L 2 SF 121/12 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 KR 636/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 SF 121/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Beschwerde wegen Ablehnung eines Antrages, einen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 1.325,89 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Sachverständigen Dr. S. besteht.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) hat vor dem Sozialgericht München (Az.: S 17 KR 636/11) beantragt, die Beklagte und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Bg.) zu verurteilen, an sie 3.977,68 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Es handele sich hierbei um die Bezahlung der restlichen Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung für die Patientin C., die bei der Bg. versichert ist. Die Versicherte befand sich vom 1. bis 16. November 2009 wegen einer rezidivierenden Luxation bei Zustand nach Hüft-TEP links in der Klinik der Bf. Die Bg. hat am 15. März 2012 Widerklage erhoben.

Das Sozialgericht hat mit Beweisbeschluss vom 24. November 2011 den Chirurgen und Sozialmediziner Dr. E. S. mit der Erstellung eines Gutachtens zu den Fragen, ob die Codierung der Nebendiagnose M96.6 und die von der Bf. vorgenommene Abrechnung korrekt gewesen sei, beauftragt.

Am 7. Dezember 2011 hat die Bf. einen Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt. Dieser sei langjähriger Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in führender Stellung bzw. sei er dies gewesen. Er habe lange Jahre im Auftrag der Krankenkassen Abrechnungen der Kliniken geprüft. Auch wenn die MDK-Gutachter nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen sein sollen, vertrete der Gutachter des MDK die Interessen der Krankenkassen.

Das Sozialgericht hat eine Äußerung des Dr. S. vom 4. Januar 2012 eingeholt, der nach seinen Angaben von 1996 bis September 2010 beim MDK in Bayern tätig war. Hierzu hat der Bf. ergänzend ausgeführt, dass ein Befangenheitsgrund auch deshalb bestehe, da die Codierung der Nebendiagnose M96.6 in vergleichbaren Fällen bisher generell abgelehnt worden sei. Letztlich habe der MDK die Existenz dieser Nebendiagnose negiert und an der Stelle eine Codierung wie die S72.3 gefordert. Die interne Vorgabe des MDK, die Codierung der M96.6 nicht zuzulassen, gehe direkt oder zumindest auch auf Herrn Dr. S. zurück. MDK-intern werde diese Codiervorgabe durch den fachlichen Leiter Vergütung und Abrechnung, der in der Regel auch Beauftragter für Fort- und Weiterbildung ist, verantwortet; diese Position habe Dr. S. inne.

Mit Beschluss vom 22. März 2012 hat das Sozialgericht den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. S. wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Hierfür genüge es nicht, wenn der Sachverständige in früherer, mittlerweile beendeter Tätigkeit Mitarbeiter des MDK gewesen sei.

Zur Begründung der Beschwerde hat die Bf. ihr bisheriges Vorbringen weitgehend wiederholt. Wenn Dr. S. nun als Sachverständiger die korrekte Codierung der M96.6 beurteilen solle, begutachte er letztlich damit die in seinem Verantwortungsbereich ausgegebene MDK-interne Weisung, diese M96.6 nicht zu codieren. Dass er eine Frage beurteilen soll, bei der er maßgeblich an der Entstehung der strittigen Diskussion zwischen MDK und Klinik beteiligt war, begründe augenscheinlich Bedenken gegen die Unparteilichkeit. Er habe an der Entscheidung über die korrekte Codierung aus der Sicht der Krankenkasse selbst mitgewirkt - dies wirke schwerer als wenn er sich über die streitgegenständliche Frage in einem vorhergehenden Verfahren bereits geäußert hätte.

Die Bg. hat unter Bezugnahme auf die Begründung des Beschlusses beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist unbegründet.

Der Ablehnungsantrag war nach § 118 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 406 Abs. 2 S. 1, 411 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) fristgemäß gestellt worden.

Nach §§ 406 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Grund, der das Misstrauen rechtfertigt, muss bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise vom Standpunkt der Partei aus vorliegen. Rein subjektive Vorstellungen und Gedankengänge des Antragsteller scheiden aus (Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 42 Rdnr. 9).

Ein Grund für die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Verstrickung zwischen dem Sachverständigen und einem Beteiligten, hier der Bg., bestehen bzw. wenn die Befürchtung gerechtfertigt sein könnte, dass der Sachverständige sein Gutachten nicht unvoreingenommen erstatten wird (BVerwG NVwZ 1999, 184). Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Sachverständige an dem Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat, sondern z.B. auch dann, wenn er der Körperschaft angehört, die den angefochtenen Bescheid erteilt hat. Letzteres ist beim Sachverständigen Dr. S. unstreitig nicht der Fall. Vielmehr war er beim MDK in Bayern tätig, einer eigenständigen Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren Ärzte gemäß § 275 Abs. 5 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen sind. Darüber hinaus endete diese Tätigkeit des Sachverständigen mit Ablauf des September 2010. Es besteht somit weder eine rechtliche noch eine wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen dem beauftragten Sachverständigen und der beklagten Krankenkasse.

Für die Begutachtung der hier umstrittenen Codierung bzw. Abrechnung ist eine fachliche Qualifikation mit Erfahrung auf dem Gebiet des G-DRG-Systems erforderlich. Wie Dr. S. in der ergänzenden Stellungnahme zutreffend ausführt, ist der Kreis der in Frage kommenden Gutachter eingeschränkt und durch das "Krankenhauslager" einerseits und das "Versicherungslager" andererseits geprägt. Die Bf. hat die fachliche Qualität des Gutachters ausdrücklich nicht angezweifelt.

Insgesamt können somit die frühere Tätigkeit innerhalb des MDK und frühere Äußerungen zum G-DRG-System nicht einen Grund der Besorgnis der Unbefangenheit rechtfertigen. Dr. S. war außerdem nach Einführung des G-DRG-Systems ausschließlich in der Schulung von MDK-, Krankenkassen- und auch Krankenhausmitarbeitern tätig sowie mit Vortragstätigkeiten über Belange des G-DRG-Systems befasst. Wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage sind für sich genommen kein Befangenheitsgrund (BVerfGE 102, 122; BSG NJW 1993, 226, ergangen zur Richterablehnung). Eine Unterstützung einseitig der Krankenkasse erfolgte nicht, vielmehr war der beauftragte Gutachter damals als Arzt des MDK tätig. Ferner hat er in seiner Äußerung zu dem Antrag versichert, in der Zwischenzeit eine "durchaus kritische Distanz entwickelt" zu haben.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG, der hier Anwendung findet, weil die Bf. nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört. Da die Beschwerde keinen Erfolg hatte, hat die Bf. die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens war auf 1/3 des Streitwerts der Hauptsache festzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2003, Az.: IIZB32/03; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Juni 2007, Az.: L 1 B 7/07 AL). Da vorliegend eine Klageforderung in Höhe von 3.977,68 EUR streitig ist, wird der Streitwert für die Beschwerde auf 1.325,89 EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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