L 12 AS 1432/13 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 1108/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1432/13 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zum Leistungsausschluss von bulgarischen Staatsangehörigen nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, die nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche haben. Steht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, weil bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht über die Vereinbarkeit der Norm mit Europarecht abschließend entschieden werden kann, ist als Grundlage der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren eine Folgenabwägung vorzunehmen.
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 19.03.2013 wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre außergerichtlichen Kosten auch des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

3. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin J. beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die 1982 geborene Antragstellerin Ziffer 1, bulgarische Staatsangehörige, hält sich seit dem 01.09.2012 zusammen mit ihren beiden am und geborenen Kindern (Antragsteller Ziffer 2 und 3) zunächst in E. und ab 15.12.2012 in O. dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Der Vater der Antragsteller Ziffer 2 und 3, die seit 09.01.2013 in O. zur Schule gehen, lebt in Bulgarien. Die Antragstellerin Ziffer 1 ist schwanger; voraussichtlicher Entbindungstermin ist der 17.06.2013.

Die Antragstellerin Ziffer 1 war entsprechend den Angaben in Ergänzung zum Hauptantrag von 2007 bis 2012 sozialversicherungspflichtig in Bulgarien als Küchenhilfe beschäftigt. Ausweislich ihrer Versicherung an Eides statt vom 24.05.2013 und der Bestätigung vom 30.05.2013 bewarb sich die Antragstellerin Ziffer 1 nach ihrem Umzug nach O. erfolglos um eine Stelle als Putzfrau im Gasthof "G." in O ...

Am 09.01.2013 beantragte die Antragstellerin Ziffer 1 für sich und die beiden Antragsteller Ziffer 2 und 3 beim Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. In einem Telefonat vom 04.02.2013 gab die Antragstellerin Ziffer 1 gegenüber dem Antragsgegner an, dass sie ursprünglich zur Arbeitssuche nach Deutschland eingereist sei. Da sie nun schwanger sei, suche sie nicht mehr nach Arbeit. Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 05.02.2013 Leistungen nach dem SGB II ab. Nach dem Inhalt des Telefonats vom 04.02.2013 sei die Antragstellerin Ziffer 1 zum Zweck der Arbeitssuche nach Deutschland gezogen. Des weiteren habe sie bisher auch bei der Ausländerbehörde keine Bestätigung für ihr Freizügigkeitsrecht erhalten. Der Antrag sei daher nach § 7 Absatz 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II abzulehnen.

Hiergegen legte die Antragstellerin Ziffer 1 am 13.02.2013 Widerspruch ein. Die Antragsteller seien als bulgarische Staatsbürger EU-Bürger und würden Freizügigkeit genießen. Auch bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten seien Unionsbürger und ihre Familienangehörige gemäß § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU bestehe ein Recht auf Freizügigkeit zum Zweck der Arbeitssuche. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei insoweit mit Europarecht nicht vereinbar und missachte das europarechtliche Gleichbehandlungsgebot. Letztlich leite sich auch aus der europäischen Verordnung VO (EG) 883/2004 ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für alle Unionsbürger nach den gleichen Maßstäben wie für Deutsche ab. Leistungen nach dem SGB II könne auch beanspruchen, wessen Aufenthaltsrecht nur auf Arbeitssuche beruhe. Ferner sei aufgrund einer Änderung des FreizügG/EU die Freizügigkeitsbescheinigung ersatzlos abgeschafft worden.

Am 11.03.2013 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Freiburg (SG) Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Die Antragstellerin Ziffer 1 suche aufgrund ihrer Schwangerschaft regelmäßig Ärzte auf und benötige Krankenversicherungsschutz. Daneben benötige sie Leistungen für den Kauf von Lebensmitteln und für Mietzahlungen zum Erhalt der Wohnung. Der Antragsgegner hat demgegenüber vorgetragen, dass die zuständige Ausländerbehörde davon ausgehe, dass die Antragsteller überhaupt nicht freizügigkeitsberechtigt im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes seien, Bulgarien kein Mitglied des europäischen Fürsorgeabkommens sei und keine Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Ausschlusstatbestandes des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit EU-Recht bestünden.

Mit Beschluss vom 19.03.2013 hat das SG den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für die Zeit ab 11.03.2013 bis 30.06.2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren, längstens jedoch bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung, in der der Verlust des Rechts auf Freizügigkeit festgestellt wird. Die begehrte einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) fordere das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich sei, sei im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei seien insbesondere die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend in die Abwägung einzustellen. Den Antragstellern seien im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zuzusprechen, denn im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes könne das Bestehen der geltend gemachten Ansprüche nicht abschließend geklärt werden. Die Antragstellerin Ziffer 1 habe das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht ( § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Sie sei grundsätzlich auch erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II. Das Vorliegen einer Schwangerschaft begründe nicht die Annahme einer Erwerbsunfähigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II. Nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte sei die Antragstellerin Ziffer 1 auch erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II. Als bulgarische Staatsangehörige benötige die Antragstellerin Ziffer 1 zur Beschäftigungsaufnahme in der Bundesrepublik zwar bis zum 31.12.2013 grundsätzlich eine sog. Arbeitsgenehmigung/EU nach § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) von der Bundesagentur für Arbeit ( § 13 FreizügG/EU). Das Bestehen einer abstrakt-generellen Möglichkeit der Erlaubniserteilung reiche aber aus. Vorliegend seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass für die Antragstellerin Ziffer 1 die Möglichkeit der Beschäftigungsaufnahme mit Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU nach § 284 SGB III nicht bestehe. Die Antragsteller seien auch hilfebedürftig, da sie weder über eigenes Einkommen noch über eigenes Vermögen verfügen würden. Sie hätten ferner ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU festzustellen, gehe das SG davon aus, dass die Antragstellerin Ziffer 1 nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU und die Antragsteller Ziffer 2 und 3 als ihre Söhne nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 3 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt seien. Ob einem Leistungsanspruch der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegenstehe, könne im Rahmen der im Eilverfahren möglichen Prüfung nicht abschließend beurteilt werden. Es sei umstritten, ob dieser Leistungsausschluss von Art. 24 Abs. 2 der europäischen Richtlinie 2004/38/EG gedeckt und dies wiederum mit Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 vereinbar sei. Eine Klärung dieser Fragen sei im Eilverfahren nicht abschließend möglich, so dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen bezeichnet werden müsse. Die folglich anhand einer Folgenabwägung zu treffende Entscheidung führe dazu, dass im Hinblick auf die zur Sicherung des Existenzminimums erforderlichen Leistungen das Interesse der Antragsteller an einer vorläufigen Leistungsgewährung höher zu bewerten sei, als das rein fiskalische Interesse des Antragsgegners.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 02.04.2013 eingelegte Beschwerde des Antragsgegners. Zur Begründung hat der Antragsgegner sein Vorbringen aus erster Instanz wiederholt und vertieft.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin Ziffer 1 einen Arbeitsvertrag, datierend vom 20.03.2013, zwischen ihr und Herrn R. über eine Beschäftigung als Putzfrau vorgelegt. Die Antragstellerin Ziffer 1 könne dort anfangen zu arbeiten, sobald die Zentrale Auslands- und Fachvermittlungsstelle in D. das Arbeitsgenehmigungsverfahren abgeschlossen und ihr eine Arbeitsgenehmigung/EU erteilt habe. Die Arbeitsgenehmigung/EU wurde der Antragstellerin Ziffer 1 mit Geltung vom 23.05.2013 bis 31.12.2013 erteilt.

Mit Bescheid vom 23.04.2013 hat die Stadt O. gegenüber den Antragstellern den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt. Die sofortige Vollziehung wurde im öffentlichen Interesse angeordnet. Hiergegen hat die Antragstellerin Ziffer 1 ausweislich ihrer Versicherung an Eidesstatt vom 24.05.2013 fristgerecht Widerspruch eingelegt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere wäre auch in der Hauptsache die Berufung zulässig (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache ist die Beschwerde jedoch nicht begründet; das SG hat den Antragsgegner zu Recht im Wege einer Folgenabwägung zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Wird im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil etwa eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden unter Berücksichtigung insbesondere der grundrechtlichen Belange der Antragsteller. Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10.Auflage 2012, § 86b Rdnr. 42).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind den Antragstellern im Wege der Folgenabwägung vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zur Gewährleistung des Existenzminimums zuzusprechen, denn im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes kann das Bestehen der geltend gemachten Ansprüche nicht abschließend geklärt werden. Die Antragstellerin Ziffer 1 hat im hier streitigen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht, sie ist hilfebedürftig und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Leistungsanspruch der Antragsteller Ziffer 2 und 3 ergibt sich aus § 7 Abs. 2 SGB II, nachdem die Antragsteller unzweifelhaft eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II bilden.

Die Antragstellerin Ziffer 1 ist auch erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 SGB II. Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Schwangerschaft der Antragstellerin Ziffer 1 steht ihrer Erwerbsfähigkeit nicht entgegen. Im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte (§ 8 Abs. 2 SGB II).

Die Antragstellerin Ziffer 1 ist auch nicht im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II als erwerbsunfähig anzusehen. Zwar bleibt für EU-Bürger der zum 1.1.2007 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien (vgl. Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union vom 25.04.2005 (BGBl. II 2006 S. 1146)) die Arbeitnehmerfreizügigkeit für eine Übergangsfrist von sieben Jahren bis zum 31.12.2013 in der Weise beschränkt, dass die bestehenden nationalen Regelungen für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für ausländische Staatsangehörige auch für diese neuen EU-Bürger beibehalten wurden. Staatsangehörige dieser Länder können sich nach dem FreizügG/EU grundsätzlich frei innerhalb der EU bewegen, benötigen zur Beschäftigungsaufnahme in Deutschland in der Übergangszeit aber weiterhin eine Arbeitsgenehmigung/EU. Diese liegt nunmehr ab 23.05.2013 vor. Für die Zeit davor liegt zwar keine entsprechende Arbeitsgenehmigung/EU vor. Es ist jedoch ausreichend, dass der Antragstellerin Ziffer 1 vorbehaltlich der Vorlage eines konkreten, überprüfbaren Stellenangebots eines künftigen Arbeitgebers im streitigen Zeitraum die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können. Nach dem Geschehensablauf, insbesondere durch die Erteilung der Arbeitsgenehmigung/EU ab 23.05.2013, ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin Ziffer 1 bei Vorliegen eines Stellenangebots auch bereits vor dem 23.05.2013 eine Arbeitsgenehmigung/EU hätte erteilt werden können.

Zweifelhaft ist letztlich lediglich, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II den geltend gemachten Ansprüchen entgegen steht. Nach dieser Vorschrift sind von der Leistungsberechtigung ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

Die Antragstellerin Ziffer 1 hat ab Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 01.09.2012 nur ein Aufenthaltsrecht, das sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. FreizügG/EU). Aufgrund der vorgelegten Unterlagen (Bestätigung der Arbeitssuche im Gasthof "G."; Arbeitsvertrag über die Beschäftigung der Antragstellerin Ziffer 1 als Putzfrau; Arbeitsgenehmigung/EU) und der Versicherung an Eides statt vom 24.05.2013 bestehen vorliegend für den Senat keine ernsthaften Zweifel, dass die Antragstellerin Ziffer 1 sich zum Zwecke der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält.

Somit ist der Anwendungsbereich der Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eröffnet. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wird im vorliegenden Fall auch nicht durch Art. 1 Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) verdrängt (vgl. BSG SozR 4-4200 § 7 Nr. 21), denn Bulgarien gehört nicht zu den Signatarstaaten des EFA. Jedenfalls ist aber im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu berücksichtigen, dass zweifelhaft ist, ob der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Leistungsausschluss für Unionsbürger (noch) europarechtskonform ist. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sind in vergleichbaren Fällen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ganz überwiegend Leistungen im Rahmen einer Folgenabwägung zugesprochen worden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.05.2010 - L 7 AS 134/10 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.12.2010 - L 16 AS 767/10 B-ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 11.03.2011 - L 13 AS 52/11 B ER und vom 11.08.2011 - L 15 AS 188/11 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30.06.2011 - L 25 AS 535/11 B ER - und vom 11.03.2013 - L 31 AS 318/13 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 14.07.2011 - L 7 AS 107/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.09.2011 - L 3 AS 155/11 B ER -).

Der Senat hat die in Rechtsprechung und Literatur geäußerten Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Norm mit europäischem Gemeinschaftsrecht im Beschluss vom 11. Dezember 2009 (- L 12 AS 5297/09 ER-B -) nicht geteilt. Eine höchstrichterliche Klärung der hiermit verbundenen komplexen und schwierigen Rechtsfragen ist bislang noch nicht erfolgt. Die bislang vom Senat vertretene Auffassung wird durch die Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die nach ihrem Art. 91 am Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung und damit am 1. Mai 2010 (vgl. Art. 97 VO (EG) 987/2009 vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO (EG) 883/2004) Gültigkeit erlangt hat und an die Stelle der VO (EWG) 1408/71 getreten ist, allerdings in Frage gestellt. Nach Art. 4 VO (EG) 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Nach Art. 3 Abs. 3 gilt diese Verordnung auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70, wozu nach Anhang X (i.d.F. der VO (EG) 988/2009 v. 16.09.2009 zur Änderung der VO (EG) 883/2004 und zur Festlegung des Inhalts ihrer Anhänge) auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende gehören. Nach Art. 2 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 gilt diese für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten galten oder gelten sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Die insoweit im Raum stehenden Fragen hinsichtlich der Europarechtskonformität der Ausschlussklausel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für arbeitsuchende Unionsbürger können im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes daher nicht abschließend geklärt werden, so dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen bezeichnet werden muss. Die folglich anhand einer Folgenabwägung zu treffende Entscheidung führt dazu, dass im Hinblick auf die zur Sicherung des Existenzminimums erforderlichen Leistungen das Interesse der Antragsteller an einer vorläufigen Leistungsgewährung höher zu bewerten ist. Das rein fiskalische Interesse des Antragsgegners muss insoweit zurückstehen.

Die Frage, inwieweit die Entscheidung der Stadt O. vom 23.04.2013 gegenüber den Antragstellern über die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt überhaupt Bindungswirkung gegenüber dem Gericht entfalten kann, kann dahinstehen, da für eine Bindungswirkung zumindest die Bestandskraft der Entscheidung zwingend gegeben sein muss. Die Antragstellerin Ziffer 1 hat ausweislich ihrer Versicherung an Eidesstatt vom 24.05.2013 fristgerecht gegen den Bescheid der Stadt O. vom 23.04.2013 Widerspruch eingelegt. Bestandskraft und damit eine etwaige Bindungswirkung ist daher bisher nicht eingetreten.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Den Antragstellern war für das Beschwerdeverfahren gemäß § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115, 119 Abs. 1 Satz 2 , 121 Abs. 2 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da die Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot, nicht mutwillig erschien und die wirtschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen für eine ratenfreie Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorlagen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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