Überschreitungen der Richtgrößen seien durch die bereits im Widerspruchsverfahren dargelegten Praxisbesonderheiten bzw. durch eine besondere Patientenklientel zu rechtfertigen. Sie habe einen extrem hohen Anteil an ausländischen, insbesondere türkischen Patienten. Sie habe sich auf die Behandlung von Diabetes mellitus II und arterielle Hypertonie spezialisiert und führe deshalb eine Schwerpunktpraxis. Sie behandele zudem einen extrem hohen Anteil an Rentnern und an Frauen, was ebenfalls zu deutlich erhöhten Verordnungskosten führe. Die von den Beklagten angesetzten Kosten für Blutzuckerteststreifen seien zu niedrig gewesen. Die anzuerkennenden Kosten für Betäubungsmittel hätten mindestens 3.315,57 Euro betragen. Die Verordnung kurz wirksamer Analoginsuline sei in allen Fällen wegen der damit verbundenen Verbesserung der Lebensqualität der Patienten gerechtfertigt gewesen. Dem Bescheid des Beklagten, in dem trotz gestiegenen Anteils an Rentnern, weiblichen Patienten und Patienten mit Diabeteserkrankungen ein Viertel weniger Praxisbesonderheiten gegenüber dem Vorjahr anerkannt worden seien, sei nicht zu entnehmen, welche Praxisbesonderheiten berücksichtigt worden seien und welche wertmäßige Korrektur vorgenommen worden sei. Auf die überdurchschnittlich häufigen Behandlungen mit Clopidogrel sei der Beklagte nicht eingegangen. Der Bescheid verstoße insofern gegen § 35 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X). Die stereotype Anmerkung, Praxisbesonderheiten in einer bestimmten Höhe seien anerkannt worden, genüge nicht, um den Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit aufrecht zu erhalten. Der Begründungsmangel sei auch nicht durch die Ausführung des Beklagten im Klageverfahren geheilt worden.

Mit Urteil vom 22. Juni 2011 hat das Sozialgericht den Beschluss des Beklagten vom 28. April 2009 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahinstehen, ob der angefochtene Bescheid wegen Verstoßes gegen das Begründungserfordernis des § 35 SGB X bereits formell rechtswidrig sei, da er jedenfalls materiell rechtswidrig sei. Es sei nicht nachprüfbar, ob der Beklagte den ihn hinsichtlich der Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten zustehenden Beurteilungsspielraum fehlerfrei angewandt habe. Der Prüfungsausschuss habe in dem Beschluss vom 24. September 2007 lediglich Praxisbesonderheiten nach den in der Richtgrößenvereinbarung 2000 bis 2002 enthaltenen Indikationsgebieten anerkannt, wobei er die Verordnungskosten für Insulintherapie wegen der überdurchschnittlich häufigen Verordnung von Analoginsulinen nur teilweise anerkannt habe. Zu den übrigen von der Klägerin geltend gemachten Praxisbesonderheiten heiße es in dem Beschluss lediglich: "Weitere Praxisbesonderheiten konnte der Prüfungsausschuss unter Auswertung der vorliegenden Datensätze und Stellungnahmen nicht feststellen." Der Beklagte habe in dem angefochtenen Beschluss zusätzlich zu den vom Prüfungsausschuss anerkannten Praxisbesonderheiten noch Verordnungskosten für Bisphosphonate und für Evista anerkannt. Darüber hinaus heiße es in dem Beschluss: "Aufgrund der unwirtschaftlichen Medikamentenauswahl konnte der Beschwerdeausschuss unter Auswertung der vorliegenden Datensätze sowie der Widerspruchsbegründung keine weiteren Praxisbesonderheiten feststellen." Weder der Beschluss des Prüfungsausschusses noch der angefochtene Beschluss des Beklagten lasse auch nur im Ansatz eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den von der Klägerin geltend gemachten (weiteren) Praxisbesonderheiten erkennen. Die Gründe, die seitens der Prüfgremien dazu geführt hätten, diese Praxisbesonderheiten nicht anzuerkennen, seien daher für die Klägerin und für das Gericht nicht nachvollziehbar, so dass sich auch nicht prüfen lasse, welche Beurteilungsmaßstäbe der Entscheidung zugrunde gelegt worden seien und ob deren zutreffende Anwendung nachvollziehbar sei. Auch wenn der Vortrag der Klägerin im Verwaltungsverfahren zu den Praxisbesonderheiten nicht in allen Punkten entsprechend der Anforderungen substantiiert gewesen sei und die bloße Benennung von Beispielsfällen mit pauschaler Hochrechnung der Gesamtkosten der geltend gemachten Praxisbesonderheiten kaum für eine Anerkennung der Praxisbesonderheiten ausreichen dürfte, könne und müsse von den Prüfgremien erwartet werden, dass sie sich mit den geltend gemachten Praxisbesonderheiten inhaltlich auseinandersetzen und zumindest eine kurze Begründung dazu geben würden, warum diese jeweils nicht anerkannt würden. Der vorliegende Beurteilungsfehler sei durch die im Laufe des Gerichtsverfahrens durch den Beklagten nachgeschobenen Begründungen nur teilweise geheilt worden. Diese Darlegung habe allein dem Beklagten oblegen und sei nicht durch das Gericht nachzuholen. Die eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidung des Beklagten bestehe aufgrund des ihm hinsichtlich der Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten zustehenden Beurteilungsspielraums. Allein dem Beklagten obliege in diesem Zusammenhang die Sachverhaltsaufklärung.

Gegen das ihm am 28. Juni 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 14. Juli 2011 Berufung eingelegt. Die Kontrolle des Sozialgerichts hätte sich bei der Überprüfung der Verwaltungsentscheidung darauf beschränken müssen, zu beurteilen, ob der Entscheidung des Beklagten ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde gelegt worden und ob die getroffene Verwaltungsentscheidung vertretbar sei, d. h. keine Denkfehler und Verstöße gegen Erfahrungsgesetze aufweise. Ob hiergegen verstoßen worden sei, könne allein nach dem dem Beklagten bis zu seiner Entscheidung am 24. April 2009 vorliegenden Vorbringen der Klägerin beurteilt werden. Die Klägerin habe auf das die Prüfung einleitende Schreiben vom 04. April 2007 zu den aufgelisteten Krankheitsbildern keine der ihr zur Darlegung von Praxisbesonderheiten übersandten Dokumentationsbögen eingereicht. Stattdessen habe sie in ihrem Antwortschreiben die Verordnungskosten für jeweils einen Versicherten und nur einmal unter Nr. 4 je einen weiteren Behandlungsfall genannt und dann die Kosten für die von ihr nicht belegte Zahl der Patienten hochgerechnet. Angesichts der Fallzahl von insgesamt 3.571 vermöge er entgegen der Ansicht des Sozialgerichts schon nicht ein nach der Rechtsprechung erforderliches substantiiertes und belegtes Vorbringen der Klägerin zu erkennen, das ihn hätte veranlassen müssen, sich mit den wenigen Behandlungsfällen auseinanderzusetzen. Mit Ausnahme der Tagesprotokolle der Beispielsfälle habe die Klägerin weder weitere Angaben zu der behaupteten Gesamtzahl der jeweiligen Versicherten gemacht noch habe sie diese belegt. Das Sozialgericht stelle an die Begründung der Entscheidung in der Prüfgremien Anforderungen, die der Rechtsprechung des BSG entgegenstehen würden. Es könne ihm – dem Beklagten – keine unvollständige Berücksichtigung des Sachverhalts vorgeworfen werden, wenn es sich um entscheidungserhebliche Umstände handele, die allein der Vertragsärztin bekannt seien. Der Vortrag des Vertragsarztes müsse schlüssig sein, um überhaupt gewürdigt werden zu müssen. Der Bescheid vom 28. April 2009 sei auch zutreffend begründet worden. Die schon von der Prüfungsstelle berücksichtigten Kosten für Verordnungen, die auf Praxisbesonderheiten zurückgeführt würden könnten, habe er – der Beklagte – unbeanstandet übernommen. Die ausdrücklich begründete Entscheidung des Prüfungsausschusses, wonach von den Gesamtkosten für Insuline der auf Analoginsuline entfallende Anteil reduziert worden sei, habe er ebenfalls übernommen. Die auf Praxisbesonderheiten zurückführenden Kosten könnten selbstverständlich nur in der im Datensatz belegten Höhe berücksichtigt werden. Das gelte insbesondere für die nachgewiesenen Kosten für Blutzuckerteststreifen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf das zutreffende Urteil des Sozialgerichts. Die Begründungsanforderungen seien zwar von Fall zu Fall verschieden und richteten sich nach den Umständen des Einzelfalls, entscheidend sei jedoch, dass sie entsprechende Einwendungen vorgetragen und ihrerseits begründet habe. Deshalb sei eine umfassende Würdigung seitens des Beklagten notwendig gewesen. Zudem würden sich im Bescheid des Beklagten keine Ermessenserwägungen finden. Eine Heilung des Begründungsmangels durch das Nachschieben von Ermessenserwägungen sei nicht möglich. Die Behauptung des Beklagten, dass sie keine Dokumentationsbögen zur Darlegung von Praxisbesonderheiten eingereicht habe, sei unzutreffend. Ausweislich der Verwaltungsakte seien Tagesprotokolle bereits dem Prüfausschuss im Jahr 2007 übersandt worden. Mit diesen Dokumentationsbögen hätte sich der Beklagte auseinandersetzen müssen. Sie habe auch mehrere Patienten namentlich aufgeführt und auf die Dokumentationsbögen Bezug genommen. Das Sozialgericht habe zutreffend eingeschätzt, dass die Ausführungen substantiiert gewesen seien. Eine Auseinandersetzung zu ihren Ausführungen zum Nutzen von kurz wirksamen Analoginsulinen sei nicht erfolgt. Der Beklagte habe pauschal einen Anteil auf Analoginsuline reduziert und sich auf den Beschluss des Prüfungsausschusses bezogen. Der Beschluss des Prüfungsausschusses beschränke sich auf die Angabe, dass "bis zu einem Anteil der Analoginsuline von 30 % am Gesamtumsatz anerkannt worden seien, darüber hinaus nicht da sie zu teuer seien". Ausführungen zu den Verordnungen mit dem Wirkstoff Clopidogrel habe die Beklagte ebenfalls nicht getätigt, was selbst von der Beigeladenen zu 2) gerügt worden sei.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge und äußern sich nicht.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Begründung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Beschluss des Beklagten vom 28. April 2009 aufgehoben. Denn dieser Bescheid ist rechtswidrig, weil er an einem Beurteilungsmangel leidet.

I. Rechtsgrundlage für die Richtgrößenprüfung bzgl. des Jahres 2003 ist § 106 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) in der vom 02. Januar 2002 bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung (alte Fassung – aF). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgröße nach § 84 SGB V (Auffälligkeitsprüfung) geprüft (§ 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V aF). Nach § 106 Absatz 5a Sätze 1 bis 4 i. V. m. Abs. 5 SGB V aF werden durch die Prüfgremien (Prüfungs- und Beschwerdeausschuss) Prüfungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumen nach § 84 Abs. 6 und 8 durchgeführt, wenn das Verordnungsvolumen eines Arztes in einem Kalenderjahr das Richtgrößenvolumen um mehr als 15 v. H. (Prüfungsvolumen) übersteigt und aufgrund der vorliegenden Daten der Prüfungsausschuss nicht davon ausgeht, dass die Überschreitung in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten begründet ist (Vorab-Prüfung). Die nach § 84 Abs. 6 SGB V zur Bestimmung der Richtgrößen verwendeten Maßstäbe können zur Festsetzung von Praxisbesonderheiten nicht erneut herangezogen werden. Liegt das Verordnungsvolumen nur geringfügig über dem Prüfungsvolumen und stellt der Prüfungsausschuss die Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise fest, bestimmt er, welche Beratungen sowie Kontrollmaßnahmen in den zwei darauf folgenden Kalenderjahren zu ergreifen sind. Bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v. H. hat der Vertragsarzt nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss darüber hinaus den sich aus der Überschreitung des Prüfungsvolumens ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist.

II. Diesen Vorgaben wird der angefochtene Beschluss des Beklagten nur teilweise gerecht.

1. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte der Berechnung der Richtgrößensumme im vorliegenden Fall die Richtgrößen zugrunde legte, die bereits für 2002 galten. Diese Richtgrößen sind mit Veröffentlichung der Vereinbarung der Arznei- und Verbandmittel-Richtgrößen 2000 bis 2002 im KV-Blatt 8/2002 in Kraft getreten. Die Fortgeltung für das Jahr 2003 wurde im KV-Blatt 5/2003 veröffentlicht. Die Fortgeltung war bis zum Inkrafttreten des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes (ABAG) ausdrücklich in § 84 Abs. 4 SGB V vorgesehen. Dieser Absatz bekam durch das ABAG zwar eine neue Fassung. Jedoch kann daraus nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber bezweckt hätte, dass eine vereinbarte Richtgröße jeweils am Jahresende außer Kraft trete. Zum einen fand die Fortgeltung früherer Vereinbarungen ihren Niederschlag in Artikel 3 § 2 Satz 1 ABAG, wonach die Richtgrößenprüfung 2002 auf der Grundlage der Richtgrößenvereinbarung in der bis zum Inkrafttreten des ABAG geltenden Fassung erfolgen sollte. Zum anderen ist in § 89 Abs. 1 SGB V die Weitergeltung schiedsfähiger Vereinbarungen geregelt. Wenn diese zur Vermeidung vertragsloser Zustände für Schiedsvereinbarungen vorgesehen ist, so muss die Weitergeltung erst recht für Vereinbarungen gelten, die von den zuständigen Vertragspartnern unmittelbar geschlossen werden. Zwar sind Richtgrößen wegen ihrer verhaltenssteuernden Zielsetzung grundsätzlich vor dem Jahr zu vereinbaren, für das sie Geltung beanspruchen, mit der Folge, dass erst im Laufe des Geltungsjahres vereinbarte Richtgrößen einer entsprechenden Prüfung für dieses Jahr nur anteilig zugrunde gelegt werden können. Eine jahresbezogene Richtgrößenprüfung darf aber u.a. dann ausschließlich auf verspätet vereinbarten Richtgrößen basieren, wenn diese im Vergleich zu den bislang geltenden Richtgrößen für den Vertragsarzt keinen Nachteil darstellen (BSG, Urteile vom 2. November 2005, Az.: B 6 KA 63/04 R, und vom 23. März 2011, Az.: B 6 KA 9/10 R, beide veröffentlicht in Juris). Werden Richtgrößen erstmals oder niedriger als bisher festgesetzt, so sind sie für den bereits abgelaufenen Zeitraum des Jahres unwirksam; sie gelten jedoch mit Wirkung für die Zukunft bis zur Ablösung durch eine neue Richtgrößenvereinbarung. Es ist daher zulässig, dass Richtgrößen für das Folgejahr weiter gelten, da eine Rückwirkung mit belastenden Auswirkungen für den betroffenen Arzt ausgeschlossen ist. Die Fortgeltung der Richtgrößen ergibt keine Verschlechterung der vertragsärztlichen Rechtspositionen. Im vorliegenden Fall sind bei der Fachgruppe der Allgemeinmediziner die für das Jahr 2003 fortgeltenden Richtgrößen für die Gruppen "M/F" (Mitglieder und Familienversicherte) und "R" (Rentner) im Bereich Arznei- und Verbandmittel mit 39,51 Euro bzw. 112,97 Euro nicht ungünstiger als die zuvor geltenden Richtgrößen (2002: 39,51 Euro bzw. 112,97 Euro).

Zutreffend hat der Beklagte die das Jahr 2003 betreffende Richtgrößensumme der Klägerin auf der Grundlage von 2.536 Behandlungsfällen M/F und 1.035 Behandlungsfällen R mit 248.759,57 Euro berechnet. Insoweit besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

2. Fehler des Beklagten bei der Bestimmung der Verordnungskostensumme der Klägerin sind weder von der Klägerseite geltend gemacht worden noch anderweitig ersichtlich.

3. Allerdings hat der Beklagte bei der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten von seinem Beurteilungsspielraum fehlerhaft Gebrauch gemacht.

a) Praxisbesonderheiten kommt gerade im Bereich der Richtgrößenprüfung besondere Bedeutung zu. Nur sie können nach dem Wortlaut von § 106 Abs. 5a SGB V aF verhindern, dass ein Vertragsarzt den (vollen) Mehraufwand in Form der Differenz zwischen seiner Verordnungskostensumme und der für ihn geltenden Richtgröße (bzw. in der Formulierung des angegriffenen Bescheides: "Richtgrößensumme") zu erstatten hat. Der Begriff "Praxisbesonderheiten", der im Bereich der Richtgrößenprüfung nicht anders zu verstehen ist als im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten (BSG, Urteil vom 23. März 2011, Az.: B 6 KA 9/10 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.), umreißt Besonderheiten der Patientenversorgung, die vom Durchschnitt der Arztgruppe signifikant abweichen und die sich aus einem spezifischen Zuschnitt der Patienten des geprüften Vertragsarztes ergeben, der im Regelfall in Wechselbeziehung zu einer besonderen Qualifikation des Arztes steht. Hinsichtlich der hierfür erforderlichen Wertungen als fachlich-medizinisch und wirtschaftlich vertretbar haben die Prüfungseinrichtungen einen Beurteilungsspielraum, sodass deren Einschätzungen von den Sozialgerichten nur in begrenztem Umfang überprüft und beanstandet werden können (BSG, Urteil vom 06. Mai 2009, Az.: B 6 KA 17/08 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.). Soweit eine wertende Entscheidung unter Heranziehung der besonderen Fachkunde der Mitglieder der Prüfungseinrichtungen erforderlich ist, beschränkt sich die Kontrolle der Sozialgerichte auf die Prüfung, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Prüfungseinrichtungen die Grenzen eingehalten haben, die sich bei Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ergeben, und ob die Prüfungseinrichtungen ihre Erwägungen so verdeutlicht und begründet haben, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe nachvollziehbar ist (BSG, Urteil vom 27. Juni 2007, Az.: B 6 KA 27/06 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.).

b) Hieran gemessen ist der Beschluss vom 28. April 2009 hinsichtlich der Ablehnung von Praxisbesonderheiten rechtswidrig.

aa) Dabei kann dahin stehen, ob das Vorbringen der Klägerin im Verwaltungsverfahren hinreichend substantiiert gewesen ist. Allerdings ist nicht jedes Vorbringen geeignet, den Beklagten zu einer Entscheidung über das Vorliegen von Praxisbesonderheiten in der Sache anzuhalten. Nur hinreichend substantiiertes Vorbringen verlangt überhaupt eine Prüfung respektive Berücksichtigung durch die Prüfgremien.

Entscheidet der Beschwerdeausschuss indes wie im vorliegenden Fall auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens, dass bestimmte von der Klägerin dargelegte Umstände überhaupt nicht oder nur teilweise als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen seien, kann er im Klageverfahren nicht (mehr) damit gehört werden, das Vorbringen der Klägerin sei unsubstantiiert gewesen. Wenn der Beschwerdeausschuss in eine Sachprüfung einsteigt, muss diese ebenso wie deren Ergebnis den allgemeinen o.g. Anforderungen genügen (SG Hannover, Urteil vom 16. Dezember 2010, Az.: S 61 KA 37/08, unveröffentlicht. Dass eine solche Sachprüfung stattgefunden hat, ergibt sich aus der recht differenzierten Begründung des o.g. Bescheides, in welchem Um¬fang von der Klägerin behauptete Praxisbesonderheiten anzuerkennen seien. Der am 28. April 2009 tagende Beschwerdeausschuss hat das Vorbringen der Klägerin demnach für hinreichend substantiiert gehalten.

bb) Soweit der Beklagte im angefochtenen Bescheid Praxisbesonderheiten entweder überhaupt nicht oder nur teilweise berücksichtigt hat, ist seine Entscheidung nicht nachvollziehbar. Der Beklagte hat seine Erwägungen nicht so verdeutlicht und begründet, dass die Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe nachvollziehbar wäre. Er muss sich bereits vorhalten lassen, dass seine Beurteilungsmaßstäbe insgesamt unklar bleiben. Der Beklagte hätte detailliert darlegen müssen, aus welchen Gründen im Einzelnen die von der Klägerin vorgetragenen Umstände überhaupt nicht oder nur teilweise als Praxisbesonderheiten anerkannt wurden. Die Beurteilungsmaßstäbe offen zu legen, ist dabei nicht nur mit Blick auf die Nachvollziehbarkeit und Transparenz der einzelnen Entscheidung zu verlangen, sondern insbesondere auch wegen der Gewährleistung einer gleichmäßigen Rechtsanwendung. Wenn der Beschwerdeausschuss mit wechselnden Mitgliedern tagt und entscheidet, stellt erst das schriftliche Festhalten der Rahmenbedingungen eine prüfbare Gleichbehandlung sicher. Sollten in anderen Bescheiden des Beklagten die Rahmenbedingungen gleichfalls nicht transparent gemacht worden sein, wäre auf dieser Ebene kaum nachzuvollziehen, ob innerhalb der Fachgruppen der Klägerin mit denselben Maßstäben gemessen wurde. Denn in einem Entscheidungssystem, das ersichtlich auf Vergleichen als Methode ausgerichtet ist, gibt es keine Einzelfallentscheidungen. Es gibt lediglich jeweils einzelne Ergebnisse, aber jedes dieser Ergebnisse muss sich widerspruchsfrei in das System einfügen lassen (vgl. hierzu schon Urteil des Senats vom 6. Juni 2012, L 7 KA 99/09, zitiert nach juris, dort Rdnr. 40).

cc) Der Beschluss des Beklagten vom 28. April 2009 zeichnet sich dadurch aus, dass er in seiner rechtlichen Würdigung auf die von der Klägerin geltend gemachten Praxisbesonderheiten nichtausreichend eingeht. Der schriftliche Bescheid wiederholt lediglich die vom Prüfungsausschuss bereits anerkannten Praxisbesonderheiten in Höhe von insgesamt 33.297,11 Euro und erkennt darüber hinaus Verordnungskosten für Bisphosphonate in Höhe von 10.611,73 Euro und für Evista in Höhe von 8.716,96 Euro an. Die Feststellung weiterer Praxisbesonderheiten sei unter Auswertung der vorliegenden Datensätze sowie der Widerspruchsbegründung nicht möglich. Diese Darstellung wird den rechtlichen Erfordernissen nicht gerecht. Der betroffene Vertragsarzt hat einen Anspruch darauf zu erfahren, warum die von ihm angeführten Aspekte nicht als Praxisbesonderheiten anerkannt worden sind; die notwendige schriftliche Begründung hätte überdies gegebenenfalls befriedende und erklärende Wirkung und würde von der Führung unter Umständen nicht Erfolg versprechender Prozesse abhalten.

Im Einzelnen gilt folgendes:

(1) Von den von der Klägerin als Praxisbesonderheiten bezeichneten Verordnungskosten für Blutzuckerteststreifen hat der Prüfungsausschuss Verordnungskosten in Höhe von 5.913,63 Euro anerkannt. Der Beklagte hat dazu ausgeführt, dass sämtliche in den Datensätzen enthalten Kosten berücksichtigt wurden. Dies ist nicht zu beanstanden. Es hätte hier der Klägerin oblegen, substantiiert darzulegen und anhand der ihr vorliegenden Verordnungsdaten nachzuweisen, dass ihr höhere Verordnungskosten entstanden sind. Dies hat sie nicht getan, sondern lediglich pauschal vorgetragen, dass mit so wenigen Teststreifen eine intensivierte und supplementäre Insulintherapie nicht durchgeführt werden könne. Auch die vom Prüfungsausschuss anerkannten Verordnungskosten von Betäubungsmitteln zur Behandlung starker Schmerzzustände (vgl. Ziff. I.a. 11 der vereinbarten Indikationsgebiete) in Höhe von 2.890,67 Euro und die angegebene Begründung sind nicht zu beanstanden. Insofern wäre es Sache der Klägerin gewesen, die von ihr angenommenen Kosten von mindestens 3.315,57 Euro zu belegen.

(2) Zu den von der Klägerin geltend gemachten Praxisbesonderheiten durch 40 polymorbide Patienten mit KHK, Hyperlipidämie‚ Z.n. Stent-Implantation, ICD-Implantation oder ACVB sowie einen hohen Anteil an Patienten mit Hypertonie (durchschnittlich 25%), von denen wegen Nebenwirkungen der ACE-Hemmer 109 Patienten AT-1-Rezeptorenblocker erhielten (mit hochgerechneten Kosten von 45.000,00 Euro) und zahlreichen Hypertoniepatienten, die 2-, 3- und sogar einer 4-fach Kombination bedurft hätten (mit hochgerechneten Kosten von 65.000,00 Euro), finden sich im Bescheid des Prüfungsausschusses sowie im Bescheid des Beklagten vom 28. April 2009 keinerlei hierauf konkret bezogene Ausführungen. Auch der Vortrag der Klägerin zu einem hohen Anteil an Patienten mit gastroösophagialer Refluxkrankheit, Helicobacter-pylorie-induzierter Gastritis und/oder Ulcus duodeniae/ventriculae mit hochgerechneten Behandlungskosten von 26.000,00 Euro wird nicht berücksichtigt. Der pauschale Hinweis in den Bescheiden, weitere Praxisbesonderheiten hätten nicht berücksichtigt werden können, lässt völlig offen, welche Angaben die Klägerin beizubringen hätte, um dem Beklagten eine Feststellung weiterer Praxisbesonderheiten zu ermöglichen. Dies ist umso mehr zu beanstanden, als die Berechnungen der Behandlungskosten durch die Klägerin dem Prüfungsausschuss bei seiner Entscheidung bereits vorlagen und sein Bescheid insoweit keine konkreten Aussagen enthielt. Die Klägerin konnte im Widerspruchsverfahren so nicht auf Ablehnungsgründe reagieren.

(3) Soweit die Klägerin Arzneimittelkosten für die Behandlung von 33 Diabetespatienten von 52.523,79 Euro als Praxisbesonderheiten geltend gemacht hat, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen der Beklagte insoweit nur teilweise eine Praxisbesonderheit berücksichtigen konnte. Es fehlen Aussagen, warum neben den Kosten für Insulin Kosten für weitere Arzneimittel nicht berücksichtigt wurden. Weiterhin ist zu beanstanden, dass hinsichtlich der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten bei der Verordnung von Analoginsulinen kein Vergleich zu der Fachgruppe vorgenommen wird. Darüber hinaus war es der Klägerin im Jahr 2003 nicht möglich, Erkenntnisse aus dem Jahr 2005 zu berücksichtigen. Der Beklagte verweist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen des Prüfungsausschusses im Beschluss vom 24. September 2007. Dort begründet der Prüfungsausschuss seine Entscheidung hinsichtlich der Verordnungskosten für die Insulin-Therapie mit im Arzneiverordnungsreport (AVR) 2005 veröffentlichten Erkenntnissen.

(4) Erweist sich der Bescheid schon aufgrund dieser Beurteilungsfehler als rechtswidrig, muss der Senat nicht entscheiden, inwiefern das erstmalige Vorbringen des Beklagten im Klage- bzw. Berufungsverfahren zu den Verordnungen von Clopidogrel, dem Rentner- sowie dem Ausländeranteil als (un)zulässiges Nachschieben von Gründen zu qualifizieren ist.

III. Infolge der Aufhebung des Beschlusses vom 28. April 2009 ist der Beklagte verpflichtet, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses erneut zu entscheiden. Er hat hierbei die oben dargelegte Rechtsauffassung des Senats zugrunde zu legen. Um seinen Pflichten zu genügen, wird er hierbei zumindest einmal die Klägerin darauf hinweisen müssen, welche Daten im einzelnen von ihr noch beizubringen sind und anhand welcher Maßstäbe und Kriterien er die zwischen den Beigeladenen vereinbarten bzw. von ihm darüber hinaus entwickelten Praxisbesonderheiten prüft. Antwortet die Klägerin hierauf innerhalb einer angemessenen Frist nicht oder nur offensichtlich unzureichend, wäre es dem Beklagten nicht verwehrt, die weitere Anerkennung von Praxisbesonderheiten unter Hinweis auf ungenügendes oder gänzlich fehlendes Vorbringen der Klägerin abzulehnen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Absatz 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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