L 15 AY 23/13 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 95 AY 330/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 AY 23/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
keine Absenkung von Leistungen unter die vom BVerfG bis zu einer gesetzlichen Neuregelung angeordnete Übergangsregelung
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. Oktober 2013 geändert. Der Antragsgegner wird – unter Anrechnung bereits ausgezahlter Beträge – verpflichtet, den Antragstellern Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 1. Oktober 2013 bis zum 31. März 2014, längstens bis zur bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache und/oder der Ausreise der Antragsteller aus Deutschland zu gewähren, und zwar: Für den Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) in Höhe von monatlich je 290,02 Euro für die Zeit vom 01. Oktober 2013 bis zum 31. Dezember 2013 und in Höhe von monatlich je 296,60 Euro für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis 31. März 2014. Für die Antragstellerin zu 3) in Höhe von monatlich 257,25 Euro für die Zeit vom 01. Oktober 2013 bis zum 31. Dezember 2013 und in Höhe von monatlich 263,08 Euro für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis 31. März 2014. Für den Antragsteller zu 4) in Höhe von monatlich 230,76 Euro für die Zeit vom 01. Oktober 2013 bis zum 31. Dezember 2013 und in Höhe von monatlich 236,00 Euro für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis 31. März 2014. Der Antragsgegner ist berechtigt, ab Januar 2014 bis zum Ende des Verpflichtungszeitraums die Grundleistungen für regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben der Abteilungen 1 (Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke), 3 (Bekleidung und Schuhe) und 6 (Gesundheitspflege) im Sinne des § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch als Sachleistungen (einschließlich Wertgutschein) zu erbringen und die Auszahlung eines Geldbetrages für den Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 31. März 2014 auf je 126,52 Euro, für die Antragstellerin zu 3) für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 31. März 2014 auf 81,85 Euro, für den Antragsteller zu 4) für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 31. März 2014 auf 89,69 Euro zu beschränken. Den Antragstellern wird für das Verfahren S 95 AY 330/13 ER des Sozialgerichts Berlin Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 17. September 2013 bewilligt und Rechtsanwalt GBerlin, beigeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Anordnungsverfahrens für beide Rechtszüge zu erstatten. Bzgl. der Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind Kosten nicht zu erstatten. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 8. November 2013 bewilligt und Rechtsanwalt G, B, beigeordnet.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. Oktober 2013, mit dem dieses es abgelehnt hat, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen gemäß § 3 AsylbLG statt, wie bisher bewilligt, gemäß § 1 a AsylbLG sowie Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz zu gewähren, ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Die Beschwerde ist auch teilweise begründet.

Nach § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO –).

Ein Anordnungsanspruch besteht in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang. Die Auffassung des Sozialgerichts entspricht nach Meinung des Senats nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dem grundlegenden Urteil vom 18. Juli 2012, Az. 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, dokumentiert in juris und in NVwZ 2012, 1024. Wie der Senat in seinem Beschluss vom 06. Februar 2013, Az. L 15 AY 2/13 B ER (zu finden unter www.sozialgerichtsbarkeit.de und dokumentiert in juris) bereits entschieden hat, kommen, zumindest bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, abgesenkte Leistungen gemäß § 1 a AsylbLG nicht in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil vom 18. Juli 2012 entschieden, dass die Höhe der Geldleistungen nach § 3 AsylbLG evident unzureichend ist und für die Zeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung eine Übergangsregelung angeordnet (vgl. Urteil vom 18. Juli 2012, aaO., Rdnr. 26 ff). Auch wenn § 1 a AsylbLG in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht ausdrücklich erwähnt wird, so ergibt sich dies doch aus den Leitsätzen 1 und 2 sowie den Vorgaben an den Gesetzgeber, wie sie in den Urteilsgründen niedergelegt sind. Danach garantiert Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) ein von der Staatsangehörigkeit unabhängiges Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Abs. 88ff der Gründe). Welches Verfahren der Gesetzgeber anwendet, um die Höhe der existenzsichernden Leistungen zu berechnen, wird zwar vom Grundgesetz nicht vorgeschrieben (Abs. 97 der Gründe). Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des grundgesetzlich geforderten Existenzminimums aber die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er nicht pauschal an den Aufenthaltsstatus anknüpfen. Vielmehr sind abweichende Leistungen für Personen mit einem bestimmten Aufenthaltsstatus von Verfassungs wegen nur möglich, wenn "deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann" (Abs. 99 der Gründe). "Ob und in welchem Umfang der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsrecht in Deutschland gesetzlich abweichend von dem gesetzlich bestimmten Bedarf anderer Hilfebedürftiger bestimmt werden kann, hängt allein davon ab, ob wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können" (Abs. 100 der Gründe). Sofern sich tatsächlich Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen Aufenthalt feststellen lassen, muss der Gesetzgeber außerdem sicherstellen, "dass die Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten" (Abs. 101 der Gründe). Nachdem das BVerfG im Weiteren ausführt, dass sich der überwiegende Teil der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG tatsächlich länger als sechs Jahre in Deutschland aufhalte, was die (dem Regelungskonzept des Gesetzes zugrundeliegende) Vermutung eines nur kurzzeitigen Aufenthalts "erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken" aussetze (Abs. 119 der Gründe) statuiert es dann ausdrücklich, dass selbst eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland es nicht rechtfertige, "den Anspruch auf Gewährleistung eines menschwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken" (Abs. 120 der Gründe).

Wird § 1a AsylbLG nach diesen Maßstäben angewendet, so führt dies dazu, dass der Begriff der "im Einzelfall unabweisbar gebotenen" Leistungen verfassungskonform so auszulegen ist, dass Leistungsberechtigten selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Absenkung der Leistungen das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum erhalten bleiben muss. Solange der Gesetzgeber nicht tätig wird, richten sich Art und Umfang des nach dem Grundgesetz nicht zu unterschreitenden Existenzminimums für Leistungsberechtigte im Sinne des § 1 AsylbLG nach der bereits genannten Übergangsregelung des BVerfG. Die "unabweisbar gebotenen" Leistungen fallen mit dem so umschriebenen Existenzminimum in der Folge zusammen. Es steht dem Gesetzgeber frei, im Rahmen des ihm vom BVerfG ausdrücklich zugebilligten Handlungsspielraums verfassungsgemäße Regelungen zu schaffen, die es den Leistungsträgern erlauben, missbilligte Verhaltensweisen von Leistungsempfängern durch die Reduzierung von Leistungen zu sanktionieren. Den Fachgerichten, die an Recht und Gesetz von Verfassungs wegen gebunden sind, ist es dagegen nicht gestattet, an Stelle des Gesetzgebers ein eigenes Regelungskonzept zu setzen.

Die Vorschrift des § 1a AsylbLG verliert durch die Auslegung des Senats nicht jeglichen Anwendungsbereich. Denn sind ihre Voraussetzungen erfüllt, führt dies weiterhin dazu, dass Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG der Zugang zu den sogenannten Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG (Leistungen in entsprechender Anwendung des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuchs) verschlossen bleibt (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – Az. B 8/9b AY 1/07 R, SozR 4-3520 § 2 Nr. 2).

Auch die Voraussetzungen zur Leistung sind für die Antragsteller (weiterhin) erfüllt, insbesondere sind sie Leistungsberechtigte gemäß § 1 AsylbLG.

Der Anordnungsgrund folgt aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen.

Der Senat hat die Dauer der Verpflichtung des Antragsgegners auf sechs Monate begrenzt, um der Vorläufigkeit des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Als Beginn des Verpflichtungszeitraums hat es den ersten vollen Kalendermonat seit Antragstellung beim Sozialgericht gewählt.

Da die Antragsteller keine Wohnung innehaben, sondern im Wohnheim untergebracht sind, hat der Senat ferner von den Grundleistungen nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG den Betrag in Abzug gebracht, der auf Bedarfe der Abteilung 4 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung) im Sinne des § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG) entfällt. Auszugehen war für die Antragsteller zu 1) und 2) von der Regelbedarfsstufe 2, für die Antragstellerin zu 3) von der Regelbedarfsstufe 4 und für den Antragsteller zu 4) von der Regelbedarfsstufe 5. Bei der Berechnung der Leistungen unter Abzug der Beträge der Abteilungen 4 und 5 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte – und Gegenstände) des § 5 Abs. 1 RBEG (der Abteilung 5 laut Urteil des BVerfG, aaO.) und des jedenfalls auszuzahlenden Geldbetrages kann es zu Rundungsdifferenzen gekommen sein (zu den Berechnungsgrundlagen vgl. www.puplicus-boorberg.de download "Regelsatzinhalte" sowie Entwurf der Regelbedarfsstufen – Fortschreibungsverordnung 2014, Drucksache (BR) 673/13).

Soweit der Senat dem Antragsgegner gestattet hat, die Leistungen ab Januar 2014 teilweise auch als Sachleistungen zu erbringen, beruht dies darauf, dass zwar einerseits Sachleistungen für die Vergangenheit aus tatsächlichen Gründen nicht rückwirkend erbracht werden können (und deshalb zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes als Geldleistungen zu gewähren sind), andererseits aber die Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichtes ausdrücklich nicht die Entscheidung des Gesetzgebers berührt, zur Deckung des existenzsichernden Bedarfs vorrangig Sachleistungen vorzusehen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 AsylbLG; Rdnr. 135 der Gründe des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 18. Juli 2012).

Es war den Antragstellern sowohl für das erstinstanzliche Verfahren als auch für das Beschwerdeverfahren gemäß den §§ 73a SGG i.V. m. 114 ZPO Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, da eine hinreichende Erfolgsaussicht sowie Bedürftigkeit bestand.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG analog bzw. hinsichtlich der Beschwerde bzgl. der Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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