Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 5169/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 1941/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13. April 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, mit welchem Grad der Behinderung (GdB) die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen zu bewerten sind.
Die am 22.08.1953 geborene Klägerin beantragte am 24.02.2010 beim Landratsamt A.- B. - Versorgungsamt - (LRA), ihre Funktionsbeeinträchtigungen als Behinderung festzustellen und einen Schwerbehindertenausweis ab Antragstellung auszustellen. Sie machte geltend, unter einen Zustand nach chirurgischer Bauchoperation und teilweiser Darmentfernung, chronischer Gastritis, einem rezidivierenden Lumbalsyndrom, rezidivierenden Dorsalgien und einer beginnenden Gonarthrose beider Kniegelenke zu leiden. Das LRA zog daraufhin bei Dr. C. eine Befundbeschreibung bei und führte diese und die von der Klägerin vorgelegten Arztbriefen einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Prof. Dr. D. zu, der in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 24.04.2010 für eine "Degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen" einen Einzel-GdB von 20 sowie für den "Teilverlust des Dickdarms" und für eine "Funktionsbehinderung beider Kniegelenke" jeweils einen solchen von 10 für angemessen erachtete. Insg. sei der GdB mit 20 festzustellen. Hierauf gestützt stellte das LRA mit Bescheid vom 04.05.2010 den GdB der Klägerin seit dem 24.02.2010 mit 20 fest. Es liege, so das LRA, keine Schwerbehinderteneigenschaft vor.
Hiergegen erhob die Klägerin am 11.05.2010 Widerspruch, zu dessen Begründung sie vorbrachte, nach dem Teilverlust des Dickdarms sei es zu einer Narbenhernie mit Darmproblemen gekommen. Darüber hinaus bestünden eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und eine Gesundheitsstörung an der Lendenwirbelsäule, deren Bewertung jeweils deutlich zu gering sei. Nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch die Versorgungsärztin E., die in ihrer Stellungnahme vom 21.07.2010 zu der Einschätzung kam, dass die bisherige Bewertung angemessen sei, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2010 als unbegründet zurück. Nach nochmaliger versorgungsärztlicher Überprüfung sei die Bezeichnung des Wirbelsäulenleidens um einen "Bandscheibenschaden" zu ergänzen, eine Änderung der Bewertung ergebe sich hieraus jedoch nicht. Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 20 angemessen bewertet.
Hiergegen hat die Klägerin am 11.10.2010 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, zu deren Begründung sie vorgebracht hat, das rezidivierende Lumbalsyndrom mit einer massiven Fehlhaltung führe zu erheblichen Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen in beide Schultern und sei daher zu niedrig bewertet. Bei ihr liege außerdem ein Teilverlust des Dickdarms vor. Es sei in diesem Zusammenhang auch zu einer Narbenhernie gekommen. Darüber hinaus bestünde eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, welche ihre Gehfähigkeit deutlich einschränke.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Er hat hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Reiniger vom 20.07.2011 vorgelegt.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Dr. Dr. F., Facharzt für Orthopädie, hat in seiner Stellungnahme vom 10.01.2011 ausgeführt, die Klägerin seit August 2010 zu behandeln, eine Funktionsbeeinträchtigung der Gelenke sei ihm hierbei nicht aufgefallen. Er hat ferner mitgeteilt, ein mittelgradiges Wirbelsäulensyndrom mit Beeinträchtigung von zwei Wirbelsäulenabschnitten (Brust- und Lendenwirbelsäule), ein leichtes Supraspinatussehnensyndrom rechts mit geringgradiger Funktionsbeeinträchtigung der Schulter und einen Senk-Spreiz-Knick-Fuß diagnostiziert zu haben. Die Schultersymptomatik habe sich unter der physikalischen Therapie deutlich gebessert. Der Orthopäde Dr. Drescher hat unter dem 10.01.2011 ausgeführt, er habe die Klägerin zwischen 2007 und 2010 behandelt. Dabei habe er eine rechtskonvexe Lumbalskoliose mit rezidivierendem Lumbalsyndrom (mittelgradig) und Gonarthrose beidseits diagnostiziert. Am rechten Knie bestehe keine nennenswerte Einschränkung. Am linken Knie träten nach einer längeren Gehstrecke belastungsabhängige Schmerzen auf. Die Bewegungseinschränkung am linken Knie sei geringgradig. Zu einer Erkrankung eines Schultergelenks könne er keine Auskünfte geben. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. G. hat in seiner Stellungnahme vom 20.01.2011 mitgeteilt, bei der Klägerin, die er hausärztlich betreue, ein rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom, labile Hypertonie, Hyperlipidämie, Autoimmunthyreoiditis, Gonarthrose beidseits und einen Z.n. Hemikolektomie/Kolonpolyp diagnostiziert zu haben. Das Lendenwirbelsäulensyndrom stufe er als mittelgradig ein. Die Klägerin leide weiter unter unklaren Bauchschmerzen wegen Verwachsungen nach der Hemikolektomie. Der Orthopäde Dr. H. hat in seiner Stellungnahme vom 14.03.2011 mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe eine mittelgradige Varusgonarthrose beidseits mit beginnender Retropatellararthrose beidseits.
Ergänzend hat die Klägerin einen Arztbrief des Dialysezentrums Freiburg vom 20.04.2011 vorgelegt.
Das SG hat sodann Dr. I., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dr. I. hat in seinem fachorthopädischen Gutachten vom 23.12.2011 bei der Klägerin mäßige degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule, evtl. cervikal bedingten Schwindel, ein Dysstabilitätssyndrom L4/5, ein Supraspinatussehnensyndrom rechts mehr als links, medial betonte Gonarthrose beidseits, Spreizfuß mit Hallux valgus beidseits und Fersensporne beidseits diagnostiziert. Die Behinderungen der Kniegelenke und der Lendenwirbelsäule seien als mittelschwer, die der Halswirbelsäule, der Schultergelenke und der Füße als leicht einzustufen. Dr. I. hat den Einzel-GdB für die Halswirbelsäulenerkrankung mit Schwindel sowie für die Schultergelenks- und Fußbeschwerden jeweils mit 10, den der Lendenwirbelsäulen- und der Kniebeschwerden jeweils mit 30 eingeschätzt. Insg. hat er den GdB mit 40 bewertet. Die Abweichungen zu den zuvor gehörten Ärzten beruhten auf der exakteren Beurteilung der Krankheitsbilder, was insbesondere die Kniegelenke (mediale und retropatellare Gonarthrose) und die Lendenwirbelsäule (Dysstabilitätssyndrom) betreffe. Vor allem die zuletzt genannte Erkrankung werde in ihrer Tragweite häufig unterschätzt. Die Klägerin leide glaubhaft unter Schmerzen und sei in ihrer Belastungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt.
Der Beklagte hat, nachdem ihm das Gutachten von Dr. I. vorgelegt wurde, gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 23.01.2012, unter dem 02.02.2012 ein Vergleichsangebot unterbreitet, den GdB der Klägerin ab dem 24.02.2010 mit 40 festzustellen. Die Klägerin ist dem Vergleichsangebot nicht beigetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 13.04.2012 hat das SG den Beklagten verurteilt, den GdB der Klägerin seit dem 24.02.2010 mit 40 festzustellen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Wirbelsäulenerkrankung der Klägerin sei, da der gerichtliche Sachverständige Dr. I. mittelschwere Funktionsbeeinträchtigungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten bekundet habe, mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Die Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke rechtfertige in Ansehung der bestehenden Bewegungseinschränkungen einen Einzel- GdB von 20. Die Schultererkrankung sei, wegen des geringen Funktionsverlustes mit einem Einzel-GdB von 10 anzusetzen. Die von der Klägerin geltend gemachte Darmerkrankung sei, so das SG, nicht geeignet, den GdB zu erhöhen. Zwar leide die Klägerin an Bauchschmerzen, eine fachinternistische oder urologische Behandlung finde jedoch nicht statt, so dass nicht ersichtlich sei, dass eine erhebliche Behinderung bestehe. In Zusammenschau der bestehenden Beeinträchtigungen sei ein GdB von 40 angemessen.
Mit Bescheid vom 22.05.2012 hat das LRA in Ausführung des Gerichtsbescheides den GdB der Klägerin ab dem 24.02.2010 mit 40 festgestellt.
Gegen den am 17.04.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 03.05.2012 Berufung eingelegt. Das SG habe, so die Klägerin begründend, nicht sämtliche gesundheitlichen Beeinträchtigungen berücksichtigt. Es habe bestehende Erkrankungen auf internistischem und psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet nicht berücksichtigt und auch die Erkrankung der Füße außer Betracht gelassen. Auch sei das SG fälschlicherweise der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen betreffend die Bewertung der Kniegelenkserkrankung nicht gefolgt. Die Klägerin hat hierzu einen Arztbrief von Dr. L., Arzt für Neurologie und Psychiatrie vom 05.07.2011, in dem über eine Vorstellung der Klägerin am 04.07.2011 berichtet wird, sowie einen Arztbrief von Dr. Halt, Facharzt für Nuklearmedizin und Radiologie, vom 08.09.2011 vorgelegt.
Am 23.12.2011 und am 16.05.2012 hat die Klägerin beim LRA jeweils einen Antrag auf Erhöhung des bei ihr festzustellenden GdB gestellt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13. April 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 04. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2010 zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von 50 seit dem 24. Februar 2010 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Zur Begründung bringt er vor, das Begehren der Klägerin werde durch den medizinischen Sachverhalt nicht bestätigt. Hierzu hat er eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Reiniger vom 30.10.2012 und von Dr. Wolf vom 09.07.2013 vorgelegt. Hierbei wurde für eine Funktionsbeeinträchtigung "Fibromyalgiesyndrom (Somatoforme Schmerzstörung), Seelische Störung" ein Einzel-GdB von 10 vorgeschlagen. Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts die Fachärztin für psychotherapeutische Medizin - Psychotherapie - Psychoanalyse Wendler schriftlich als sachverständige Zeugin einvernommen. In Ihrer Stellungnahme vom 28.07.2012 hat Fr. Wendler mitgeteilt, bei der Klägerin eine chronisch-rezidivierende mittelgradige Depression und ein chronisches Schmerzsyndrom diagnostiziert zu haben, wodurch bei der Klägerin eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bedingt sei.
Der Senat hat ferner die bei der Deutschen Rentenversicherung Baden- Württemberg für die Klägerin geführte Versichertenakte eingesehen und die dort befindlichen medizinischen Unterlagen - ein Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Wörner, den Entlassungsbericht der Rheintalklinik, Bad M., vom 19.12.2011 über eine Rehabilitationsmaßnahme vom 23.11. - 14.12.2011 und Arztbriefe behandelnder Ärzte - zum Verfahren beigezogen. Dr. Wörner hat in ihrem Gutachten vom 21.10.2011 bei der Klägerin eine medikamentös behandelte arterielle Hypertonie, beidseitige Gonarthrose mit einer leichten Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit und wiederkehrende Lumbalgien bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit mäßiger Einschränkung der Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule diagnostiziert. Anlässlich der Rehabilitationsmaßnahme in der Rheintalklinik wurde bei der Klägerin eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine rezidivierende depressive Störung, aktuell leicht bis mittelgradig, der V.a. Fibromyalgie, ein chronisches Thorakolumbalsyndrom bei S-förmiger Skoliose und muskulärer Dysbalance sowie ein Impingement-Syndrom diagnostiziert.
Mit Schriftsatz vom 17.10.2013 hat der Beklagte, mit solchem vom 23.10.2013 die Klägerin, jeweils das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für die Klägerin geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung wurden, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Gegenstand des Verfahren ist der Bescheid vom 04.05.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2010 Der Bescheid vom 22.05.2012 ist nicht nach § 96 Abs. 1 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, da er lediglich im Sinne einer vorläufigen Regelung dem erstinstanzlichen Gerichtsbescheid Rechnung trägt und insofern keine Regelung i.S.d. § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) trifft (vgl. Beschluss des Bundessozialgerichts [BSG] vom 06.01.2003 - B 9 V 77/01 B; Beschluss vom 18.09.2003 - B 9 V 82/02 B -; Urteil vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 76/04 R - jeweils veröffentlicht in juris). Der Bescheid wird hinfällig wenn der Gerichtsbescheid, auf dem er beruht, aufgehoben wird (BSG, Beschluss vom 21.02.1959 - 11 RV 724/58 - veröffentlicht in juris).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Entscheidung des SG, den Beklagten zu verurteilen, den GdB der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 04.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2010 ab dem 24.02.2012 mit 40 festzustellen und die Klage, soweit eine weitergehende Feststellung des GdB geltend gemacht wird, abzuweisen, ist rechtlich nicht zu beanstanden; die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die bei ihr vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 50 festzustellen sind.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest, für den die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend gelten (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX).
Bei der konkreten Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen ist der ab dem 01.01.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" getretene Teil B der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG; die jeweilige Seitenangabe bezieht sich auf das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Printexemplars) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]) heranzuziehen. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung, die ursprünglich in § 30 Abs. 17 des BVG, mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 20.06.2011 (BGBl I 1114) seit dem 01.07.2011 in § 30 Abs. 16 BVG erteilt ist, zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist.
Die bei der Klägerin bestehende Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ist mit einem Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen. Die Klägerin leidet nach den Bekundungen des im erstinstanzlichen Verfahren gutachterlich gehörten Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. I. an einem Zervikalsyndrom und einem Lumbalsyndrom bei Dysstabilität des Segments L4/5. Die Bewertung einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bestimmt sich nach Ziff. 18.9 (S. 107) der VG. Danach ergibt sich die Höhe des Einzel-GdB bei Wirbelsäulenschäden in erster Linie aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, selten und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) bedingen danach einen GdB von 10. Bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungs-einschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) wird ein GdB von 20 erreicht. Bei Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist ein GdB von 30 gerechtfertigt. Liegen Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, kann ein GdB von 30 - 40 festgestellt werden. Bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst; schwere Skoliose - ab ca. 70 Grad nach Cobb -) wird ein GdB von 50 - 70 festgestellt. Bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit kann ein GdB von 80 - 100 gerechtfertigt sein. Nach den Bekundungen von Dr. I. ist die Gesundheitsstörung im Bereich der Lendenwirbelsäule "gravierend". Zwar hat der Gutachter keine maßgebliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit des Wirbelsäulensegments mitgeteilt und hierzu von einem "wenig spektakulären" Untersuchungsbefund berichtet, Dr. I. hat jedoch nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin ein pathologischer Bewegungsablauf stattfindet, der zu Schmerzzuständen u.a. im Stehen führt. In Ansehung der beschriebenen Schmerzhaftigkeit folgt der Senat der Einschätzung des Gutachters, für die funktionellen Einschränkungen einen Einzel-GdB von 30 anzunehmen. Die Beeinträchtigung der Halswirbelsäule, die angesichts der freien Beweglichkeit und der nicht vorhandenen radikulären und sensomotorischen Defizite allenfalls als leichtgradig eingestuft werden kann, wirkt sich nicht weitergehend auf das Funktionssystem Wirbelsäule aus, so dass ein Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule angemessen und ausreichend ist.
Die bei der Klägerin bestehende Erkrankung der Kniegelenke, eine beidseitige Gonarthrose, ist mit einem Einzel- GdB von 20 zu berücksichtigen. Die Bewertung von Kniegelenkserkrankungen erfolgt nach Ziff. 18.14 (S.117) der VG anhand der bestehenden Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk. Solche geringeren Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0-0-90°) sind bei einseitigen Vorliegen mit einem Einzel-GdB von 0-10, bei beidseitigem Vorliegen mit einem solchen von 10 - 20 zu berücksichtigen, solche mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-10-90°) bei einseitigem Vorliegen mit einem Einzel-GdB von 20, bei beidseitigem Vorliegen mit einem solchen von 40 zu berücksichtigen. Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z.B. Chondromalacia patellae Stadium II - IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen sind bei einseitigem Vorliegen ohne Bewegungseinschränkungen mit einem Einzel-GdB von 10 - 30, mit Bewegungseinschränkungen mit einem solchen von 20 - 40 zu berücksichtigen. Die Kniegelenke der Klägerin sind nach den von Dr. I. erhobenen Befunden in der Dimension Extension/Flexion im Umfang von 0-0-130° beweglich, so dass hiernach die Berücksichtigung eines Einzel-GdB nicht gerechtfertigt wäre. Einzig wegen der von Dr. I. bekundeten retropatellaren Schmerzhaftigkeit, die nach Dr. I. vor allem das Treppensteigen erschwert, kann eine funktionelle Beeinträchtigung berücksichtigt werden. Da jedoch im Übrigen keine Schwellung oder Erguss besteht, kann die Gesundheitsstörung der Kniegelenke allenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden.
Eine isolierte Bewertung der bei der Klägerin bestehenden beidseitigen Spreizfüße mit Hallux valgus und beidseitigen Fersenspornen ist nicht möglich. Die Bewertung von Fußdeformitäten erfolgt nach Ziff. 18.14 (S.118) der VG in Abhängigkeit davon, ob statische Auswirkungen durch die Gesundheitsstörung bedingt sind. Fußdeformitäten ohne wesentliche statische Auswirkungen bedingen hiernach keinen Einzel-GdB, solche mit statischen Auswirkungen geringen Grades einen solchen von 10 und nur solche, mit statischen Auswirkungen stärkeren Grades einen Einzel-GdB von 20. Da Dr. I. in seinem Gutachten jedoch das Bestehen einer funktionellen Einschränkung verneint hat, kann die Gesundheitsstörung weder als Funktionsbeeinträchtigung noch GdB- erhöhend berücksichtigt werden.
Das bei der Klägerin bestehende Supraspinatussehnensyndrom kann in Ansehung der im Wesentlichen freien Beweglichkeit der Schultergelenke, wie von Dr. I. zutreffend ausgeführt, lediglich mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet werden (vgl. Ziff. 18.13 [S.110] der VG). Da auch keine Instabilitäten des Gelenks bestehen, ist dies angemessen.
Die bei der Klägerin vorliegende psychische Erkrankung, nach den Bekundungen der behandelnden Ärztin Wendler eine chronisch-rezidivierende mittelgradige Depression, ist mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach Ziff. 3.7 (S. 42) der VG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 0 – 20, stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrisch, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Schmerzstörungen) mit einem solchen von 30 – 40, schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen mit einem solchen von 50 – 70 und solche mit schweren sozialen Anpassungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 80 – 100 zu bewerten. Der Senat vermag sich in Ansehung dieser Maßstäbe nicht davon zu überzeugen, dass bei der Klägerin eine stärker behindernde Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit besteht. So hat Fr. Wendler in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Senat vom 28.07.2012 auf eine Beeinträchtigung in der Dimension "Konzentrationsfähigkeit" verwiesen. Im Übrigen hat sie in ihrem Befundbericht vom 20.06.2012 auch Einschränkungen im Bereich Antrieb mitgeteilt. Da indes nach den Befunden, die Dr. Wörner in ihrem Gutachten für die Deutsche Rentenversicherung vom 17.10.2011 erhoben hat, keine inhaltlichen oder formalen Denkstörungen bestehen, der Affekt stabil und die affektive Schwingungsfähigkeit erhalten ist und auch die Alltagskompetenzen der Klägerin erhalten sind, ist zur Überzeugung des Senats der Schwere der Gesundheitsstörung durch einen Einzel-GdB von 20 angemessen und ausreichend Rechnung getragen.
Der bei der Klägerin bestehende Teilverlust des Dickdarms, durch den funktionelle Einschränkungen nicht bedingt sind - der Ernährungszustand der Klägerin ist normal - sowie die Bluthochdruckerkrankung, die bei durchschnittlichen Blutdruckwerten von 146/90mmHG (vgl. Arztbrief des Dialysezentrums Freiburg vom 20.04.2011) als leichtgradig zu qualifizieren ist, bedingen jedenfalls keine mit einem höheren Einzel-GdB als 10 zu berücksichtigende Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. Ziff. 10.2 [S.71] bzw. Ziff. 9.3 [S.67] der VG).
In Zusammenschau der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ist zur Überzeugung des Senats ein GdB von mehr als 40, wie klägerseits begehrt, nicht festzustellen. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist, bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft, der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Grade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (vgl. Ziff. 3 [S. 22 f] Teil A der Anlage zur VersMedV). Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind zur Überzeugung des Senats weder gänzlich voneinander unabhängig, noch wirken sie sich besonders nachteilig aufeinander aus. Die Auswirkungen überschneiden sich vielmehr. So wird im Rehabilitationsentlassungsbericht vom 19.12.2011 berichtet, dass die von der Klägerin vorgetragenen Schmerzen psychisch stark überlagert seien. Hierzu korrelierend ist die Bewertung der Erkrankung der Lendenwirbelsäule der Klägerin, die keine wesentlichen körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen bedingt, zuvorderst durch die vom Dr. I. angenommene Schmerzhaftigkeit bedingt; sie überlagert sich daher weitgehend mit den Auswirkungen der psychischen Erkrankung. Eine Zusammenschau der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt vielmehr, dass diese mit funktionellen Einschränkungen, die bei dem Verlust eines Armes im Unterarm oder dem Verlust eines Beines im Unterschenkel auftreten, die jeweils einen GdB von 50 begründen, nicht vergleichbar sind.
Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind mithin mit einem GdB von 40 angemessen und ausreichend bewertet.
Der Gerichtsbescheid des SG vom 13.04.2012, mit dem der Beklagte verurteilt wurde, den GdB der Klägerin mit 40 festzustellen, ist daher nicht zu beanstanden; die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, mit welchem Grad der Behinderung (GdB) die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen zu bewerten sind.
Die am 22.08.1953 geborene Klägerin beantragte am 24.02.2010 beim Landratsamt A.- B. - Versorgungsamt - (LRA), ihre Funktionsbeeinträchtigungen als Behinderung festzustellen und einen Schwerbehindertenausweis ab Antragstellung auszustellen. Sie machte geltend, unter einen Zustand nach chirurgischer Bauchoperation und teilweiser Darmentfernung, chronischer Gastritis, einem rezidivierenden Lumbalsyndrom, rezidivierenden Dorsalgien und einer beginnenden Gonarthrose beider Kniegelenke zu leiden. Das LRA zog daraufhin bei Dr. C. eine Befundbeschreibung bei und führte diese und die von der Klägerin vorgelegten Arztbriefen einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch Prof. Dr. D. zu, der in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 24.04.2010 für eine "Degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen" einen Einzel-GdB von 20 sowie für den "Teilverlust des Dickdarms" und für eine "Funktionsbehinderung beider Kniegelenke" jeweils einen solchen von 10 für angemessen erachtete. Insg. sei der GdB mit 20 festzustellen. Hierauf gestützt stellte das LRA mit Bescheid vom 04.05.2010 den GdB der Klägerin seit dem 24.02.2010 mit 20 fest. Es liege, so das LRA, keine Schwerbehinderteneigenschaft vor.
Hiergegen erhob die Klägerin am 11.05.2010 Widerspruch, zu dessen Begründung sie vorbrachte, nach dem Teilverlust des Dickdarms sei es zu einer Narbenhernie mit Darmproblemen gekommen. Darüber hinaus bestünden eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke und eine Gesundheitsstörung an der Lendenwirbelsäule, deren Bewertung jeweils deutlich zu gering sei. Nach einer versorgungsärztlichen Überprüfung durch die Versorgungsärztin E., die in ihrer Stellungnahme vom 21.07.2010 zu der Einschätzung kam, dass die bisherige Bewertung angemessen sei, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2010 als unbegründet zurück. Nach nochmaliger versorgungsärztlicher Überprüfung sei die Bezeichnung des Wirbelsäulenleidens um einen "Bandscheibenschaden" zu ergänzen, eine Änderung der Bewertung ergebe sich hieraus jedoch nicht. Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 20 angemessen bewertet.
Hiergegen hat die Klägerin am 11.10.2010 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, zu deren Begründung sie vorgebracht hat, das rezidivierende Lumbalsyndrom mit einer massiven Fehlhaltung führe zu erheblichen Rückenschmerzen mit Ausstrahlungen in beide Schultern und sei daher zu niedrig bewertet. Bei ihr liege außerdem ein Teilverlust des Dickdarms vor. Es sei in diesem Zusammenhang auch zu einer Narbenhernie gekommen. Darüber hinaus bestünde eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, welche ihre Gehfähigkeit deutlich einschränke.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Er hat hierzu eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Reiniger vom 20.07.2011 vorgelegt.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen einvernommen. Dr. Dr. F., Facharzt für Orthopädie, hat in seiner Stellungnahme vom 10.01.2011 ausgeführt, die Klägerin seit August 2010 zu behandeln, eine Funktionsbeeinträchtigung der Gelenke sei ihm hierbei nicht aufgefallen. Er hat ferner mitgeteilt, ein mittelgradiges Wirbelsäulensyndrom mit Beeinträchtigung von zwei Wirbelsäulenabschnitten (Brust- und Lendenwirbelsäule), ein leichtes Supraspinatussehnensyndrom rechts mit geringgradiger Funktionsbeeinträchtigung der Schulter und einen Senk-Spreiz-Knick-Fuß diagnostiziert zu haben. Die Schultersymptomatik habe sich unter der physikalischen Therapie deutlich gebessert. Der Orthopäde Dr. Drescher hat unter dem 10.01.2011 ausgeführt, er habe die Klägerin zwischen 2007 und 2010 behandelt. Dabei habe er eine rechtskonvexe Lumbalskoliose mit rezidivierendem Lumbalsyndrom (mittelgradig) und Gonarthrose beidseits diagnostiziert. Am rechten Knie bestehe keine nennenswerte Einschränkung. Am linken Knie träten nach einer längeren Gehstrecke belastungsabhängige Schmerzen auf. Die Bewegungseinschränkung am linken Knie sei geringgradig. Zu einer Erkrankung eines Schultergelenks könne er keine Auskünfte geben. Der Facharzt für Innere Medizin Dr. G. hat in seiner Stellungnahme vom 20.01.2011 mitgeteilt, bei der Klägerin, die er hausärztlich betreue, ein rezidivierendes Lendenwirbelsäulensyndrom, labile Hypertonie, Hyperlipidämie, Autoimmunthyreoiditis, Gonarthrose beidseits und einen Z.n. Hemikolektomie/Kolonpolyp diagnostiziert zu haben. Das Lendenwirbelsäulensyndrom stufe er als mittelgradig ein. Die Klägerin leide weiter unter unklaren Bauchschmerzen wegen Verwachsungen nach der Hemikolektomie. Der Orthopäde Dr. H. hat in seiner Stellungnahme vom 14.03.2011 mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe eine mittelgradige Varusgonarthrose beidseits mit beginnender Retropatellararthrose beidseits.
Ergänzend hat die Klägerin einen Arztbrief des Dialysezentrums Freiburg vom 20.04.2011 vorgelegt.
Das SG hat sodann Dr. I., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dr. I. hat in seinem fachorthopädischen Gutachten vom 23.12.2011 bei der Klägerin mäßige degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule, evtl. cervikal bedingten Schwindel, ein Dysstabilitätssyndrom L4/5, ein Supraspinatussehnensyndrom rechts mehr als links, medial betonte Gonarthrose beidseits, Spreizfuß mit Hallux valgus beidseits und Fersensporne beidseits diagnostiziert. Die Behinderungen der Kniegelenke und der Lendenwirbelsäule seien als mittelschwer, die der Halswirbelsäule, der Schultergelenke und der Füße als leicht einzustufen. Dr. I. hat den Einzel-GdB für die Halswirbelsäulenerkrankung mit Schwindel sowie für die Schultergelenks- und Fußbeschwerden jeweils mit 10, den der Lendenwirbelsäulen- und der Kniebeschwerden jeweils mit 30 eingeschätzt. Insg. hat er den GdB mit 40 bewertet. Die Abweichungen zu den zuvor gehörten Ärzten beruhten auf der exakteren Beurteilung der Krankheitsbilder, was insbesondere die Kniegelenke (mediale und retropatellare Gonarthrose) und die Lendenwirbelsäule (Dysstabilitätssyndrom) betreffe. Vor allem die zuletzt genannte Erkrankung werde in ihrer Tragweite häufig unterschätzt. Die Klägerin leide glaubhaft unter Schmerzen und sei in ihrer Belastungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt.
Der Beklagte hat, nachdem ihm das Gutachten von Dr. I. vorgelegt wurde, gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. K. vom 23.01.2012, unter dem 02.02.2012 ein Vergleichsangebot unterbreitet, den GdB der Klägerin ab dem 24.02.2010 mit 40 festzustellen. Die Klägerin ist dem Vergleichsangebot nicht beigetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 13.04.2012 hat das SG den Beklagten verurteilt, den GdB der Klägerin seit dem 24.02.2010 mit 40 festzustellen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Wirbelsäulenerkrankung der Klägerin sei, da der gerichtliche Sachverständige Dr. I. mittelschwere Funktionsbeeinträchtigungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten bekundet habe, mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Die Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke rechtfertige in Ansehung der bestehenden Bewegungseinschränkungen einen Einzel- GdB von 20. Die Schultererkrankung sei, wegen des geringen Funktionsverlustes mit einem Einzel-GdB von 10 anzusetzen. Die von der Klägerin geltend gemachte Darmerkrankung sei, so das SG, nicht geeignet, den GdB zu erhöhen. Zwar leide die Klägerin an Bauchschmerzen, eine fachinternistische oder urologische Behandlung finde jedoch nicht statt, so dass nicht ersichtlich sei, dass eine erhebliche Behinderung bestehe. In Zusammenschau der bestehenden Beeinträchtigungen sei ein GdB von 40 angemessen.
Mit Bescheid vom 22.05.2012 hat das LRA in Ausführung des Gerichtsbescheides den GdB der Klägerin ab dem 24.02.2010 mit 40 festgestellt.
Gegen den am 17.04.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 03.05.2012 Berufung eingelegt. Das SG habe, so die Klägerin begründend, nicht sämtliche gesundheitlichen Beeinträchtigungen berücksichtigt. Es habe bestehende Erkrankungen auf internistischem und psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet nicht berücksichtigt und auch die Erkrankung der Füße außer Betracht gelassen. Auch sei das SG fälschlicherweise der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen betreffend die Bewertung der Kniegelenkserkrankung nicht gefolgt. Die Klägerin hat hierzu einen Arztbrief von Dr. L., Arzt für Neurologie und Psychiatrie vom 05.07.2011, in dem über eine Vorstellung der Klägerin am 04.07.2011 berichtet wird, sowie einen Arztbrief von Dr. Halt, Facharzt für Nuklearmedizin und Radiologie, vom 08.09.2011 vorgelegt.
Am 23.12.2011 und am 16.05.2012 hat die Klägerin beim LRA jeweils einen Antrag auf Erhöhung des bei ihr festzustellenden GdB gestellt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13. April 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 04. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2010 zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von 50 seit dem 24. Februar 2010 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Zur Begründung bringt er vor, das Begehren der Klägerin werde durch den medizinischen Sachverhalt nicht bestätigt. Hierzu hat er eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Reiniger vom 30.10.2012 und von Dr. Wolf vom 09.07.2013 vorgelegt. Hierbei wurde für eine Funktionsbeeinträchtigung "Fibromyalgiesyndrom (Somatoforme Schmerzstörung), Seelische Störung" ein Einzel-GdB von 10 vorgeschlagen. Der Senat hat zur Aufklärung des Sachverhalts die Fachärztin für psychotherapeutische Medizin - Psychotherapie - Psychoanalyse Wendler schriftlich als sachverständige Zeugin einvernommen. In Ihrer Stellungnahme vom 28.07.2012 hat Fr. Wendler mitgeteilt, bei der Klägerin eine chronisch-rezidivierende mittelgradige Depression und ein chronisches Schmerzsyndrom diagnostiziert zu haben, wodurch bei der Klägerin eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bedingt sei.
Der Senat hat ferner die bei der Deutschen Rentenversicherung Baden- Württemberg für die Klägerin geführte Versichertenakte eingesehen und die dort befindlichen medizinischen Unterlagen - ein Gutachten der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Wörner, den Entlassungsbericht der Rheintalklinik, Bad M., vom 19.12.2011 über eine Rehabilitationsmaßnahme vom 23.11. - 14.12.2011 und Arztbriefe behandelnder Ärzte - zum Verfahren beigezogen. Dr. Wörner hat in ihrem Gutachten vom 21.10.2011 bei der Klägerin eine medikamentös behandelte arterielle Hypertonie, beidseitige Gonarthrose mit einer leichten Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit und wiederkehrende Lumbalgien bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit mäßiger Einschränkung der Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule diagnostiziert. Anlässlich der Rehabilitationsmaßnahme in der Rheintalklinik wurde bei der Klägerin eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine rezidivierende depressive Störung, aktuell leicht bis mittelgradig, der V.a. Fibromyalgie, ein chronisches Thorakolumbalsyndrom bei S-förmiger Skoliose und muskulärer Dysbalance sowie ein Impingement-Syndrom diagnostiziert.
Mit Schriftsatz vom 17.10.2013 hat der Beklagte, mit solchem vom 23.10.2013 die Klägerin, jeweils das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die beim Beklagten für die Klägerin geführte Schwerbehindertenakte, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung wurden, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Gegenstand des Verfahren ist der Bescheid vom 04.05.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2010 Der Bescheid vom 22.05.2012 ist nicht nach § 96 Abs. 1 SGG i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, da er lediglich im Sinne einer vorläufigen Regelung dem erstinstanzlichen Gerichtsbescheid Rechnung trägt und insofern keine Regelung i.S.d. § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) trifft (vgl. Beschluss des Bundessozialgerichts [BSG] vom 06.01.2003 - B 9 V 77/01 B; Beschluss vom 18.09.2003 - B 9 V 82/02 B -; Urteil vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 76/04 R - jeweils veröffentlicht in juris). Der Bescheid wird hinfällig wenn der Gerichtsbescheid, auf dem er beruht, aufgehoben wird (BSG, Beschluss vom 21.02.1959 - 11 RV 724/58 - veröffentlicht in juris).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Entscheidung des SG, den Beklagten zu verurteilen, den GdB der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 04.05.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2010 ab dem 24.02.2012 mit 40 festzustellen und die Klage, soweit eine weitergehende Feststellung des GdB geltend gemacht wird, abzuweisen, ist rechtlich nicht zu beanstanden; die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die bei ihr vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 50 festzustellen sind.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest, für den die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend gelten (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist hierbei nur dann zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 69 Abs. 1 Satz 6 SGB IX).
Bei der konkreten Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen ist der ab dem 01.01.2009 an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" getretene Teil B der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG; die jeweilige Seitenangabe bezieht sich auf das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebenen Printexemplars) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung [VersMedV]) heranzuziehen. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung, die ursprünglich in § 30 Abs. 17 des BVG, mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 20.06.2011 (BGBl I 1114) seit dem 01.07.2011 in § 30 Abs. 16 BVG erteilt ist, zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien erfolgte hierdurch nicht. Die VG haben vielmehr die AHP - jedenfalls soweit vorliegend relevant - übernommen und damit gewährleistet, dass gegenüber dem bisherigen Feststellungsverfahren keine Schlechterstellung möglich ist.
Die bei der Klägerin bestehende Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ist mit einem Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen. Die Klägerin leidet nach den Bekundungen des im erstinstanzlichen Verfahren gutachterlich gehörten Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. I. an einem Zervikalsyndrom und einem Lumbalsyndrom bei Dysstabilität des Segments L4/5. Die Bewertung einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bestimmt sich nach Ziff. 18.9 (S. 107) der VG. Danach ergibt sich die Höhe des Einzel-GdB bei Wirbelsäulenschäden in erster Linie aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, selten und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) bedingen danach einen GdB von 10. Bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungs-einschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) wird ein GdB von 20 erreicht. Bei Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist ein GdB von 30 gerechtfertigt. Liegen Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vor, kann ein GdB von 30 - 40 festgestellt werden. Bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst; schwere Skoliose - ab ca. 70 Grad nach Cobb -) wird ein GdB von 50 - 70 festgestellt. Bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit kann ein GdB von 80 - 100 gerechtfertigt sein. Nach den Bekundungen von Dr. I. ist die Gesundheitsstörung im Bereich der Lendenwirbelsäule "gravierend". Zwar hat der Gutachter keine maßgebliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit des Wirbelsäulensegments mitgeteilt und hierzu von einem "wenig spektakulären" Untersuchungsbefund berichtet, Dr. I. hat jedoch nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin ein pathologischer Bewegungsablauf stattfindet, der zu Schmerzzuständen u.a. im Stehen führt. In Ansehung der beschriebenen Schmerzhaftigkeit folgt der Senat der Einschätzung des Gutachters, für die funktionellen Einschränkungen einen Einzel-GdB von 30 anzunehmen. Die Beeinträchtigung der Halswirbelsäule, die angesichts der freien Beweglichkeit und der nicht vorhandenen radikulären und sensomotorischen Defizite allenfalls als leichtgradig eingestuft werden kann, wirkt sich nicht weitergehend auf das Funktionssystem Wirbelsäule aus, so dass ein Einzel-GdB von 30 für die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule angemessen und ausreichend ist.
Die bei der Klägerin bestehende Erkrankung der Kniegelenke, eine beidseitige Gonarthrose, ist mit einem Einzel- GdB von 20 zu berücksichtigen. Die Bewertung von Kniegelenkserkrankungen erfolgt nach Ziff. 18.14 (S.117) der VG anhand der bestehenden Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk. Solche geringeren Grades (z.B. Streckung/Beugung bis 0-0-90°) sind bei einseitigen Vorliegen mit einem Einzel-GdB von 0-10, bei beidseitigem Vorliegen mit einem solchen von 10 - 20 zu berücksichtigen, solche mittleren Grades (z.B. Streckung/Beugung 0-10-90°) bei einseitigem Vorliegen mit einem Einzel-GdB von 20, bei beidseitigem Vorliegen mit einem solchen von 40 zu berücksichtigen. Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z.B. Chondromalacia patellae Stadium II - IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen sind bei einseitigem Vorliegen ohne Bewegungseinschränkungen mit einem Einzel-GdB von 10 - 30, mit Bewegungseinschränkungen mit einem solchen von 20 - 40 zu berücksichtigen. Die Kniegelenke der Klägerin sind nach den von Dr. I. erhobenen Befunden in der Dimension Extension/Flexion im Umfang von 0-0-130° beweglich, so dass hiernach die Berücksichtigung eines Einzel-GdB nicht gerechtfertigt wäre. Einzig wegen der von Dr. I. bekundeten retropatellaren Schmerzhaftigkeit, die nach Dr. I. vor allem das Treppensteigen erschwert, kann eine funktionelle Beeinträchtigung berücksichtigt werden. Da jedoch im Übrigen keine Schwellung oder Erguss besteht, kann die Gesundheitsstörung der Kniegelenke allenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt werden.
Eine isolierte Bewertung der bei der Klägerin bestehenden beidseitigen Spreizfüße mit Hallux valgus und beidseitigen Fersenspornen ist nicht möglich. Die Bewertung von Fußdeformitäten erfolgt nach Ziff. 18.14 (S.118) der VG in Abhängigkeit davon, ob statische Auswirkungen durch die Gesundheitsstörung bedingt sind. Fußdeformitäten ohne wesentliche statische Auswirkungen bedingen hiernach keinen Einzel-GdB, solche mit statischen Auswirkungen geringen Grades einen solchen von 10 und nur solche, mit statischen Auswirkungen stärkeren Grades einen Einzel-GdB von 20. Da Dr. I. in seinem Gutachten jedoch das Bestehen einer funktionellen Einschränkung verneint hat, kann die Gesundheitsstörung weder als Funktionsbeeinträchtigung noch GdB- erhöhend berücksichtigt werden.
Das bei der Klägerin bestehende Supraspinatussehnensyndrom kann in Ansehung der im Wesentlichen freien Beweglichkeit der Schultergelenke, wie von Dr. I. zutreffend ausgeführt, lediglich mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet werden (vgl. Ziff. 18.13 [S.110] der VG). Da auch keine Instabilitäten des Gelenks bestehen, ist dies angemessen.
Die bei der Klägerin vorliegende psychische Erkrankung, nach den Bekundungen der behandelnden Ärztin Wendler eine chronisch-rezidivierende mittelgradige Depression, ist mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach Ziff. 3.7 (S. 42) der VG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 0 – 20, stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrisch, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Schmerzstörungen) mit einem solchen von 30 – 40, schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen mit einem solchen von 50 – 70 und solche mit schweren sozialen Anpassungsstörungen mit einem Einzel-GdB von 80 – 100 zu bewerten. Der Senat vermag sich in Ansehung dieser Maßstäbe nicht davon zu überzeugen, dass bei der Klägerin eine stärker behindernde Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit besteht. So hat Fr. Wendler in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Senat vom 28.07.2012 auf eine Beeinträchtigung in der Dimension "Konzentrationsfähigkeit" verwiesen. Im Übrigen hat sie in ihrem Befundbericht vom 20.06.2012 auch Einschränkungen im Bereich Antrieb mitgeteilt. Da indes nach den Befunden, die Dr. Wörner in ihrem Gutachten für die Deutsche Rentenversicherung vom 17.10.2011 erhoben hat, keine inhaltlichen oder formalen Denkstörungen bestehen, der Affekt stabil und die affektive Schwingungsfähigkeit erhalten ist und auch die Alltagskompetenzen der Klägerin erhalten sind, ist zur Überzeugung des Senats der Schwere der Gesundheitsstörung durch einen Einzel-GdB von 20 angemessen und ausreichend Rechnung getragen.
Der bei der Klägerin bestehende Teilverlust des Dickdarms, durch den funktionelle Einschränkungen nicht bedingt sind - der Ernährungszustand der Klägerin ist normal - sowie die Bluthochdruckerkrankung, die bei durchschnittlichen Blutdruckwerten von 146/90mmHG (vgl. Arztbrief des Dialysezentrums Freiburg vom 20.04.2011) als leichtgradig zu qualifizieren ist, bedingen jedenfalls keine mit einem höheren Einzel-GdB als 10 zu berücksichtigende Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. Ziff. 10.2 [S.71] bzw. Ziff. 9.3 [S.67] der VG).
In Zusammenschau der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ist zur Überzeugung des Senats ein GdB von mehr als 40, wie klägerseits begehrt, nicht festzustellen. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist, bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft, der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Grade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (vgl. Ziff. 3 [S. 22 f] Teil A der Anlage zur VersMedV). Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind zur Überzeugung des Senats weder gänzlich voneinander unabhängig, noch wirken sie sich besonders nachteilig aufeinander aus. Die Auswirkungen überschneiden sich vielmehr. So wird im Rehabilitationsentlassungsbericht vom 19.12.2011 berichtet, dass die von der Klägerin vorgetragenen Schmerzen psychisch stark überlagert seien. Hierzu korrelierend ist die Bewertung der Erkrankung der Lendenwirbelsäule der Klägerin, die keine wesentlichen körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen bedingt, zuvorderst durch die vom Dr. I. angenommene Schmerzhaftigkeit bedingt; sie überlagert sich daher weitgehend mit den Auswirkungen der psychischen Erkrankung. Eine Zusammenschau der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen ergibt vielmehr, dass diese mit funktionellen Einschränkungen, die bei dem Verlust eines Armes im Unterarm oder dem Verlust eines Beines im Unterschenkel auftreten, die jeweils einen GdB von 50 begründen, nicht vergleichbar sind.
Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind mithin mit einem GdB von 40 angemessen und ausreichend bewertet.
Der Gerichtsbescheid des SG vom 13.04.2012, mit dem der Beklagte verurteilt wurde, den GdB der Klägerin mit 40 festzustellen, ist daher nicht zu beanstanden; die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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