L 9 R 351/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 1650/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 351/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1952 geborene Klägerin erlernte nach eigenen Angaben 1975 den Beruf der Familienpflegerin und war von 1979 bis 1984 als Büroangestellte sowie 1985 als Raumpflegerin beschäftigt. Im Versicherungsverlauf der Klägerin (Bescheid vom 21.07.2006) sind Pflichtbeitragszeiten bis 31.10.1982 vorgemerkt. Von Oktober 1983 bis Dezember 1984 sowie von November 1987 bis einschließlich Januar 1989 sind Pflichtbeiträge für Kindererziehung vorgemerkt.

Die Klägerin beantragte am 08.05.2006 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie gab an, seit ca. 1975 unter einer Gangunsicherheit, einer motorischen Behinderung, Müdigkeit, Bewegungseinschränkung und Schmerzen beim Treppensteigen zu leiden. Sie sei seit 2000 bei Dr. H.-K. in F. in Behandlung. Sie verwies auf den Schwerbehindertenausweis des Landratsamtes B.-H. vom 10.01.2005, wonach der Grad der Behinderung 100 beträgt und die Merkzeichen G, H und B festgestellt sind. Sie legte ein ärztliches Attest der Fachärztin für Innere Medizin Dr. B. vom 18.01.2005 vor, worin der Klägerin eine chronisch progrediente Multiple Sklerose bescheinigt wird. Die Diagnose sei durch ein NMR im April 2000 gestellt worden. Seither befinde sich die Klägerin in fachärztlicher Behandlung. Es bestehe eine Gangunsicherheit mit pathologischer muskulärer Ermüdbarkeit und eingeschränkter Gehstrecke (auf 200 m). Außerdem leide sie unter einer vermehrten Müdigkeit mit deutlich verminderter Belastbarkeit und allgemeiner Erschöpfung, es bestehe eine Harn- und Stuhlinkontinenz. Vorgelegt wurden darüber hinaus der Bericht der Proktologischen Praxis Freiburg (Dr. R. vom 29.10.2003 (Diagnosen: Stuhlinkontinenz Grad I-II bei reduziertem Willkürtonus, ohne erkennbaren Sphinkterdefekt, Urininkontinenz, chronisches Analekzem, Hämorrhoiden I. bis II. Grades) sowie eine fachärztliche gutachterliche Stellungnahme von Dr. Heilmeyer-K. vom 12.04.2006. In dieser wird eine fachärztliche Behandlung wegen einer chronischen sekundär progredient verlaufenden Multiplen Sklerose bestätigt. Klinisch im Vordergrund stünden einerseits eine motorische Behinderung mit spastischer Paraparese und deutlich eingeschränkter motorischer Ausdauer und andererseits eine globale psychophysische Leistungseinschränkung im Sinne eines Fatigue-Syndroms mit begleitenden kognitiven Störungen. Der Beginn der Erkrankung lasse sich wegen des chronischen Verlaufes nicht exakt datieren. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die ersten Symptome der Multiplen Sklerose Anfang der 90er Jahre aufgetreten seien. Ein ebenfalls vorgelegtes Schreiben der DBV-Winterthur bestätigt eine erhebliche Pflegebedürftigkeit (Stufe I) ab dem 01.09.2004 im Rahmen einer privaten Pflegeversicherung.

In dem von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten (vom 17.07.2006) kam die Ärztin für Nervenheilkunde B. unter der Diagnose einer Multiplen Sklerose zum Ergebnis, dass für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Belastbarkeit mehr bestehe und das Leistungsvermögen auf Dauer auf unter drei Stunden vermindert sei, die zumutbare Gehstrecke betrage weniger als 500 Meter. Diese Leistungseinschränkung bestehe seit mindestens Januar 2005, Sie wies darauf hin, dass hinsichtlich der Multiplen Sklerose eine ausführliche Diagnostik einschließlich Lumbalpunktion offensichtlich nicht erfolgt sei. Es bestehe eine ausgeprägte Gehbehinderung durch Parese beider Beine und Ataxie, das Gehen sei nur mit Unterarmgehstützen möglich. An den Händen fänden sich mäßige Einschränkungen der Feinmotorik. Außerdem werde über eine Harn- und Stuhlinkontinenz berichtet. Im Vordergrund der Schilderungen stehe jedoch nicht die Gehbehinderung, sondern die übermäßige Ermüdbarkeit, wie sie von MS-Patienten häufig berichtet werde. Außerdem klage sie über Gedächtnisstörungen. Diese seien im Gespräch nicht aufgefallen. Eine gewisse Unkonzentriertheit und Sprunghaftigkeit der Denkabläufe, verbunden mit einer verminderten Fähigkeit, Wesentliches und Unwesentliches zu unterscheiden, sei jedoch festzustellen gewesen.

Mit Bescheid vom 21.07.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Sie ging von einer vollen Erwerbsminderung seit dem 01.01.2005 aus. Im maßgeblichen Zeitraum vom 01.01.2000 bis 31.12.2004 seien jedoch keine Kalendermonate mit entsprechenden Beiträgen belegt, weshalb die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung (drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalles) nicht erfüllt seien. Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte die Klägerin gutachterliche Stellungnahmen von Dres. H.-K./K. vom 12.04.2006 und 25.10.2006 vor. Sie teilten mit, dass eine motorische Behinderung mit spastischer Paraparese und deutlich eingeschränkter motorischer Ausdauer klinisch im Vordergrund gestanden habe. Andererseits bestehe eine globale psychophysische Leistungseinschränkung im Sinne eines Fatigue-Syndroms mit begleitenden kognitiven Störungen. Der Beginn der Erkrankung lasse sich wegen des chronischen Verlaufes nicht exakt datieren. Nach den vorliegenden Befundunterlagen bestünden die Störungen schon Jahre vor Entwicklung der aktuell motorischen Behinderungen. Sie gingen davon aus, dass die genannten psychiatrisch-neuropsychologischen Befunde ab Mitte der 90er Jahre vorhanden gewesen seien und die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit bereits zu diesem Zeitpunkt nachhaltig eingeschränkt und erheblich vermindert hätten. Hierauf forderte die Beklagte bei Dr. H.-K. und Dr. B. Befundberichte ab 1998 an. Die behandelnden Ärzte haben hierauf Berichte vorgelegt, die Befunde im Zeitraum vom 10.04.2000 bis 25.10.2006 wiedergeben (diesbezüglich wird Bezug genommen auf Blatt 161 bis 177 der Akten der Beklagten). Die Ärztin B. hielt in der von der Beklagten veranlassten ergänzenden Stellungnahme daran fest, dass sich eine bereits vor März 1999 bestehende Leistungseinschränkung nicht begründen lasse. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie wies erneut darauf hin, dass zwar die allgemeine Wartezeit im Jahr 2000 erfüllt gewesen sei, allerdings in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet seien. Ausgehend von einem fiktiven Leistungsfall am 01.07.2000 seien im maßgeblichen Zeitraum vom 01.05.1983 bis zum 20.06.2000 lediglich 24 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen vorhanden. Darüber hinaus sei auch der Zeitraum vom 01.01.1984 bis zum 30.06.2000 nicht durchgehend mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wären nur dann erfüllt, wenn der Leistungsfall der Erwerbsminderung spätestens am 31.03.1999 eingetreten wäre.

Hiergegen hat die Klägerin am 20.03.2007 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sie hat daran festgehalten, Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu haben. Schon im Oktober 1988 seien messtypische Krankheitszeichen "Kribbeln in den Zehen, Taubheitsgefühl an den Gliedmaßen" diagnostiziert worden. 1986 sei es im Zustand einer MS-Fatigue bei einer einfachen häuslichen Verrichtung, nämlich beim Abhängen eines Vorhanges, zu einem nicht mehr steuerbaren Auftreten beim Abstieg von einem Stuhl und dabei zum Bruch des linken Mittelfußknochens gekommen. Sie hat die Krankenakte ihres Hausarztes Dr. W., ein ärztliches Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B. vom 19.10.2000 (Diagnose: Pseudoneurasthenisches Syndrom bei V. a. Entmarkungserkrankung; die Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit sei nach dem derzeitigen Befund erheblich eingeschränkt, die Klägerin werde auch einer halbschichtigen Tätigkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht gewachsen sein) und Atteste der Neurologischen Universitäts- und Poliklinik Freiburg vom 30.05.2000 und 31.10.2000 (PD Dr. S., vom 25.01.2001 (Prof. Dr. Dr. L.) und vom 12.11.2003 (PD Dr. R., Diagnose: Syndrom mit Muskel- und Gelenksschmerzen sowie Müdigkeit (Chronic-Fatigue-Syndrom) vorgelegt. Kopien dieser Unterlagen wurden zur Senatsakte genommen (vgl. Blatt 18-78 dieser Akte).

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen eines fachneurologischen Gutachtens des Neurologen PD Dr. H., F. Der Sachverständige hat im Gutachten vom 27.02.2008 ein selbstständiges und in angemessener Zeit mögliches An- und Auskleiden, einen ungerichtet unsicheren Rombergversuch (wobei die Klägerin beim Ausziehen der Hose jedoch sicher auf einem Bein gestanden habe), ein regelrechtes Gangbild, einen unauffälligen beidseitigen Zehen- und Fersenstand und -gang, einen ungerichtet unsicheren Seiltänzergang (der jedoch durchführbar gewesen sei) ohne gerichtete Fallneigung beschrieben. Der Finger-, Nase- und Knie-Hacke-Versuch sei beidseits zielsicher gewesen, es habe eine leichte Dysdiadochokinese beidseits bestanden. Im Gespräch sei die Klägerin geordnet, freundlich zugewandt mit adäquaten, flüssigen und strukturierten Antworten auf die gestellten Fragen, wach und im Gespräch lebhaft gewesen. Während der gesamten gutachterlichen Untersuchung habe es keine Anzeichen von Müdigkeit oder Erschöpfbarkeit gegeben. Es hätten darüber hinaus eine ausgeglichene Stimmungslage, eine normale Schwingungsfähigkeit, keine inhaltlichen oder formalen Denkstörungen, keine überwertigen Ideen, keine höherwertigen Ängste festgestellt werden können. Es bestehe der Verdacht auf eine Somatisierung mit Hinweisen auf Aggravation. Als Diagnosen gab er multiple unspezifische Beschwerden (DD: Somatoforme Störung) sowie kernspintomographisch einzelne Marklagerherde in den Großhirnhemisphären an. Für die in der Akte gestellte Diagnose der Multiplen Sklerose fehle der Nachweis durch eine Lumbalpunktion bei fehlenden Krankheitsschüben in der Anamnese und fehlenden objektivierbaren fokal-neurologischen Ausfällen. Bei zudem normalen elektrophysiologischen Untersuchungen seien die aktuell gültigen Diagnosekriterien für die Multiple Sklerose nicht erfüllt, so dass diese Diagnose nicht als gesichert gelten könne. Die erhobenen Befunde passten am ehesten zu einer somatoformen Störung. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Akte von Dr. W. (Eintragungen vom 16.09.1985 bis 11.01.2001). Dort seien vornehmlich Beschwerden dokumentiert, die mit der aktuellen gutachterlichen Feststellung nicht im direkten Zusammenhang stünden (beispielsweise Venenprobleme, Blut im Urin, Mandelentzündungen, Erkältungen, die Verordnung von Einlagen nach Senk-, Spreiz-, Knickfuß beidseits, Beratungen wegen niedrigem Blutdruck). Am 29.03.2000 sei diskutiert worden, ob sich die Patientin bei ihrem Psychotherapeuten vorstellen soll. Eine vermehrte Erschöpfbarkeit oder eine Fatigue-Symptomatik lasse sich dieser Krankenakte nicht entnehmen. Auch Hinweise auf Schübe einer MS-Erkrankung im Sinne von fokal-neurologischen Ausfällen fänden sich dort nicht. Aufgrund der chronischen und ausgeprägten Beschwerde bestehe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100%. Die maximale Arbeitszeit pro Arbeitstag liege bei weniger als drei Stunden. Mit einer Besserung im Verlauf sei angesichts der Chronifizierung nicht zu rechnen. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen könne eine relevante Minderung der Erwerbsfähigkeit frühestens ab dem 19.10.2000 angenommen werden.

Die Klägerin hat Stellungnahmen von Dr. K. vom 02.05.2008 (zum Gutachten PD Dr. H.), vom 22.06.2008 (mit Verweis auf nervenärztliche Behandlungen in den 1990iger Jahren), vom 10.04.2009 und 25.05.2009 (zum Eintritt des Versicherungsfalles vor dem Jahr 2000) vorgelegt. Außerdem hat sie den Bericht der Medizinischen Universitätsklinik (Abteilung Innere Medizin IV) der Albert-Ludwigs-Universität F. vom 09.06.1997 (Prof. Dr. Schollmeyer) vorgelegt, wo sie sich wegen einer Müdigkeit vorgestellt hat.

PD Dr. H. hielt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.06.2009 daran fest, dass für die Zeit vor dem 19.10.2000 nicht angenommen werden könne, dass die Erwerbsfähigkeit gemindert gewesen sei.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen einer sachverständigen Zeugenaussage beim Praxisnachfolger der behandelnden Neurologin und Psychiaterin Dr. B., dem Facharzt für Neurologie Dr. C ... Dieser hat unter dem 13.08.2008 mitgeteilt, dass bei seiner Praxisvorgängerin Behandlungen am 11.05.2000, 17.10.2000 und 24.04.2001 durchgeführt worden seien. Bei der Erstvorstellung seien eine einmalige Attacke mit Flimmern vor den Augen über 15 Minuten und Kribbelmissempfindungen im linken Fuß geklagt worden, bei der zweiten Vorstellung eine vermehrte Müdigkeit und Erschöpfung, häufige Wortfindungsstörungen, Satzbauschwierigkeiten, zeitweise verlangsamtes Sprechen sowie eine Gangunsicherheit mit dem Gefühl seitwärts zu kippen. Die neurologische Untersuchung habe einen unauffälligen Befund ergeben, insbesondere kein relevantes motorisches oder sensibles Defizit. Er hat den Bericht von Prof. Dr. Dr. L. über fluktuierende neurologische Defizite wechselnder Lokalisation und Dauer (DD: entzündliche ZNS-Erkrankung) und mögliche arterielle Hypertonie nach einer ambulanten Vorstellung am 16.01.2001 vorgelegt.

Unaufgefordert ist beim SG die Stellungnahme von Prof. Dr. B. vom 13.10.2008 eingegangen. Er hat berichtet, dass sich die Klägerin am 15.09.2008 ambulant in der Psychiatrischen Klinik bei ihm vorgestellt habe und um die Bewertung des Krankheitsverlaufes seit 1997 gebeten habe. Der Ehemann der Klägerin sei von Februar 1997 bis September/Oktober 1997 wegen einer schweren Depression und suizidalen Episoden in stationärer Behandlung gewesen. Die Familie, die Klägerin sowie die beiden Töchter, seien von diesen Geschehnissen stark beeinträchtigt worden. Sowohl der Ehemann als auch die Klägerin hätten berichtet, dass diese in dieser sehr belastenden Situation unter Müdigkeit und unter Erschöpfung gelitten habe. Obwohl die stationäre Behandlung des Ehemannes erfolgreich verlaufen sei und er in den Schuldienst habe zurückkehren können, sei es trotz intensiver Versuche nicht gelungen, eine Familienzusammenführung herbei zu führen.

Die Klägerin hat darüber hinaus eine fachärztliche Bescheinigung von Prof. Dr. W., Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums F., vom 03.02.2009 vorgelegt. Prof. Dr. W. hat ausgeführt, dass ihm die Klägerin seit Oktober 1998 im Zusammenhang mit der tagesklinischen Behandlung des Ehemannes, die von Oktober 1998 bis März 1999 angedauert habe, bekannt sei. Die Klägerin sei zu dieser Zeit bereits maximal psychisch belastet gewesen, was sich zumindest als Reaktion auf schwere Belastung im Sinne einer längeren depressiven Reaktion und anhaltenden somatoformen Schmerzstörung habe verstehen lassen. Seinem Rat folgend, habe sich die Klägerin in dieser Zeit bereits ambulante psychotherapeutische Hilfe gesucht, leider sei es zu keiner dauerhaften psychotherapeutischen Behandlung gekommen. Sie habe sich jetzt am 02.02.2009 erneut vorgestellt, es bestünden nach wie vor eine Anpassungsstörung im Sinne einer längeren depressiven Reaktion sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung.

Ferner hat die Klägerin eine Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. W. vom 10.03.2009 vorgelegt, der der Aussage von PD Dr. H. widersprach, seiner Akte lasse sich eine vermehrte Erschöpfbarkeit oder ein Fatigue-Symptomatik nicht entnehmen.

Die Beklagte hat eine sozialmedizinische Stellungnahme von Medizinaldirektor Lemmerhofer vorgelegt, der die Auffassung vertreten hat, dass der Leistungseinschätzung von PD Dr. H. im Hinblick auf die somatoforme Schmerzstörung nicht gefolgt werden könne. Nach den Befunderhebungen sei keine quantitative Leistungsminderung zu begründen, wenn Tätigkeiten ohne erhöhten Zeitdruck, ohne ständigen Publikumsverkehr und ohne übertriebene Ansprüche an Konzentration und Verantwortung berücksichtigt würden. Es komme daher auch nicht auf einen Leistungsfall vor dem Jahr 2000 an.

Mit Urteil vom 29.10.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Unter Berücksichtigung der vorliegenden Befundberichte hat es die Überzeugung vertreten, dass ein Leistungsfall vor Oktober 2000 nicht nachgewiesen sei. Nachdem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur bei Eintritt eines Leistungsfalles bis spätestens 31.03.1999 erfüllt gewesen wären, bestehe kein Anspruch auf die Gewährung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Gegen das ihr am 16.12.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.12.2009 Berufung eingelegt.

Zur Begründung macht der als Bevollmächtigter bereits im SG-Verfahren aufgetretene Ehemann der Klägerin geltend, dass nicht in seinem Beisein verhandelt worden sei und lediglich die Gegenseite zu Wort gekommen sei. Zum Verhandlungszeitpunkt sei seine Gesundheit, wie dies durch Atteste gesichert sei, noch nicht soweit gänzlich wiederhergestellt gewesen, dass eine Verhandlung hätte erfolgen können. Dies sei erst in den Folgemonaten der Fall gewesen. Wesentliche Gesichtspunkte hätten nicht vorgetragen werden können, weshalb sie von Seiten des Gerichts unberücksichtigt geblieben seien. Insoweit sei nicht ersichtlich, weshalb kein ergänzendes psychiatrisches Gutachten eingeholt worden sei, obwohl dies auch von der Beklagten angeregt und von Dr. K. empfohlen bzw. angeregt worden sei. Es werde beantragt, Herrn Dr. K., Herrn Dr. W. und Herrn Prof. Dr. W. als Zeugen zu hören, insoweit werde verwiesen auf das bereits vorliegende Attest von Prof. Dr. S. und des Herrn Prof. Dr. B ... Schließlich sei die Klägerin Anfang 1998 in psychiatrischer Behandlung bei Frau Dr. M., Münsterstraße, F. gewesen. Es werde beantragt, Frau Dr. M. die heute im Bereich K. vermutlich A., lebe, ausfindig zu machen und als Zeugin einzuvernehmen. Ebenfalls werde beantragt, Frau Prof. K. als Zeugin zu hören, die 1999 ein Paargespräch im Zusammenhang mit der diabetesbedingten und psychischen Erkrankung des Ehemanns geführt habe. Gleiches gelte für den Oberarzt Dr. Klein, Psychiatrische Universitätsklinik, der ebenfalls als Zeuge zu hören sei. Ferner hat die Klägerin Berichte der Klinik für Orthopädie im Universitätsklinikum F. vom 13.10.2003 und 24.11.2003 (Diagnose: Osteochondrose mit Protrusion der Bandscheiben L3/4 und L4/5, Spinalkanalstenose im Segment L5/S1, zusätzlich ausgeprägte Recessusstenose links durch retroosteophytäre Ausziehungen der kleinen Wirbelgelenke mit nachfolgender Kompression der Nervenwurzel S1 links) sowie des Orthopäden Dr. E. vom 09.08.2000 (Diagnose: HWS-Syndrom mit Tendomyopathie der Nackenmuskulatur) und vom 03.03.2004 (Diagnose: Degeneratives myoarthrogenes HWS-Syndrom, Skoliose, lumbosakrale Aufbaustörung mit Mehretagenblockierung der Wirbelsäule) vorgelegt. Darüber hinaus liegt der Bericht des Orthopäden Dr. B. vom 30.09.1986 (Diagnose: Lumbalsyndrom mit radiculärer Reizsymptomatik L5/S1 links, altes Kompressionssyndrom L5/S1 rechts) vor. Die Klägerin hat zudem eine handschriftliche Abschrift aus Karteikarten des Dr. W. ab dem 10.07.1986 bis 06.11.2000 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Oktober 2009 sowie den Bescheid vom 21. Juli 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass die vorgelegten und nachgereichten Berichte nicht geeignet seien, Nachweis dafür zu erbringen, dass eine rentenrelevante Leistungsminderung zu einem Zeitpunkt eingetreten sei, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt gewesen seien.

Die Klägerin hat zunächst beantragt, Prof. Dr. B. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Sachverständigen zu hören. Diesen Antrag hat sie zurückgenommen und stattdessen gebeten, Prof. Dr. W. mit der Erstellung des Gutachtens zu beauftragen. Diesen Antrag hat sie zurückgezogen, nachdem Prof. Dr. W. hat mitteilen lassen, dass er den Gutachtenbereich aufgrund vielfältiger Aufgaben und Verpflichtungen an Prof. Dr. B. delegiert habe. Innerhalb der gewährten Fristverlängerung und bis heute ist ein Sachverständiger nach § 109 SGG nicht mehr benannt worden. Die Beteiligten wurden mit Verfügungen des Berichterstatters vom 17.04.2013, 03.06.2013 und 01.10.2013 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, den Rechtsstreit durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 12.08.2010 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand März 2013, § 43 SGB VI Rn. 58 und 30 ff.).

Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind: 1. Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr. 1 oder 2 liegt, 4. Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung. Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

Anrechnungszeiten sind u.a. Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit (früher Arbeitsamt) als Arbeitssuchende gemeldet waren und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen haben oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI), wenn dadurch u.a. eine versicherte Tätigkeit unterbrochen ist (§ 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).

Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung sind gemäß § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit 1. Beitragszeiten 2. beitragsfreien Zeiten, 3. Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nr. 4, 5 oder 6 liegt, 4. Berücksichtigungszeiten, 5. Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder 6. Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992 (Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich (§ 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Nach Maßgabe der vorgenannten rechtlichen Grundlagen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, weil vor dem 01.04.1999 ein Versicherungsfall der Rente wegen Erwerbsminderung nicht festgestellt werden kann.

Dabei stellt der Senat ausgehend von dem dem Bescheid vom 21.07.2006 als Anlage 2 beigefügten, von der Klägerin nicht bestrittenen, Versicherungsverlauf (vgl. Blatt 124 f. der Akten der Beklagten) zunächst fest, dass zwar die allgemeine Wartezeit erfüllt ist, die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ab Februar 1998 aber nicht mehr erfüllt sind, weil seitdem rentenrechtlich zu berücksichtigende Zeiten, Anwartschaftserhaltungszeiten im Sinne des § 241 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 SGB VI, nicht mehr vorliegen. Damit fehlt es für einen Versicherungsfall nach dem Februar 1998 an dem Nachweis einer seit dem 01.01.1984 ununterbrochenen Belegung mit diesen Zeiten. Die Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit ist auch nicht vor dem 01.01.1984 eingetreten und die Erwerbsminderung ist auch nicht aufgrund eines Tatbestandes eingetreten, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig als erfüllt gilt (§ 43 Abs. 5 i.V.m. § 53 SGB VI).

Kommt es daher auf die sog. 3/5-Belegung an, geht der Senat im Folgenden zugunsten der Klägerin unter Bezugnahme auf die Berechnung der Beklagten auf Blatt 183 der Akten von dem Erfüllen der sogenannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Versicherungsfall bis spätestens 31.03.1999 aus. Dabei ist, unter Anerkennung eines um Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (gem. § 43 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 57 SGB VI [03.12.1983 bis 08.01.1998] nach den Geburten der Töchter der Klägerin am 03.12.1983 und am 09.01.1988) verlängerten Fünfjahreszeitraumes, der Zeitraum vom 01.01.1982 bis 30.03.1999 heranzuziehen, obwohl (auch) nach der Berechnung des Senats in diesem Zeitraum nur 34 und nicht die zu fordernden 36 Monate an Pflichtbeitragszeiten bzw. diesen gleichgestellten Zeiten (§ 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI) vermerkt sind. Eine entsprechende schriftliche Auskunft hatte die Beklagte der Kläger-in aber schon mit Schreiben vom 12.10.2006 (Bl. 147 der Akten) erteilt. Letztlich kann offenbleiben, ob der Versicherungsfall spätestens am 31.03.1999 oder schon zuvor eingetreten sein muss, weil der Eintritt eines solchen Versicherungsfalles und dessen Fortbestehen bis zur Antragstellung im Mai 2006 nicht nachgewiesen ist und weil ein späterer Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles aufgrund der vorliegenden rentenrechtlichen Zeiten, wie sie in Anlage 2 zum Bescheid vom 21.07.2006 festgehalten sind, ausgeschlossen ist.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine Rente für Zeiten vor der Antragstellung, wie sie vom damaligen Bevollmächtigten der Klägerin geltend gemacht worden ist, schon nicht in Betracht kommt, weil § 99 Abs. 1 SGB VI bestimmt, dass eine Rente aus eigener Versicherung erst von dem Monat an geleistet wird, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind und dies nur dann, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Es liegen jedoch mehr als drei Monate zwischen dem von der Klägerin behaupteten Eintritt des Versicherungsfalles vor dem 01.04.1999 und der Antragstellung am 08.05.2006, weshalb eine Rente wegen Erwerbsminderung hier frühestens mit dem Antragsmonat hätte gewährt werden können.

Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung liegen aber nicht vor. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass ein Versicherungsfall vor dem 01.04.1999 eingetreten ist und – darüber hinaus – von diesem Zeitpunkt an ununterbrochen fortbesteht.

Soweit die Klägerin – wie im Antrag vom 08.05.2006 geltend macht – auf eine Gangunsicherheit, eine motorische Behinderung und Müdigkeit verweist und damit auf Auswirkungen einer damals angenommenen Multiple Sklerose, ist schon nicht belegt, dass eine solche vorgelegen hat und vorliegt und dass deren Auswirkungen (oder die einer anderen Erkrankung, etwa einer somatoformen Schmerzstörung) bereits im März 1999 so ausgeprägt gewesen waren, dass eine Erwerbstätigkeit auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht noch wenigstens sechs Stunden am Tag möglich gewesen wäre.

Hierzu stellt der Senat zunächst fest, dass erhebliche Zweifel am Vorliegen einer Multiplen Sklerose bestehen, wie sie von Dr. B. und Dres. H.-K./K. in deren Befundberichten und gutachterlichen Stellungnahmen angegeben wurde. Insoweit folgt der Senat dem gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. H., der nachvollziehbar und überzeugend von multiplen unspezifischen Beschwerden mit der Differenzialdiagnose "somatoforme Störung" bei kernspintomographisch nachgewiesenen einzelnen Marklagerherden in den Großhirnhemisphären gesprochen hat, sich aber ohne die für den Nachweis grundsätzlich erforderliche Lumbalpunktion, in der Anamnese nicht feststellbare Krankheitsschübe und den nicht objektivierbaren fokal-neurologischen Ausfällen nicht vom Nachweis einer Multiplen Sklerose überzeugen konnte. Der von PD Dr. H. gestellten Diagnose hat auch Dr. K. in der von der Klägerin veranlassten Stellungnahme nicht widersprochen (Schreiben vom 02.05.2008 und 22.06.2008). An der Diagnose einer Multiplen Sklerose hat er jedenfalls nicht ausdrücklich festgehalten. Seinen vorgelegten Berichten lassen sich zudem auch die vom Sachverständigen angesprochenen Schübe und fokal-neurologischen Ausfälle nicht belegen, ebenso wenig im Übrigen, wie aus den Krankenunterlagen des Hausarztes Dr. W ...

Im Hinblick auf die von PD Dr. H. in dessen Gutachten vom 27.02.2008 (Untersuchung am 11.02.2008) beschriebenen Einschränkungen hat auch der Senat in Übereinstimmung mit den Einlassungen von MedDir. Lemmerhofer (Stellungnahme vom 11.05.2009), die der Senat als qualifizierten Beteiligtenvortrag verwertet, erhebliche Zweifel, ob aufgrund der gestellten Diagnose multipler unspezifischer Beschwerden/somatoformer Störung und der beschriebenen Auswirkungen tatsächlich von einer Leistungsminderung auf weniger als sechs Stunden zum Untersuchungszeitpunkt oder dem von PD Dr. H. genannten Zeitpunkt (Oktober 2000) ausgegangen werden kann. Denn insoweit muss festgehalten werden, dass der Klägerin das An- und Auskleiden selbstständig und in angemessener Zeit möglich gewesen ist, eine regelrechtes Gangbild festgehalten und der Zehen- und Fersenstand und -gang als beidseits unauffällig beschrieben wurde, gleichzeitig aber Diskrepanzen insbesondere beim beidseitigen Stehen im Romberg-Versuch (ungerichtet unsicher) und dem problemlos möglichen Stehen auf einem Bein beim Ausziehen der Hose aufgefallen sind, die der Sachverständige als Aggravation gewertet hat. Diese Zweifel werden noch untermauert, wenn berücksichtigt wird, dass die Klägerin bei der Untersuchung durch die Ärztin für Nervenheilkunde Bechert nur mit Unterstützung gehen und sich an- und auskleiden konnte. Zudem waren auch wesentliche Einschränkungen im neuropsychologischen Befund nicht festzustellen. Denn das Gespräch war geordnet, die Klägerin war freundlich zugewandt, mit adäquaten, flüssigen und strukturierten Antworten auf die gestellten Fragen. Bei der gutachterlichen Untersuchung waren darüber hinaus auch keine Anzeichen von Müdigkeit oder Erschöpfbarkeit und auch keine psychomotorische Verlangsamung festzustellen. Auch insoweit ergaben sich Diskrepanzen zu den von der Klägerin angegebenen Einschränkungen, etwa den Konzentrations- und Gedächtnisschwächen, weshalb die Klägerin schriftliche Aufzeichnungen mitführte, diese aber nach den Angaben des Gutachters auch für detaillierte Schilderungen in der Vergangenheit liegender Ereignisse nicht benötigte. In der Tat dürften sich unter Berücksichtigung dessen eher qualitative Einschränkungen (keine Tätigkeiten unter Zeitdruck, ständigem Publikumsverkehr, ohne erhöhte Ansprüche an Konzentration und Verantwortung) aufdrängen, die eine zeitliche Leistungsminderung und eine Begründung für ein eingeschränktes Durchhaltevermögen nicht rechtfertigen. Damit ist für den Senat schon eine Erwerbsminderung für den von PD Dr. H. angegebenen Zeitpunkt Oktober 2000 nicht schlüssig nachgewiesen.

Nichts anderes gilt für einen zeitlich davor liegenden Zeitpunkt. Ein objektiver Nachweis für eine zeitliche Leistungsminderung auf weniger als sechs Stunden vor dem 31.03.1999 und über diesen hinaus bis zur Antragstellung im Mai 2006 ist nicht zu belegen.

Eine solche ergibt sich schon nicht aus den Berichten von Dres. H.-K./K. und Dr. Budde. Sie vermögen schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie offensichtlich von einer unzutreffenden Diagnose ausgegangen sind. Darüber hinaus hat eine Behandlung in dem hier relevanten Zeitraum, insbesondere im März 1999 und zeitlich davor nicht stattgefunden, sodass es für die geäußerten Einschränkungen, wie Gangunsicherheit mit pathologischer muskulärer Ermüdbarkeit und eingeschränkter Gehstrecke, vermehrter Müdigkeit mit deutlich verringerter Belastbarkeit und allgemeiner Erschöpfung an einer nachvollziehbaren Diagnose fehlt. Die von Dr. K. vertretene Einschätzung, erste Symptome müssten mindestens seit Anfang der 1990iger Jahre aufgetreten sein, muss als reine Spekulation aufgefasst werden, da konkrete Befund(berichte) aus dieser Zeit – auch auf Nachfrage der Beklagten (Bl. 157 der Akten) bei Dr. H.-K. und Dr. Budde – nicht vorliegen und auch nicht vorgelegt wurden. Darüber hinaus rechtfertigt das Auftreten einer Multiplen Sklerose für sich genommen noch nicht die Annahme von Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Grad, vielmehr sind auch hier Qualität und Ausprägung des Krankheitsstadiums entscheidend. Von einem Müdigkeitssyndrom in einer Ausprägung, die an einer Erwerbsfähigkeit (auch in einem rentenberechtigenden Grad) zweifeln lässt, ist erstmals in dem Attest der Neurologin und Psychiaterin Dr. B. vom 19.10.2000 die Rede und damit weit nach dem Zeitpunkt, zu dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt waren. Dabei kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, entsprechende Symptome in vergleichbarer Ausprägung hätten unverändert schon zuvor vorgelegen. Denn nach den unbestrittenen Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. Collatz fand bereits vor der Untersuchung durch Dr. B. im Oktober 2000 eine Behandlung am 11.05.2000 statt. Bei dieser Erstvorstellung klagte die Klägerin über eine einmalige Attacke mit Flimmern vor den Augen über 15 Minuten und Kribbelmissempfindungen im linken Fuß. Erst im Oktober klagte sie über eine vermehrte Müdigkeit und Erschöpfung, häufige Wortfindungsstörungen, Satzbauschwierigkeiten und zeitweises verlangsamtes Sprechen sowie Gangunsicherheit mit dem Gefühl seitwärts zu kippen, weshalb Dr. C. in Würdigung der ihm vorliegenden Unterlagen von einer relevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes ausgegangen war. Hierfür spricht auch, dass eine weitergehende Behandlung dann in der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg bei Prof. Dr. Dr. L. erfolgte (Bericht über eine ambulante Untersuchung am 16.01.2001, Bl. 65 SG-Akte). Der Senat sieht keinen Anlass, an einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis Oktober 2000 zu zweifeln, zumal es für die Zeit vor der Behandlung keine weiteren aussagekräftigen Berichte gibt, die eine ähnliche Symptomatik belegen könnten. Dies gilt insbesondere für die in der Krankenakte von Dr. W. wiedergegebenen Aufzeichnungen. Die dort festgehaltenen Konsultationen wegen immer wieder auftretender Infekte, das Aufsuchen von Immunologen deswegen und die Konsultation der Klinik für Innere Medizin/Nephrologie (Prof. Dr. S.), wo die Klägerin erwähnt habe, "immer müde zu sein", mögen ein Indiz für eine bestehende Erkrankung sein, ein Nachweis für das Bestehen eines ausgeprägten Fatigue-Syndroms sind sie jedoch nicht, zumal auch Prof. Dr. S. eine entsprechende Diagnose gerade nicht gestellt hat und die Klägerin unter – grundsätzlich behandelbarem – niedrigem Blutdruck litt.

Anderes können auch die fachpsychiatrischen Stellungnahmen von Prof. Dr. B. vom 13.10.2008 (Bl. 78f. SG-Akte) und von Prof. Dr. W. vom 03.02.2009 nicht belegen. Beide berichten über Kontakte zur Klägerin im Rahmen der Behandlung des Ehemannes der Klägerin 1997 und 1998. Eine Untersuchung und Behandlung der Klägerin nach Feststellung eines krankhaften Befundes psychiatrischer Natur vermag der Senat diesen Stellungnahmen nicht zu entnehmen, auch wenn dort eine Müdigkeit und Erschöpfung nicht nur auf Seiten des Ehemannes, sondern auch für die Ehefrau angeben wurde (Prof. Dr. B.). Soweit Prof. Dr. W. darauf hinwies, dass sich die "Patientin" zu dieser Zeit (Oktober 1998 bis März 1999) als maximal psychisch belastet gezeigt habe, "was sich zumindest als Reaktion auf schwere Belastung im Sinne einer längeren depressiven Reaktion und anhaltende somatoforme Schmerzstörung verstehen ließ", zeigt die Wortwahl schon, dass eine eigenständige und gesicherte Diagnosestellung nicht vorlag. Vielmehr war der Klägerin empfohlen worden, sich dauerhafte ambulante psychotherapeutische Hilfe zu suchen, die dann wohl nicht zustande kam. Die Einlassungen vermögen daher eine andere Beurteilung ebenfalls nicht zu rechtfertigen, auch wenn Prof. Dr. W. er angibt, dass bei einer Vorstellung am 02.02.2009 die Diagnosen einer Anpassungsstörung im Sinne einer längeren depressiven Reaktion sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung zu stellen waren. Festzuhalten bleibt, dass eine ggfs. zum damaligen Zeitpunkt bestehende psychische Erkrankung offensichtlich nicht so ausgeprägt war, dass diese eine dauernde Behandlungsbedürftigkeit nach sich zog. Weder der Krankenakte des Hausarztes Dr. W., die bis 2001 vorliegt, noch dem Bericht der Neurologin und Psychiaterin Dr. B. vom 19.10.2000, den Angaben von Dr. C. zur Behandlung der Klägerin durch Dr. B. und den Berichten der neurologischen Klinik des Universitätsklinikums F. vom 30.05.2000, 31.10.2000 und 25.01.2001 können Einschränkungen auf psychiatrischem Fachgebiet entnommen werden, die das Fortbestehen einer schweren psychiatrischen Erkrankung – etwa in Form einer schweren Depression oder eines Fatigue-Syndroms – belegen könnten. So hat Prof. Dr. Dr. L. den psychischen Befund der Klägerin in seinem Bericht vom 25.01.2001 als voll orientierte, etwas angespannt wirkende Patientin, die hinsichtlich ihrer Beschwerden deutlich fixiert erscheine, beschrieben. Die emotionale Schwingungsfähigkeit war erhalten, Hinweise auf höhergradige kognitive Defizite ergaben sich ebenfalls nicht. Zuvor äußerte sich auch PD Dr. S. (Bericht vom 31.10.2000), der die Klägerin zwar als deutlich angespannt, aber emotional schwingungsfähig und nicht depressiv beschrieben hat. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden am Tag aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung, die seit 1998 oder 1999 bestehen könnte und über den 31.03.1999 hinaus auch bis zur Antragstellung im Mai 2006 angedauert haben könnte, lässt sich damit ebenfalls nicht zur Überzeugung des Senats feststellen.

Selbst wenn man diese unter Berücksichtigung der von der Nervenärztin B. beschriebenen im Wesentlichen gleichlautenden Beeinträchtigungen noch unter der Diagnose somatoforme Störung fassen wollte, die zum Zeitpunkt der Untersuchung bei PD Dr. H. nicht mehr so ausgeprägt sein könnte, ergibt sich für die Zeit für März 1999 bis zur Antragstellung im Mai 2006 kein anderes Bild. Denn es fehlt am Nachweis einer insoweit ununterbrochenen Erwerbsminderung mit einer Leistungsminderung auf unter sechs Stunden am Tag auch für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die im Berufungsverfahren vorgelegten Berichte über Behandlungen wegen Beschwerden an der Lendenwirbelsäule aus dem Jahr 2003 (Berichte der Klinik für Orthopädie Universitätsklinikum F. v. 13.10.2003, und 24.11.2003) sowie des Orthopäden Dr. E. vom 09.08.2000 und 03.03.2004 vermögen eine Erwerbsminderung deswegen ab März 1999 nicht zu belegen. Dass ein Lumbalsyndrom bereits 1986 behandelt wurde (Orthopäde Dr. B. 30.09.1986), ändert hieran nichts, da ein solches allenfalls die Annahme qualitativer Einschränkungen rechtfertigt, nicht aber leichte Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen ohne schweres Heben und Tragen und ohne Zwangshaltungen ausschließt.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren nicht erforderlich. Den Beweisanregungen der Klägerin, Dr. K., Dr. W. und Prof. Dr. W. als Zeugen zu hören, war schon deshalb nicht zu folgen, weil von diesen umfangreiche Angaben zum Krankheitsverlauf und auch deren Einschätzungen vorliegen, die vom Senat oben bereits gewürdigt sind. Behandlungen von Dr. M. Anfang 1998 und von Prof. K. 1999 sowie durch den Oberarzt Dr. K. sind nicht relevant, weil sie - wie oben bereits dargelegt - keine dauerhafte Gesundheitsstörung über den 31.03.1999 hinaus und bis zur Antragstellung im Mai 2006 belegen könnten. Ein Antrag nach § 109 SGG war nicht (mehr) gestellt, nachdem die Klägerin einen Arzt ihres Vertrauens innerhalb der ihr gewährten Frist nicht benannt hat.

Die Berufung war daher zurückzuweisen. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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