L 9 U 2829/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 U 3642/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2829/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin Folgen des Arbeitsunfalles vom 09.02.2006 vorliegen.

Die 1975 geborene Klägerin, die bei der Firma R. AG in L. als Bürokraft beschäftigt ist, erlitt am 09.02.2006 auf dem Weg zur Arbeit als Fahrerin eines PKW auf der Autobahn A 8 einen Auffahrunfall, als ein von hinten kommender PKW auf das Heck ihres Fahrzeugs auffuhr und dieses auf das davorstehende Fahrzeug schob. Die Klägerin setzte nach dem Unfall ihren Weg zur Arbeit fort, suchte aber noch am selben Tag H-Arzt Dr. S. auf, der einen deutlichen muskulären Hartspann im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) sowie eine Einschränkung der HWS-Beweglichkeit in Seitneigung (30-0-30 Grad) feststellte (H-Arzt-Bericht vom 09.02.2006). Reklination/Inklination waren schmerzhaft eingeschränkt, neurologische Symptome wurden aber nicht festgestellt. Eine durchgeführte Röntgenuntersuchung dokumentierte eine Steilstellung der HWS ohne Hinweise für diskoligamentäre Verletzungen. Dr. S. diagnostizierte eine HWS-Beschleunigungsverletzung Typ I nach Rompe und beurteilte die Klägerin als arbeitsfähig. Im Nachschaubericht vom 23.03.2006 beschrieb Dr. S. einen Zustand nach Verkehrsunfall mit HWS-Distorsion sowie eine lumbalgieforme Schmerzsymptomatik. Er verordnete physikalische Therapiemaßnahmen. Die Behandlung zu Lasten der Beklagten endete am 02.05.2006.

Im weiteren Nachschaubericht vom 03.04.2007 berichtete Dr. S. der Beklagten über einen Zustand nach HWS-Distorsion bei muskulärer Dysbalance und noch anhaltender Schmerzhaftigkeit im Bereich der HWS insbesondere bei endgradiger Rotation und Seitneigung, einem deutlich muskulären Hartspann, einer Verkürzung des Muskulus levator scapulae sowie einer Verkürzung des Trapezmuskels ohne radikuläre oder pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung. Er empfahl nochmalige physikalische Therapiemaßnahmen und führte aus, die Behandlung werde dann als abgeschlossen anzusehen sein.

Am 05.06.2007 stellte sich die Klägerin in der Sprechstunde der Berufsgenossenschaftlichen (BG) Unfallklinik T. vor, wo sie ausweislich des Zwischenberichts vom Prof. Dr. W., Dr. V. und Dr. D. vom 15.06.2007 weiterhin über eine persistierende Schmerzsymptomatik im Bereich der HWS bis in die Lendenwirbelsäule (LWS) ausstrahlend sowie über diffuse Kopfschmerzen mit einhergehenden Konzentrationsstörungen berichtete. Zusätzlich bestünde ein diffuser Spannungskopfschmerz. Bei der klinischen Untersuchung waren periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität an den Extremitäten regelrecht ohne auftretende sensomotorische Defizite. Die Beweglichkeit der HWS für Reklination, Inklination sowie Torsion war frei. Die Untersuchung der HWS/BWS/LWS war klopfindolent. Bei der radiologischen Untersuchung der HWS in zwei Ebenen sowie den Re- und Inklinations-Funktionsaufnahmen zeigte sich eine regelrechte Artikulation der Halswirbelsäule ohne Anhalt für eine ossäre Verletzung. Das vordere und hintere Alignement war regelrecht, es bestand kein Versatz, die Intervertebralabstände erschienen regelrecht. In der kernspintomographischen Aufnahme der HWS vom 05.06.2007 zeigte sich eine leichtgradige, breitbasige Protrusion von HWK III/IV, IV/V, VI/VII, jedoch ohne stenosierende Wirkung auf den Spinalkanal. Die Neuroforamina erschienen allseits als frei. Eine Myopathie konnte nicht festgestellt werden. Es wurde die Diagnose einer HWS-Distorsion gestellt.

In einem Zwischenbericht der BG Unfallklinik T. vom 24.07.2007 über eine weitere Vorstellung der Klägerin am 19.07.2007 wurde ausgeführt, dass diese nach ihren eigenen Angaben nach erfolgter EAP-Maßnahme unter einer verstärkten Schmerzsymptomatik im Bereich der HWS sowie beider Schultern leide. Die Schmerzen würden überwiegend nach der physiotherapeutischen Anwendung auftreten. Aufgrund der persistierenden Schmerzsymptomatik wurde eine physiotherapeutische Mobilisation der Halswirbelsäule unter analgetischer Abdeckung empfohlen. Der Wiedereintritt der vollschichtigen Arbeitsfähigkeit wurde ab dem 21.07.2007 angenommen.

Am 27.07.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Durchführung einer osteopathischen Behandlung und Physiotherapie. Im Rahmen einer fachärztlichen Stellungnahme führte die Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. K. unter dem 02.10.2007 aus, dass sie, da die Beschwerden durchgängig angegeben worden seien, die Fortführung der Krankengymnastik zum Aufbau einer wirbelsäulenstützenden Muskulatur für sinnvoll erachte. Als nicht notwendig erachtete sie die Verordnung einer Matratze und die Durchführung einer Osteopathie.

Die Beklagte teilte Dr. K. daraufhin mit, dass zwischen der ersten Rehabehandlung und der erneuten Heilbehandlung eine fast einjährige Behandlungspause gelegen habe, was aufgrund eines Datumsfehlers aus der ersten Anfrage der Beklagten nicht ersichtlich war. Dr. K. teilte hierauf unter dem 06.12.2007 mit, wenn ein Jahr lang keine Beschwerden bestanden hätten, sei der Zusammenhang der erneut aufgetretenen Beschwerden mit dem Unfall unwahrscheinlich. Eine HWS-Distorsion sei auch bei degenerativen Vorschäden nach dieser Zeit folgenlos ausgeheilt. Die erneuten Beschwerden seien unfallunabhängig, insbesondere da die Klägerin in den Röntgenbildern deutliche degenerative Veränderungen aufweise.

Mit Schreiben vom 11.12.2007 beantragte die Klägerin eine Kostenbeteiligung der Beklagten für die Anschaffung einer neuen Matratze sowie nochmals eine osteopathische Behandlung. Sie legte hierzu eine Stellungnahme des behandelnden Krankengymnasten vom 21.11.2007 vor. Danach hatte die physiotherapeutische Behandlung kurzfristig zu einer Linderung der Beschwerden geführt. Die HWS- und LWS-Beschwerden träten jedoch noch immer auf. Gegen Ende der Reha seien auch noch Beschwerden in der linken Schulter aufgetreten, die mit Krepitationen verbunden waren und sich bei Korrektur der Scapula etwas gebessert hätten. Er empfahl eine weitere Stabilisation des Schultergürtels. Weiter beschrieb er Einschränkungen in der HWS, vor allem in der Rotation links sowie in Retraktion und Lateralflexion. Die BWS sei in Rotation und Flexion eingeschränkt. Muskuläre Defizite seien von den Mm. Rhomboideii und des M. trapezius befundet.

Mit Bescheid vom 17.01.2008 erkannte die Beklagte den Unfall vom 09.02.2006 als Arbeitsunfall an. Als Folge dieses Unfalls wurde eine folgenlos ausgeheilte Zerrung der HWS 1. Grades anerkannt. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalles wurden - weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung - die schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS, die Bandscheibenvorwölbung im Bereich der Halswirbelkörper III/IV, IV/V, VI/VII und die Spannungskopfschmerzen anerkannt. Zugleich wurde die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 02.05.2006 hinaus abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, bei der radiologischen Untersuchung am 05.06.2007 seien keine knöchernen Verletzungen im Bereich der HWS festgestellt worden. Die Kernspinuntersuchung habe aber anlagebedingte (degenerative) Bandscheibenvorwölbungen im Bereich der Halswirbelkörper III/IV, IV/V, VI/VII gezeigt. Das von der Klägerin geschilderte Ereignis habe zu einer Zerrung der HWS 1. Grades geführt. Dieser Gesundheitsschaden sei nach medizinischen Erfahrungswerten innerhalb von drei Monaten folgenlos ausgeheilt. Die Behandlungen ab dem 03.04.2007 stünden deshalb nicht mehr im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall vom 09.02.2006, sondern seien allein wegen der vorbestehenden anlagebedingten Veränderungen der Halswirbelsäule erforderlich.

Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch mit der Begründung, die Behandlung nicht am 02.05.2006 abgeschlossen, sondern über weitere Ärzte fortgeführt zu haben. Seit dem Unfall habe sie Beschwerden, welche trotz wiederholter Physiotherapie nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Unfallereignis behoben werden konnten. Dr. D. von der BG-Unfallklinik habe die Diagnose HWS-Distorsion bestätigt, welche den unmittelbaren Zusammenhang begründe und eine erweiterte ambulante Physiotherapie verordnet. Dr. D. habe die Unfallfolgen, welche immer noch eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit begründeten, sogar als Dauerschaden definiert. Dem Widerspruch beigefügt war eine Verordnung von Dr. D. vom 05.06.2007 zur Durchführung einer erweiterten ambulanten Physiotherapie mit der Diagnosestellung HWS-Distorsion und persistierende Schmerzsymptomatik.

Der Widerspruch wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2008 als unbegründet zurückgewiesen mit der Begründung, die vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere die Röntgen- und Kernspintomographieaufnahmen vom 05.06.2007 belegten, dass der Autounfall vom 09.02.2006 nur geeignet gewesen sei, eine Zerrung der HWS herbeizuführen, welche mittlerweile folgenlos ausgeheilt sei. Insofern kämen Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ausschließlich bis zum 02.05.2006 in Betracht. Das Ergebnis der am 05.06.2007 durchgeführten Röntgen- und Kernspintomographiediagnostik ergebe eine regelrechte Artikulation. Traumatische Verletzungen, insbesondere knöcherne, hätten nicht festgestellt werden können, hingegen hätten sich durch Verschleiß entstandene leichtgradige, breitbasige Vorwölbungen der Halswirbelkörper III/IV, IV/VII, VI/VII gezeigt. Die noch bestehenden Beschwerden stünden im Zusammenhang mit den degenerativ durch den Verschleiß entstandenen Schäden an der Wirbelsäule. Nach den allgemeinen ärztlichen Erfahrungen seien die Vorwölbungen der Bandscheibe in der Regel Folge einer langsamen Zermürbung der Zwischenwirbelscheiben. Ein Unfallereignis gebe in der Regel die Gelegenheit für das Auftreten von Beschwerden, stelle aber keine rechtlich wesentliche Ursache dar. Isolierte Bandscheibenverletzungen ohne knöcherne Beteiligungen seien nach wissenschaftlichen Erkenntnissen fast unmöglich, da die Bandscheibe mehrere Zentimeter tief von der Körperoberfläche entfernt geschützt zwischen zwei Wirbelkörpern sitze und die Reißfestigkeit der Bandscheibe wesentlich höher sei als die Bruchfestigkeit der sie umschließenden knöchernen Struktur. Überdies entwickelten sich isolierte Bandscheibenschäden schicksalsmäßig und beruhten fast immer auf Verschleiß- und Aufbraucherscheinungen am Bandscheibenfaserring. Praktisch träte damit immer zuerst ein Wirbelkörperbruch ein, bevor sich die Struktur der Bandscheibe verändere.

Hiergegen hat die Klägerin am 19.05.2008 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und ergänzend vorgetragen, sie leide weder unter krankhaften noch altersbedingten Abnutzungserscheinungen und weise auch keine Vorerkrankungen auf. Bis zum Unfallereignis sei sie uneingeschränkt gesund gewesen. Die Feststellungen von Dr. D. seien nachvollziehbar und widerlegten die von der Beklagten zitierten Regelsätze.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen einvernommen. Der behandelnde Orthopäde Dr. S. hat unter dem 17.08.2009 von einer orthopädischen Behandlung seit dem 09.02.2006 berichtet. Er habe einen Zustand nach Verkehrsunfall mit HWS-Beschleunigungsverletzung Typ I nach Rompe diagnostiziert. Am Unfalltag habe die Klägerin hauptsächlich über Kopfschmerzen sowie ein leichtes Schwindelgefühl geklagt. Am 21.03.2006 habe sie dann erstmals Schmerzen im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich angegeben. Bei einer durchgeführten Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule in zwei Ebenen habe sich ein Beckengeradstand bei Wirbelsäulengeradstand, ein altersentsprechender Normbefund der Wirbelsäule ohne strukturelle Veränderungen und diskoligamentäre Verletzungen gezeigt. Die Halswirbelsäulenbeschleunigungsverletzung sei unstreitig auf das Unfallereignis zurückzuführen, die Schmerzsymptomatik sei jedoch nur als mittelbare Unfallfolge zu werten. Denn strukturelle Veränderungen lägen nicht vor. Es handele sich vorwiegend um entsprechende Ausstrahlungen durch muskuläre Dysbalancen. Bereits in einem entsprechenden Schreiben mit Datum vom 27.03.2006 habe er die angeführten Veränderungen und Beschwerden als unfallunabhängig eingestuft. Er habe eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 10.02.2006 attestiert. Für weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten fehlten ihm entsprechende Anhaltspunkte.

Der ebenfalls befragte Prof. Dr. W. konnte unter dem 14.08.2009 keine Aussagen über die Unfallursächlichkeit treffen, da diese Frage nur durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden könne.

Das SG hat sodann Prof Dr. U. (Klinik a., G.) mit der Erstellung eines orthopädisch-chirurgischen Gutachtens beauftragt. Eine radiologische Zusatzbegutachtung führte Prof. Dr. D. durch, der unter dem 28.01.2010 hierzu berichtete, es bestehe eine mäßige Streckhaltung der Segmente HWK 4 bis 7, ohne Nachweis einer Gefügestörung, eine geringe Höhenminderung im Bandscheibenfach HWK 7/BWK 1 bei ansonsten normal weiten Bandscheibenflächen. Die Funktionsaufnahme habe eine deutlich verminderte Retroflexion und insbesondere stark eingeschränkte Anteflexion mit unverändert nachweisbarer Streckhaltung HWK 4 bis 7 zu Tage erbracht. Die von der Klägerin angegebenen Beschwerden bzw. die nachweisbare Fehlhaltung seien im Rahmen des angegebenen Distorsionstraumas der HWS erklärbar.

In dem zusammen mit Dr. B. verfassten Gutachten vom 24.01.2010 hat Prof. Dr. U. ausgeführt, die Klägerin habe auf Befragung Rückenschmerzen vor dem Unfallereignis verneint, ebenso Verletzungen und Erkrankungen der Wirbelsäule. Bei der Untersuchung habe er einen geringgradigen Klopfschmerz über der Halswirbelsäule, am Übergang zur Brustwirbelsäule festgestellt. Paravertebral der mittleren und unteren BWS und LWS sei beidseits ein etwas verstärkter Muskeltonus zu tasten. Occipital konnte beidseits ein leichter Druckschmerz ausgelöst werden, auch paravertebral der HWS konnte ein leichter Druckschmerz ausgelöst werden; im Verlauf des M. trapezius beidseits und des M. levatos scapulae beidseits konnten geringgradige Druckschmerzen provoziert werden. Höhergradige Myogelosen stellte er nicht fest. Die Klägerin habe den Kopf um 10 Grad noch vorne und um 40 Grad nach hinten beugen können. Die Seitneigung der HWS sei nach rechts und links zu jeweils 20 Grad gelungen, das Drehen des Kopfes nach rechts zu 50 Grad und nach links zu 45 Grad. Der Kinnspitzenschulterhöhenabstand bei maximaler Dreh-/Seitneigung nach rechts habe 13 cm und nach links 14 cm betragen. Die Röntgenaufnahmen der HWS in zwei Ebenen hätten in der ap-Aufnahme keine Hinweise für eine skoliotische Veränderung gezeigt. Der Dornfortsatz habe sich regelrecht zentriert dargestellt. In der seitlichen Ebene habe sich eine regelrechte Lordosierung der oberen zwei Drittel der Halswirbelsäule mit unauffälliger Hinterkantenlinie und unauffälliger Vorderkantenlinie gezeigt. Es hätten sich keine auffälligen prävertebralen Weichteilschwellungen gezeigt, die Dornfortsätze hätten sich ebenfalls als regelrecht dargestellt. Die Funktionsaufnahmen der Halswirbelsäule mit Inklination und Reklination hätten eine gering- bis mittelgradige Hypermobilität in C2/C3 gezeigt.

Diagnostisch liege eine gering- bis mittelgradige Bewegungseinschränkung der HWS vor, ein gering- bis mittelgradig verstärkter Muskeltonus der paravertebralen Rückenmuskulatur am HWS/BWS-Übergang sowie am BWS/LWS-Übergang und eine geringgradige Hypermobilität C2/C3. Die gering- bis mittelgradige Bewegungseinschränkung der HWS mit erhöhtem Muskeltonus der paravertebralen Halswirbelsäulenmuskulatur beidseits bestehe vor allem in der Dreh- und Seitneigung der HWS und den damit einhergehenden Bewegungseinschränkungen. Die in der Kernspinuntersuchung dargestellten Bandscheibenprotrusionen würden als unfallunabhängig eingestuft. Da bei der Klägerin keine Vorerkrankungen und auch keine vorausgegangenen Wirbelsäulenverletzungen vorgelegen hätten, sei aufgrund der Indizienkette ein chronisches cervico-cephales Syndrom nach HWS-Distorsion anzunehmen und damit das Unfallereignis vom 09.02.2006 als wesentliche Ursache anzusehen.

Mit Urteil vom 16.05.2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung von Unfallfolgen über den 02.05.2006 hinaus. Insbesondere seien die von der Klägerin angeführten HWS-Beschwerden nicht auf den Unfall zurückzuführen. Hierbei sei es zu einer Heck- und Frontalkollision im Sinne einer Mehrfachkollision gekommen, wodurch die Klägerin eine Beschleunigungsverletzung der HWS 1. Grades in der Einteilung nach Erdmann und auch nach Quebek Task Force (international) erlitten habe. Diese Klassifizierung sei dadurch gekennzeichnet, dass Muskeln, Bänder und Teile des Kapselapparates lediglich gedehnt und gezerrt würden, aber ihren mechanischen Zusammenhalt im Wesentlichen behielten. Eine besondere Bedeutung komme dem beschwerdefreien Intervall während der posttraumatischen Frühperiode zu. Ob die für die Einteilung in den Schweregrad I typischen Symptome vorgelegen hätten, d.h. insbesondere, ob die Klägerin weniger als 16 bis 24 Stunden schmerzfrei gewesen sei und ob ihr kein Weiterarbeiten am nächsten Tag hätte möglich sein dürfen, könne offen bleiben, da die Beklagte bereits für knapp drei Monate eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit anerkannt und Verletztengeld bis 02.05.2006 gewährt habe. Jedenfalls stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Beschwerden zum 03.05.2006 folgenlos ausgeheilt waren. Das Gericht stütze seine Überzeugung auf die sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. S. und Dr. K. Dr. S. habe einen Zustand nach Verkehrsunfall mit HWS-Beschleunigungsverletzung Typ I nach Rompe diagnostiziert und ausgeführt, die Halswirbelsäulenbeschleunigungsverletzung könne unstreitig auf das Unfallereignis zurückgeführt werden, die Schmerzsymptomatik stelle jedoch nur eine mittelbare Unfallfolge dar. Denn strukturelle Veränderungen hätten nicht vorgelegen. Dr. S. habe über den 02.05.2006 hinaus keine Unfallfolgen festzustellen vermocht. Dr. K. habe dieser Einschätzung zugestimmt.

Der Auffassung von Prof. Dr. U., wonach die aktuell bestehenden Beschwerden auf den Autounfall zurückzuführen seien, sei demgegenüber nicht zu folgen. Als wesentliche Untersuchungsbefunde habe Prof. Dr. U. eine gering- bis mittelgradige Bewegungseinschränkung der HWS, einen gering- bis mittelgradig verstärkten Muskeltonus der paravertebralen Rückenmuskulatur am HWS/BWS-Übergang sowie am BWS/LWS-Übergang und eine geringgradige Hypermobilität C2/C3 festgestellt. Das geschilderte chronisch cervico-cephale Syndrom nach HWS-Distorsion lasse sich für die Kammer jedoch nicht nachvollziehen, zumal die herrschende Meinung davon ausgehe, dass für dauerhafte Schäden nach einer HWS-Distorsion im Rahmen eines so genannten Beschleunigungstraumas auch ein morphologisches Substrat bestehen müsse, was vorliegend nicht der Fall sei. Eine so lange Behandlungsdauer widerspreche ebenfalls der medizinischen Fachliteratur. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte für einen chronischen Behandlungsverlauf. Unklar bleibe insbesondere, weshalb sich die Klägerin erst nahezu ein Jahr nach dem Unfallereignis, nämlich im Juni 2007, bei der BG Unfallklinik T. vorgestellt habe. Die Schlussfolgerungen von Dr. U. aufgrund der Indizienkette genügten nicht den Anforderungen, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zu begründen. Die geschilderten Beschwerden könnten nicht mit der notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf den Auffahrunfall zurückgeführt werden. Der Kammer erscheine es nachvollziehbar, dass es sich bei den Schmerzen um entsprechende Ausstrahlungen durch muskuläre Dysbalancen handele, welche bereits im H-Arzt-Bericht diagnostiziert wurden. Auch der behandelnde Krankengymnast habe von muskulären Defiziten der Mm. Rhoboideii und des M. trapezius berichtet. Dass diese jedoch auf den Unfall zurückgingen, sei nicht hinreichend wahrscheinlich, zumal sich in der kernspintomographischen Aufnahme der HWS vom 05.06.2007 eine leichtgradige, breitbasige Protrusion von HWK III/IV, IV/V, VI/VII, ohne stenosierende Wirkung auf den Spinalkanal, gezeigt habe.

Gegen das am 07.06.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 07.07.2011 Berufung eingelegt. Das SG habe die Klage auf Feststellung von Unfallfolgen zu Unrecht abgewiesen. Sie habe zu jedem Zeitpunkt nach dem Unfall erhebliche Beeinträchtigungen gehabt und habe diese noch. Diese resultierten aus dem Unfall. Es hätten bei ihr keine Vorerkrankungen oder altersbedingte Abnutzungserscheinungen vorgelegen. Auch Prof. Dr. U. gehe in seinem Gutachten davon aus, dass die aktuell bestehenden Beschwerden auf das Unfallereignis vom 09.02.2006 zurückgingen. Selbst wenn sie, wie von Dr. S. und Dr. K. diagnostiziert, bei dem Unfall eine HWS-Beschleunigungsverletzung Grad I nach Rompe erlitten habe, schließe dies die Schlussfolgerung von Prof. Dr. U. nicht aus. Selbst dann sei ein abweichender Heilungsverlauf nicht ausgeschlossen. Vor dem Unfall sei sie eine sehr sportliche Frau gewesen ohne Vorbeschwerden oder Vorerkrankungen. Sie könne die Sportarten, die sie vorher ausgeübt habe, jetzt nicht mehr ausüben, sondern sei gezwungen, regelmäßiges Rückentraining zu machen, um die Schmerzen ertragen zu können. Es könne ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass sie sich nicht nach dem Unfall für längere Zeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen ließ, sondern bereits nach einem Tag wieder arbeitsfähig gewesen sei. Sie habe für ihren Arbeitgeber die Messe 2006 vorbereiten müssen und dies in vertraglicher Pflichterfüllung getan, obwohl sie nach dem Unfall von Anfang an Beschwerden gehabt habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Mai 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2008 insoweit abzuändern, als die Beklagte als Unfallfolgen - weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlechterung - die schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS, die Bandscheibenvorwölbung im Bereich der Halswirbelkörper III/IV, IV/V, VI/VII und den Spannungskopfschmerz abgelehnt hat und festzustellen, dass die schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS, die Bandscheibenvorwölbung im Bereich der Halswirbelkörper III/IV, IV/V, VI/VII und der Spannungskopfschmerz Unfallfolgen über den 02.05.2006 hinaus sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Unterlagen der A. N. und der m. Betriebskrankenkasse über Vorerkrankungen und -behandlungen der Klägerin bis zum Unfallereignis beigezogen und die behandelnden Ärzte wegen Erkrankungen der Klägerin in der Zeit von 1985 bis zum Unfall befragt. Der behandelnde Orthopäde T. hat unter dem 20.11.2012 von einem Kreuzbandriss (1994) berichtet sowie von einer Behandlung der Brustwirbelsäule im März/April 2002 (thorakale Blockierungen mit Myotendinosen der BWS); ein Eintrag über Halswirbelsäulenbeschwerden oder Kopfschmerzen fand sich in der Krankendokumentation nicht.

Der Senat hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines unfallchirurgisch-orthopädischen Gutachtens bei Dr. S. Dieser berichtet im Gutachten vom 09.09.2013, die Klägerin habe Beschwerden vor dem Unfall verneint. Nach dem Unfall sei sie mit Physiotherapie bis Mai 2006 behandelt worden und habe danach selbständig Übungen und Rückenschule gemacht. Sie habe gemerkt, dass es durch die Übungen besser wurde. Eine ärztliche Behandlung nach dem Mai 2006 habe nicht stattgefunden, sie sei deswegen auch nicht zum Hausarzt gegangen. Ein Jahr später, also 2007, sei sie in die BG-Klinik nach T. gegangen, von wo sie erweiterte ambulante Physiotherapie bekommen habe. Befragt nach den aktuellen Schmerzen habe die Klägerin angegeben, diese zögen von der unteren Halswirbelsäule bzw. oberen Brustwirbelsäule linksseitig über das Schulterblatt bis in den Lendenbereich auf beiden Seiten. Eine weitere Ausstrahlung spüre sie nicht, von der Halswirbelsäule strahlten die Schmerzen aber über den Hinterkopf in den Stirn- und Augenbereich auf beiden Seiten. Die Schmerzen habe sie täglich. Dr. S. hat bei der Klägerin die Diagnosen chronisches cervico-cephales Syndrom ohne radikuläre Reizerscheinungen (ICD: M 53.9), muskuläres Reizsyndrom der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Reizerscheinungen (ICD: M 54.1), narbige Veränderungen am rechten Kniegelenk nach vorderer Kreuzbandplastik 1994 (ICD: M 23.8) und Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung (ICD: F 45.4V) gestellt und ausgeführt, keine dieser Gesundheitsstörungen sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 09.02.2006 zurückzuführen. Die Klägerin habe durch den Unfall ohne Zweifel eine Verletzung der Halswirbelsäule in Form einer HWS-Distorsion erlitten, es sei hierbei aber zu keinen strukturellen Läsionen gekommen. Bei der Erstuntersuchung habe sich im Röntgen eine Steilstellung der Halswirbelsäule ohne Hinweis für diskoligamentäre Verletzungen gezeigt. Wesentlich sei auch, dass zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung und auch danach keine neurologischen Störungen auftraten. Eine neurologische Diagnostik sei von der Klägerin auch zum jetzigen Zeitpunkt verneint worden. Das Fehlen neurologischer Störungen spreche auch gegen eine Einblutung oder Bandscheibenverlagerung. Auch wenn die Kernspintomographie erst etwa eineinhalb Jahre nach dem Unfallereignis durchgeführt worden sei, habe diese keine strukturellen Verletzungen oder narbigen Veränderungen gezeigt. Bei einer tatsächlichen Strukturverletzung sei eine stärkere klinische Ausprägung zu erwarten, z.B. im Sinne einer totalen Haltungsinsuffizienz der Kopfhaltemuskulatur, was bei der Klägerin aber nicht der Fall gewesen sei, die nach dem Unfall noch in der Lage war, in den Betrieb zu fahren. Nach Abschluss der physiotherapeutischen Behandlungen am 02.05.2006 sei über einen Zeitraum von nahezu einem Jahr keine Behandlung oder Konsultation durch den Arzt erfolgt, weshalb offenbar auch keine Behandlungsbedürftigkeit bestanden habe. Infolge des Unfalles seien bei der Klägerin keine komplexen Verletzungsmuster feststellbar, weshalb über den 02.05.2006 keine Behandlungsbedürftigkeit bestanden habe. Es handele sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine sogenannte funktionelle Verletzung und nicht um eine strukturelle Schädigung, was einen Dauerschaden ausschließe. Ein solcher habe sich auch nicht bei der aktuellen Untersuchung der Klägerin feststellen lassen. Vielmehr habe eine erhebliche Diskrepanz zwischen subjektiven Beschwerden und tatsächlichem objektivem Befund vorgelegen. Bei der Funktionsprüfung der Halswirbelsäule sei ganz erheblich gegengespannt worden. Bei wiederholter Prüfung bzw. Ablenkung und in Rückenlage seien dagegen völlig freie Bewegungsausmaße für Rotation und Seitneigung erreicht worden. Gegen einen Dauerschaden sprächen auch die vorliegenden Aufnahmen an der Halswirbelsäule über einen Zeitraum von 2006 und 2011. Hätte der Unfall eine strukturelle Läsion hervorgerufen, so wäre zwingend über diesen langen Zeitraum eine morphologische Veränderung in Form einer höhergradigen Instabilität oder vorauseilenden Degeneration in diesem Bereich zu fordern. Eine solche sei jedoch nicht nachzuweisen. Es sei von einer Fixierung auf die Beschwerden im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung auszugehen. Hierfür spreche die Aufbereitung und Ausgestaltung der Beschwerden über die gesamte Wirbelsäule ohne entsprechendes klinisches Korrelat bei unauffälligen bildgebenden Befunden der Hals- und Lendenwirbelsäule.

Der Vorsitzende des Senats hat mit den Beteiligten am 05.11.2013 einen Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstands durchgeführt. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung der von ihr geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen als Folgen des Arbeitsunfalls vom 09.02.2006 hat.

Versicherungsfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 29/07 R - (Juris) m.w.N.).

Voraussetzung für die Anerkennung bzw. Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17= BSGE 96, 196-209).

Die hier vorzunehmende Kausalitätsbeurteilung hat im Übrigen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - a.a.O.).

An diesem Prüfungsmaßstab orientiert stellt der Senat zunächst fest, dass die Klägerin am 09.02.2006 einen versicherten Wegeunfall (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) erlitten hat, durch den ein Gesundheitserstschaden in Form einer HWS-Distorsion verursacht worden ist. Es wurden bei der Klägerin allerdings nach dem Unfall zu keinem Zeitpunkt ossäre, diskoligamentäre oder neurologische Ausfälle oder Verletzungen festgestellt. Dies gilt sowohl für die unfallnah durchgeführten Untersuchungen (Dr S., 09.02.2006: keine Hinweise für diskoligamentäre Verletzungen, derselbe am 21.03.2006: Normbefund der Wirbelsäule ohne strukturelle Veränderungen und diskoligamentäre Verletzungen) als auch für spätere Untersuchungen (BG Unfallklinik vom 05.06.2007: bei Kernspintomographie diskrete Bandscheinbenprotrusionen C4/5 und C6/7, kein Hinweis auf ligamentäre Verletzung oder knöcherne Absprengung; Dres. K. vom 11.01.2012: flache Bandscheibenprotrusion L5/S1 ohne Kompressionseffekt, ansonsten regelrechter Befund der Lendenwirbelsäule). Der vom SG beauftragte Prof. Dr. U. hat ebenfalls einen klinisch weitgehend unauffälligen Befund der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule - bei auch von ihm als unfallunabhängig angesehenen Bandscheibenprotrusionen - erhoben, was sich wiederum im Wesentlichen mit den Befunden von Dr. S. (chronisches cervico-cephales Syndrom ohne radikuläre Reizerscheinungen, muskuläres Reizsyndrom der Brust- und Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Reizerscheinungen) deckt.

Lässt sich aber über die von Dr. S. diagnostistizierte HWS-Distorsion 1. Grades hinaus kein dem Unfall kausal zuzuordnender struktureller Gesundheits(erst)schaden feststellen, so ist, wie Dr. S. in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt hat, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Unfall die wesentliche Ursache für die beschriebenen und fortwirkenden gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin darstellt. Soweit Prof. Dr. U. die Kausalität (gleichwohl) bejaht hat, bleibt er eine schlüssige Begründung dafür schuldig, warum trotz eines - auch von ihm erhobenen - weitgehend unauffälligen klinischen Befundes das festgestellte chronische cervico-cephale Syndrom nach HWS-Distorsion kausal auf den Unfall zurückzuführen sein soll. Der Umstand, dass die Klägerin nach eigenen Angaben vor dem Unfall keine Vorerkrankungen und auch keine Wirbelsäulenverletzungen hatte - was Prof. Dr. U. als tragenden Gesichtspunkt für die Kausalitätsbeurteilung und die von ihm beschriebene Indizienkette heranzieht -, vermag die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit einer wesentlichen Verursachung (allein) nicht zu begründen. Gegen eine wesentliche Verursachung der Gesundheitsstörungen durch das Unfallereignis spricht zudem, worauf schon das SG und auch Dr. S. in seinem Gutachten zutreffend und schlüssig begründet hingewiesen haben, die lange Behandlungspause von knapp einem Jahr ab Mai 2006, wie sie auch in den vom Senat beigezogenen Unterlagen der Krankenkasse der Klägerin dokumentiert ist und die gegen einen durchgängigen starken Leidensdruck der Klägerin und damit gegen das Fortwirken von Unfallfolgen spricht. Der subjektiven Schilderung der Klägerin, wonach die erheblichen Beschwerden von Anfang an und durchgängig bestanden haben, auf welcher Prof. Dr. U. seine Beurteilung im Wesentlichen stützt, kommt demgegenüber ein geringerer Beweiswert zu, zumal Dr. S. eine erhebliche Diskrepanz zwischen subjektiven Beschwerden und tatsächlichem objektivem Befund festgestellt hat. Vor dem Hintergrund des Fehlens eines nachweisbar dem Unfall zuzurechnenden organischen Korrelats kommen außerdem durchaus andere Ursachen für die Beschwerdesymptomatik in Betracht, wie die von Dr. S. festgestellten muskulären Dysbalancen oder die von Dr. S. angenommene Fixierung auf die Beschwerden im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung.

Nach alledem teilt der Senat die Auffassung des SG, dass nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festzustellen ist, dass bei der Klägerin über den 02.05.2006 hinaus eine dem Trauma vom 09.02.2006 wesentlich kausal zuzuordnende Erkrankung oder gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt. Das angefochtene Urteil des SG war daher nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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