Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 286/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 667/13 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten dürfen nicht überspannt werden.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbieten sich vertiefte rechtliche Ausführungen im Prozesskostenhilfebeschluss, aber auch eine zu weite Beweisantizipation.
3. Insbesondere sind Beteiligte auf die Entscheidungserheblichkeit von Nachweisen hinzuweisen, bevor die Ablehnung von Prozesskostenhilfe auf die Nichterbringbarkeit von Nachweisen gestützt wird.
4. Verfahren der Erbenhaftung nach § 35 SGB II sind kostenpflichtig nach § 197a SGG.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbieten sich vertiefte rechtliche Ausführungen im Prozesskostenhilfebeschluss, aber auch eine zu weite Beweisantizipation.
3. Insbesondere sind Beteiligte auf die Entscheidungserheblichkeit von Nachweisen hinzuweisen, bevor die Ablehnung von Prozesskostenhilfe auf die Nichterbringbarkeit von Nachweisen gestützt wird.
4. Verfahren der Erbenhaftung nach § 35 SGB II sind kostenpflichtig nach § 197a SGG.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 23. September 2013 aufgehoben und dem Kläger Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., A-Stadt, gewährt.
Gründe:
I.
In der Hauptsache wendet sich der Kläger gegen die Inanspruchnahme aus Erbenhaftung durch den Beklagten.
Mit Bescheid vom 22.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2011 verpflichtete der Beklagte den Kläger, aufgrund von Erbenhaftung nach § 35 SGB II einen Betrag von 8.161,00 Euro zu erstatten. Der Kläger habe im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge aus der Lebensversicherung seines Bruders, der von Juni 2007 bis August 2008 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 9.861,00 Euro vom Beklagten erhalten hatte, einen Betrag von 13.091,80 Euro erlangt. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 SGB II, wonach die die Haftung des Erben entfallen könne, lägen nicht vor. Insbesondere sei keine besondere Härte nach § 35 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ersichtlich.
Mit Beschluss vom 23.09.2013 lehnte das Sozialgericht Augsburg den für das Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt B., A-Stadt, ab. Hinreichende Erfolgsaussichten seien nicht gegeben. Zwar könne - so eine ausführliche rechtliche Würdigung des SG, sogar unter Herbeiziehung der Gesetzesmaterialien - möglicherweise der Tatbestand der besonderen Härte erfüllt sein. Ein Nachweis durch den Kläger, dass er eine Leistungspflicht gehabt habe, sei jedoch nicht erfolgt. Vom Bevollmächtigten des Klägers sei lediglich vorgetragen worden, dass der Kläger für seinen verstorbenen Bruder Zahlungen an die gemeinsame. bereits früher verstorbene Mutter in Höhe von über 10.000,00 Euro erbracht habe. Derartige Zahlungen könnten möglicherweise den Tatbestand der besonderen Härte erfüllen. Nachzuweisen sei aber, dass der Kläger die Zahlungen aus einer Leistungspflicht erbracht hat, etwa er anstelle seiner Geschwister geleistet habe und er deshalb einen Rückforderungsanspruch gegenüber den Geschwistern habe. Dies sei nicht geschehen.
Hiergegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Beweisfragen dürften im Rahmen des PKH-Verfahrens nicht vorweggenommen werden. Die Frage der besonderen Härte sei ein Rechtsbegriff, der auslegungsbedürftig sei. Die Klage sei seit 21.10.2011 anhängig. Bislang habe das Gericht noch nichts verfügt; weder seien gerichtliche Hinweise zur Sach- und Rechtslage, noch eine Beweisaufnahme erfolgt. Zumindest sei eine Auswertung der vorgelegten Beweisunterlagen unter Würdigung der familienrechtlichen Situation des Klägers notwendig.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht überspannt werden (vgl. zuletzt Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 03.09.2013, 1 BvR 1419/13 Rz. 22). Die Prüfung hinreichender Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (BVerfG a.a.O).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Sozialgericht die Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten überspannt.
Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das Sozialgericht in seinem Beschluss rechtliche Ausführungen zum Erbenhaftungsanspruch in einem Umfang und einer Tiefe gemacht hat, wie es im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zulässig ist. Die Beantwortung schwieriger Rechtsfragen darf nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden (vgl. BVerfG a.a.O. Rz. 24).
Denn das Sozialgericht hat zumindest eine unzulässige Beweisantizipation vorgenommen. Zwar ist bei der Prüfung der Erfolgsaussichten grundsätzlich auch zulässig, in engbegrenzten Rahmen eine Beweisantizipation vorwegzunehmen (BVerfG a.a.O. Rz. 23). Diesen engbegrenzten Rahmen unbedenklicher Beweisantizipation hat das Sozialgericht in seinem Beschluss jedoch überschritten. Das Gericht hat die Sachlage zum einen unzureichend im Hinblick auf die vorliegenden Beweismittel gewürdigt. Darüber hinaus ist es seiner Amtsermittlungspflicht bislang nicht nachgekommen und hat stattdessen seinen ablehnenden Beschluss darauf gestützt, dass der Kläger Nachweise nicht erbracht habe, ohne vorher die Entscheidungserheblichkeit der Nachweise den Beteiligten kundzutun bzw. vom Kläger die nach Ansicht des SG entscheidungserheblichen Nachweise einzufordern.
Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ergeben sich aus der Akte des Sozialgerichts. Danach liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfen ohne Ratenzahlung vor.
Im Ergebnis ist der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben und dem Kläger für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., A-Stadt, zu bewilligen.
Für die Kostenentscheidung ist nicht - wie im Hauptsacheverfahren (vgl Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 35 Rz 44) - § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) relevant; Kosten sind gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO für das Beschwerdeverfahren im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu erheben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Gründe:
I.
In der Hauptsache wendet sich der Kläger gegen die Inanspruchnahme aus Erbenhaftung durch den Beklagten.
Mit Bescheid vom 22.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2011 verpflichtete der Beklagte den Kläger, aufgrund von Erbenhaftung nach § 35 SGB II einen Betrag von 8.161,00 Euro zu erstatten. Der Kläger habe im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge aus der Lebensversicherung seines Bruders, der von Juni 2007 bis August 2008 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 9.861,00 Euro vom Beklagten erhalten hatte, einen Betrag von 13.091,80 Euro erlangt. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 SGB II, wonach die die Haftung des Erben entfallen könne, lägen nicht vor. Insbesondere sei keine besondere Härte nach § 35 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ersichtlich.
Mit Beschluss vom 23.09.2013 lehnte das Sozialgericht Augsburg den für das Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt B., A-Stadt, ab. Hinreichende Erfolgsaussichten seien nicht gegeben. Zwar könne - so eine ausführliche rechtliche Würdigung des SG, sogar unter Herbeiziehung der Gesetzesmaterialien - möglicherweise der Tatbestand der besonderen Härte erfüllt sein. Ein Nachweis durch den Kläger, dass er eine Leistungspflicht gehabt habe, sei jedoch nicht erfolgt. Vom Bevollmächtigten des Klägers sei lediglich vorgetragen worden, dass der Kläger für seinen verstorbenen Bruder Zahlungen an die gemeinsame. bereits früher verstorbene Mutter in Höhe von über 10.000,00 Euro erbracht habe. Derartige Zahlungen könnten möglicherweise den Tatbestand der besonderen Härte erfüllen. Nachzuweisen sei aber, dass der Kläger die Zahlungen aus einer Leistungspflicht erbracht hat, etwa er anstelle seiner Geschwister geleistet habe und er deshalb einen Rückforderungsanspruch gegenüber den Geschwistern habe. Dies sei nicht geschehen.
Hiergegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Beweisfragen dürften im Rahmen des PKH-Verfahrens nicht vorweggenommen werden. Die Frage der besonderen Härte sei ein Rechtsbegriff, der auslegungsbedürftig sei. Die Klage sei seit 21.10.2011 anhängig. Bislang habe das Gericht noch nichts verfügt; weder seien gerichtliche Hinweise zur Sach- und Rechtslage, noch eine Beweisaufnahme erfolgt. Zumindest sei eine Auswertung der vorgelegten Beweisunterlagen unter Würdigung der familienrechtlichen Situation des Klägers notwendig.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht überspannt werden (vgl. zuletzt Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 03.09.2013, 1 BvR 1419/13 Rz. 22). Die Prüfung hinreichender Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen (BVerfG a.a.O).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Sozialgericht die Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten überspannt.
Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das Sozialgericht in seinem Beschluss rechtliche Ausführungen zum Erbenhaftungsanspruch in einem Umfang und einer Tiefe gemacht hat, wie es im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zulässig ist. Die Beantwortung schwieriger Rechtsfragen darf nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden (vgl. BVerfG a.a.O. Rz. 24).
Denn das Sozialgericht hat zumindest eine unzulässige Beweisantizipation vorgenommen. Zwar ist bei der Prüfung der Erfolgsaussichten grundsätzlich auch zulässig, in engbegrenzten Rahmen eine Beweisantizipation vorwegzunehmen (BVerfG a.a.O. Rz. 23). Diesen engbegrenzten Rahmen unbedenklicher Beweisantizipation hat das Sozialgericht in seinem Beschluss jedoch überschritten. Das Gericht hat die Sachlage zum einen unzureichend im Hinblick auf die vorliegenden Beweismittel gewürdigt. Darüber hinaus ist es seiner Amtsermittlungspflicht bislang nicht nachgekommen und hat stattdessen seinen ablehnenden Beschluss darauf gestützt, dass der Kläger Nachweise nicht erbracht habe, ohne vorher die Entscheidungserheblichkeit der Nachweise den Beteiligten kundzutun bzw. vom Kläger die nach Ansicht des SG entscheidungserheblichen Nachweise einzufordern.
Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ergeben sich aus der Akte des Sozialgerichts. Danach liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfen ohne Ratenzahlung vor.
Im Ergebnis ist der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben und dem Kläger für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., A-Stadt, zu bewilligen.
Für die Kostenentscheidung ist nicht - wie im Hauptsacheverfahren (vgl Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 35 Rz 44) - § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) relevant; Kosten sind gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO für das Beschwerdeverfahren im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu erheben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
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