L 10 AS 1793/13 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 5895/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 1793/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2013 aufgehoben und der Klägerin Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten gewährt; Monatsraten oder Beiträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.

Gründe:

Die 1986 geborene Klägerin ist deutsche Staatsbürgerin türkischer Herkunft. Nachdem sie sich mit ihrem 1982 geborenen Ehemann (türkischer Staatsbürger) für etwa ein Jahr in der Türkei aufgehalten hatte, zog sie im April 2012 zurück nach Deutschland und lebte zunächst unter Bezug von Grundsicherungsleistungen bei ihren Eltern. Nach der Geburt ihres Sohnes (für den mittlerweile Kindergeld bewilligt ist) in September 2012, bezog sie zum 01. August 2012 eine ca 50 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung (Bruttokaltmiete 402,- EUR, Heizkostenvorschuss 54,80 EUR), eine Zusicherung des "abgebenden" Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg, die auch die Mietkaution "im Rahmen des § 22 Abs 6 SGB II" betraf, lag vor (vom 11. September 2012).

Mit Bescheid vom 31. Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II bzw Sozialgeld ab dem 01. November 2012 bis zum 30. April 2013. Er berücksichtigte einen Mehrbedarf wegen Alleinerziehung und rechnete Kindergeld und Elterngeld (unter Abzug der Versicherungspauschale) an – monatlicher Zahlbetrag danach 739,99 EUR, davon entfallen 193,97 EUR auf den Sohn der Klägerin. Nachdem am 21. November 2012 der Ehemann der Klägerin eingereist und bei ihr eingezogen war, bewilligte der Beklagte, der von einem dreimonatigen Leistungsausschluss bezüglich des Ehemanns ausgeht, mit Änderungsbescheid vom 27. November 2012 die Leistung für die Klägerin und ihren Sohn ausgehend von einem Wegfall des Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung und ausgehend von nur noch 2/3 der Brutto-warmmiete; zudem hörte er zu der beabsichtigten Aufhebung und Rückforderung an (dem folgend: Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 10. Dezember 2012 für den Zeitraum vom 21. November 2012 bis 31. Dezember 2012 in Höhe von 432,67 EUR für die Klägerin und ihren Sohn).

Mit Bescheid vom 08. Januar 2013 gewährte der Beklagte im Hinblick auf die erteilte Zusicherung der Klägerin ein (Mietkaution-) Darlehen in Höhe von 890,- EUR. Der Bescheid enthielt den Zusatz:

"Solange Sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, werden gemäß § 42a Abs. 2 SGB II die Rückzahlungsansprüche aus diesem Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgeblichen Regelbedarfs je Darlehensnehmer getilgt. In ihrem Fall beginnt die An¬rechnung am 01.02.2013."

Der von der Klägerin unterzeichnete Darlehensvertrag enthielt denselben Passus. Mit Bescheid vom 06. Februar 2013 – bezeichnet als Änderungsbescheid zum Bescheid vom 27. November 2012 – berücksichtigte der Beklagte ab dem 21. Februar 2012 den Ehemann der Klägerin als leistungsberechtigtes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (Regelbedarf und Bedarf für Unterkunft und Heizung für 8 Tage – Berücksichtigung der Regelleistung für Verheiratete bei der Klägerin für den gesamten Monat Februar 2013).

Am 07. Februar 2013 beantragte die Klägerin, sinngemäß für ihren Ehemann, die Überprüfung des Bescheides vom 27. November 2012 – es sei rechtswidrig, von einem Leistungsausschluss bezüglich ihres Ehemannes auszugehen – und legte Widerspruch gegen den Bescheid vom 08. Januar 2013 ein. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 30. September 2011 – S 37 AS 20431/11 ER – wird ausgeführt, die Aufrechnung müsse unterbleiben, da dies zu einer längerfristigen Extremunterschreitung der Armutsgrenze führe. Da im Regelbedarf keine Ausgaben für Mietkosten enthalten seien, führe es zu einem Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Transparenzgebot, wenn der Regelbedarf um Tilgungsraten für ein Kautionsdarlehen gemindert werde. Durch die Aufrechnung seien Ansparungen für unregelmäßig anfallende Bedarfe nicht mehr möglich, was zu einer verfassungswidrigen Unterdeckung des Existenzminimums führe. Da die Tilgungsmodalitäten nach § 42a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als zwingendes Recht ausgestaltet seien, müsse eine verfassungsmäßige Lage durch eine Ermessensausübung im Rahmen des § 22 Abs 6 Satz 3 SGB II ("Eine Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden.") dahingehend hergestellt werden, dass ein Zuschuss gewährt werde.

Mit Bescheid vom 04. März 2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin beziehe Leistungen nach einem Regelbedarf von 345,- EUR, sodass eine Aufrechnung in Höhe von 34,50 EUR monatlich § 42a SGB II entspreche und damit rechtmäßig sei. Der
Überprüfungsantrag betreffend den Leistungsausschluss des Ehemanns wurde mit Bescheid vom 12. Februar 2013 und Widerspruchsbescheid vom 14. März 2013 abgelehnt. In dem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vor dem SG Berlin – S 104 AS 5895/13 ER – in dem beantragt war, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 07. Februar 2013 (gegen die Auf¬rechnungsregelung) anzuordnen, hat das SG mit Beschluss vom 21. Mai 2013 festgestellt, die Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 08. Januar 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04. März 2013 entfalte aufschiebende Wirkung, da die aufschiebende Wirkung nach § 86a Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht nach § 86a Abs 2 Nr 4 SGG iVm § 39 SGB II entfalle, da kein Tatbestand des § 39 SGB II vorliege, insbesondere nicht der der Nr 1 dieser Vorschrift.

Mit der Klage wird das Widerspruchsvorbringen wiederholt und zudem geltend gemacht, die Entscheidung über die Darlehensgewährung sei rechtswidrig, da der Beklagte sich zu weitgehende Sicherheiten verschaffe, wenn er sowohl aufrechne, als sich auch den gesamten Rückzahlungsanspruch bedingungslos abtreten lasse und diese Abtretung nicht im Umfang der Darlehenstilgung durch Aufrechnung reduziere.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das SG die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten für das Klageverfahren abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde, mit der in der Sache nochmals auf die bereits zitierte SG-Entscheidung Bezug genommen und geltend gemacht wird, die Klägerin werde voraussichtlich in absehbarer Zeit nicht zur Rückzahlung des Kautionsdarlehens aus andren Mitteln als der Leistung zur Deckung des Regelbedarfs in der Lage sein.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von PKH unter Beiordnung ihres
Prozessbevollmächtigten, weil sie nach ihren derzeitigen – hier mit Blick auf § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 1 Satz 3 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht näher darzulegenden – persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten des Klageverfahrens auch nur teilweise oder in Raten aufzubringen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 115 ZPO), der Klage eine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 ZPO) nicht abgesprochen werden kann und die Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten erforderlich erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 2 Satz 1 1. Alt ZPO). Dabei beurteilt das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig in summarischer
Prüfung des Sach- und Streitstandes ohne strenge Anforderungen, dh ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffs. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Für die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht die "reale Chance zum Obsiegen" aus, nicht hingegen eine "nur entfernte Erfolgschance" (vgl Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88, juris RdNr 26 = BVerfGE 81, 347, 357f). Gemessen an den aufgezeigten Maßstäben kann der Klage eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden. Das SG wird zunächst den Streitgegenstand zu bestimmen haben. Insoweit ist in Betracht zu ziehen, dass sich die Klägerin allein gegen eine Bewilligung der Mietkaution "nur" als Darlehen wendet, also allein begehrt, diese Bewilligung durch eine Bewilligung als Zuschuss zu ersetzen. Alternativ kommt in Betracht, dass auch eine gerichtliche Entscheidung begehrt wird, wonach die sofortige Tilgung insgesamt oder in der verfügten Höhe keinen Bestand hat, wobei insbesondere auch ein nicht ausgesprochenes, aber aus der Sachlage zu folgerndes
Eventualverhältnis beider Begehren in Betracht zu ziehen ist. Ob die im Bescheid vom 08. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. März 2013 ausgesprochene Gewährung der Mietkaution als Darlehen bzw die gemäß § 42a Abs 2 Satz 2 SGB II in Form eines Verwaltungsakts (iS des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)) verlautbarte Aufrechnungsentscheidung nach § 42a Abs 2 Satz 1 SGB II rechtmäßig sind, ist durchaus fraglich. Zwar gilt nach der Vorstellung des Gesetzgebers die zum 01. April 2011 eingeführte Regelung über die Rückzahlung von Darlehen (§ 42a Abs 2 SGB II) und die geregelte Fälligkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs in dem Monat nach Auszahlung (§ 42a Abs 2 Satz 1 SGB II) auch für Rückzahlungsansprüche aus Mietkautionsdarlehen nach § 22 Abs 6 SGB II, weil die zuletzt genannte Norm insoweit keine Einschränkung macht und § 42a Abs 3 Satz 1 SGB II dies voraussetzt (Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand der Einzelbearbeitung: Dezember 2012, RdNr 301 mwN). Mit dieser Regelung wird zunächst der von der Vorgängerregelung repräsentierte nachvollziehbare Regelungszweck verlassen. Der Grund, weshalb der Gesetzgeber ursprünglich die Gewährung einer Mietkaution als Darlehen zur Bedarfsdeckung (§ 22 Abs 6 Satz 3 SGB II) als ausreichend erachtet hat, bestand darin, dass die Kaution nach Beendigung des Mietverhältnisses im Regelfall an den Mieter zurückfließt, ihm die Kau¬tion aber nicht endgültig belassen werden sollte (BT-Drucks 16/688, Seite 14). Soweit die aktuelle Regelung bewirkt, dass der Leistungsberechtigte das Kautionsdarlehen sogleich abzutragen hat (und damit Gläubiger des Rückzahlungsanspruchs bzgl der Kaution wird bzw einen Anspruch auf Abtretung dieses Anspruchs an sich gegen den Beklagten erwirbt), ist dies zumindest unsystematisch, da in der dazu herangezogenen Leistung zur Deckung des Regelbedarfs keine entsprechenden Mittel vorgesehen sind. Diese enthält zwar auch einmalige Bedarfe, nicht aber einmalige Bedarfe, die den Bedarf für Unterkunft betreffen. Davon ausgehend ist die Gewährung der Mietkaution als Darlehen unter sofortiger Aufrechnung verfassungsrechtlich prekär. Denn es steht eine Unterschreitung des Existenzminimums von verfassungsrechtlich nicht akzeptabler Dauer in Frage. Das BVerfG führt in seinem Urteil vom 09. Februar 2010 – 1 Bvl 1/09 ua, juris = SozR 4 – 4200 § 20 Nr 12, jeweils RdNr 150) zu einer Darlehentilgung (betreffend Darlehen zur Deckung unvorhersehbarer Bedarfe – § 24 Abs 1 SGB II) mit 10 vH der Regelleistung aus, in Anbetracht der Ansparkonzeption des Gesetzgebers sei "diese vorübergehende" monatliche Kürzung der Regelleistung im Grundsatz nicht zu beanstanden. Es erscheint zweifelhaft, ob bei dieser Erwä¬gung darlehensweise Gewährungen in der hier vorliegenden (für Mietkautionen allerdings typischen – § 551 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch) Größenordnung im Blick genommen und als vorübergehend beschrieben werden sollen. Näher dürfte es liegen, dass nur vorübergehende Tilgungen im Umfang von 10 vH der Leistung zur Deckung des Regelbedarfs verfassungsrechtlich unbedenklich erscheinen. Dieser zeitlichen Einschränkung dürf¬te der vorliegende Tilgungsvorgang nicht genügen, da er mehr als zwei Jahre andauern wird. Dabei unterläuft die laufenden Minderung der Leistung zur Deckung des Regelbedarfs wegen solcher Aufwendungen die vom BVerfG geforderte Möglichkeit, Ansparungen bezogen auf die Regelbedarfe vorzunehmen und so einen Ausgleich zu erreichen (dazu BVerfG, aaO, RdNr 205f und bereits oben). Das SG wird zu entscheiden haben, ob im Rahmen des § 22 Abs 6 SGB II mit der mehrfach zitierten Entscheidung des SG Berlin ein atypischer Fall anzunehmen ist (dagegen SG Berlin, Urteil vom 20. März 2013 – S 142 AS 21275/12; SG Köln, Urteil vom 28. September 2012 – S 33 As 1310/12; eher ablehnend Krauß, aaO, RdNr 303) oder ob es Anlass zur Korrektur der einfachgesetzlichen Regelung des § 42a Abs 2 Satz 1 SGB II im Wege verfassungskonformer Auslegung sieht. Zu beachten ist dabei, dass sich die tatsächlichen Gegebenheiten zwischenzeitlich insoweit geändert haben, als der Ehemann der Klägerin leistungsberechtigtes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich; Gerichtskosten werden nicht erhoben und
außergerichtliche Kosten werden nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved