L 18 AS 565/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 AS 1560/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 565/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. Februar 2012 wird zurückgewiesen. Die weitergehende Berufung wird als unzulässig verworfen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind die Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens sowie die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts.

Der Beklagte bewilligte den in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Klägern, die Klägerin zu 1) ist die Mutter der 2003 bzw. 2007 geborenen Kläger zu 2) und 3), mit Bescheid vom 16. April 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai 2009 bis 31. März 2010. Mit ihrem hiergegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin zu 1) weitere Leistungen aufgrund eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende geltend. Der Beklagte bewilligte sodann mit Bescheid vom 7. Juli 2009 für die Zeit ab 1. Juli 2009 der Klägerin zu 1) auch eine monatliche Mehrbedarfsleistung für Alleinerziehende i.H.v. 129,- EUR. Schließlich gewährte der Beklagte die Leistung auch für die Zeit vom 1. Mai 2009 bis 30. Juni 2009 (Bescheid vom 27. August 2009). Die Klägerin zu 1) erklärte hierauf das Widerspruchsverfahren für erledigt und bat um Kostenerstattung. Mit Bescheid vom 9. Juni 2010 teilte der Beklagte mit, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen nicht erstattet würden, weil die Bewilligung des Mehrbedarfs allein aufgrund der veränderten persönlichen Umstände, nämlich der durch einen Brand vom Mai 2009 bedingten Aufhebung der räumlichen Nähe zu dem Vater der Kläger zu 2) und 3), erfolgt sei.

Das Sozialgericht (SG) Neuruppin hat auf die von den Klägern erhobene Klage den Beklagten verurteilt, die "der Klägerin" (zu 1) im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten und hat zudem festgestellt, dass die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren notwendig gewesen sei (Gerichtsbescheid vom 23. Februar 2012). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei begründet. Der Widerspruch der Klägerin sei i.S.v. § 63 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) erfolgreich gewesen. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten sei notwendig gewesen.

Mit der vom SG zugelassenen Berufung, die sich gegen alle Kläger richtet, wendet sich der Beklagte gegen diese Entscheidung. Er trägt vor: Der letztliche "Erfolg" sei dem Widerspruch der Klägerin zu 1) nicht zurechenbar, sondern beruhe allein auf der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist unzulässig und war entsprechend zu verwerfen, soweit sie sich gegen die Kläger zu 2) und 3) richtet. Denn über die (auch) von diesen Klägern erhobene Klage hat das SG ersichtlich keine - mit der Berufung anfechtbare (vgl. § 143 SGG i.V.m. § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG) - Entscheidung getroffen. Es hat den Beklagten mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid lediglich verurteilt, "der Klägerin" (zu 1) die Kosten des in Rede stehenden Widerspruchsverfahrens zu erstatten, sich aber zu dem auch namens der Kläger zu 2) und 3) erhobenen Klageanspruch nicht verhalten. Soweit die Klage auch namens der Kläger zu 2) und 3) erhoben worden ist, die ihrerseits gegen den Bescheid vom 16. April 2009 schon keinen Widerspruch eingelegt hatten und durch die mit dem Widerspruch einzig gerügte Nichtgewährung einer Mehrbedarfsleistung für Alleinerziehende an die Klägerin zu 1) in eigenen subjektiven Rechten auch gar nicht betroffen sein konnten, dürfte die Klage mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses insoweit bereits unzulässig (gewesen) sein. Eine Entscheidung hierüber hat das SG aber nicht getroffen. Sie kann vom Berufungsgericht auch nicht nachgeholt werden, sondern wäre im Wege des Urteilsergänzungsverfahrens nach § 140 SGG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides geltend zu machen gewesen, was hier indes nicht der Fall war. Mit Fristablauf ist die Rechtshängigkeit des insoweit beim SG anhängig gebliebenen Klageteils entfallen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 140 Rn. 3 m.w.N.). Mangels einer rechtsmittelfähigen Entscheidung ist die von dem Beklagten (auch) insoweit erhobene Berufung unzulässig.

Die im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Beklagte der Klägerin zu 1) die für den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. April 2009 entstandenen notwendigen Aufwendungen zu erstatten hat. Die Klägerin zu 1) hat gegen die Beklagte Anspruch auf Aufwendungsersatz gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Letzteres war hier in Bezug auf den Widerspruch der Klägerin zu 1) gegen den Bescheid vom 16. April 2009 der Fall.

Erfolg i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, der Widerspruch dann, wenn die Behörde ihm stattgibt (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 2. November 2012 - B 4 AS 97/11 R - juris -; BSG, Urteil vom 19. Juni 2012 - B 4 AS 142/11 R - sowie BSG, Urteile vom 21. Juli 1992 - 4 RA 20/91 = SozR 3-1300 § 63 Nr. 3, S 13; vom 17. Oktober 2006 - B 5 RJ 66/04 R = SozR 4-1300 § 63 Nr. 5 Rn 14; vom 20. Oktober 2010 - B 13 R 15/10 R - = SozR 4-1500 § 193 Nr. 6 RdNr. 30; vom 2. Mai 2012 - B 11 AL 23/10 R - juris). Dabei ist der Erfolg oder Misserfolg eines eingelegten Widerspruchs am tatsächlichen (äußeren) Verfahrensgang der §§ 78 ff SGG zu messen. Die Beklagte hat ihm dadurch stattgegeben, dass sie die begehrte Mehrleistung für Alleinerziehende zuerkannt und dies gegenüber der Klägerin zu 1) verlautbart hat. Unerheblich ist insoweit, aus welchen Gründen der Widerspruch in der Sache Erfolg hatte (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 2012 - B 4 AS 97/11 R -).

Mit dem SG ist davon auszugehen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts notwendig i.S. des § 63 Abs. 2 SGB X gewesen ist. Nach dieser Vorschrift sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig ist. Es ist insoweit auf die Sicht eines verständigen Beteiligten im Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (vgl. BSG a.a.O. m.w.N.). Zur weiteren Ausfüllung des Merkmals kann auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum Merkmal der Erforderlichkeit von Prozesskostenhilfe entwickelt hat (vgl. BSG a.a.O.; BVerfG vom 24. März 2011 - 1 BvR 2493/10 = NZS 2011, 775; BVerfG vom 24. März 2011 - 1 BvR 1737/10 = NJW 2011, 2039). Entscheidender Maßstab ist hiernach nicht das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko, sondern die Wahrung des Grundsatzes der Waffengleichheit. Da dem Widerspruchsführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen, kann die Notwendigkeit einer Zuziehung nur ausnahmsweise verneint werden. Denn es ist davon auszugehen, dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Wahrnehmung der eigenen Interessen regelmäßig erfolgt, wenn im Kenntnisstand und Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht. Die hier vorliegenden Gesamtumstände rechtfertigen die Annahme einer Ausnahme hiervon nicht (vgl. hierzu etwa BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 6 KA 35/10 R - juris).

Ein derartiger - hier jedoch nicht vorliegender - Ausnahmefall kann in Fällen der vorliegenden Art z.B. erwogen werden, wenn es um die Klärung tatsächlicher Fragen geht, die einzig durch den Widersprechenden erfolgen kann oder aus dem angegriffenen Bescheid ersichtlich ist, dass die Entscheidung auf einem Missverständnis beruht, das vom Widersprechenden leicht aufzuklären ist. Hier liegt der Fall indes so, dass der Beklagte zwar nicht aus den von der Klägerin zu 1) vorgebrachten Gründen dem Widerspruch abhalf, dies aber für die Beurteilung des Erfolgs des Widerspruchs im Ergebnis irrelevant ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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