L 8 KR 115/12

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 KR 321/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 115/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 24. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten für eine beidseitige Mamma-Reduktionsplastik, welche die Klägerin stationär im Universitätsklinikum Gießen und Marburg im Februar 2011 durchführen hatte lassen.

Die 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie ist Mutter zweier im Jahre 1989 und 1999 geborener Kinder. Bei ihr war Anfang 2006 ein Bandscheibenvorfall im Wirbelsäulensegment L4/5 aufgetreten, der am 10.03.2006 operativ behandelt worden war. Im November 2006 war ein zweiter Bandscheibenvorfall aufgetreten, der konservativ behandelt worden war. Mit Schreiben vom 01.07.2010 des Oberarztes Dr. C., tätig am Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Klinik für Gynäkologie, gyn. Endokrinologie und Onkologie, Standort Marburg, hatte die Klägerin die Kostenübernahme für eine beidseitige Brustverkleinerung beantragt. Dr. C. führte aus, eine Brustverkleinerung würde eine massive Entlastung der Wirbelsäule der Klägerin und damit auch eine wirksame Prophylaxe gegen weitere drohende Operationen bringen. Die Klägerin sei früher deutlich übergewichtig gewesen und habe es geschafft, ihr Körpergewicht um ca. 40 Kilogramm zu senken. Der beabsichtigte Eingriff sei in der besonderen Situation der Klägerin auch als echte Gesundheitsprophylaxe im Hinblick auf weitere Wirbelsäulenschäden zu sehen. Die Beklagte holte beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage unter Auswertung diverser Facharztberichte ein. Dr. D. führte in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 25.10.2010 aus, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Mamma-Hypertrophie und Rückenbeschwerden sei nicht belegt. Es fehlten Angaben über die in letzter Zeit durchgeführten Behandlungen der Wirbelsäulenbeschwerden. Letztere könnten durch konsequente haus- und fachärztliche Behandlung, physikalische Therapie, Krankengymnastik, bedarfsweise medikamentös behandelt werden. Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.11.2010 die Kostenübernahme für die beantragte Mamma-Reduktionsplastik ab. Die Klägerin legte Widerspruch ein und übermittelte eine schriftliche Stellungnahme des Dr. C. vom 18.11.2010. Darin heißt es, seit 1921 sei in der medizinischen Literatur verankert, dass einen Zusammenhang zwischen Mamma-Hypertrophie und Rückenbeschwerden gebe. Die Beklagte holte eine weitere Stellungnahme des MDK nach Aktenlage ein. Dr. F. führte darin unter dem 30.12.2010 aus, es ergäben sich keine neuen medizinischen Sachverhalte. Das Vorgutachten sei zutreffend.

Während der Laufzeit des Widerspruchsverfahrens ließ die Klägerin im Universitätsklinikum Gießen und Marburg am 15.02.2011 eine Mamma-Reduktionsplastik beidseits durchführen, wobei linksseitig 1.139 Gramm und rechtsseitig 1.045 Gramm an Gewebemasse entfernt wurden. Die histologische Untersuchung des entfernten Brustgewebes ergab keinen pathologischen Befund. Die stationäre Behandlung dauerte vom 14.02.2011 bis zum 19.02.2011. Nach den im Gerichtsverfahren vorgelegten Unterlagen hatte die Klägerin mit dem Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH einen Vertrag "bezüglich einer gewünschten operativen Leistung" (Wahloperation) zur "Brustverkleinerung" abgeschlossen. In dem Vertragstext heißt es, die vorstehende Operation wird zu einem Pauschalpreis einschließlich Mehrwertsteuer in Höhe von 5.200,00 EUR durchgeführt. Bei der Wahlleistung handele es sich nicht um eine Maßnahme, die zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Im Pauschalpreis seien enthalten Beratung und Aufklärung, Durchführung des operativen Eingriffs inklusive Narkoseleistung, postoperative stationäre Nachbetreuung sowie zweimalige postoperative ambulante Kontrolluntersuchungen. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin die Schlussrechnung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg vor, die auf 5.200,00 EUR lautet. Weiter legte die Klägerin den Entlassungsbericht des Universitätsklinikums vom 18.02.2011 vor. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2011 als unbegründet zurück. Für die durchgeführte Mamma-Reduktionsplastik beidseits habe nach den Darlegungen des MDK keine medizinische Notwendigkeit bestanden, womit eine Einstandspflicht der Krankenkasse nicht in Betracht komme.

Hiergegen erhob die Klägerin am 14.12.2011 Klage zum Sozialgericht Kassel mit dem Klagebegehren, die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten, welche aus Anlass des vollstationären Krankenhausaufenthaltes im Universitätsklinikum Gießen und Marburg zur Durchführung der Mamma-Reduktionsplastik in Höhe von 5.200,00 EUR entstanden sind, zu erstatten. Die Klägerin legte ein Attest des Gynäkologen Dr. E. vom 21.12.2011 vor. Darin heißt es, bei persistierender Makromastie beidseits mit häufigen psychischen Dekompensationen und rezidivierenden Beschwerden im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule sei dringend eine Mamma-Reduktionsplastik aus medizinischer Indikation heraus empfohlen worden. Seit dem im Februar 2011 durchgeführten Eingriff sei die Klägerin fast beschwerdefrei im Hinblick auf die geschilderten orthopädischen Beschwerden, sodass der Eingriff auch post festum als medizinisch gerechtfertigt erscheine.

Das Sozialgericht Kassel wies nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24.02.2012 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus: Der streitige Kostenerstattungsanspruch scheitere bereits daran, dass den geltend gemachten Kosten eine den streitigen Anspruch ausschließende Pauschalvereinbarung zugrunde liege. Im Rahmen des § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), der hier allein als Anspruchsgrundlage in Betracht komme, hätten die Krankenkasse nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht für Kosten aufzukommen, die Versicherten unter Missachtung der Vorschriften der für Ärzte geltenden Gebührenordnung (GOÄ) in Rechnung gestellt werden (Hinweis auf BSG, Urteil vom 23. Juli 1998, B 1 KR 3/97 R sowie BSG in SozR 3-2500 § 13 Nr. 14). Eine Behandlung zu einem von der GOÄ losgelösten Pauschalpreis löse insoweit keine Zahlungsverpflichtung des Patienten aus. Dies gelte unabhängig davon, dass zwischen Patient und Arzt durch Vereinbarung auch eine von der GOÄ abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden könne. Die Gebührenordnung als solche wie auch die darin vorgeschriebenen Rechenschritte sowie die Art und Weise der Abrechnung des ärztlichen Honorars seien nicht abdingbar. Insbesondere sei es unzulässig, anstelle der Vergütung von Einzelleistungen - wie hier - ein Pauschalhonorar ohne Bezugnahme auf das Leistungsverzeichnis der GOÄ in Rechnung zu stellen. Auch eine Pauschalierung des Auslagenersatzes sei ausgeschlossen. Bei der ärztlichen Gebührenordnung handele es sich um ein für alle Ärzte geltendes zwingendes Preisrecht. § 1 Abs. 1 GOÄ verpflichte alle Ärzte, die Vergütungen für ihre beruflichen Leistungen nach der GOÄ zu berechnen. Die ärztlichen Leistungen seien in einem Gebührenverzeichnis erfasst (§ 4 Abs. 1 GOÄ) und innerhalb des durch § 5 GOÄ festgelegten Gebührenrahmens zu bewerten. Selbstständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, könnten nach § 6 Abs. 2 GOÄ entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Erst mit der Erteilung einer den Vorschriften der Verordnung entsprechenden Rechnung werde die Vergütung fällig (§ 12 Abs. 1 GOÄ). Vorher treffe den Patienten keine Zahlungsverpflichtung. Nach § 10 Abs. 1 GOÄ könnten neben den für die einzelnen ärztlichen Leistungen vorgesehenen Gebühren als Auslagen nur die dort unter Nr. 1 - 4 aufgeführten Positionen berechnet werden. Die Berechnung von Pauschalen sei also nicht zulässig. Ein mit einer nicht ordnungsgemäßen Honorarabrechnung konfrontierter Patient sei damit keiner durchsetzbaren Vergütungsforderung des Arztes ausgesetzt. Dies schließe einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V auch dann aus, wenn der Patient die erteilte Rechnung inzwischen bezahlt haben sollte. Denn die Krankenkasse habe für die Kosten einer selbstbeschafften Leistung nur insoweit aufzukommen, als diese durch die Verweigerung der Sachleistung verursacht seien. Dieser erforderliche Kausalzusammenhang fehle auch dann, soweit der Versicherte, sei es freiwillig oder aufgrund einer vermeintlichen Rechtspflicht, mehr aufwende als dem Leistungserbringer in Wirklichkeit von Rechts wegen zustehe. Die Leistungspflicht der Krankenkasse könne nicht weiterreichen als die Zahlungsverpflichtung des Versicherten. Ob der Patient die ohne Rechnung gezahlte Vergütung vom Arzt zurückfordern könne, sei für den krankenversicherungsrechtlichen Kostenerstattungs- bzw. Kostenfreistellungsanspruch ohne Belang. Abzustellen sei mit dem BSG allein darauf, dass ein Vergütungsanspruch des Arztes nur dann bestehe, wenn dem Patienten eine Abrechnung nach den Vorschriften der GOÄ erteilt wurde. Erst dann werde die Vergütung fällig. Eine lediglich pauschale Vergütungsvereinbarung trage dem nicht Rechnung (ebenso BSG, Urteil vom 13. Juli 2004, B 1 KR 11/04 R sowie hieran ausdrücklich festhaltend BSG, Urteil vom 27. März 2007, B 1 KR 25/06 R). Selbst die Vorlage einer spezifizierten Rechnung im Nachhinein vermöge dies nicht mehr zu heilen, da für den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V auf den Zeitpunkt der Entstehung der Kosten abzustellen sei.

Gegen den ihr am 29.02.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27.03.2012 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts finde auf die Rechnung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg die GOÄ keine Anwendung. Die stationäre Behandlung einschließlich Operation sei pauschal als Institutsleistung des Klinikums abgerechnet worden und damit wirksam. Die durchgeführte Mamma-Reduktionsplastik sei auch zwingend notwendig gewesen, um die starken Rückenbeschwerden zu beseitigen. Dieses Behandlungsziel sei auch eingetreten. Insoweit bezieht sich die Klägerin auf eine schriftliche Stellungnahme des Oberarztes Dr. C. vom 21.03.2012.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 24.02.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilten, ihr 5.200,00 EUR als Kostenerstattung für die Mamma-Reduktionsplastik im Universitätsklinikum Gießen und Marburg zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat mit Beschluss vom 29.01.2013 die Entscheidung über die Berufung der Klägerin auf den Berichterstatter übertragen. In der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin zu den Umständen ihrer Mammaoperation und ihrer damaligen gesundheitlichen Situation gehört worden. Sie hat medizinische Unterlagen zur Behandlung ihres Wirbelsäulenleidens aus dem Jahr 2006 vorgelegt. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10.04.2013 und wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergänzend auf die Gerichts- und Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungsinstanz konnte in Besetzung des Berichterstatters und der beiden ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat mit Beschluss vom 29.01.2013 gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung die Entscheidung auf den Berichterstatter übertragen hat. Die Berufung ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 24.02.2012 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Erstattung des ihr für die im Rahmen einer vollstationären Behandlung am 15.02.2011 durchgeführten Mamma-Reduktionsplastik in Rechnung gestellten und von ihr beglichenen Betrages in Höhe von 5.200,00 EUR zu. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch scheitert jedenfalls daran, dass der Klägerin kein Anspruch auf Gewährung der begehrten Brustverkleinerungsoperation als Sachleistung gegenüber der Beklagten zustand und deren ablehnende Entscheidung im Bescheid vom 04.11.2010 rechtmäßig war. Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Zahlungsanspruch kommt hier nur § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V in Betracht. Die Regelung bestimmt: "Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". Der Anspruch auf Kostenerstattung reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSG, Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 16/07 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 13 - Lorenzos Öl;).

Versicherte können nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Krankenbehandlung verlangen, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Eine Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn eine anatomische Abweichung entstellend wirkt (st. Rechtsprechung, vergl. nur BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 9/04 R). Unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion stellen die Form und die Größe der Brust der Klägerin keine körperliche Anomalie dar, die als Krankheit zu bewerten wäre. Der behandelnde Oberarzt der Gynäkologischen Klinik des Universitätsklinikums hat in seinem an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 01.07.2010 keine Erkrankung der Brüste selbst beschrieben, sondern die Indikation für eine beidseitige Brustverkleinerung im Wesentlichen mit der Notwendigkeit der Entlastung der Wirbelsäule der Klägerin und zur Prophylaxe gegen weitere drohende Wirbelsäulenoperationen begründet. Daran hat er auch in seinen späteren Stellungnahmen festgehalten. Auch der Gynäkologe Dr. E. hat in seiner ärztlichen Bescheinigung vom 21.12.2011 rezidivierende Beschwerden im Halswirbel- und Brustwirbelsäulenbereich als Indikation für die durchgeführte Mamma-Reduktionsplastik benannt. Die Größe der Mammae der Klägerin stellt auch unter dem Gesichtspunkt der Entstellung keine Krankheit dar. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anomalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit erzeugt und damit zugleich erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung Anderer wird und sich deshalb aus dem Leben der Gemeinschaft zurückzuziehen oder zu vereinsamen droht, so dass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 14 = BSGE 100, 119). Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Die körperliche Auffälligkeit muss in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi im Vorbeigehen bemerkbar macht. Das BSG hat eine Entstellung bei fehlender oder wenig ausgeprägter Brustanlage unter Berücksichtigung der außerordentlichen Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust revisionsrechtlich abgelehnt (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R, SozR 4-2500 § 27 Nr. 3 = BSGE 93, 252). Gleichermaßen kann der bei der Klägerin vorliegende Befund nicht als entstellend gewertet werden. Eventuelle kosmetische Defizite stellen keine Krankheit dar. Eine (ggf. subjektiv empfundene) Verbesserung des Aussehens ist kein Behandlungsziel der gesetzlichen Krankenversicherung (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.06.2008 - L 9 KR 589/07).

Die orthopädischen Beschwerden begründen die Notwendigkeit eines operativen Eingriffs im Bereich der Brüste nicht. An die Notwendigkeit derartiger Operationen zur Behandlung orthopädischer Leiden sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, da in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen würde (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.04.2006 - L 11 KR 24/05; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.05.2007 - L 5 KR 118/04; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.01.2011 - L 1 KR 197/08; LSG Hessen, Urteil vom 21.08.2008 - L 1 KR 7/07).

Erhebliche, schwerwiegende Erkrankungen der Wirbelsäule lagen bei der Klägerin nach dem MDK-Gutachten von Frau Dr. D. vom 25.10.2010, in dem die von der Klägerin vorgelegten Fremdbefunde ausgewertet wurden, nicht vor. Es handelte sich vielmehr um Erkrankungen, die einer konsequenten konservativen orthopädischen Behandlung zugänglich sind. Für die Richtigkeit dieser sozialmedizinischen Beurteilung sprechen auch die Angaben und die medizinischen Unterlagen, welche die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.04.2013 gemacht bzw. vorgelegt hat. Daraus ergibt sich, dass zwar bei der Klägerin im Jahre 2006 Bandscheibenvorfälle aufgetreten sind. Der erste Vorfall im Segment L4/5 wurde am 10.03.2006 in mikrochirurgischer Technik von dem Neurochirurgen Dr. G. operiert. Daran schloss sich eine Anschlussheilbehandlung in der Reha-Klinik Dr. H., Bad Salzschlirf, an, die vom 27.03. bis zum 17.04.2006 dauerte. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Entlassungsbericht dieser Klinik ergibt sich, dass bei Entlassung das allgemeine Leistungsvermögen nur geringfügig eingeschränkt war auf mittelschwere Tätigkeiten von über sechs Stundentäglich, ohne häufiges Bücken und ohne Zwangshaltungen. Im medizinischen Aufnahme- und Entlassungsbefund findet sich keinerlei Hinweis darauf, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Mamma-Befund und dem orthopädischen Leiden bestehen könnte. Das damalige Gewicht der Klägerin ist in dem Entlassungsbericht mit 107 Kilogramm bei einer Körpergröße von 167 cm angegeben. Nach Angaben der Klägerin ist es dann im November 2006 zu einem Rezidivbandscheibenvorfall im Segment L4/5 gekommen. Für die Richtigkeit dieser Angabe spricht der vorgelegte Kurzarztbrief des Radiologen Dr. vom 27.11.2006. Nachvollziehbar sind auch die Angaben der Klägerin, dass sie dann wieder den Neurochirurgen Dr. G. aufgesucht habe, der aber von einer erneuten Bandscheibenoperation abgeraten habe. Allerdings hat die Klägerin dann auf ausdrückliches Befragen angegeben, weitere fachärztliche Behandlungen ihrer Wirbelsäulenbeschwerden seien nicht mehr erfolgt. Sie habe nur bei ihrem Hausarzt wegen der Rückenbeschwerden in Behandlung gestanden und teilweise privat nach dem Auslaufen der Bewilligung von Krankengymnastik Physiotherapie in Anspruch genommen. Damit in Einklang steht wiederum die Ausführung in dem MKD-Gutachten vom 25.10.2010, dass ein aktueller orthopädischer Bericht nicht vorgelegt worden sei. Wenn aber über Jahre hinweg trotz geltend gemachter massiver Wirbelsäulenprobleme nach dem Jahr 2006 bis zur durchgeführten Mamma-Reduktionsplastik im Februar 2011 keinerlei fachärztliche Behandlung, insbesondere keine orthopädische oder neurochirurgische Behandlung in Anspruch genommen wurde, so spricht dies nach Überzeugung des Gerichts dafür, dass die von der Klägerin als Grund für ihr Verlangen nach Übernahme der Kosten für eine Mamma-Reduktionsplastik angeführten Wirbelsäulenbeschwerden und Funktionsbeeinträchtigungen nicht massiv ausgeprägt waren.

Des Weiteren folgt das Berufungsgericht auch der sozialmedizinischen Beurteilung in dem MDK-Gutachten vom 25.10.2010, wonach ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Mamma-Hypertrophie und Rückenbeschwerden generell nicht belegt sei. Dr. C. ist dem nur mit dem Hinweis entgegengetreten, es gäbe Daten, die seit 1921 in der medizinischen Literatur verankert seien und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Mamma-Hypertrophie und Rückenbeschwerden belegten. Belegstellen, insbesondere aus der medizinischen Literatur, benennt Dr. C. nicht. Das Berufungsgericht geht wie insbesondere auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.04.2006 – L 11 KR 24/05 und Beschluss vom 30.04.2012 – L 1 KR 224/11 B) davon aus, dass es keine klaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße gibt. Bei derartig unsicherer Kausalität besteht keine Verpflichtung der Krankenkasse zur Bewilligung einer Brustverkleinerungsoperation, die etwaige Rückenbeschwerden bessern solle.

Dafür, dass andere Gründe als orthopädische Leiden den Wunsch der Klägerin nach einer beidseitigen Brustverkleinerungsoperation bedingten, sprechen auch die Angaben der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung. Sie hat ausgeführt, dass sie im Jahre 2007 mit einer allgemein deutlichen Gewichtsreduktion begonnen habe und im Jahr 2008 ihr Gewicht extrem weiter habe reduzieren können. Bei dieser Sachlage liegt näher, dass infolge der massiven Körpergewichtsreduktion die großen Brüste der Klägerin als unproportional von dieser empfunden wurden und deshalb eine Brustverkleinerung gewünscht war.

Da der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch bereits daran scheitert, dass die Beklagte nicht verpflichtet war, der Klägerin die streitige Brustverkleinerungsoperation als Sachleistung zu gewähren, bedarf es keiner weiteren ausführlichen Prüfung, ob – worauf das Sozialgericht seine Klageabweisung allein gestützt hat – die Klägerin aufgrund der mit dem Universitätsklinikum Gießen und Marburg getroffenen Pauschalvereinbarung überhaupt einer wirksamen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt war. Die Ausführungen des Sozialgerichts treffen jedenfalls dann zu, wenn es allein um die Kosten einer ärztlichen Behandlung, insbesondere einer solchen durch einen Krankenhausbelegarzt geht. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass der Anwendungsbereich der GOÄ dagegen nicht eröffnet ist, wenn der Patient weitergehend einen umfassenden sogenannten totalen Krankenhausaufnahmevertrag ohne Arztzusatzvertrag mit dem Träger des Krankenhauses geschlossen hat. In einem solchen Fall schuldet der Träger des Krankenhauses nach näherer Maßgabe der vertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen nicht nur ärztliche Leistungen, sondern zusätzlich auch alle anderen medizinisch erforderlichen Leistungen des Krankenhauses, insbesondere auch nichtärztliche pflegerische Betreuung, Unterbringung, Verpflegung und Medikation. Der behandelnde Krankenhausarzt wirkt an der Erfüllung dieser Pflicht des Krankenhausträgers für diesen mit und ist ihm gegenüber verpflichtet. Der behandelnde Krankenhausarzt ist dagegen in einem solchen Fall gegenüber den Patienten weder zur Erbringung der ärztlichen Leistungen im eigenen Namen verpflichtet noch berechtigt, ihm seine Leistungen in Rechnung zu stellen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 11.09.2012 –B 1 KR 3/12 R [Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung in Form einer Mamma-Augmentationsplastik] Juris Rz. 38 ff.).

Es war daher zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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