L 9 AS 614/13 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 27 AS 678/13 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 614/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. August 2013 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Beschlusses des Sozialgerichts unter Nr. 1 und Nr. 2 Satz 1 wie folgt gefasst wird:

"1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe von 114,60 Euro für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis zum 31. Juli 2013 zu gewähren. Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 18. Juli 2013 und vom 5. August 2013 wird angeordnet.

2. Der Antragsgegner wird in Aufhebung des Vollzuges der Bescheide vom 18. Juli 2013 und vom 5. August 2013 verpflichtet, an den Antragsteller weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 229,20 Euro für die Zeit vom 1. August 2013 bis zum 31. August 2013 und in Höhe von monatlich 382,00 Euro für die Zeit vom 1. September 2013 bis zum 31. Oktober 2013 zu zahlen."

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

Die am 3. September 2013 beim Sozialgericht Darmstadt eingegangene Beschwerde des Antragsgegners mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. August 2013 aufzuheben und die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 18. Juli 2013 und vom 5. August 2013 abzulehnen,

hat keinen Erfolg.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Juli 2013 bis 31. Oktober 2013 (Leistungen für den Monat November 2013 sind Gegenstand des Verfahrens L 9 AS 772/13 B ER). Das Bundessozialgericht hat insoweit bereits entschieden, dass ein Sanktionsereignis bzw. ein Sanktionsbescheid nach § 31 SGB II keinen abtrennbaren Streitgegenstand darstellt, der isoliert von den übrigen Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II überprüft werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 60/07 R - BSGE 102, 201; BSG, Urteil vom 15. Dezember 2010 - B 14 AS 92/09 R -). Sanktions- und Bewilligungsbescheide bilden vielmehr jeweils eine rechtliche Einheit (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 1995 - 11 RAr 87/94 - SozR 3-1300 § 104 Nr. 9; Urteil vom 16. September 1999 - B 7 AL 32/98 R - BSGE 84, 270; Urteil vom 21.Oktober 2003 - SozR 4-4300 § 144 Nr. 4 zur Sperrzeit im Arbeitsförderungsrecht; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. März 2012 - L 12 AS 3569/11 -). Vorliegend hat der Antragsgegner unter dem 6. Juni 2013, dem 18. Juli 2013 und dem 5. August 2013 Sanktionsbescheide erlassen, dazu korrespondierende Leistungsabsenkungsentscheidungen hat er aber lediglich am 18. Juli 2013 und am 5. August 2013 getroffen. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist zum einen das vorläufige Rechtsschutzbegehren hinsichtlich des Sanktionsbescheides vom 6. Juni 2013, zum anderen nach Verbindung des Verfahrens S 27 AS 678/13 B ER mit dem vorliegenden Verfahren (Beschluss des Sozialgerichts vom 22. August 2013) auch die Sanktions- und Leistungsabsenkungsbescheide des Antragsgegners vom 18. Juli 2013 und vom 5. August 2013. Der Senat teilt allerdings nicht die Auffassung des Sozialgerichts, dass die Sanktions- und Leistungsabsenkungsbescheide des Antragsgegners vom 18. Juli 2013 und vom 5. August 2013 Gegenstand der Klage vom 23. August 2013 (S 21 AS 761/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2013 geworden sind. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) regelt, dass nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens wird, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Eine Abänderung liegt vor, wenn der Verwaltungsakt teilweise aufgehoben und durch eine Neuregelung ersetzt wird. Maßgebend ist der jeweilige Verfügungssatz, nicht die Begründung (BSG, Beschluss vom 28. Oktober 2009 - B 6 KA 56/08 B -; Urteil vom 20. Juli 2005 - B 13 RJ 23/04 R - SozR 4-1500 § 96 Nr. 3). Allerdings ist der Anwendungsbereich des § 96 Abs. 1 SGG jedenfalls auf die Fälle beschränkt, in denen der Regelungsgegenstand des ursprünglichen und des späteren Bescheides und der sich daraus ergebende Streitstoff übereinstimmen, so dass jeweils im Kern über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden ist. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Einbeziehung der Folgeverwaltungsakte in den anhängigen Rechtsstreit sinnvoll, weil durch sie unnötige Verzögerungen und weitere Prozesse vermieden werden. Das mit der Regelung des § 96 SGG verfolgte Ziel, im Interesse der Prozessökonomie ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren zu ermöglichen, würde hingegen verfehlt, wenn die Gerichte gezwungen wären, im Rahmen des laufenden Prozesses auch solche nachgehenden Verwaltungsentscheidungen zu überprüfen, die einen anderen Streitstoff betreffen oder auf einer anderen Tatsachen- oder Rechtsgrundlage ergangen sind (BSG, Urteil vom 24. August 1994 - 6 RKa 8/93 -). Ein solcher Fall liegt hier vor. Zum einen handelt es sich bei den Sanktionsbescheiden um abgestufte Entscheidungen, die aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen ergehen und die sich auch nur teilweise zeitlich überschneiden. Hinzu kommt hier die Besonderheit, dass der Antragsgegner parallel zu dem Sanktionsbescheid vom 6. Juni 2013 keinen Leistungsabsenkungsbescheid erlassen hat. Dies spricht jedenfalls im vorliegenden Fall nicht für eine Übereinstimmung des Regelungsgegenstandes und des sich daraus ergebenden Streitstoffes, so dass die Sanktions- und Leistungsabsenkungsbescheide des Antragsgegners vom 18. Juli 2013 und vom 5. August 2013 nicht Gegenstand der Klage vom 23. August 2013 (S 21 AS 761/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2013 geworden sind. Der Antrag des Antragstellers auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide vom 18. Juli 2013 und vom 5. August 2013 ist aber aufgrund der Verbindung des Verfahrens S 27 AS 703/13 ER mit dem vorliegenden Verfahren Streitgegenstand dieses Verfahrens. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind im Übrigen nicht nur die Regelleistungen, sondern auch die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) abtrennbaren Kosten der Unterkunft und Heizung (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 2013 - B 4 AS 77/12 R - m. w. N.) für die Zeit ab 31. August 2013. Zwar hat der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 14. August 2013 lediglich die Regelleistungen beantragt und mit Schriftsatz vom 21. August 2013 klargestellt, dass mit dieser Antragstellung die Kosten der Unterkunft und Heizung nicht mehr gegenständlich seien. Der Antragsteller selbst hat aber in dem mit Beschluss des Sozialgerichts vom 22. August 2013 hinzuverbundenen Verfahren S 27 AS 703/13 ER Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit geltend gemacht, für die der Antragsgegner eine Kostenzusage nicht mehr erteilt hat, hier also für die Zeit ab 31. August 2013.

Der Antrag des Antragsgegners war entsprechend des tatsächlichen Begehrens des Antragstellers auszulegen. Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers für den Monat Juli 2013 war als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auszulegen und der Tenor des Beschlusses des Sozialgerichts entsprechend neu zu fassen. Denn der Antragsgegner hat unter dem 6. Juni 2013 lediglich einen Sanktionsbescheid erlassen, ohne die Leistungsbewilligung zu ändern. Die Aufhebung einer Bewilligungsentscheidung wegen des Eintritts einer Sanktion setzt zwar keinen vorgeschalteten, zusätzlichen feststellenden Verwaltungsakt voraus; es bedarf aber in einem solchen Fall einer Aufhebungs- bzw. Änderungsentscheidung nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X - (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr. 3 zur bis zum 31. März 2011 geltenden Rechtslage; SG Kassel, Beschluss vom 27. Juni 2013 - S 7 AS 121/13 ER - zur ab 1. April 2011 geltenden Rechtslage; S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31b Rdnr. 7). Soweit der zum 1. April 2011 in Kraft getretene § 31b SGB II nunmehr auf den "Auszahlungsanspruch" abstellt, ändert dies nichts daran, dass es bei bereits bewilligten Leistungen nach dem SGB II weiterhin einer Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X bedarf (S. Knickrehm/Hahn s.o.; a. M. SG Trier, Beschluss vom 14. Dezember 2011 - S 4 AS 449/11 ER -; Berlit in: LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 31b Rdnr. 2, wonach sich durch die Sanktionsentscheidung lediglich der Auszahlungsanspruch mindere, der Leistungsanspruch dagegen durch die Minderung unberührt bleibe). Eine solche Aufhebungs- bzw. Änderungsentscheidung nach § 48 SGB X kann auch nicht in der Formulierung des Sanktionsbescheides, das Arbeitslosengeld II werde nach § 31a SGB II abgesenkt, gesehen werden (a. M. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. März 2013 - L 19 AS 1688/12 B -). Denn diese Formulierung gibt lediglich den Gesetzeswortlaut des § 31a SGB II wieder, lässt aber keine Änderung des Bewilligungsbescheides nach § 48 SGB X erkennen. Außerdem ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner zu den weiteren Sanktionsbescheiden korrespondierend jeweils Leistungsabsenkungsbescheide erlassen hat. Das Begehren des Antragstellers den Monat Juli 2013 betreffend ist daher auf Auszahlung der mit bestandskräftigem Bescheid vom 22. April 2013 bewilligten Leistungen gerichtet. Dieses Rechtsschutzziel erreicht der Antragsteller durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Eines zusätzlichen Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 23. August 2013 (S 21 AS 761/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2013 bedarf es im vorliegenden Verfahren nicht. Denn ein solcher Antrag ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich. Durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird nur die Vollziehbarkeit, nicht dagegen die Wirksamkeit des Verwaltungsakts gehemmt (Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 39 Rdnr. 9 m. w. N.). Die Regelungen eines - isolierten - Sanktionsbescheides erschöpfen sich in der Feststellung des Eintritts der Sanktion und sind darüber hinaus nicht vollziehbar.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben war die Beschwerde mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Tenor des Beschlusses teilweise neu zu fassen war.

An der Zulässigkeit der Beschwerde bestehen Zweifel, soweit diese auf die Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 23. August 2013 gegen den Bescheid vom 5. August 2013 gerichtet ist. Denn der Antragsgegner hat zunächst mit Bescheid vom 2. September 2013 die Leistungen nach dem SGB II ab 1. September 2013 und mit Änderungsbescheid vom 3. September 2013 ab 7. September 2013 entzogen und sodann mit Bescheid vom 12. September 2013 den Entziehungs- und den Änderungsbescheid aufgehoben und vorläufig Leistungen in Höhe von monatlich 382,00 Euro für die Zeit vom 1. September 2013 bis zum 31. Oktober 2013 bewilligt. Der Bescheid vom 12. September 2013 enthält anders als der zum Beschluss des Sozialgerichts vom 26. August 2013 ergangene Ausführungsbescheid vom 27. August 2013 keinen Hinweis darauf, dass Leistungen vorbehaltlich einer anders lautenden Entscheidung des Beschwerdegerichts im vorliegenden Verfahren erbracht werden. Die in Bezug genommenen Vorschriften zur Vorläufigkeit (§ 40 Abs. 2 S. 1 SGB II i. V. m. § 328 SGB III) betreffen materielles Recht. Es spricht daher vieles dafür, dass der Antragsgegner vorläufige Leistungen für die Zeit vom 1. September 2013 bis zum 31. Oktober 2013 vorbehaltslos bewilligt hat. Die Frage der Zulässigkeit bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung.

Denn die Beschwerde ist jedenfalls - ihre Zulässigkeit für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum unterstellt - unbegründet.

Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts erweist sich als rechtmäßig. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG haben hinsichtlich der begehrten Leistungen für den Monat Juli 2013 vorgelegen. Der Antragsgegner hat unter dem 6. Juni 2013 lediglich einen Sanktionsbescheid erlassen, ohne die Leistungsbewilligung zu ändern. Der Leistungsanspruch des Antragstellers folgt daher aus dem insoweit fortgeltenden Bewilligungsbescheid, hier dem bestandskräftigen Bescheid vom 22. April 2013, durch den vorläufige Leistungen für die Zeit vom 1. Mai 2013 bis zum 31. Oktober 2013 bewilligt wurden. Insoweit ist auch ein Anordnungsgrund zu bejahen. Allerdings wurde der Eilantrag beim Sozialgericht Darmstadt erst am 31. Juli 2013 gestellt. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Deckung eines aktuellen Bedarfs grundsätzlich nur für die Zeit ab Antragseingang beim Sozialgericht in Betracht, es sei denn, ein Nachholbedarf für eine rückwirkende Bewilligung für Zeiträume vor Antragseingang ist hinreichend plausibel und glaubhaft gemacht (Beschlüsse des erkennenden Senats vom 29. Januar 2008 L 9 AS 421/07 ER -, vom 16. Februar 2012 - L 9 AS 51/12 B ER - und vom 4. Juli 2013 - L 9 AS 442/13 B ER -). Es ist zwar zweifelhaft, ob diese Voraussetzungen im Zeitpunkt des Antragseingangs beim Sozialgericht vorgelegen haben. Allerdings sind an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im Falle eines ohne Zweifel bestehenden Anordnungsanspruchs geringere Anforderungen zu stellen (Keller in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rdnr. 27). Im Übrigen sieht der Senat im Hinblick auf die dem Antragsteller bereits ausgezahlte Regelleistung für den Monat Juli 2013 keine Veranlassung, die Entscheidung des Sozialgerichts insoweit aufzuheben, da jedenfalls fest steht, dass dem Antragsteller ein Leistungsanspruch aufgrund des bestandskräftigen Leistungsbescheides vom 22. April 2013 zugestanden hat.

Es liegen auch die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide vom 18. Juli 2013 und vom 5. August 2013 vor.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche ist nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft, da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt, keine aufschiebende Wirkung entfalten.

Der Antrag ist auch begründet.

Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu.

Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt (Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 39 Rdnr. 4). Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rdnr. 12c).

Vorliegend bestehen - wie das Sozialgericht zutreffend angenommen hat - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Sanktions- und Leistungsabsenkungsbescheide vom 18. Juli 2013 und vom 5. August 2013. Die Frage, ob die Feststellung der Leistungsminderung innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung erfolgt ist (§ 31b Abs. 1 Satz 5 SGB II), betrifft lediglich den Sanktionsbescheid vom 6. Juni 2013 und bedarf daher im vorliegenden Verfahren keiner Beantwortung. Offen bleiben kann auch, ob es sich bei der in den Eingliederungsverwaltungsakten festgelegten Verpflichtung zur Vorlage von Gewinn- und Verlustrechnungen um "Bemühungen zur Eingliederung in Arbeit" handelt. Diese Frage betrifft die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Eingliederungsverwaltungsakte. Soweit das Sozialgericht meint, der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt sei inzident auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen, hat der Senat zwar Zweifel, ob im Falle der Bestandskraft des Eingliederungsverwaltungsakts in dem Widerspruch gegen Sanktions- und Leistungsabsenkungsbescheide gleichzeitig ein Antrag nach § 44 SGB X gesehen werden kann (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. März 2012 L 12 AS 3569/11 - m. w. N.). Diese Frage ist hier aber letztlich nicht entscheidungserheblich. Denn die Rechtsfolgenbelehrung eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts unterliegt ungeachtet der Frage der Bestandskraft des Verwaltungsakts der Überprüfung im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides. Eine unzutreffende Rechtsfolgenbelehrung führt nämlich nicht zur Rechtswidrigkeit des Eingliederungsverwaltungsaktes, so dass deren Rechtmäßigkeit im Rahmen der Überprüfung des Sanktionsbescheides zu erfolgen hat (vgl. Bayer. LSG, Beschluss vom 5. Juni 2013 - L 11 AS 272/13 B ER -).

Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die Rechtsfolgenbelehrungen in den Eingliederungsverwaltungsakten vom 16. Juli 2012 und vom 23. Mai 2013 nicht den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entsprechen. Die Rechtsfolgenbelehrungen erschöpfen sich im Wesentlichen in der Wiedergabe des Gesetzestextes und lassen eine konkrete, verständliche, richtige und vollständige Belehrung über die Folgen einer Pflichtverletzung nicht erkennen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 - B 14 AS 53/08 R - BSGE 105, 297). Das Sozialgericht hat auch zu Recht beanstandet, dass die Belehrungen eine Vielzahl von Sachverhaltsvarianten nennen, die keinen Bezug zu den konkreten Pflichten des Hilfebedürftigen aufweisen. Der Einwand des Antragsgegners, das Urteil des BSG sei aufgrund eines anderen Sachverhalts ergangen, dort seien sämtliche Rechtsfolgen, die bei einer Sanktion eintreten könnten, genannt worden, in der vorliegenden Rechtsfolgenbelehrung werde lediglich der einschlägige Paragraph für die Pflichtverletzung genannt und deren Dauer und Beginn geregelt, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass die aufgeführten Nachweise über ausreichende eigene Bemühungen zur Aufnahme einer Arbeit hier ebenso wenig Gegenstand der durch Verwaltungsakt ersetzten Eingliederungsvereinbarung seien wie die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II oder die Aufnahme einer Eingliederungsmaßnahme nach § 16 SGB II. Außerdem hat das BSG betont, dass insbesondere eine konkrete Umsetzung auf den Einzelfall zu fordern sei, so dass die Aushändigung z. B. eines Merkblatts mit abstrakt generellem Inhalt nicht ausreiche. Diese strengen Anforderungen seien insbesondere im Hinblick auf die gravierenden Folgen des § 31 Abs. 1 SGB II im Bereich der existenzsichernden Leistungen zu stellen (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 s. o.; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 s. o.). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass bei einem späteren Vermittlungsvorschlag oder anderen erst zukünftig auferlegten Pflichten dann eine dem jeweiligen Sachverhalt angepasste Rechtsfolgenbelehrung ergehen kann (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 26. September 2013 - L 9 AS 547/13 B ER -).

Die Rechtsfolgenbelehrungen in den Eingliederungsverwaltungsakten unterliegen auch Bedenken, soweit darin ausgeführt wird, dass Absenkung und Wegfall drei Monate dauern und mit dem Kalendermonat nach Zustellung des entsprechenden Bescheides über die Sanktion beginnen. Denn ausweislich der vorgelegten Verwaltungsvorgänge hat der Antragsgegner die Sanktionsbescheide nicht förmlich zugestellt, sondern lediglich bekannt gegeben (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 8. Dezember 1977 - V OE 10/77 - ESVGH 28, 192 wonach eine Rechtsbehelfsbelehrung, dass "innerhalb eines Monats nach Zustellung" Widerspruch erhoben werden könne, fehlerhaft sei, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich nicht zugestellt, sondern nur formlos bekannt gegeben werde).

Soweit in den Rechtsfolgenbelehrungen der Eingliederungsvereinbarungen ausgeführt wird, die Absenkung des Arbeitslosengeldes II trete nicht ein, wenn der Leistungsberechtigte für die Pflichtverletzung einen wichtigen Grund nachweisen könne, trifft dies nicht zu. Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II liegt schon keine Pflichtverletzung vor, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für sein Verhalten darlegen und nachweisen kann.

Im Übrigen nimmt der Senat ergänzend auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung Bezug (vgl. §§ 153 Abs. 2, 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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