L 12 AS 692/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 43 AS 4375/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 692/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 430/13 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.02.2012 geändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt 1/9 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- bzw. Rücknahme- und Erstattungsbescheides für den Zeitraum 01.12.2008 bis 31.08.2009 in Höhe von insgesamt 4.138,48 Euro.

Am 22.08.2008 beantragte die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann erstmals Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für sich und den gemeinsamen Sohn M. Sie gaben in der Anlage EK unter Ziffer 3 an, dass der Ehemann der Klägerin keine Ansprüche gegen den letzten Arbeitgeber für noch ausstehende Lohn- und Gehaltszahlungen erhebe. Der Antrag und die Anlagen waren von der Klägerin und dem Ehemann unterschrieben.

Der Beklagte bewilligte der Bedarfsgemeinschaft im Anschluss mit Bescheid vom 11.09.2008 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26.11.2008 Leistungen nach dem SGB II. Im Dezember 2008 bewilligte der Beklagte einen Betrag in Höhe von 1.374,00 Euro (Anteil der Klägerin 521,00 Euro) und im Januar 2009 einen Betrag von 28,48 Euro (Anteil der Klägerin 10,80 Euro). Tatsächlich zahlte der Beklagte im Januar 2009 einen Betrag von 768,14 Euro (Anteil der Klägerin 469,17 Euro) aus.

Der Ehemann der Klägerin erhielt Ende Dezember 2008/Anfang Januar 2009 eine Einmalzahlung seines ehemaligen Arbeitgebers aus Abfindung und Auszahlung restlicher Urlaubstage in Höhe von 7.862,12 Euro. Hintergrund war ein arbeitsgerichtliches Verfahren, wonach sich der Arbeitgeber zur Zahlung eines Betrages von 10.000,69 Euro verpflichtete, wobei gepfändete Beträge von 1.934,31 Euro und 204,26 Euro nicht zu Auszahlung gelangten.

Am 29.12.2008 stellten die Klägerin und der Ehemann einen Fortzahlungsantrag. Auch hier gaben sie an, dass der Ehemann keine Ansprüche gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber erhebe. Auch dieser Antrag wurde von beiden unterschrieben.

Der Beklagte bewilligte daraufhin im Zeitraum 01.02.2009 bis 31.07.2009 mit Bescheid vom 19.01.2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 07.06.2009 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 768,14 Euro (Anteil der Klägerin in den Monaten Februar bis Juni 2009 469,17 Euro und im Juli 2009 476,26 Euro). In den Monaten März bis Mai 2009 zahlte der Beklagte jedoch nur einen Betrag von monatlich 740,14 Euro (Anteil der Klägerin 469,17) aus.

Am 23.06.2009 stellte die Klägerin einen erneuten Fortzahlungsantrag. Sie gab an, dass sich keine Änderungen in den Verhältnissen ergeben hätten.

Der Beklagte erhielt am 24.06.2009 Kenntnis von der Abfindungszahlung an den Ehemann der Klägerin durch eine Arbeitgeberauskunft. Der ehemalige Arbeitgeber des Ehemannes der Klägerin teilte mit, dass die Auszahlung von November 2008 (7.862,12 Euro) auf das Konto des Rechtsanwalts von Herrn C erfolgt sei. Mit Schreiben vom 07.07.2009 forderte der Beklagte die Klägerin auf, Nachweise über den Geldeingang zu erbringen. Die Klägerin gab an, dass der Ehemann zum 15.08.2009 aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen werde und sie die Unterlagen daher nicht sofort einreichen könne.

Der Beklagte bewilligte im Zeitraum 01.08.2009 bis 31.01.2010 Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 07.07.2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 17.08.2009 und 28.08.2009 in Höhe von 346,56 Euro für den Monat August.

Unter dem 12.05.2010 hörte der Beklagte die Klägerin dahingehend an, dass beabsichtigt sei, von ihr für den Zeitraum 01.12.2008 bis 31.08.2009 zu Unrecht bezogene Leistungen in Höhe von insgesamt 4.607,01 Euro zurückzufordern. Die Klägerin erwiderte am 20.05.2010, dass es nicht richtig sei, dass ihr Mann Weihnachtsgeld erzielt habe. Vielmehr hätten ihm Gelder aus Überstunden und Urlaubsgeld zugestanden. Sie habe kein Geld erhalten.

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 08.06.2010 hob der Beklagte gegenüber der Klägerin unter Nennung der Bewilligungsbescheide Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.12.2008 bis 31.08.2009 ganz auf und forderte einen Betrag von 4.342,84 Euro zurück. Als Rechtsgrundlage war § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 3 und 4 SGB X angegeben. Zur Begründung war angegeben, dass Herr I C während des genannten Zeitraums Einkommen aus einer Abfindung und einer Sonderzahlung erzielt habe. Hilfebedürftigkeit hätte demnach nicht bestanden.

Die Klägerin hat am 16.06.2010 Widerspruch eingelegt, der nicht begründet wurde.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2010 als unbegründet zurück. Die Rückforderung wurde auf einen Betrag von 4.138,48 Euro reduziert. Die Ermächtigungsgrundlage für die Zeit ab 01.02.2009 sei § 45 SGB X. Die Klägerin habe zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht. Zu den Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Die Klägerin hat am 10.11.2010 Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Der Ehemann habe das Geld beim Arbeitgeber angespart und seine Familie überraschen wollen. Ihr sei dieses Verhalten nicht zuzurechnen. Tatsächlich habe sie keine Kenntnis von dem Betrag gehabt noch sei er ihr in sonstiger Weise zugute gekommen. Der Ehemann habe den Betrag für Schuldentilgung verwandt. Das Verhalten ihres Ehemannes sei ihr nicht zuzurechnen.

Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Klage unbegründet sei. Hinsichtlich der Monate Dezember 2008 und Januar 2009 sei § 48 SGB X anzuwenden, der eine verschuldensunabhängige Haftung vorsehe. Für den übrigen streitigen Zeitraum sei der Klägerin das Verhalten ihres Ehemannes über § 278 BGB zuzurechnen.

Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Einvernahme des Ehemannes der Klägerin als Zeugen. Zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15.02.2012 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 15.02.2012 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2010 insoweit aufgehoben, als damit auch für die Monate Februar bis August 2009 eine Aufhebung erfolgt sei und eine Erstattung geltend gemacht werde. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Aufhebung und Rückforderung für den Zeitraum Dezember 2008 bis Januar 2009 sei rechtmäßig, da nach Erlass des Bewilligungsbescheides eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X eingetreten sei, die den Beklagten dazu berechtigt habe, Leistungen verschuldensunabhängig zurückzufordern. Insoweit nehme die Kammer gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Für den Folgezeitraum sei die Rückforderung rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 45 SGB X lägen nicht vor, da der Klägerin keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne. Es könne offen bleiben, ob diesbezüglich auf die Klägerin oder ihren Ehemann als Vertreter im Sinne des § 38 SGB II abzustellen sei. Es müsse aufgrund der Angaben davon ausgegangen werden, dass eine grobe Fahrlässigkeit, die einen Vertrauenstatbestand ausschließen würde, nicht nachweisbar sei. Der Ehemann habe insoweit angegeben, dass er im Hinblick auf die Leistungen des Arbeitgebers von einem Sparbetrag ausgegangen sei, der unterhalb der Freibeträge des SGB II gelegen hätte. Vor dem Hintergrund, dass es sich um langjährige Urlaubsabgeltung und Überstundenausgleich gehandelt habe, sei dies trotz anderweitiger Formulierung im Arbeitgeberschreiben aus Laiensicht nicht als völlig abwegig zu betrachten. Grobe Fahrlässigkeit, die dann vorliege, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe, könne somit nicht nachgewiesen werden. Der Ehemann habe insoweit auch nachvollziehbar angegeben, dass er davon ausgegangen sei, dass der Beklagte den Sachverhalt ohnehin erfahre und er deshalb keine Veranlassung gehabt habe, diesbezüglich nachzufragen oder zu vertuschen. In Bezug auf die Klägerin würden entsprechende Überlegungen gelten. Obwohl auch sie zu den Begünstigten des Auszahlungsbetrages gehörte, sei ihr eine sichere Kenntnis der gesamten Umstände nicht nachzuweisen.

Das Urteil ist dem Bevollmächtigten der Klägerin am 16.03.2012 und dem Beklagten am 19.03.2012 zugestellt worden.

Die Klägerin hat am 12.04.2012 Berufung eingelegt. Auch auf den Zeitraum Dezember 2008 bis Januar 2009 sei § 45 SGB X anzuwenden. Insoweit könne sie sich auf Vertrauensschutz berufen, da ihr die Abfindungszahlung an ihren Ehemann nicht bekannt gewesen sei. Es seien keine Gesichtspunkte ersichtlich, die den Geldzufluss hätte nahe legen müssen. Auch der Ehemann sei davon ausgegangen, dass der in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren erkämpfte Geldbetrag als Vermögenswert nicht hätte angerechnet werden dürfen. Insoweit könne es dahinstehen, ob dieser Betrag bei Antragstellung hätte angegeben werden müssen. Die Sorgfalt sei weder von der Klägerin noch von ihrem Ehemann in besonders schwerem Maße verletzt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.02.2012 abzuändern und den Bescheid vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2010 dahingehend aufzuheben, als damit eine Aufhebung für Januar 2009 erfolgt ist und eine Erstattung geltend gemacht wird.

Darüber hinaus wird beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte hat am 17.04.2012 ebenfalls Berufung eingelegt. Diese richtet sich dagegen, dass das Sozialgericht die Voraussetzungen des § 45 SGB X für den Zeitraum Februar bis August 2009 als nicht gegeben angesehen hat, da der Klägerin keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen war. Die Klägerin hätte gegenüber dem Beklagten angeben müssen, dass ihr Ehemann eine Abfindung erhalten habe. Der Einwand der Klägerin, sie habe von dem Zufluss des Geldes nichts gewusst, könne nicht zutreffen. Am 12.01.2009 sei das Nutzungsrecht für ein Familiengrab der Klägerin zu einer Gebühr von 1.116,00 Euro um 17 Jahre verlängert worden, am 30.12.2008 habe ein Herr O (Sohn der Kläger) gegenüber der Klägerin Reparaturkosten in Höhe von 636,53 Euro sowie den Erhalt von geliehenem Geld in Höhe von 500,00 Euro bestätigt. Zudem sei Mitte Januar 2009 ein Jugendzimmer für den Sohn in Höhe von ca. 1.000,00 Euro angeschafft und ein Garten zu einem Preis von 1.200,00 Euro erworben worden. Im Zeitraum 20.12.2008 bis 09.03.2009 sei nach einer Auflistung des Ehemannes ein Betrag von 8.682,55 Euro verbraucht worden. Es könne daher nicht von einer Unkenntnis der Klägerin ausgegangen werden. Es liege für jeden vernünftig Denkenden auf der Hand, dass der Zufluss eines so erheblichen Geldbetrages sich auf staatliche Unterstützungsleistungen auswirken dürfte, unabhängig davon, ob der Geldbetrag als Einkommen oder Vermögen einzustufen wäre. Bei Antragstellung seien Vermögenswerte unabhängig davon anzugeben, ob sie über Freibeträge geschützt seien. Bei Erstantragstellung hätten die Klägerin und ihr Ehemann zudem angegeben, dass keine Ansprüche gegenüber dem letzten Arbeitgeber geltend gemacht würden, was sich angesichts des arbeitsgerichtlichen Verfahrens des Ehemannes als unzutreffend erwiesen habe.

Der Beklagte hat auf die Berufung der Klägerin erwidert, dass § 45 SGB X für die Monate Dezember 2008 bis Januar 2009 nicht einschlägig sei. Die Abfindung sei nach Erlass des Bescheides vom 11.09.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26.11.2008 zugeflossen. Auch hinsichtlich des Zeitraum 01.02.2009 bis 31.08.2009 könne sich die Klägerin nicht auf Vertrauensschutz berufen. Der Beklagte habe hinreichend begründet, weshalb die Klägerin von der Abfindung des Ehemannes gewusst haben müsse, so dass die pauschale Behauptung, sie habe keine Kenntnis von dem Geldzufluss gehabt, nicht ausreiche.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.02.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit die Zeit von Februar bis August bis 2009 betroffen ist.

Auf Nachfrage des Senats erklärte die Klägerin, dass ihr genaue Angaben zum Zuflusszeitpunkt des Abfindungsbetrages an ihren Ehemann nicht möglich seien. Ihr Ehemann habe zum Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht ein Schreiben mitgebracht, aus dem hervorgehe, dass eine Auszahlung erfolgen werde. Dieses Schreiben datierte der Erinnerung nach vom 18.12.2008. Der Betrag sei zunächst auf ein Konto des niederländischen Rechtsanwalts und anschließend auf das Konto des Ehemannes überwiesen worden.

Der Beklagte hat im Rahmen des Termins vor dem Landessozialgericht ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, als der angefochtene Bescheid hinsichtlich des Monats Dezember 2008 aufgehoben wurde. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Diese sind Gegen-stand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen der Klägerin und des Beklagten sind zulässig, insbesondere sind sie form- und fristgemäß erhoben (§ 151 Abs. SGG).

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Berufung des Beklagten ist begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 08.06.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2010 ist nach Abgabe und Annahme des Teilanerkenntnisses rechtmäßig. Der Beklagte hat die Bewilligungen für die Monate Januar bis August 2009 zu Recht aufgehoben und fordert von der Klägerin einen Betrag von 3.818,61 Euro zurück.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 11.09.2008 und 26.11.2008 für den Monat Januar 2009 ist § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1, Abs. 2 SGB II, § 330 Abs. 3 SGB III, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3. Für die Rücknahme der Bescheide vom 19.01.2009, 07.06.2009. 07.07.2009, 17.08.2009 und 28.08.2009 für die Monate Februar bis August 2009 ist richtige Ermächtigungsgrundlage § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1, Abs. 2 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III, § 45 Abs. 1 und 2 Nr. 2. Die Erstattung erfolgt auf Grundlage von 50 SGB X.

1. Aufhebung für den Monat Januar 2008

Nach Abgabe des Teilanerkenntnisses wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung allein gegen die Aufhebung und Erstattung für den Monat Januar 2009. Entgegen ihrer Auffassung ist auch auf diesen Monat die Norm des § 48 SGB X und nicht § 45 SGB X anzuwenden. Entscheidend für die Abgrenzung dieser Normen ist, ob die Einnahme nach (dann § 48 SGB X) oder vor (dann § 45 SGB X) Erlass des Bewilligungsbescheides zugeflossen ist (vgl. zuletzt zur Abgrenzung dieser beiden Normen BSG, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R). Maßgeblicher Bewertungszeitpunkt für eine Aufhebung des Monats Januar 2009 ist insoweit die Bewilligung vom 11.09.2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 26.11.2008, also der 26.11.2008. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist nicht davon auszugehen, dass dem Ehemann der Klägerin die Abfindung aus dem gerichtlichen Verfahren bereits im November 2008 zugeflossen ist. Zwar legt die vom Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholte Arbeitgeberauskunft dies nahe. Aus den Schreiben des ehemaligen Arbeitgebers des Ehemannes vom 15.12.2008 und 18.12.2008 an dessen niederländischen Rechtsanwalt im arbeitsgerichtlichen Verfahren ergibt sich jedoch, dass der Betrag aus dem gerichtlichen Vergleich erst am 18.12.2008 auf das Konto des Rechtsanwalts überwiesen worden ist. Damit dürfte der Ehemann selbst den Betrag bei realistischer Betrachtung erst Ende Dezember 2008/Anfang Januar 2009 erhalten haben. Dies war nach dem Änderungsbescheid vom 26.11.2008, so dass eine wesentliche Änderung nach Erlass des Bescheides eingetreten ist und die Bewilligung daher zunächst rechtmäßig war.

Die übrigen Voraussetzungen für die Anwendung des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 SGB X liegen vor. Hiernach ist ein ursprünglich rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) oder nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3).

Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 11.09.2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26.11.2008 war zum Zeitpunkt ihres Erlasses insoweit rechtmäßig, als zu diesem Zeitpunkt die Einnahme des Ehemannes der Klägerin aus dem gerichtlichen Vergleich nicht zugeflossen war. Durch den Zufluss der Einnahme Ende Dezember 2008/Anfang Januar 2009 haben sich jedoch die der Bewilligung zugrunde gelegten Verhältnisse wesentlich geändert. Denn diese Einnahme war bei der Bemessung der Höhe von SGB II-Leistungen gemäß § 11 SGB II anteilig zu berücksichtigen. Der Beklagte hat insoweit zu Recht den gesamten Abfindungsbetrag von 7.862,12 Euro gemäß § 2 Abs. 4 S. 3 Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (ALG II-V) in der Fassung vom 18.12.2008 (BGBl. I S. 2780) auf neun Monate verteilt und monatlich die Versicherungspauschale von 30,00 Euro abgezogen, so dass ein Einkommen von monatlich 843,57 Euro zu berücksichtigen war. Hinsichtlich der Einzelheiten der Berechnung nimmt der Senat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug.

Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen hatte die Bedarfsgemeinschaft in dem Monat Januar 2009 bei einem Gesamtbedarf von 1.374,00 Euro und dem zusätzlichen Einkommen des Ehemannes aus Krankengeld tatsächlich keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen. Da der Beklagte in diesem Monat an die Klägerin tatsächlich 469,17 Euro auszahlte, entstand eine entsprechende Überzahlung in diesem Monat. Diese Überzahlung führt nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X dazu, dass der Beklagte verpflichtet war, die Bewilligungen für den Monat Januar 2009 wegen Einkommens aufzuheben. Dieser Tatbestand greift unabhängig davon, ob der Klägerin hinsichtlich der Angabe der Abfindung Verschulden vorzuwerfen ist.

Der Senat sieht jedoch auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X als gegeben an. Hiernach ist ein ursprünglich rechtmäßiger Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2). Dass die Klägerin und ihr Ehemann verpflichtet waren, die Änderungen in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen mitzuteilen, ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass beide diese Verpflichtung bei Antragstellung unterschrieben haben. Zwar kann im vorliegenden Fall der Klägerin unmittelbar kein Vorwurf der groben Fahrlässigkeit hinsichtlich der Angabe der Abfindungszahlung nachgewiesen werden. Insoweit hat sie angegeben, dass sie erst im Juli/August 2009 von dem arbeitsgerichtlichen Vergleich ihres Ehemannes Kenntnis erlangt habe.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist aber dem Ehemann der Klägerin Vorsatz dahingehend vorzuwerfen, dass er die Abfindungszahlung nicht gegenüber dem Beklagten angegeben hat. Er kann sich insbesondere nicht mit der Aussage entlasten, dass er davon ausging, dass es sich bei der Abfindung um Vermögen gehandelt habe und dass der Beklagte ohnehin Kenntnis davon erlangen würde. Mit einer solchen Argumentation könnte sich jeder Leistungsberechtigte von dem Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit exkulpieren, wenn er nur eine andere Rechtsansicht als der Beklagte vertritt. Den Leistungsberechtigten obliegt es aber, jegliche Veränderungen in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen offen zu legen, ohne diese rechtlich zu bewerten. Diese Bewertung ist allein Aufgabe des Leistungsträgers. Ist der Leistungsberechtigte mit der Bewertung nicht einverstanden, kann er gegen die Entscheidung des Leistungsträgers Rechtsmittel einlegen. Vor diesem Hintergrund geht der Senat unter Berücksichtigung der Zeugenaussage im erstinstanzlichen Verfahren davon aus, dass der Ehemann der Klägerin die Abfindungszahlung bewusst nicht gegenüber dem Beklagten angegeben hat.

Dieses Verhalten ist der Klägerin zuzurechnen. Die Zurechnung erfolgt über § 278 BGB. Hiernach hat der Schuldner ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Der Anwendungsbereich der Norm erstreckt sich auf vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse. Ausreichend ist, wenn zwischen Gläubiger und Schuldner eine rechtliche Sonderverbindung besteht, aus der sich Verbindlichkeiten ergeben. Die Beziehung des Leistungsberechtigten zum SGB-II-Leistungsträger ist als gesetzliches Schuldverhältnis anzusehen, da durch die Antragstellung eine rechtliche Sonderverbindung auf Basis der gesetzlichen Grundlage SGB II zwischen Leistungsberechtigtem und Leistungsträger begründet wird. Im Rahmen dieses Schuldverhältnisses ist der Ehemann der Klägerin gegenüber dem Beklagten auch als gesetzlicher Vertreter seiner Ehefrau gemäß § 1357 BGB tätig geworden. Hiernach ist jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Bei der Beantragung und dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II handelt es sich um ein solches Geschäft, da diese Leistungen gerade den notwendigen Lebensunterhalt sicherstellen sollen. Vor diesem Hintergrund war die Aufhebung von SGB II- Leistungen für den Monat Januar 2009 gerechtfertigt.

2. Rücknahme für die Monate Februar bis August 2009

Soweit die Beklagte die Bescheide vom 19.01.2009, 07.06.2009. 07.07.2009, 17.08.2009 und 28.08.2009 für die Monate Februar bis August 2009 zurückgenommen hat, ist richtige Ermächtigungsgrundlage § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1, Abs. 2 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III, § 45 Abs. 1 und 2 Nr. 2.

Hiernach ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstige die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Satz 2).

Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf die von dem Ehemann der Klägerin nicht angegebene Abfindungszahlung erfüllt.

Die Bewilligungs- und Änderungsbescheide vom 19.01.2009, 07.06.2009. 07.07.2009, 17.08.2009 und 28.08.2009 waren bereits zum Zeitpunkt ihres jeweiligen Erlasses insoweit rechtswidrig, als sie die dem Ehemann der Klägerin gezahlte Abfindung nicht berücksichtigten. Der Beklagte hat bei der Bewilligung der Leistungen ein der Klägerin und dem Ehemann günstigeren Sachverhalt zugrunde gelegt, der sich jedoch als unzutreffend erweist. Denn der Beklagte hätte die im Dezember 2008/Januar 2009 zufließende einmalige Abfindung bei der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II anteilig in den Monaten als Einkommen berücksichtigen müssen. Denn diese Einnahme war bei der Bemessung der Höhe von SGB II-Leistungen gemäß § 11 SGB II anteilig zu berücksichtigen. Der Beklagte hat insoweit zu Recht den gesamten Abfindungsbetrag von 7.862,12 Euro gemäß § 2 Abs. 4 S. 3 ALG II-V auf neun Monate verteilt und monatlich die Versicherungspauschale von 30,00 Euro abgezogen, so dass ein Einkommen von monatlich 843,57 Euro zu berücksichtigen war. Hinsichtlich der Einzelheiten der Berechnung nimmt der Senat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid Bezug. Damit bestand in den Monaten Februar bis August 2009 kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Der Beklagte durfte die Bescheide auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen. Die Klägerin kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die rechtswidrigen Bewilligungsbescheide beruhen auf Angaben, die die Klägerin bzw. ihr Ehemann vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig und unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Der aktiven Angabe von Umständen steht das Verschweigen von Umständen gleich, wenn eine Mitteilungspflicht nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I deshalb bestand, weil die Umstände für die fragliche Leistung rechtlich erheblich waren und dies dem Betroffenen auch bekannt war oder sein musste (Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 6. Auflage, 2007, § 45 Rn. 49).

Es bestand für die Klägerin und ihren Ehemann eine Verpflichtung, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzulegen und sämtliche Einkommenszuflüsse mitzuteilen. Eine entsprechende Mitteilungspflicht ergibt sich schon aus der allgemeinen Mitwirkungsverpflichtung nach § 60 SGB I. Danach hat derjenige, der Sozialleistungen erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind. Es ist für jedermann ohne weiteres ersichtlich, dass der Bezug von Leistungen nach dem SGB II Hilfebedürftigkeit voraussetzt und deswegen vor dem Bezug dem Leistungsträger eine umfassende Überprüfung dahingehend zu ermöglichen ist, ob eine entsprechende Hilfebedürftigkeit vorliegt. Unabhängig von dieser offensichtlichen und für jedermann erkennbaren Verpflichtung, hat die Beklagte auch in allen Antragsformularen, die vom Kläger ausgefüllt wurden, ausdrücklich und unmissverständlich nach den Einkommensverhältnissen und speziell nach Ansprüchen gegen ehemalige Arbeitgeber gefragt. Der Ehemann der Klägerin hat es trotz dieser Verpflichtung unterlassen, in den Anträgen auf Leistungen nach dem SGB II Angaben über seinen Prozess gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber zu machen. Das Unterlassen der vollständigen Mitteilung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ist dem Ehemann der Klägerin auch vorwerfbar. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zu § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X verwiesen. Dieses Verschulden des Ehemannes muss sich die Klägerin nach § 278 BGB zurechnen lassen. Auch insoweit nimmt der Senat Bezug auf die obigen Ausführungen.

Die Beklagte war bei der Rücknahme nicht verpflichtet, Ermessen auszuüben. Denn nach § 40 Abs. 1 und 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Satz 3 SGB III ist sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 SGB X verpflichtet, einen rechtswidrig erlassenen Verwaltungsakt für die Vergangenheit zurückzunehmen.

3. Erstattungsanspruch

Der Anspruch des Beklagten auf Erstattung der überzahlten Leistungen nach dem SGB II ergibt sich aus § 50 SGB X. Der Beklagte hat seine Forderung der Höhe nach für die einzelnen Monate richtig berechnet. Nach dem Teilanerkenntnis war von der von dem Beklagten im Widerspruchsbescheid zurückgeforderten Gesamtsumme von 4.138,48 Euro ein Betrag von 319,87 Euro für den Monat Dezember 2008 abzuziehen, so dass insgesamt ein Betrag von 3.818,61 Euro zu Unrecht geleistet worden und von der Klägerin zu erstatten ist. Eine Anwendbarkeit des § 40 Abs. 2 SGB II scheidet aus, da die Aufhebung und Rücknahme auf § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X und § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X beruht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei war zu berücksichtigen, dass der Beklagte ein Teilanerkenntnis für den Monat Dezember 2008 abgegeben hat.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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