L 9 U 4143/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 4782/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 4143/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. August 2010 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten für Hörgeräte.

Der 1949 geborene Kläger bezog in der ehemaligen DDR wegen der anerkannten Berufskrankheit (BK) Lärmschwerhörigkeit eine Unfallrente nach einer Erwerbsminderung von 20 % vom 01.08.1976 bis zu seiner Ausreise im April 1989 (Unfall-Rentenbescheid vom 28.04.1977).

Am 27.04.1989 beantragte der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland die Weitergewährung seiner Unfallrente. Nach Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens anerkannte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Weiteren: Beklagte) mit Bescheid vom 25.10.1991 eine knapp geringgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits als BK nach den Bestimmungen des Fremdrentengesetzes (FRG), lehnte jedoch die Gewährung von Verletztenrente ab, weil aufgrund der Folgen der BK eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade nicht bestehe. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.1992 zurück.

Mit Bescheid vom 11.05.1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.1992 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ein Rentenanspruch ergebe sich auch nicht aufgrund von § 1150 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Anspruch vor dem 01.01.1992 anerkannt worden und nach dem FRG zu beurteilen sei.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 06.04.2006 erneut geltend gemacht hatte, er sei mit der Entscheidung nicht einverstanden, teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 09.05.2006 mit, ein Anspruch auf Rente bestehe weiterhin nicht, wie sich aus dem Bescheid vom 25.10.1991 ergebe. Da er den Antrag vor dem Stichtag am 01.01.1992 gestellt habe, sei eine Überleitung der Rente nicht möglich. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2006 zurück.

Mit Schreiben vom 04.04.2007 machte der Kläger geltend, seine Ohrschäden seien berufsbedingt, und beantragte eine erneute Überprüfung der bisherigen Entscheidung.

Mit Bescheid vom 26.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2007 teilte die Beklagte mit, ein Anspruch auf Rente bestehe weiterhin nicht. Es seien keine Gründe vorgebracht worden, die eine Überprüfung ihrer rechtskräftigen Entscheidung rechtfertigten. Bei Erlass des Bescheides vom 25.10.1991 sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Gerichtsbescheid des Sozialgericht Reutlingen [SG] vom 02.08.2010 – S 4 U 4139/07 – und Urteil des Landessozialgerichts [LSG] vom 08.05.2012 – L 9 U 4144/10 –).

Im Oktober 2007 beantragte der Kläger unter Übersendung einer ohrenärztlichen Verordnung einer Hörhilfe vom 09.10.2007 (altes Hörgerät technisch verbraucht; zehn Jahre alt) die Gewährung einer Hörhilfe.

Mit Bescheid vom 31.10.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die weitere Kostenübernahme von Hörhilfen (Hörgerät) sowie Batterien zu ihren Lasten werde abgelehnt. Eine Kostenübernahme durch sie könne nicht erfolgen, da das aktuelle Ausmaß der Schwerhörigkeit im Wesentlichen nicht mehr auf den berufsbedingten Anteil der Gesamthörstörung zurückzuführen sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2007 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 10.12.2007 Klage zum SG (S 4 U 4782/07) erhoben und die Gewährung neuer Hörgeräte von der Beklagten begehrt (Bl. 16 der SG Akte).

Das SG hat den behandelnden HNO-Arzt E. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört (Auskünfte vom 21.02., 30.03. und 16.06.2008).

Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme der HNO-Ärztin Dr. B. vom 24.10.2007 vorgelegt, in der diese darlegt, der lärmbedingte Anteil des aktuell angegebenen Hörverlustes sei zu gering, um die Lärmschwerhörigkeit als wesentliche Teilursache des gesamten Hörschadens einzuordnen.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.08.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Versorgung mit neuen Hörgeräten. Der tonaudiometrisch errechnete Hörverlust zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Professor Dr. Z. (Gutachten vom 24.04.1990) habe rechts 35 % und links 55 % betragen, wovon nur die Hälfte auf die berufliche lärmbelastende Tätigkeit des Klägers zurückgeführt worden sei. Demgegenüber habe sich 1997 bereits eine tonaudiometrisch nachgewiesene Verschlechterung ergeben, obwohl schon seit Jahren keine lärmbelastende Tätigkeit mehr ausgeübt worden sei. So habe damals der Hörverlust rechts 75 % und links 95 % betragen. Eine weitere, beruflich nicht verursachte Verschlechterung zeige der tonaudiometrische Befund aus dem Jahr 2007 mit 100 %-igem Hörverlust. Dieser Verlauf zeige, dass die Notwendigkeit der Hörgeräteversorgung nicht mehr durch die als BK anerkannte geringgradige Schwerhörigkeit verursacht werde, sondern durch die lärmunabhängig entstandene, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Die lärmabhängige Komponente spiele angesichts des zwischenzeitlich lärmunabhängig eingetretenen 100 %-igen Hörverlusts keine wesentliche Rolle mehr bei der Hörgeräteversorgung. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den am 13.08.2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25.08.2010 Berufung eingelegt und vorgetragen, 70 % seiner ehemaligen Kollegen, die als Schmied gearbeitet hätten, hätten eine Lärmschwerhörigkeit. Diese sei von den Ärzten, der Gewerkschaft und dem Betrieb anerkannt worden. Alle hätten eine Verletztenrente sowie Hörgerätebatterien und Reinigungsmittel bekommen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 10. August 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit neuen Hörgeräten zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat den HNO-Arzt Professor Dr. S. mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage nebst ergänzender Stellungnahme beauftragt.

Professor Dr. S. hat im Gutachten vom 03.06.2011 und in der ergänzenden Stellungnahme vom 03.11.2012 zusammenfassend ausgeführt, eine wissenschaftlich begründbare Aussage darüber, welchen Anteil die Lärmschädigung an der gesamten Schwerhörigkeit des Klägers jetzt noch habe, sei nicht möglich. Es sei jedoch gut möglich, dass die Schwerhörigkeit des Klägers mit oder ohne Lärmschwerhörigkeitsanteil mit denselben Geräten versorgt werden könne. Wegen der anerkannten BK Lärmschwerhörigkeit sei eine beidseitige Versorgung mit Hörhilfen erforderlich gewesen. Dieses Erfordernis habe sich durch das Hinzutreten eines Nachschadens nicht geändert. Ob die Lärmschwerhörigkeit jetzt noch eine wesentliche Mitursache darstelle, sei aufgrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse weder begründbar noch widerlegbar.

Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme von Professor Dr. J. vom 22.11.2012 vorgelegt.

Nachdem der Senat die Beklagte auf ihre Zuständigkeit als erstangegangener Träger hingewiesen hat und der Kläger auf Anfrage des Senats, ob er nach Oktober 2007 neue Hörgeräte erhalten habe, mitgeteilt hat, die letzte Hörgeräteversorgung sei im November 2007 zu Lasten der IKK classic erfolgt, hat die Beklagte am 27.03.2013 ein Anerkenntnis dahingehend abgegeben, dass sie den nach Abzug der erbrachten Bezahlung durch die Krankenkasse verbliebenen Kostenanteil des Klägers für die im November 2007 erfolgte Hörgeräteversorgung übernimmt.

Dieses Anerkenntnis hat der Kläger nicht angenommen und ausgeführt, von der IKK würden nur die Hörgeräte erstattet und nicht die Batterien unter Reinigungssets.

Daraufhin hat der Senat der Beklagten mitgeteilt, da wegen der im November 2007 erfolgten Hörgeräteversorgung offensichtlich beim Kläger kein Kostenanteil (Eigenanteil) verblieben sei, gehe der Senat davon aus, dass von ihren Kostenanerkenntnis die Kosten für Batterien für das im November 2007 vom Kläger beschaffte Hörgerät mitumfasst seien. Sollte dies nicht der Fall sein, möge die Beklagte dies bis zum 27.06.2013 mitteilen.

Mit Schreiben vom 26.07.2013 hat der Senat dem Kläger mitgeteilt, dass Streitgegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens lediglich der Bescheid der Beklagten vom 31.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2007 sei, mit dem die Beklagte die Kostenübernahme für Hörgeräte (aufgrund der ohrenärztlichen Verordnung vom 09.10.2007) sowie für Batterien abgelehnt habe. Da er im November 2007 ein Hörgerät erhalten habe, dessen Kosten von der IKK classic getragen worden seien, habe sich der angefochtene Bescheid bezüglich der Hörgeräte erledigt, da er das, was er begehrt habe (Hörgeräte), erhalten habe. Da die Beklagte am 27.03.2013 darüber hinaus ein Anerkenntnis abgegeben habe, das die Kosten für die Batterien für das im November 2007 beschaffte Hörgerät mit umfasse (Schreiben des LSG vom 10.06.2013 an die Beklagte), bestehe kein Rechtsschutzinteresse für die Fortführung der Berufung.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist form- und fristgemäß eingelegt. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. Die Berufung ist jedoch mangels Rechtsschutzinteresse nicht zulässig.

Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist, ob die Beklagte dem Kläger aufgrund seines Antrags vom Oktober 2007 neue Hörgeräte zu gewähren hat. Lediglich gegen die Ablehnung der Gewährung von Hörgeräten in den angefochtenen Bescheiden hat sich der Kläger mit seiner Klage (S 4 U 4782/07) gewandt und lediglich hierüber hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid entschieden.

Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis (Rechtsschutzinteresse) voraus. Dabei ist darauf abzustellen, ob die Klagerhebung deshalb nicht erforderlich ist, weil der Kläger seine Rechte auf einfachere Weise verwirklichen kann oder die Klage aus anderen Gründen unnütz ist. Das Rechtsschutzinteresse fehlt insbesondere dann, wenn das begehrte Urteil die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessern würde. Es fehlt auch dann, wenn das angestrebte Ergebnis auf einfachere Weise erreicht werden kann (Keller in Meyer-Ladewig/Kel-ler/Leitherer, SGG, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Aufl., Rn. 16a vor § 51).

Ein Rechtsschutzinteresse an der Gewährung einer Hörhilfe (Hörgeräte) aufgrund des Antrags und der Verordnung von Oktober 2007 besteht nicht. Denn der Kläger hat aufgrund der Hörgeräteverordnung vom 09.10.2007 im November 2007 – wie der Kläger erst auf Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 14.03.2013 mitgeteilt hat – ein Hörgerät auf Kosten der IKK classic erhalten. Angesichts dessen sind sowohl das Klageverfahren als auch das Berufungsverfahren des Klägers unnütz, zumal – ausweislich seines Schreibens vom 18.04.2013 – von ihm kein Eigenanteil zu zahlen war und darüber hinaus die Beklagte sich mit dem Anerkenntnis vom 27.03.2013 bereit erklärt hat, den nach Abzug der erbrachten Bezahlung durch die Krankenkasse verbliebenen Kostenanteil des Klägers für die im November 2007 erfolgte Hörgeräteversorgung zu erstatten.

Mit ihrem Anerkenntnis vom 27.03.2013 hat sich die Beklagte über den eigentlichen Streitgegenstand hinaus (s. Schreiben des Senats vom 10.06.2013) auch bereit erklärt, die Kosten für die Batterien für die im November 2007 angeschafften Hörgeräte zu übernehmen. Angesichts dessen kann die rechtliche und wirtschaftliche Situation des Klägers durch eine Entscheidung des Senats nicht verbessert werden, weshalb ein Rechtsschutzinteresse an der Fortführung der Berufung fehlt, zumal die Übernahme von Kosten für Batterien im Klageverfahren nicht geltend gemacht worden ist und das SG hierüber im Gerichtsbescheid auch nicht entschieden hat.

Soweit der Kläger erstmals im Schreiben vom 18.04.2013 auch die Übernahme von Kosten für Reinigungssets begehrt, ist die Klage schon nicht zulässig. Denn die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden hierüber schon nicht entschieden.

Nach alledem war die Berufung des Klägers als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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