L 8 U 460/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 3392/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 460/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. Januar 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls am 19.05.2010 auch über den 30.06.2010 hinaus Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu stehen.

Der 1980 geborene und als Kraftfahrer beschäftigte Kläger stürzte am 19.05.2010, 23:30 Uhr, während der Arbeit aus einer Höhe von ca. 2 m zu Boden. Am 20.05.2010 suchte er die Allgemeinmedizinerin F. auf und am 21.05.2010 den Orthopäden D ... Dort gab er an, er sei bei dem Sturz auf die rechte Schulter gefallen, die Wirbelsäule habe sich am Kreuz verkrümmt. Er habe ein Knacken am Übergang zum Becken gehört, außerdem habe er ca. 40 Minuten lang Zuckungen am rechten Bein gehabt. Danach habe er seinen Lkw aber wieder zurückfahren können. Der Orthopäde D. diagnostizierte eine Schulterprellung rechts, Schultereckgelenkssprengung rechts, eine Lendenwirbelsäule(LWS)-Verstauchung und eine Beckenprellung rechts bei Arbeitsunfähigkeit ab 20.05.2010 (H-Arzt-Bericht vom 21.05.2010). Arbeitsunfähigkeit bestand bis 11.06.2010.

In der von der Hausärztin F. veranlassten Kernspintomographie der rechten Schulter am 14.06.2010 fanden sich Zeichen eines Impingements mit Konsolenbildung am Acromionunterrand und eine Partialruptur der Supraspinatussehne bei Bursitis subacromialis. Es bestand keine wesentliche Muskelatrophie der Rotatorenmanschette. Die übrigen Sehnen der Rotatorenmanschette waren unauffällig (Bericht der Gemeinschaftspraxis für Radiologie Dr. L. und Kollegen vom 14.06.2010). Die Kernspintomographie der LWS des Klägers am 26.07.2010 ergab Osteochondrose der Segmente L 2/3, 3/4 und 4/5. Ein geringes Knochenmarködem bei L 4/5, flache Bandscheibenprotrusionen bei L 2/3, bei L 3/4 sowie kräftig rechts medio-lateral bei L 4/5. Eine leichte Einengung des rechten Neuroforamens bei L 4/5 und eine beginnende Einengung des Spinalkanals bei L 3/4 und L 4/5 im Rahmen einer gleichzeitig bestehenden dorsalen Lipomatose (Bericht der Gemeinschaftspraxis für Radiologie Dr. L. und Kollegen vom 27.07.2010).

Am 02.09.2010 stellte sich der Kläger wegen persistierenden Rückenbeschwerden erneut beim Orthopäden D. vor, der nach neurologischem Konsil (Arztbrief von Nervenarzt Dr. H. vom 03.09.2010) eine Wurzelirritation bei S 1 mit Lumboischialgie rechts bei degenerativer LWS diagnostizierte und am 09.09. und 10.09.2010 eine Infusionstherapie durchführte (Verlaufsbericht des H-Arztes D. vom 10.09.2010). Vom 03.11.2010 bis 13.11.2010 bestand erneut Arbeitsunfähigkeit unter den Diagnosen Lumboischialgie, adulte Osteochondrose u.a. (Leistungsverzeichnis der AOK - Die Gesundheitskasse N. vom 01.09.2011) für die Dauer der stationären Behandlung in der R.-Klinik in B. W. (Entlassungsbericht der R.-Klinik vom 12.11.2006). Vom 06.05.2011 bis 08.05.2011 wurde der Kläger stationär im Klinikum P. mit Arthroskopie der rechten Schulter am 06.05.2011 unter der Diagnose Läsionen der Rotatorenmanschette, Impingement-Syndrom der Schulter behandelt. Außerdem war dem Kläger mehrfach Krankengymnastik ab September 2010 verordnet worden (Heilmittelverordnungen vom Orthopäden D. vom 13.09.2010, von Allgemeinmedizinerin F. vom 26.11.2010, vom Orthopäden Dr. D. vom 13.01.2011 und 30.05.2011, der Gemeinschaftspraxis Dr. E. und Dr. O. vom 05.05.2011 und 30.05.2011). Im Laufe der stationären Behandlung vom 15.11. bis 22.11.2011 im S. Klinikum K. wurde der Kläger operativ mit Bandscheibenprothesen bei L 3/4 und L 4/5 versorgt.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20.10.2011 führte Dr. G. aus, den zeitnah zum Unfall vom 19.05.2010 gefertigten Kernspintomographien der LWS und der rechten Schulter seien keine Anhalte für frische traumatische Schädigungen zu entnehmen, auch nicht für die anfangs diagnostizierte Schultereckgelenkssprengung. Der beschriebene Erguss im Schultergelenk sei nicht begleitet von einem Kontusionsödem des Knochens, so dass es sich hier um eine reaktive Bursitis subacromialis im Zusammenhang mit der Rotatorenmanschettendegeneration und Teilruptur handele. Die aufgetretene posttraumatische Lumboischialgie sei von der Beklagten anzuerkennen, obwohl massive degenerative Veränderung vorbestehen würden. Alle darüber hinaus sich entwickelnden Erkrankungen gingen jedoch nicht zulasten der Beklagten. Die Heilmittelverordnungen über den 30.06.2010 hinaus beruhten nicht mehr auf dem Unfall.

Mit Bescheid vom 25.10.2011 stellt die Beklagte den Unfall vom 19.05.2010 als Arbeitsunfall fest. Ansprüche auf Leistungen über den 30.06.2010 hinaus bestünden nicht.

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, denn er sei seit dem anerkannten Unfall ständig in Behandlung. Nach der Operation am 06.05.2011 sei er in Rehabilitation gewesen, auch danach habe es neue Probleme am operierten Arm gegeben. Seine körperlichen Fähigkeiten seien weiterhin beschränkt. Ohne Schmerzmittel komme er nicht aus. Der Kläger legte mehrere Arztunterlagen über Behandlungstermine vor. Die Beklagte veranlasste die Begutachtung des Klägers bei dem vom Kläger als Gutachter vorgeschlagenen Unfallchirurgen Dr. O ... In seinem Gutachten vom 29.03.2012 kam er zu dem Ergebnis, dass degenerative Veränderungen im Bereich der rechten Schulter und der LWS bereits vor dem Unfall bestanden hätten. Den MRT-Aufnahmen von Schulter und LWS seien keine traumatisch bedingte Veränderungen zu entnehmen. Es sei davon auszugehen, dass durch das Unfallereignis die vorgeschädigte Schulter und vorgeschädigte LWS ein verlängertes Schmerzintervall aufwiesen sowie einen höheren Übungsbedarf erforderten. Der Zeitraum sei mit 6-8 Wochen anzunehmen. Eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) liege nicht vor. Gestützt auf dieses Gutachten wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.08.2012 der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.

Hiergegen erhob der Kläger mit dem Begehren, Leistungen über den 30.06.2010 hinaus zu gewähren, am 17.09.2012 Klage vor dem Sozialgericht Karlsruhe, das nach Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid (richterliches Schreiben vom 29.11.2012) mit Gerichtsbescheid vom 03.01.2013 die Klage abwies. Es stützte sich hierbei auf das Gutachten von Dr. O. und die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. G ...

Der Kläger hat am 30.01.2013 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt und geltend gemacht, es sei unrichtig, dass die über den 30.06.2010 hinaus bestehenden Beschwerden nur auf degenerative Veränderung der Schulter und der LWS zurückzuführen seien. Das Sozialgericht habe ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber nicht entscheiden können. Die Ausführungen des Sozialgerichts zum Sturz, den Sturzfolgen usw. seien reine Mutmaßungen. Auch wenn möglicherweise Überlagerung zwischen Vorschädigungen und Unfallschäden bestünden, hätte das Unfallgeschehen nicht ohne Berücksichtigung bleiben dürfen. Es sei zwischen Vorschädigung und einer unfallbedingten Verschlechterung des Vorschadens zu differenzieren.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 03.01.2013 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.08.2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit über den 30.06.2010 hinaus anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das Sozialgericht habe sich in der Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheids auf das überzeugende Gutachten von Dr. O. gestützt. Darin sei zutreffend ausgeführt, dass der Hergang am 19.05.2010 nicht geeignet gewesen sei, die Gesundheitsstörungen im Bereich der Supraspinatussehne bzw. die im November 2011 operierten Bandscheibenvorfälle bei L3/4 und L4/5 rechtlich wesentlich zu verursachen. Bei dem Unfall sei es lediglich zu einer schweren Prellung der rechten Schulter bzw. Distorsion der Lendenwirbelsäule gekommen, die eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis längstens 11.06.2010 bzw. Behandlungsbedürftigkeit bis 30.06.2010 zur Folge gehabt hätten.

Der Senat hat die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Auf diese Unterlagen und auf die vor dem Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 25.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.08.2012 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat zutreffend Leistungen nach dem 30.06.2010 abgelehnt, denn auf die sinngemäß begehrte Feststellung der vom Kläger geltend gemachten Unfallfolgen über den 30.06.2010 hinaus besteht kein Rechtsanspruch. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Das Sozialgericht hat die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend und vollständig dargestellt. Es hat weiter zutreffend begründet, dass die Unfalleinwirkung auf die rechte Schulter weder für den im Mai 2011 operativ versorgten Riss der Supraspinatussehne noch der Sturzaufprall für die im November 2011 operierten Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L3/4 und 4/5 ursächlich war. Die mit der unfallmedizinischen Literatur zu vereinbarenden Darlegungen des Gutachters Dr. O., dass der vom Kläger angegebene Unfallmechanismus nicht geeignet gewesen ist, einen Rotatorenmanschettenschaden herbeizuführen, steht im Einklang mit den zeitnah erhobenen bildgebenden Befunden und der fehlenden typischen Erstsymptomatik bei einem traumatisch bedingten Rotatorenmanschettenriss. Hinsichtlich traumatisch bedingter Bandscheibenschäden sind typische Begleitverletzungen dem Kernspintomographiebefund der LWS nicht zu entnehmen, wie Dr. O. ausgeführt hat. Der Senat gelangt nach eigener Überprüfung zum selben Ergebnis. Er schließt sich diesen Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid zur Begründung seiner eigenen Entscheidung an, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Berufungsvorbringen des Klägers zwingt zu keiner anderen Beurteilung.

Das Sozialgericht durfte sich auf das von der Behörde von Amts wegen im Widerspruchsverfahren eingeholte Gutachten vom 29.03.2010 stützen. Ein Gericht, welches unter Verzicht auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zulässigerweise ein bereits im Verwaltungsverfahren eingeholtes Gutachten (§ 21 Abs. 1 S 2 Nr. 2, Abs. 3 SGB X) im Wege des Urkundenbeweises verwerten will, hat lediglich sicherzustellen, dass die für die Einholung eines Gutachtens durch die Verwaltung geltenden Grundsätze gemäß § 21 SGB X, die den nach § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 402 ff ZPO einzuhaltenden Grundsätzen entsprechen, beachtet wurden (vgl. BSG, Beschluss vom 17.04.2013 - 9 V 36/12 B -, SozR 4-1500 § 118 Nr. 3). Dies ist vorliegend der Fall. Entgegen der Auffassung des Klägers musste sich das Sozialgericht auch sonst nicht gedrängt sehen, im gerichtlichen Verfahren ein weiteres Gutachten einzuholen. Es hat ausführlich und begründet dargelegt, weshalb dem Gutachten von Dr. O. zu folgen ist. Die Ausführungen des Gutachters stehen im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur, worauf das Sozialgericht hingewiesen hat, weshalb sie auch für den Senat überzeugend sind. Der Kläger hat auch keine Mängel des Gutachtens aufgezeigt oder substantiiert gerügt, weshalb gutachterlichen Schlussfolgerungen nicht zu folgen sei. Soweit ein geeigneter Unfallmechanismus für die Verletzung der Rotatorenmanschette im Gutachten verneint wurde und der Kläger insoweit rügt, das Sozialgericht stütze sich auf Mutmaßungen, wenn es den diesbezüglichen Ausführungen des Gutachtens folge, lässt dies weder eine fehlerhafte gutachterliche Bewertung noch eine unzutreffende Beweiswürdigung des Sozialgerichts erkennen. Der Gutachter Dr. O. legte seiner Bewertung des Unfallhergangs die eigenen Angaben des Klägers zu Grunde, denen sich nach den gutachtlichen Ausführungen nur eine direkte Prellung der Schulter und keine für die Verletzung der Supraspinatussehne erforderliche Überdehnung der Sehne entnehmen lässt. Eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Sozialgerichts, indem es nicht festgestellte Tatsachen unterstellt, ist damit nicht zu begründen, zumal in den Entscheidungsgründen des Gerichtsbescheids ausdrücklich ausgeführt wird, dass die vom Kläger bei der Untersuchung durch den Gutachter gemachten Angaben zum Unfallhergang und die Unfallschilderung im H-Arzt-Bericht des Orthopäden D. vom 21.05.2010 zugrunde gelegt werden. Einen anderen Unfallablauf hat der Kläger bis zuletzt auch nicht geschildert. Hiervon ausgehend, dass kein unfallbedingter struktureller Schaden am rechten Schultergelenk oder an der Lendenwirbelsäule hinreichend sicher nachgewiesen ist, sind die von Dr. O. dargelegten Folgen des Unfallereignisses in Form eines verlängerten Schmerzintervalls und einer verlängerten Behandlungsbedürftigkeit der unfallbedingt aktivierten Schmerzhaftigkeit der Vorschädigung auch für den Senat überzeugend und nachvollziehbar. Eine Differenzierung zwischen Vorschädigung und unfallbedingter Erkrankung ist entgegen der Auffassung des Klägers damit gerade getroffen worden. Dies zeigt sich für den Senat darüber hinaus auch in dem Umstand, dass die dem Unfall folgende Arbeitsunfähigkeit bis 11.06.2010 bestanden hatte, was von der Beklagten als unfallbedingt anerkannt ist, die nächste Arbeitsunfähigkeit aber erst am 03.11.2010 wegen Kreuzschmerzen eingetreten ist. Auch dies hat das Sozialgericht im angefochtenen Gerichtsbescheid bereits als weiteres Indiz für das Abklingen einer unfallbedingten Schmerzsymptomatik und dem unfallunabhängigen Fortschreiten der unfallfremden Vorschädigung gewertet.

Der Senat hat ebenso wie das Sozialgericht keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen gesehen. Das Gutachten von Dr. O. ist nachvollziehbar und überzeugend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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