Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AS 200/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1050/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 441/13 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rücknahme der NZB
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07.05.2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von Mai 2007 bis Dezember 2010.
Die 1973 geborene Klägerin wohnt mit ihren Eltern in C, I 00 und bezieht seit Ende 2005 vom Beklagten Grundsicherung. Im Zeitraum von Mai 2005 bis Dezember 2010 gewährte der Beklagte Grundsicherung, auf die er ein fiktives, auf § 9 Abs. 5 SGB II fußendes Einkommen des Vaters von 195,00 EUR und 250,00 EUR anrechnete.
Für die Zeit vom 01.05.2012 bis 31.10.2012 gewährte der Beklagte der Klägerin Grundsicherung in Höhe von 389,45 EUR (Gesamtbedarf von 644,00 EUR, 270,00 EUR KdU, RB 374,00 EUR) unter Anrechnung von Einkommen in Höhe von 254,55 EUR. Der Vater der Klägerin gab bei jeder Antragstellung an, die Klägerin mit 50,00 EUR monatlich zu unterstützen. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 14.04.2012 Widerspruch ein. Der Zahlbetrag sei mit dem des vorherigen Bewilligungszeitraumes identisch, obwohl ihr Vater zwischenzeitlich Rente beziehe. Insoweit werde unter Berücksichtigung der vorgelegten Nachweise um eine detaillierte, nachvollziehbare Berechnung der Grundsicherung gebeten. Auch habe sie in Erfahrung gebracht, dass Personen ab Vollendung des 25. Lebensjahres eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden würden, so dass das Einkommen der Eltern nicht angerechnet werden könne. Dies hätte zur Folge, dass die Bescheide der letzten Jahre unrichtig seien. Mit Änderungsbescheid vom 20.07.2012 gewährte der Beklagte Grundsicherung für die Zeit von Mai bis Oktober 2012 in Höhe von 624,00 EUR monatlich unter Anrechnung eines Betrages von 20,00 EUR (50,00 EUR - 30,00 EUR)
Die Klägerin beantragte die Nichtanrechnung von Einkommen rückwirkend ab Inkrafttreten des SGB II.
Der Beklagte gab dem Überprüfungsantrag der Klägerin für die Zeit ab Januar 2011 statt. Mit Bescheid vom 29.11.2012 rechnete der Beklagte ein Einkommen von 20,00 EUR (50,00 EUR - 30,00 EUR) an. Die Klägerin erhielt für die Zeit von Januar 2011 bis April 2012 eine Nachzahlung von 3752,80 EUR (16 x 234,55 EUR) sowie Zinsen von 260,40 EUR.
Den Widerspruch der Klägerin, mit dem sie eine Nachzahlung auch für die Zeit vor dem 01.01.2011 beanspruchte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2012 unter Hinweis auf § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 14.01.2013 Klage beim Sozialgericht (SG) Köln erhoben und eine Nachzahlung für dem Zeitraum Mai 2007 bis Dezember 2010 begehrt. Es gebe Einzelfälle, in denen die Anwendung des § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht zulässig sei. Grundsätzlich müsse, "dieser Vorschrift übergeordnet" gelten, dass eine Behörde bei unrichtiger Anwendung von Normen den Schaden ausgleichen müsse.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.05.2013 abgewiesen. Die Klägerin werde durch die angefochten Bescheide nicht beschwert. Denn für die Zeit vor dem 01.01.2011 ordne § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II an, dass § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X mit der Maßgabe gelte, dass anstelle des Zeitraumes von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr trete. Diese Regelung sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Ansicht des LSG Hessen sei insoweit beizupflichten (LSG Hessen, Beschluss vom 15.01.2013 - L 6 AS 364/12 B).
Gegen den der Klägerin am 14.05.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 10.06.2013 Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihr Begehren weiter und fordert die Erstattung von 9932,97 EUR. Die Änderung der Vorschrift des § 44 SGB X in § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II sei willkürlich zu Lasten des Leistungsempfängers. Mit dem vollen, ihr zustehenden Betrag wäre sie in gesundheitlich besserer Verfassung. Ihre Menschenwürde sei stark beeinträchtigt. Zudem ergebe sich der Anspruch auf Nachzahlung auch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, der Klägerin mitzuteilen, dass die Anrechnung des Einkommens ihres Vaters lediglich auf der Annahme beruht, dass er ihr in dieser Höhe fiktiv Unterhalt gewähre.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07.05.2013 zu ändern, den Bescheid vom 29.11.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der für die Leistungszeiträume von Mai 2007 bis Dezember 2010 ergangenen Bescheide zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 31.12.2010 Grundsicherung in Höhe von weiteren 9932,97 EUR zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Entscheidung des SG im Gerichtsbescheid.
Der Senat hat die Akte S 22 AS 3387/12 beigezogen. Der Beklagte hat auf Anforderung des Senates die Bescheide für den Zeitraum von Mai 2007 bis Dezember 2010 nebst Berechnungsbögen vorgelegt und ergänzend mitgeteilt, dass die Nachforschung zu den älteren Verwaltungsakten zu dem hier streitigen Zeitraum ergebnislos gewesen sei. Weitere Verwaltungsakten seien im Archiv nicht auffindbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten vorbereitenden Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage auf Gewährung von Grundsicherung ohne Anrechnung von Einkommen für den Zeitraum Mai 2007 bis Dezember 2010 zu Recht abgewiesen. Die Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von weiteren 9932,97 EUR. Denn die Voraussetzungen des § 44 SGB X liegen nicht vor.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Beklagte hat für den Zeitraum ab Januar 2011 entschieden, dass zu Unrecht Grundsicherung unter Anrechnung von Einkommen - Unterhalt des Vaters - in Höhe von 254,55 EUR anstatt von 20,00 EUR gewährt wurde. Eine Nachzahlung für die Zeit vor dem 01.01.2011 kann die Klägerin nicht beanspruchen.
Denn dem Anspruch der Klägerin steht § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X entgegen.
Nach § 40 Abs. 1 SGB II in der ab dem 01.04.2011 geltenden Fassung (geändert durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) gilt für Verfahren nach diesem Buch das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt (d.h. ggf. rückwirkende Leistungsgewährung von einem Jahr und 364/365 Tagen). Die Norm des § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II stellt somit eine Ausnahmevorschrift zu § 44 SGB X dar und begrenzt dessen zeitlichen Anwendungsbereich (Eicher/Greiser in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2013, § 40 Rn. 25, 29 ff.). Die Neufassung von § 40 SGB II gilt nach § 77 Abs. 13 SGB II für alle Anträge, die ab dem Inkrafttreten der Neuregelung gestellt werden. Unter Berücksichtigung dieser Gesetzeslage hat der Beklagte zu Recht den Überprüfungsantrag der Klägerin für die Zeit von Mai 2007 bis Dezember 2010 abgelehnt.
Es handelt sich um eine Nachleistungsbegrenzungsregelung zu § 44 Abs. 4 SGB X (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 40 Rn. 146 ff.). Verfassungsrechtliche Bedenken greifen insoweit nicht durch (BSG, Urteil vom 26.06.2013 - B 7 AY 6/12 R Terminbericht Nr. 30/13; Hengelhaupt, a.a.O., Rn. 158; Aubel in jurisPK, § 40 Rn. 24). Aus Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und dem hieraus abzuleitenden Bedarfsdeckungsgrundsatz folgt, dass dem Leistungsberechtigten das Existenzminimum zur Verfügung zu stellen ist, das er zur Bestreitung des gegenwärtigen Bedarfs benötigt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 Rn. 135, 140 juris). Die Grundsicherung nach dem SGB II verfolgt den Zweck, den aktuellen Lebensunterhalt zu sichern. Ziel ist die Deckung gegenwärtiger Bedarfe.
Darüber hinaus handelt es sich auch nicht um eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Dessen Schutzbereich ist nicht betroffen. Denn es handelt sich bei den Leistungen nach dem SGB II und denen nach dem SGB XII nicht um beitragsfinanzierte, sondern um steuerfinanzierte Leistungen (vgl. hierzu LSG Hessen, Beschluss vom 15.01.2013 Rn. 6 juris). Insoweit hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, in welchem Umfang Fürsorgeleistungen unter Berücksichtigung vorhandener Mittel und anderer gleichwertiger Staatsaufgaben gewährt werden kann (BSG, Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R Rn. 34 juris). Auch Art. 3 Abs. 1 GG erfordert nicht die vollständige Restitution des status quo ante unbeschadet des Eintritts formeller Bestandskraft. Daneben sollen die Leistungsträger und die Sozialgerichte entlastet werden (BT Drucks 17/3404, S 114).
Die Klägerin kann die Zahlung von weiteren 9932,97 EUR auch nicht auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Dieser setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch [SGB II]), verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (BSG, Urteil vom 12.05.2012 - B 4 AS 166/11 R).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Vortrag der Klägerin, sie habe beim Beklagten vorgesprochen und um Erläuterung der Anrechnung des Einkommens des Vaters gebeten und keinen Widerspruch eingelegt, nachdem ihr gesagt worden sei, "dass diese Anrechnung des Einkommens des Vaters richtig sei", gibt keinen Anlass, eine Beratungspflicht, den Hinweis des Beklagten, man gehe von einer fiktiven Gewährung von Unterhalt in dieser Höhe aus, anzunehmen.
Vielmehr muss ein Anlass zur Beratung außerhalb der nach Erteilung des jeweiligen Bewilligungsbescheides vorhandenen Rechtsbehelfsmöglichkeit bestanden haben. Dafür liegen keine Anhaltspunkte vor. Aus den dem Senat zur Verfügung stehenden Verwaltungsakten ist kein Sachverhalt zu erkennen, aus dem sich eine besondere Beratungspflicht ergeben könnte. Weitere Verwaltungsakten sind nicht mehr verfügbar. Der Beklagte hat auf Aufforderung des Senats, weitere Verwaltungsakten für den streitigen Zeitraum vorzulegen, mitgeteilt, dass die Nachforschung ergebnislos gewesen ist und weitere Akten nicht vorhanden sind. Die Klägerin hätte den jeweiligen Bescheiden, denen Berechnungsbögen beigefügt waren, die Anrechnung entnehmen können und Widerspruch einlegen und ggf. ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Anrechnung des Unterhaltes anstrengen müssen. Ein Anspruch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch besteht daneben in dieser Konstellation nicht. Zudem ist fraglich, ob ein Anspruch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht durch die Regelung des § 44 SGB X (str. vgl. hierzu BSG, Urteil vom 27.03.2007 - B 13 R 58/06 R) und damit für das SGB II durch § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II begrenzt wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von Mai 2007 bis Dezember 2010.
Die 1973 geborene Klägerin wohnt mit ihren Eltern in C, I 00 und bezieht seit Ende 2005 vom Beklagten Grundsicherung. Im Zeitraum von Mai 2005 bis Dezember 2010 gewährte der Beklagte Grundsicherung, auf die er ein fiktives, auf § 9 Abs. 5 SGB II fußendes Einkommen des Vaters von 195,00 EUR und 250,00 EUR anrechnete.
Für die Zeit vom 01.05.2012 bis 31.10.2012 gewährte der Beklagte der Klägerin Grundsicherung in Höhe von 389,45 EUR (Gesamtbedarf von 644,00 EUR, 270,00 EUR KdU, RB 374,00 EUR) unter Anrechnung von Einkommen in Höhe von 254,55 EUR. Der Vater der Klägerin gab bei jeder Antragstellung an, die Klägerin mit 50,00 EUR monatlich zu unterstützen. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 14.04.2012 Widerspruch ein. Der Zahlbetrag sei mit dem des vorherigen Bewilligungszeitraumes identisch, obwohl ihr Vater zwischenzeitlich Rente beziehe. Insoweit werde unter Berücksichtigung der vorgelegten Nachweise um eine detaillierte, nachvollziehbare Berechnung der Grundsicherung gebeten. Auch habe sie in Erfahrung gebracht, dass Personen ab Vollendung des 25. Lebensjahres eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden würden, so dass das Einkommen der Eltern nicht angerechnet werden könne. Dies hätte zur Folge, dass die Bescheide der letzten Jahre unrichtig seien. Mit Änderungsbescheid vom 20.07.2012 gewährte der Beklagte Grundsicherung für die Zeit von Mai bis Oktober 2012 in Höhe von 624,00 EUR monatlich unter Anrechnung eines Betrages von 20,00 EUR (50,00 EUR - 30,00 EUR)
Die Klägerin beantragte die Nichtanrechnung von Einkommen rückwirkend ab Inkrafttreten des SGB II.
Der Beklagte gab dem Überprüfungsantrag der Klägerin für die Zeit ab Januar 2011 statt. Mit Bescheid vom 29.11.2012 rechnete der Beklagte ein Einkommen von 20,00 EUR (50,00 EUR - 30,00 EUR) an. Die Klägerin erhielt für die Zeit von Januar 2011 bis April 2012 eine Nachzahlung von 3752,80 EUR (16 x 234,55 EUR) sowie Zinsen von 260,40 EUR.
Den Widerspruch der Klägerin, mit dem sie eine Nachzahlung auch für die Zeit vor dem 01.01.2011 beanspruchte, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2012 unter Hinweis auf § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 14.01.2013 Klage beim Sozialgericht (SG) Köln erhoben und eine Nachzahlung für dem Zeitraum Mai 2007 bis Dezember 2010 begehrt. Es gebe Einzelfälle, in denen die Anwendung des § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht zulässig sei. Grundsätzlich müsse, "dieser Vorschrift übergeordnet" gelten, dass eine Behörde bei unrichtiger Anwendung von Normen den Schaden ausgleichen müsse.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.05.2013 abgewiesen. Die Klägerin werde durch die angefochten Bescheide nicht beschwert. Denn für die Zeit vor dem 01.01.2011 ordne § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II an, dass § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X mit der Maßgabe gelte, dass anstelle des Zeitraumes von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr trete. Diese Regelung sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Ansicht des LSG Hessen sei insoweit beizupflichten (LSG Hessen, Beschluss vom 15.01.2013 - L 6 AS 364/12 B).
Gegen den der Klägerin am 14.05.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 10.06.2013 Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihr Begehren weiter und fordert die Erstattung von 9932,97 EUR. Die Änderung der Vorschrift des § 44 SGB X in § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II sei willkürlich zu Lasten des Leistungsempfängers. Mit dem vollen, ihr zustehenden Betrag wäre sie in gesundheitlich besserer Verfassung. Ihre Menschenwürde sei stark beeinträchtigt. Zudem ergebe sich der Anspruch auf Nachzahlung auch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, der Klägerin mitzuteilen, dass die Anrechnung des Einkommens ihres Vaters lediglich auf der Annahme beruht, dass er ihr in dieser Höhe fiktiv Unterhalt gewähre.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07.05.2013 zu ändern, den Bescheid vom 29.11.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der für die Leistungszeiträume von Mai 2007 bis Dezember 2010 ergangenen Bescheide zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 31.12.2010 Grundsicherung in Höhe von weiteren 9932,97 EUR zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Entscheidung des SG im Gerichtsbescheid.
Der Senat hat die Akte S 22 AS 3387/12 beigezogen. Der Beklagte hat auf Anforderung des Senates die Bescheide für den Zeitraum von Mai 2007 bis Dezember 2010 nebst Berechnungsbögen vorgelegt und ergänzend mitgeteilt, dass die Nachforschung zu den älteren Verwaltungsakten zu dem hier streitigen Zeitraum ergebnislos gewesen sei. Weitere Verwaltungsakten seien im Archiv nicht auffindbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten vorbereitenden Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage auf Gewährung von Grundsicherung ohne Anrechnung von Einkommen für den Zeitraum Mai 2007 bis Dezember 2010 zu Recht abgewiesen. Die Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von weiteren 9932,97 EUR. Denn die Voraussetzungen des § 44 SGB X liegen nicht vor.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Beklagte hat für den Zeitraum ab Januar 2011 entschieden, dass zu Unrecht Grundsicherung unter Anrechnung von Einkommen - Unterhalt des Vaters - in Höhe von 254,55 EUR anstatt von 20,00 EUR gewährt wurde. Eine Nachzahlung für die Zeit vor dem 01.01.2011 kann die Klägerin nicht beanspruchen.
Denn dem Anspruch der Klägerin steht § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X entgegen.
Nach § 40 Abs. 1 SGB II in der ab dem 01.04.2011 geltenden Fassung (geändert durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch) gilt für Verfahren nach diesem Buch das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt (d.h. ggf. rückwirkende Leistungsgewährung von einem Jahr und 364/365 Tagen). Die Norm des § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II stellt somit eine Ausnahmevorschrift zu § 44 SGB X dar und begrenzt dessen zeitlichen Anwendungsbereich (Eicher/Greiser in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2013, § 40 Rn. 25, 29 ff.). Die Neufassung von § 40 SGB II gilt nach § 77 Abs. 13 SGB II für alle Anträge, die ab dem Inkrafttreten der Neuregelung gestellt werden. Unter Berücksichtigung dieser Gesetzeslage hat der Beklagte zu Recht den Überprüfungsantrag der Klägerin für die Zeit von Mai 2007 bis Dezember 2010 abgelehnt.
Es handelt sich um eine Nachleistungsbegrenzungsregelung zu § 44 Abs. 4 SGB X (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 40 Rn. 146 ff.). Verfassungsrechtliche Bedenken greifen insoweit nicht durch (BSG, Urteil vom 26.06.2013 - B 7 AY 6/12 R Terminbericht Nr. 30/13; Hengelhaupt, a.a.O., Rn. 158; Aubel in jurisPK, § 40 Rn. 24). Aus Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und dem hieraus abzuleitenden Bedarfsdeckungsgrundsatz folgt, dass dem Leistungsberechtigten das Existenzminimum zur Verfügung zu stellen ist, das er zur Bestreitung des gegenwärtigen Bedarfs benötigt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 Rn. 135, 140 juris). Die Grundsicherung nach dem SGB II verfolgt den Zweck, den aktuellen Lebensunterhalt zu sichern. Ziel ist die Deckung gegenwärtiger Bedarfe.
Darüber hinaus handelt es sich auch nicht um eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Dessen Schutzbereich ist nicht betroffen. Denn es handelt sich bei den Leistungen nach dem SGB II und denen nach dem SGB XII nicht um beitragsfinanzierte, sondern um steuerfinanzierte Leistungen (vgl. hierzu LSG Hessen, Beschluss vom 15.01.2013 Rn. 6 juris). Insoweit hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, in welchem Umfang Fürsorgeleistungen unter Berücksichtigung vorhandener Mittel und anderer gleichwertiger Staatsaufgaben gewährt werden kann (BSG, Urteil vom 13.11.2008 - B 14 AS 2/08 R Rn. 34 juris). Auch Art. 3 Abs. 1 GG erfordert nicht die vollständige Restitution des status quo ante unbeschadet des Eintritts formeller Bestandskraft. Daneben sollen die Leistungsträger und die Sozialgerichte entlastet werden (BT Drucks 17/3404, S 114).
Die Klägerin kann die Zahlung von weiteren 9932,97 EUR auch nicht auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Dieser setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch [SGB II]), verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (BSG, Urteil vom 12.05.2012 - B 4 AS 166/11 R).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Vortrag der Klägerin, sie habe beim Beklagten vorgesprochen und um Erläuterung der Anrechnung des Einkommens des Vaters gebeten und keinen Widerspruch eingelegt, nachdem ihr gesagt worden sei, "dass diese Anrechnung des Einkommens des Vaters richtig sei", gibt keinen Anlass, eine Beratungspflicht, den Hinweis des Beklagten, man gehe von einer fiktiven Gewährung von Unterhalt in dieser Höhe aus, anzunehmen.
Vielmehr muss ein Anlass zur Beratung außerhalb der nach Erteilung des jeweiligen Bewilligungsbescheides vorhandenen Rechtsbehelfsmöglichkeit bestanden haben. Dafür liegen keine Anhaltspunkte vor. Aus den dem Senat zur Verfügung stehenden Verwaltungsakten ist kein Sachverhalt zu erkennen, aus dem sich eine besondere Beratungspflicht ergeben könnte. Weitere Verwaltungsakten sind nicht mehr verfügbar. Der Beklagte hat auf Aufforderung des Senats, weitere Verwaltungsakten für den streitigen Zeitraum vorzulegen, mitgeteilt, dass die Nachforschung ergebnislos gewesen ist und weitere Akten nicht vorhanden sind. Die Klägerin hätte den jeweiligen Bescheiden, denen Berechnungsbögen beigefügt waren, die Anrechnung entnehmen können und Widerspruch einlegen und ggf. ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Anrechnung des Unterhaltes anstrengen müssen. Ein Anspruch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch besteht daneben in dieser Konstellation nicht. Zudem ist fraglich, ob ein Anspruch aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht durch die Regelung des § 44 SGB X (str. vgl. hierzu BSG, Urteil vom 27.03.2007 - B 13 R 58/06 R) und damit für das SGB II durch § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II begrenzt wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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