L 31 AS 1048/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 82 AS 3249/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 1048/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Wird im Rahmen eines Bescheides über die Bewilligung einer Mietkaution als Darlehen eine monatliche Aufrechnung verfügt, handelt es sich bei den diese Aufrechnung vornehmenden Bescheide um nicht gesondert anfechtbare Ausführungsbescheide.
2) Die Gewährung einer Mietkaution als Darlehen begegnet auch deshalb keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil im Hinblick auf die geringfügigen Aufrechnungsbeträge regelmäßig "zukunftsnahe Erwerbschancen" bestehen.
3) Eine Mietkaution kann im Rahmen einer Sollvorschrift zur Darlehensgewährung schon deshalb nicht als Zuschuss gewährt werden, weil die Kaution dadurch ihre Sicherungsfunktion verliere, weil nicht der Hilfebedürftige sondern die Beklagte das Rückzahlungsrisiko zu tragen hätte.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Einbehaltung eines Teiles der ihr gewährten Leistungen zur Darlehenstilgung.

Die 1952 geborene Klägerin beantragte im März 2012 im Anschluss an eine im Vormonat erfolgte Trennung von ihrem Ehemann die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diese wurden ihr in der Folgezeit für die Zeit ab dem 01. März 2012 bis fortlaufend bewilligt. Mit Bescheid vom 12. Juni 2012 sicherte der Beklagte die Übernahme der Aufwendungen für die von der Klägerin ausgewählte Wohnung hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung zu, später gewährte er auch einen Zuschuss für die Erstausstattung der Wohnung.

Auf einen "Antrag auf darlehensweise Übernahme der Mietkaution" bewilligte der Beklagte der Klägerin die Übernahme der Kosten für die ausweislich des Mietvertrages zu leistende Kaution in Höhe von 710 Euro mit "Bescheid vom 09. August 2012" zugegangen am 07.
Dezember 2012, und teilte zugleich mit, dass das Darlehen ab 01. Januar 2013 durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgeblichen Regelbedarfes zu tilgen sei. Begleitend wurde ein Darlehensvertrag geschlossen. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, mit dem sie sich gegen die Aufrechnung mit der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zur Darlehenstilgung wandte. Sie verfüge weder über ein Zusatzeinkommen noch über zukunftsnahe Erwerbschancen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03. Januar 2013 unter Verweis auf § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II zurück. Mit Bescheid vom 25. Januar 2013 bewilligte er der Klägerin sodann für Februar 2013, mit Bescheid vom 21. Januar 2013 für die Zeit vom 01. März bis 31. August 2013 und mit Bescheid vom 09. August 2013 für die Zeit vom 01. September 2013 bis 28. Februar 2014 Leistungen nach dem SGB II, jeweils abzüglich eines Zahlbetrages für Aufrechnung/Tilgung in Höhe von 37,40 bzw. 38, 20 Euro.

Die gegen den Widerspruchsbescheid vom 03. Januar 2013 erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 20. März 2013 abgewiesen. Die Entscheidung des Beklagten, im vorliegenden Fall nicht vom gesetzlichen Regelfall im Hinblick auf die
Darlehensgewährung (Regelfall: Darlehen mit Aufrechnungsbestimmung) abzuweichen, sei nicht zu beanstanden. Allein die Vermögenslosigkeit der Klägerin begründe keinen Anspruch, von einer Darlehensgewährung mit Aufrechnung abzusehen. Denn die Vermögenslosigkeit sei nach § 42 a Abs. 1 SGB II bereits Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung eines Darlehens. Eine besondere Notlage der Klägerin sei nicht zu erkennen. Die Klägerin sei trotz ihres Alters dem Grunde nach erwerbsfähig und könne nach Beendigung der derzeitigen Arbeitsunfähigkeit möglicherweise wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die potentiell ausreichende Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit rechtfertige es, das Mietkautionsdarlehen mit dem Regelbedarf aufzurechnen. Nach einer rechtmäßigen Entscheidung über die Gewährung eines Darlehens sei die Aufrechnung nach § 42 a Abs. 2 SGB II die vom Gesetzgeber angeordnete Folge. Dem Beklagten habe bei der Ausgestaltung des Darlehens kein weiterer Ermessensspielraum zugestanden. Das Gericht sei auch nicht ansatzweise davon überzeugt, dass die Bestimmung des § 42 a Abs. 2 SGB II verfassungswidrig sei.

Gegen diesen ihr am 26. März 2013 zugegangenen Gerichtsbescheid richtet sich die am 24. April 2013 eingegangene Berufung der Klägerin. Die Klägerin trägt vor, dass § 42 a Abs. 2 SGB II verfassungsrechtlichen Bedenken unterliege. Das Bundessozialgericht habe sich in seiner Entscheidung vom 22. März 2012 (Aktenzeichen B 4 AS 26/10 R) skeptisch auch gegenüber der neuen Gesetzeslage geäußert.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2013 aufzuheben und den auf den "09. August 2012" datierten Bescheid des Beklagten über die darlehensweise Bewilligung einer Mietkaution nach dem SGB II in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Januar 2013 und die Bescheide vom 21. und 25. Januar 2013 und 09. August 2013 insoweit aufzuheben, als diese anordneten, dass Teile des ihr
gewährten Arbeitslosengeldes II zur Darlehenstilgung einbehalten und durch Aufrechnung mit der Leistung zur Sicherung des
Lebensunterhaltes getilgt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Dem steht insbesondere nicht die Darlehenshöhe von 710 Euro entgegen, da im Bewilligungsbescheid bereits eine Aufrechnung in Höhe von 10% des monatlichen Regelbedarfs angeordnet ist, so dass letztlich um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr gestritten wird (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Berufung ist aber nicht begründet. Das erstinstanzliche Urteil und der Bescheid des Beklagten vom 09. August 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03. Januar 2013 sind recht-mäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Statthafte Klageart war die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 42 a Rdnr. 46 m.w.N.). Nicht Gegenstand des Verfahrens waren allerdings die in der Folgezeit ergangenen Bewilligungsbescheide des Beklagten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, da diese den Bescheid vom 09. August 2012 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 03. Januar 2013 im Sinne der §§ 86, 96 Abs. 1 SGG weder abgeändert noch ersetzt haben (anders bei am selben Tag ergangenen Bescheiden wohl BSG, Urteil vom 22. März 2012, Aktenzeichen B 4 AS 26/10 R, zitiert nach juris) und da sie weiterhin im Hinblick auf die in diesen Bescheiden enthaltene Minderung des Auszahlungsbetrages wegen der Tilgungsbeträge lediglich ausführenden Charakter haben und insoweit also ohnehin nicht zulässig angreifbar wären.

Rechtsgrundlage für die darlehensweise Gewährung des Betrages für die Mietkaution waren § 22 Abs. 6 Satz 1 und 3 SGB II, wonach eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung als Bedarf anerkannt werden kann, wobei die Mietkaution als Darlehen erbracht werden soll. Gemäß § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfes getilgt. Der Beklagte hat der Klägerin im vorliegenden Fall zu Recht den Mietkautionsbetrag im Darlehenswege zur Verfügung gestellt und weiterhin zu Recht auf der Grundlage des § 42 a Abs. 2 Satz 1 Rückzahlungsansprüche in Höhe von 10 Prozent des Regelbedarfes durch Verwaltungsakt festgesetzt. Zur Begründung wird gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug genommen, denen sich das Gericht anschließt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird. Für die Gewährung einer von vorneherein rückzahlungsfreien Darlehensleistung fehlt es im SGB II an einer Rechtsgrundlage (LSG; Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. April 2013, Az. L 19 AS 561-13 NZB, zitiert nach juris).

Verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Regelung des § 42 a Abs. 2 Satz 1 SGB II bestehen zur Überzeugung des Gerichts nicht. Auch diesbezüglich wird zunächst auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Gerichtsbescheid Bezug genommen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits die grundsätzliche Möglichkeit, 10 Prozent von der Regelleistung zur Deckung von Darlehen einzubehalten, in Zusammenhang mit der Ansparkonzeption des Gesetzgebers als für verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden beurteilt (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 09. Februar 2010, Aktenzeichen 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09, Rdnr. 150, zitiert nach juris). Soweit in diesem Zusammenhang argumentiert wird, dass hier nur eine vorübergehende monatliche Kürzung als verfassungsgemäß erachtet worden sei, ist darauf hinzuweisen, dass auch im vorliegenden Fall nicht eine dauerhafte, sondern eine vorübergehende Kürzung streitig ist und dass es bei derartigen Aufrechnungen angesichts der absolut gesehen geringen Aufrechnungsbeträge einerseits und der typischerweise hohen Darlehensbeträge andererseits regelmäßig nicht lediglich um Aufrechnungen für wenige Monate geht. Eine Einschränkung der Aussage auf wenige Ausnahmefälle eines nur sehr vorübergehenden Bedarfs ist dem genannten Urteil nicht zu entnehmen und auch nicht geboten. Unter Berücksichtigung des infolge dieses Urteils geschaffenen § 21 Abs. 6 SGB II (unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Mehrbedarf) und der ab 01. Januar 2011 zu gewährenden Regelleistung begegnet diese Aufrechnungsmöglichkeit daher keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (ebenso Greiser, in Eicher, SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar, 3. Auflage, 2013, Rdnr. 14 m.w.N., im Ergebnis ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. März 2013, Az. L 2 AS 1829/12 B).

Das Gericht schließt sich insbesondere auch nicht der Einschätzung des Sozialgerichts Berlin (u. a. Beschluss vom 30. September 2011, Aktenzeichen S 37 AS 24431/11 ER, zitiert nach juris) zur Verfassungswidrigkeit an, wo ausgeführt ist, dass die Kürzung des Regelbedarfs um 10 Prozent über einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum hinweg den Empfänger eines Kautionsdarlehens, der weder über Zusatzeinkommen noch über "zukunftsnahe Erwerbschancen" verfüge, einer verfassungswidrigen Situation aussetze. Auch die Klägerin des vorliegenden Verfahrens hat mit dem Fehlen derartiger zukunftsnaher Erwerbschancen argumentiert. Abgesehen davon, dass die in Rede stehenden Kürzungen sehr wohl vorübergehender und nicht dauerhafter Natur sind und weiter abgesehen davon, dass vorliegend in diesem Zusammenhang auch nicht ansatzweise eine einzelfallbezogene Begründung gegeben wurde und auch sonst aus den Akten nicht ersichtlich ist, weshalb der 61jährigen Klägerin Erwerbschancen nicht offenstehen sollten - die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit steht dem jedenfalls nicht entgegen - ist darauf hinzuweisen, dass mit "zukunftsnahen Erwerbschancen" jedenfalls nicht eine
zukunftsnahe Aussicht auf eine gut dotierte Ganztagsstellung gemeint sein kann. Der von der Regelleistung aufgrund der Darlehenstilgung einzubehaltende Betrag in Höhe von 10 Prozent der Regelleistung, also von etwa 38 Euro monatlich, ist mit einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von 2 Stunden wöchentlich selbst im Niedriglohnsektor zu erwirtschaften. Derartige Erwerbschancen bestehen regelmäßig, solange nicht im Ausnahmefall etwas anderes dargelegt ist. Dies ergibt sich als allgemein bekannte Tatsache aus einer Vielzahl von Stellenanzeigen für Tätigkeiten geringen Umfangs im Dienstleistungssektor (Reinigungskraft in privaten Haushalten, Aushilfstätigkeiten im Verkauf, Ferienbetreuung von Haustieren etc.). Letztlich ist anzumerken, dass ALG-II-Empfänger nach dem Grundgedanken des Forderns und Förderns nicht wegen des ALG-II-Bezugs besser gestellt werden sollen als am Arbeitsmarkt integrierte Personen, die sich selbst auf dem Wohnungsmarkt versorgen müssen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Kaution im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter zur Sicherung der Ansprüche des Vermieters dient und den Mieter in wohl verstandenem Eigeninteresse zur Einhaltung der vertraglichen Pflichten veranlasst, da dieser im Regelfall die Rückzahlung der sichernden Kaution anstreben wird. Würde die Kaution nicht als Darlehen, sondern als "Zuschuss" gewährt, würde die Sicherungsfunktion entfallen; das Risiko der Rückzahlung der Kaution vom Vermieter an den Beklagten hätte allein dieser und damit die Allgemeinheit zutragen, ohne dass Einwirkungsmöglichkeiten des Beklagten auf den Hilfebedürftigen zur Einhaltung mietvertraglicher Pflichten bestünden. Auch vor diesem Hintergrund besteht weder verfassungsrechtlich noch einfachgesetzlich Anlass, dass der Beklagte im Rahmen der auf Darlehensgewährung gerichteten Soll-Vorschrift "Zuschüsse" gewährt.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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