S 10 AS 905/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 905/12
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Teilurteil
Leitsätze
Angelegenheiten nach dem SGB II
Wird ein gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt Untergebrachter zur Vorbereitung seiner Entlassung dauerhaft beurlaubt und steht er dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung, liegt bereits nach dem Wortlaut von § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II kein Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung vor.
I. Das beklagte Jobcenter wird unter Aufhebung des Bescheids vom 22.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2012 verurteilt, den Ablehnungsbescheid vom 18.07.2012 zurückzunehmen und der Klägerin für den Zeitraum 09.07.2012 bis 31.12.2012 SGB II-Leistungen in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

II. Das beklagte Jobcenter erstattet der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten.



Tatbestand:


Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum 09.07.2012 bis 31.12.2012.

Die am ...1986 geborene Klägerin war in der Vergangenheit im laufenden SGB II-Bezug. Seit dem 05.07.2010 war sie nach § 64 StGB im I.- ...-Klinikum in T. (V ...) untergebracht, wobei nach Mitteilung des I.- ...-Klinikums vom 14.06.2012 die Entlassung aus dem Maßregelvollzug zum 09.07.2012 geplant war. Dabei wurde der Klägerin auch bescheinigt, dass sie dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Die Klägerin wurde ab 09.07.2012 dauerhaft in die eigene Wohnung zur Erprobung aus der Maßregel beurlaubt.

Ab 01.07.2012 mietete die Klägerin eine Wohnung in der A-Straße in A-Stadt. Vermieterin ist die Mutter der Klägerin. Laut Mietbescheinigung vom 25.07.2012 beträgt die monatliche Gesamtmiete 360,- EUR.

Am 26.06.2012 sprach die Klägerin beim beklagten Jobcenter vor und beantragte SGB II-Leistungen. Bei der Antragstellung gab sie an, dass sie möglicherweise ab 20.07.2012 im "B ..." eine Beschäftigung aufnehmen könne.

Mit Bescheid vom 18.07.2012 wurde der Antrag abgelehnt, weil die Klägerin während der Beurlaubung vom Maßregelvollzug nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen habe. Die Ausnahmeregelungen des § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II würden nur in den Fällen des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II greifen, jedoch nicht in der vorliegenden Fallgestaltung des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II.

Hiergegen legte die Klägerin am 25.07.2012 Widerspruch ein. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass eine Dauerbeurlaubung aus dem Maßregelvollzug nicht mit Vollzugslockerungen im Strafvollzug vergleichbar sei. Ferner wird auf die Rechtsansicht des BaySTMASFF vom 07.05.2012 - IV5/2182-1/10 hingewiesen, wonach die "Kosten des Probewohnens im Maßregelvollzug" durchaus einen SGB II-Anspruch begründen könnten.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2012 zurückgewiesen, gegen den keine Klage eingereicht wurde.

Am 20.08.2012 stellte die Klägerin beim SG Landshut Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, jedoch ohne gegen den Widerspruchsbescheid zusätzlich Klage einzureichen. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde mit Beschluss v. 17.09.2012 - S 7 AS 586/12 ER - abgelehnt, da der Ablehnungsbescheid in der Hauptsache bestandskräftig geworden ist. Der Vorsitzende der 7. Kammer des SG Landshut wies im Erörterungstermin darauf hin, dass die Vollzugshinweise der Bundesagentur für Arbeit zur Anwendbarkeit des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II nicht mit der Rechtsprechung des BSG v. 24.02.2011 - B 14 AS 81/09 R - vereinbar sei.

Am 21.11.2012 stellte die Klägerin einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gegen den Ablehnungsbescheid vom 18.07.2012.

Von der Klägerin wurde eine Bestätigung ihres Arbeitgebers, B ... & H. GmbH, vom 17.08.2012 vorgelegt, wonach die Klägerin seit dem 01.08.2012 auf Teilzeitbasis mit einem monatlichen Entgelt von 410,- EUR netto beschäftigt sei. Handschriftlich ist auf der Bestätigung vermerkt, dass 16 Stunden/Woche gearbeitet werde. Laut Vorsprache vom 18.01.2013 beim beklagten Jobcenter wurde die Tätigkeit beim "B ..." nach ca. zwei Monaten beendet. Danach war die Klägerin in der Diskothek "S ..." für ca. drei Wochen beschäftigt. Im "B ..." sei die Klägerin nach eigenen Angaben seit 13.01.2013 wieder geringfügig beschäftigt (laut Auskunft der Steuerberaterin seit 25.01.2013).

Der Überprüfungsantrag wurde mit Bescheid vom 22.11.2012 zurückgewiesen. Der hiergegen am 27.11.2012 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2012 zurückgewiesen.

Am 31.12.2012 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Landshut:

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II greife nicht, da sie sich auf die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II berufen könne. Im Übrigen reiche eine Dauerbeurlaubung aus dem Maßregelvollzug aus, um einen Leistungsanspruch zu bejahen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das beklagte Jobcenter unter Aufhebung des Bescheids vom 22.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2012 zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 18.07.2012 zurückzunehmen und der Klägerin für den Zeitraum 09.07.2012 bis 31.12.2012 SGB II-Leistungen in gesetzlicher Höhe zu bewilligen ...

Das beklagte Jobcenter beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach den in Newsletter Nr. 01/2013 veröffentlichten Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit, finde die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II nur auf die in § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II genannten Fälle Anwendung (Unterbringung in einer stationären Einrichtung). Der Sinn und Zweck der Vorschrift würden einen Leistungsausschluss auch dann rechtfertigen, wenn der "Gefangene" außerhalb der Justizvollzugsanstalt einer Beschäftigung nachgeht. Der Rechtsprechung des BSG v. 24.02.2011 - B 14 AS 81/09 R - werde nicht gefolgt. Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen nicht vor, da die Klägerin nicht nachweisen könne, dass sie mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.

Mit Beschluss des Landgerichts Landshut v. 11.01.2013 in den Az.: StVK 104, 108/10, 4/13 wurde die Klägerin ab dem 15.01.2013 aus dem Maßregelvollzug entlassen. Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 18.02.2013 SGB II-Leistungen ab dem 15.01.2013. Für den Zeitraum von 01.01.2013 bis 14.01.2013 werden Leistungen aufgrund des Maßregelvollzugs weiterhin abgelehnt.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 16.05.2013.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin stehen für den Zeitraum 09.07.2012 bis 31.12.2012 SGB II-Leistungen in gesetzlicher Höhe zu, da während ihrer "Dauerbeurlaubung" aus dem Maßregelvollzug kein "Aufenthalt" in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung vorliegt.

Da die Parteien im Erörterungstermin vom 16.05.2013 ihr Einverständnis nach § 124 Abs. 2 SGG erteilt haben, konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 22.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2012 (§ 95 SGG), soweit das beklagte Jobcenter darin die Bewilligung von SGB II-Leistungen unter entsprechender Änderung des bestandskräftigen Bescheids vom 18.07.2012 abgelehnt hat. Gegen jenen Bescheid wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG (vgl nur BSG SozR 4-1300 § 44 Nr. 22 RdNr. 9), wobei auch im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X - wie vorliegend - ein Grundurteil nach § 130 SGG möglich ist (BSGE 88, 299, 300 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1). In zeitlicher Hinsicht bezieht sich der Streitgegenstand auf den Zeitraum 09.07.2012 bis 31.12.2012. Wehrt sich der Hilfebedürftige gegen einen Bescheid, mit dem - wie hier mit dem Ausgangsbescheid vom 18.07.2012 - die Leistung ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt worden ist, so ist - bei zeitlich unbefristetem Antrag - zunächst zwar die gesamte Zeit bis zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Stellt der Betroffene zwischenzeitlich jedoch einen neuen Antrag, so erledigt sich der angefochtene Bescheid für den Zeitraum, der von dem neuen Bescheid erfasst wird. Der neue Bescheid wird nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Gerichtsverfahrens (vgl. BSG, Urteil v. 28.10.2009 - B 14 AS 62/08 R; Urteil v. 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R - juris RdNr. 13; BSG SozR 4-3500 § 21 Nr. 1 RdNr. 8). Vorliegend wurden mit Bescheid vom 18.02.2013 Leistungen ab dem 15.01.2013 bewilligt, jedoch für den Zeitraum 01.01.2013 bis 14.01.2013 abgelehnt. Die Klägerin sollte prüfen, ob für den Zeitraum 01.01.2013 bis 14.01.2013 beim Jobcenter ein Überprüfungsantrag gegen den Bescheid vom 18.02.2013 gestellt wird.

2. Der Klägerin stehen für den streitgegenständlichen Zeitraum 09.07.2012 bis 31.12.2012 SGB II-Leistungen in gesetzlicher Höhe zu.

a) Die Klägerin war nach dem Gesamtzusammenhang der unstreitigen Feststellungen des Jobcenters dem Grunde nach leistungsberechtigt gemäß § 7 Abs 1 SGB II i. V. m §§ 8, 9, 11, 12 SGB II.

b) Die Klägerin war nicht für die Zeit vom 09.07.2012 bis 31.12.2012 vom Leistungsbezug gemäß § 7 Abs 4 SGB II ausgeschlossen.

aa) Gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistungen oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Nach Satz 2 wird dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt.

Die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II lagen hier zwar zunächst vor. Die Klägerin war auf Grund des Urteils des LG Passaus v. 11.05.2010 - KS 104 Js 2009/09 - in der I ...- ...-Klinik im Rahmen des Maßregelvollzugs nach § 64 StGB untergebracht und damit zu Recht vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Ein Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung iSv. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II liegt insbesondere vor bei dem Vollzug von Strafhaft, Untersuchungshaft, Maßregeln der Besserung und Sicherung, einstweiliger Unterbringung, der Absonderung nach dem Bundesseuchengesetz, Geschlechtskrankheitengesetz, der Unterbringung psychisch Kranker und Suchtkranker nach den Unterbringungsgesetzen der Länder sowie dann, wenn nach § 1666 BGB das Vormundschaftsgericht die erforderlichen Maßnahmen zum Wohle des Kindes trifft (vgl. BT-Drucks 16/1410, S 20 zu Nr 7 Buchst c).

Die Klägerin hielt sich jedoch seit dem 09.07.2012, also während ihrer "Dauerbeurlaubung" aus dem Maßregelvollzug, nicht mehr in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung auf.

Grundsätzlich sind Entziehungsanstalten im Rahmen des Maßregelvollzugs so strukturiert und gestaltet, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die dem durch § 8 Abs. 1 SGB II vorgegebenen täglichen Mindestumfang von drei Stunden genügt. Der in einer Einrichtung Verweilende ist auf Grund der Vollversorgung und auf Grund seiner Einbindung in die Tagesabläufe der Einrichtung räumlich und zeitlich so weitgehend fremdbestimmt, dass er für die für das SGB II im Vordergrund stehenden Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 ff. SGB II) nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht. Demnach handelt es sich bei einer Justizvollzugsanstalt bzw. die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Rahmen des Maßregelvollzugs im Regelfall um eine Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II, da im Normalvollzug eine Teilnahme am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht möglich ist. Eine vollstationäre Einrichtung wird dann zu bejahen sein, wenn der Einrichtungsträger im Rahmen des Therapiekonzeptes bzw. des Unterbringungskonzepts die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung übernimmt und Gemeinschaftseinrichtungen vorhält.

Wird jedoch der Leistungsberechtigte aus dem Maßregelvollzug mit dem Ziel beurlaubt, die endgültige Entlassung vorzubereiten und steht er in dieser Zeit dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung, greift der Leistungsausschluss § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II nach seinem Sinn und Zweck nicht. Der Ausschluss von SGB II-Leistungen auf Grund einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II ist als gesetzliche Fiktion der Erwerbsunfähigkeit ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil v. 07.05.2009 - B 14 AS 16708 R). Sinn und Zweck der "Dauerbeurlaubung" war im vorliegenden Fall, die Klägerin wieder dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzunähern bzw. diese in den Arbeitsmarkt einzugliedern (so ausdrücklich auch BSG v. 07.05.2009 - B 14 AS 16/08 R - ). Anders als bei Vollzugslockerungen im Strafvollzug (hier sind Sonderlaube nur in sehr eingeschränkten Maße möglich vgl. nur §§ 11, 13, 15 Strafvollzugsgesetz) ist die vorliegende Dauerbeurlaubung aus dem Maßregelvollzug weitgehender. Die Beurlaubung zur Vorbereitung der Entlassung der Klägerin aus dem Maßregelvollzug war vorliegend so gestaltet, dass die Gesamtverantwortung der Lebensführung bei der Klägerin lag (vgl. Schreiben I ...- ...-Klinik vom 14.06.2012). Sie hat eine eigene Wohnung angemietet und stand dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung. Die Klägerin hat auch verschiedene Erwerbstätigkeiten aufgenommen. Der verhängte Maßregelvollzug bestand alleine noch auf dem Papier. Anders als bei Vollzugslockerungen im Strafvollzug, bei denen Strafgefangene in begrenzten Umfang Sonderurlaub erhalten, in gewissen Umfang ihre Freizeit zu Hause verbringen, ansonsten jedoch weiterhin den Einschlusszeiten der Justizvollzugsanstalt unterliegen und diese die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung innehat, oblag der Klägerin mit der auf Entlassung gerichteten Beurlaubung die Gesamtverantwortung ihrer Lebensführung. Zwar reichen nach der Rechtsprechung des BSG v. 24.02.2011 - B 14 AS 81/09 - der Status als "Freigänger" oder sonstige Vollzugslockerungen grundsätzlich nicht aus, um den Leistungsausschluss § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II aufzuheben. Nach Ansicht der Kammer kann dies dann nicht mehr gelten, wenn der Leistungsberechtigte aus der Einrichtung "beurlaubt" wird, der räumlich-organisatorische Bezug zur Einrichtung aufgeben wird, mit dem Ziel den Leistungsberechtigten dauerhaft in die "Freiheit" zu entlassen. Der rein formal fortbestehende Maßregelvollzug führt nicht dazu, dass weiterhin von einer Unterbringung in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gesprochen werden kann (so im Ergebnis auch BSG, Urteil v. 07.05.2009 - B 14 AS 16/08 R -). Der Wortlaut des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II würde in unzulässiger Weise ausgedehnt, wenn ein Aufenthalt bzw. eine Unterbringung auch für diejenigen Zeiten bejaht wird, in denen kein räumlicher Anknüpfungspunkt mehr vorhanden ist, weil etwa wie vorliegend keine Rückkehr des Hilfebedürftigen in die Einrichtung geplant ist. Auch das BayStMASFF führt in seiner Stellungnahme vom 07.05.2012 - IV5/2182-1/19 - aus, dass beim sog. "Probewohnen" keine Form der stationären Unterbringung vorliegt. Im Übrigen wäre es widersinnig, einem Strafgefangenen, der sich in Strafhaft befindet und ggf. Sachleistungen der JVA erhält und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist, eine Grundsicherung zu gewähren, hingegen einem Hilfebedürftigen, der auf Dauer aus dem Maßregelvollzug beurlaubt ist und kein Erwerbseinkommen erzielt bzw. weniger als 15 Stunden wöchentlich arbeitet, von Leistungen auszuschließen.

Somit liegt für den streitgegenständlichen Zeitraum nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II bereits kein "Aufenthalt" in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung vor (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 25.01.2008 - L 12 AS 2544/07; SG Düsseldorf v. 05.11.2010 - S 42 SO 480/10 ER - SAR 2011, 17; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 25.03.2009 - L 34 AS 1336/08; Hackethal, in: jurisPK-SGB II, Stand: 17.09.2012, § 7 Rn. 65). Auch eine teleologische Auslegung (Sinn und Zweck der Vorschrift) kommt zum Ergebnis, dass der Leistungsausschluss nicht greift.

bb) Aus oben genannten Gründen kam es nicht mehr darauf an, ob auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II die Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II anwendbar ist. Ergänzend wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Rechtsansicht des beklagten Jobcenters unter Hinweis auf die Vollzugshinweise der Bundesagentur für Arbeit, dass sich die Ausnahmeregelung § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II nur auf die in § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II genannten Fälle (Unterbringung in einer stationären Einrichtung) bezieht, im Hinblick auf die höchstrichterliche Entscheidung des BSG v. 24.02.2011 - B 14 AS 81/09 R - nicht haltbar ist und nach Ansicht der Kammer ein missbräuchliches Verhalten darstellt. Wörtlich heißt es in den Entscheidungsgründen des BSG a.a.O.:

"Vor dem Hintergrund der Rechtslage nach dem FortentwicklungsG kommt es deshalb für die Frage, ob SGB II-Leistungen bezogen werden können, auch nicht darauf an, ob Vollzugslockerungen gewährt werden. Nur soweit einem Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II die Aufnahme eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses erlaubt wird, kann er gemäß § 7 Abs 4 Satz 3 Nr 2 SGB II wiederum leistungsberechtigt sein. Diese Rückausnahme gilt auch im Falle des Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung."

Auch die Kammer vertritt die Auffassung, dass die Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II auf Fälle der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung Anwendung findet, da nach dem Wortlaut des Gesetzes, diese einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung ausdrücklich gleichgestellt wird. Dies ist auch bei den Rückausnahmen zu beachten.

c) Bei der Berechnung der SGB II-Leistungen hat das beklagte Jobcenter die von der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum erzielten Einnahmen auf den Leistungsanspruch anzurechnen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Rechtskraft
Aus
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