S 37 R 201/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
37
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 37 R 201/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 18.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2012 verurteilt, dem Klä- ger auch für die Zeit 01.05.2011 bis zum 30.09.2011 eine Halbwaisenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger auch für die Zeit zwischen dem Ende des Zivildienstes und der Aufnahme seines Studiums eine Halbwaisenrente zu gewähren ist.

Der am 26.11.19xx geborene Kläger ist der Sohn der am 05.04.2007 verstorbenen Versicherten P. Ch ... Nach dem Tod der Versicherten stellte der Kläger im April 2007 bei der Beklagten einen Antrag auf Zahlung einer Halbwaisenrente, die ihm die Beklagte für die Zeit ab dem 01.05.2007 gewährte.

Im Mai 2010 prüfte die Beklagte die weitere Rentenberechtigung des Klägers. Dieser besuchte damals noch das Gymnasium. Die Schulzeit endete zum 31.07.2010. Auf Nachfrage der Beklagten gab der Kläger an, er werde voraussichtlich ab November 2010 den Zivildienst antreten und beabsichtigte derzeit nicht die Aufnahme einer Ausbildung. Mit Schreiben vom 30.06.2010 teilte die Beklagte daraufhin mit, sie werde die Rentenzahlung zum 31.07.2010 einstellen.

Unter dem 06.07.2010 bat der Vater des Klägers um Weitergewährung der Halbwaisenrente und übersandte das Zeugnis des Klägers über die allgemeine Hochschulreife sowie den Einberufungsbescheid zum Zivildienst.

Mit Bescheid vom 14.07.2010 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2010 bis zum 30.10.2010 weiterhin eine Halbwaisenrente. Der Rentenanspruch wurde aufgrund des am 02.11.2010 beginnenden Zivildienstes befristet. Der Zivildienst endete am 30.04.2011.

Am 24.03.2011 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf die erneute Zahlung einer Halbwaisenrente und gab an, er werde zum Wintersemester 2011/2012 ein Studium aufnehmen. Die Beklagte forderte daraufhin einen Nachweis über die Aufnahme des Studiums oder einer Ausbildung zum Oktober 2011 an. Die Studienbescheinigung für das Wintersemester 2011/2012 wurde dann im September 2011 vorgelegt.

Mit Schreiben vom 06.10.2011 forderte die Beklagte noch einen Nachweis über das Ende des Zivildienstes an, die nach dessen Beendigung ausgestellt sein sollte. Der Vater des Klägers übersandte daraufhin eine Bescheinigung des Bundesamtes für Zivildienst vom 21.03.2011 über das Ende des Zivildienstes zum 30.04.2011. Eine andere Bescheinigung habe das Bundesamt für Zivildienst nicht übermittelt.

Mit Bescheid vom 21.10.2011 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.10.2011 bis zum 30.09.2014 eine Halbwaisenrente. Hinsichtlich des Rentenbeginns wurde ausgeführt, da die Hochschulausbildung nach Ende des Zivildienstes am 30.04.2011 nicht schon zum 01.09.2011 aufgenommen worden sei, bestehe für die Übergangszeit vom 01.05.2011 bis zum 30.09.2011 kein Anspruch auf eine Halbwaisenrente.

Gegen diesen Bescheid legte der Vater des Klägers als dessen Vertreter unter dem 27.10.2011 Widerspruch ein. Die Übergangszeit zwischen Ende des Zivildienstes und der Aufnahme des Studiums habe fünf Monate betragen. Der Kläger hätte die rentenunschädliche Übergangszeit von vier Monaten nicht überschritten, wenn der Gesetzgeber den Zivildienst nicht von neun auf sechs Monate reduziert hätte. Den Kläger treffe an dieser Situation keine Schuld. Der Gesetzgeber habe es versäumt, die Regelungen über die Übergangszeiten anzupassen. Die Beklagte möge daher von ihrem Ermessensspielraum Gebrauch machen und die unausgereifte Veränderung der Zivildienstzeit berücksichtigen.

Die Beklagte teilte daraufhin unter dem 01.12.2011 mit, eine Waisenrente werde grundsätzlich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres geleistet. Bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres bestehe ein Anspruch auf Waisenrente, wenn sich der Waise in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, ein freiwilliges soziales Jahr oder ein ökologisches Jahr ableistet oder aufgrund einer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Zudem bestehe in der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder einem Ausbildungsabschnitt und dem Zivildienst ein Anspruch auf Waisenrente, sofern die Übergangszeit höchstens vier Monate beträgt. Dies gelte auch dann, wenn mit der Ausbildung etwa aus hochschulorganisatorischen Gründen nicht früher begonnen werden kann. Der Widerspruch wurde gleichwohl aufrechterhalten.

Mit Bescheid vom 17.01.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Begründung entsprach derer des Schreibens vom 01.12.2011. Ergänzend wurde ausgeführt, die Beklagte sei als ausführende Behörde an die gesetzlichen Bestimmungen gebunden; ein Ermessensspielraum bestehe nicht.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 20.02.2012 Klage erhoben.

Er ist der Ansicht, dass ihm die Rente auch für die Zeit zwischen Beendigung des Zivildienstes und der Aufnahme des Studiums zu gewähren ist. Bei Dienstantritt habe die Zivildienstzeit noch neun Monate betragen; ihn treffe nicht die Schuld, dass die Dienstzeit dann auf sechs Monate verkürzt worden und so eine Lücke von fünf Monaten entstanden sei. Dieser Umstand sei ausschließlich auf ein hoheitliches Handeln zurückzuführen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2012 zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 01.05.2011 bis zum 30.09.2011 eine Halbwaisenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Ansicht, dass für die Zeit zwischen der Beendigung des Zivildienstes und der Aufnahme des Studiums keine Rentenanspruch besteht. Im Übrigen bezieht sie sich auf ihre Ausführungen in dem angegriffenen Widerspruchsbescheid.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2012 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger im Sinne des § 54 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten, soweit die Beklagte darin die Gewährung der Halbwaisenrente für die Zeit vom 01.05.2011 bis zum 30.09.2011 abgelehnt hat.

Kinder haben nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist und der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, § 48 Abs.1 SGB VI.

Der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht gemäß § 48 Abs. 4 S.1 Nr.1 SGB VI grundsätzlich längstens bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Ein Anspruch besteht darüber hinaus nach § 48 Abs.4 S.1 Nr.2b SGB VI auch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Kalendermonaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne von § 48 Abs.4 S.1 Nr. 2c SGB VI liegt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen bestünde grundsätzlich kein Anspruch auf Zahlung der Halbwaisenrente in der Zeit vom 01.05.2011 bis zum 30.09.2011, da die zulässige Übergangszeit von vier Monaten um einen Monat überschritten worden ist.

Nach dem seit dem 01.08.2004 geltenden Wortlaut des Gesetzes und der Intention des Gesetzgebers ist diese Zeitgrenze von vier Kalendermonaten für die Anerkennung einer Übergangszeit nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung strikt zu beachten (BSG Teilurteil vom 01.07.2010, Az. B 13 R 86/09 R). Denn bei den in § 48 Abs.4 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 SGB VI erschöpfend aufgelisteten Voraussetzungen für die Zahlung einer Halb- oder Vollwaisenrente längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres handelt sich um die vom Gesetz anerkannten Gründe, die eine Waise hindern, ihren Lebensunterhalt durch eine eigene Erwerbstätigkeit zu finanzieren (BSG Urteil vom 18.6.2003, Az. B 4 RA 37/02 R). Ansonsten müssen volljährige Waisen ihren Lebensunterhalt selbst – ohne Rückgriff auf die von der Versichertengemeinschaft aufgebrachten Mittel – bestreiten, wenn keiner der in § 48 Abs. 4 SGB VI enumerativ aufgezählten Sachverhalte vorliegt (BSG v 1.7.2010 B 13 R 86/09 R).

Die strikte Anwendung der Zeitgrenze von vier Monaten erscheint jedoch im Fall des Klägers nicht sachgerecht.

Der Kläger war zu einem neunmonatigen Zivildienst einberufen worden. Bei dessen planmäßigem Ende zum 31.07.2011 hätte der Kläger die Übergangszeit von vier Monaten bis zur Aufnahme des Studiums zum Wintersemester 2011/2012 ohne weiteres eingehalten. Nur aufgrund der Verkürzung des Zivildienstes auf sechs Monate, die auch auf bereits zum Zivildienst Einberufene Anwendung fand, verlängerte sich die Übergangszeit bis zur frühest möglichen Aufnahme des Studiums auf fünf Monate. Im Hinblick auf die plötzliche Verkürzung der Zivildienstzeit, die vom Gesetzgeber im Rahmen des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2b SGB VI bislang nicht berücksichtigt worden ist, muss dem Kläger nach Auffassung der Kammer ein gewisser Vertrauensschutz eingeräumt werden.

Hierfür spricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Durch die Zeitgrenze von höchstens vier Monaten sollte nämlich dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich ein Ausbildungswilliger bei einer mehr als vier Monate dauernden Phase zumutbarerweise darauf einstellen kann/soll, sich selbst zu unterhalten (vgl. Löns in: Kreikebohm SGB VI § 48 Rn. 18 mit Hinweis auf die grundlegende Entscheidung des BSG zum Übergang zwischen Schule und Studium in SozR 3–2600 § 1267 Nr.3). Diese typisierende Betrachtungsweise führte in der Vergangenheit dazu, dass die Waisenrente grundsätzlich auch nicht für die Dauer von vier Monaten zu zahlen war, wenn von vorneherein feststand, dass die Übergangszeit länger dauert (Löns in: Kreikebohm aaO). Um unsachgerechten Ergebnissen entgegenzuwirken hatte dann das BSG für Waisen, die Wehr-/Ersatzdienst leisten und deswegen eine längere Übergangszeit bis zum Studienbeginn in Kauf nehmen mussten, eine Ausnahme zugelassen und den Leistungsanspruch für die dem Dienst folgenden vier Monate bejaht (BSG SozR 3–2600 § 48 Nr.1).

Durch diese Ausnahme wurden Nachteile für solche Personen verhindert, die nach Ende des zwingenden Wehr- oder Zivildienstes nicht unmittelbar nach dessen Ende ein Studium oder eine Ausbildung aufnehmen konnten.

Im Hinblick auf die damals noch bedeutend längere Zivildienstzeit war eine Übergangszeit von vier Monaten auch vollkommen ausreichend. Dies ist jedoch nach Verkürzung der Zivildienstzeit auf sechs Monate nicht mehr der Fall. Gleichwohl können nach Auffassung der Kammer die tragenden Gründe, welche das BSG bewogen haben, eine Ausnahme für Übergangszeiten zuzulassen, weiterhin Geltung beanspruchen; dabei muss jedoch die zulässige Übergangszeit der neuesten Entwicklung angepasst werden, so dass in dem besonders gelagerten Fall des Klägers eine fünfmonatige Übergangszeit als unschädlich zu betrachten ist.

In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass das BSG bezüglich Anrechnungszeiten längst anerkannt hat, dass im Einzelfall eine längere, weit über vier Monate dauernde Unterbrechung der Ausbildung zwischen zwei Ausbildungsabschnitten für die Anerkennung einer Anrechnungszeit unschädlich ist, wenn der Ausbildungswillige durch staatliche Anordnung ("von hoher Hand") an der Ausbildung gehindert worden ist (BSG Urteil vom 17.04.2007, Az. B 5 R 62/06 R). Dies ist für diejenigen Fälle anerkannt, in denen ein Abiturient zum gesetzlichen Wehr- oder Zivildienst herangezogen wird, bevor er ein Studium aufnehmen kann, wenn er nach Beendigung eines solchen Dienstes das Studium zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufnimmt (BSG aaO).

Nach Auffassung der Kammer kann diese Rechtsprechung zur Anerkennung von Anrechnungszeiten auf den besonders gelagerten Fall des Klägers entsprechend angewendet werden. Denn anders als in solchen Fällen, in denen die zulässige Übergangszeit allein aus hochschulorganisatorischen Gründen nicht eingehalten werden kann, war der Kläger maßgeblich aufgrund der vom Gesetzgeber veranlassten Kürzung der Zivildienstzeit daran gehindert, die gesetzlich zulässige Übergangszeit einzuhalten. Ihm war daher auch für die Überganszeit vom 01.05.2011 bis zum 30.09.2011 eine Halbwaisenrente zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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