L 7 AS 220/14 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 AS 124/14 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 220/14 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig. Es gibt dann keine Rechtsposition, die bis zu einer bindenden Hauptsacheentscheidung vorläufig gesichert werden könnte.
2. Wenn für einen bestandskräftigen Bescheid ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X angestrengt wurde, kann ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wegen existenzsichernden Leistungen wieder zulässig werden, wenn der Überprüfungsantrag bei der Behörde gestellt wurde, die Dringlichkeit der Überprüfung dargelegt wurde und der Behörde eine ausreichende Bearbeitungsfrist eingeräumt wurde.
3. Mit dem Überprüfungsantrag wird ein Anspruch auf Rücknahme eines belastenden rechtswidrigen Bescheides verfolgt. Wenn der Eilantrag wieder zulässig wurde, ist im Rahmen einer Regelungsanordnung mit strengem Maßstab zu prüfen, ob ein Anordnungsanspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Ursprungsbescheids und ein dringender Anordnungsgrund hierfür bestehen. Es müssen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des überprüften Bescheids bestehen und eine besondere Dringlichkeit.
4. Diese Maßstäbe gelten auch für einstweiligen Rechtsschutz gegen einen Eingriffsverwaltungsakt (hier Aufrechnungsbescheid nach § 42a Abs. 2 SGB II).
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

III. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt und Rechtsanwalt Dr. P. beigeordnet.

G r ü n d e:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Eilverfahren höheres Arbeitslosengeld II, indem sie sich im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gegen eine Aufrechnung eines Darlehens für eine Mietkaution wendet.

Die 1988 geborene Antragstellerin bezieht laufend Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner. Für ihre Mietwohnung hat sie einschließlich Heizkosten monatlich 642,- Euro zu bezahlen. Mit Bescheid vom 17.05.2013 wurden ihr bis einschließlich Mai 2014 Leistungen von monatlich 1024,- Euro (382,- Regelbedarf und 642,- Euro für die Wohnung) bewilligt.

Wegen der Mietkaution in Höhe von 1.440,- Euro kam es zu zwei Klageverfahren, in deren Rahmen am 06.03.2013 ein Vergleich geschlossen wurde, dass die Kaution als Darlehen übernommen wird. Mit Bescheid vom 12.04.2013 wurde das Darlehen gewährt und ab 01.05.2013 monatlich in Höhe von 10 % des Regelbedarfs aufgerechnet. Die Mutter der Antragstellerin erhob dagegen Widerspruch. Die Antragstellerin habe eine psychische Schwerbehinderung. Es seien regelmäßige Kosten für Behandlungen und Medikamente (alternative Behandlungsmethoden nach Polytoxikomanie infolge psychiatrischer Medikamente) zu tragen, die die Krankenkasse nicht übernehme. Es würden auch hohe Strom-, Telefon- und Internetkosten anfallen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2013 zurückgewiesen. Klage wurde nicht erhoben.

Ein Antrag auf eine besondere Leistung für Bekleidung wegen Hyperhidrose führte zur Bewilligung einer Erstausstattung für Bekleidung in Höhe von 440,- Euro (Bescheid vom 23.09.2013).

Ein erster gegen die Aufrechnung gerichteter Eilantrag vom 18.09.2013 blieb erfolglos (Sozialgericht München, Beschluss vom 08.10.2013, S 40 AS 2331/13 ER).

Mit Schreiben vom 25.11.2013 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin die Überprüfung der Aufrechnungsverfügung im Bescheid vom 12.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.06.2013. Die dauerhafte Absenkung des Existenzminimums sei nicht rechtmäßig. Dies wurde mit Überprüfungsbescheid vom 05.12.2013 abgelehnt. Auf den Widerspruch hin - die dauerhafte Unterschreitung des Existenzminimums sei nicht rechtmäßig - wurde die Aufrechnung für Mai, Juni und Juli 2013 aufgehoben, weil die Kaution erst im Juli 2013 ausbezahlt worden sei, und der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 24.01.2014). Dagegen wurde am 14.02.2014 Klage erhoben (Az. S 51 AS 374/14).

Bereits am 05.12.2013 machte die Antragstellerin einen unabweisbaren laufenden besonderen Bedarf geltend. Zum einen habe sie erhöhte laufende Stromkosten "aufgrund von attestierter Erkrankung" und zum anderen bestehe ein Mehrbedarf wegen erhöhtem Bekleidungsbedarf wegen häufigem Waschen (400,- Euro halbjährlich). Hierzu legte sie ein ärztliches Attest vom 26.11.2013 vor, das ohne Begründung einen krankheitsbedingten Mehraufwand für Wasser, Strom, Heizung und Bekleidung benannte.

Mit Änderungsbescheid vom 13.12.2013 gewährte der Antragsgegner ab 01.12.2013 einen monatlichen Mehrbedarf von 66,66 Euro (halbjährlich 400,- Euro) und setzte die Erhöhung des Regelbedarfs auf 391,- Euro ab Januar 2014 um. Dagegen legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin Widerspruch ein. Der Änderungsbescheid enthalte eine Aufrechnung, der widersprochen werde. Dies wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2014 zurückgewiesen.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin stellte am 17.01.2014 den streitgegenständlichen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und begehrte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Überprüfungsverfahrens gegen den Bescheid vom 12.04.2013. Die Antragstellerin sei psychisch erkrankt. Wegen zahlreicher anderer Zahlungsverpflichtungen aufgrund von Erkrankungen sei eine Absenkung des Existenzminimums auf 90 % der Regelleistung nicht zumutbar. Es werde hier mit 37,7 Monaten Aufrechnung die Höchstdauer von 36 Monaten nach § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II überschritten.

Das Sozialgericht München lehnte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 25.02.2014 ab. Die im Bescheid vom 12.04.2013 verfügte Aufrechnung sei bestandskräftig. Der Überprüfungsantrag ändere daran nichts. Dagegen sei eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Überprüfungsbescheid vom 25.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.01.2014 nicht erforderlich. Für eine einstweilige Anordnung im Rahmen des laufenden Überprüfungsverfahrens bestünden besonders strenge Anforderungen bzgl. des Anordnungsgrundes. Daran fehle es hier. Die Aufrechnung in Höhe von 10 % des Regelbedarfs entspreche § 42a Abs. 2 SGB II. Eventuell bestehe wegen der Erkrankung ein Anspruch auf einen Mehrbedarf.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin hat am 04.03.2014 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Die Aufrechnung überschreite die zulässige Höchstgrenze nach § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II. Es handle sich um eine unzumutbare dauerhafte Absenkung des Existenzminimums.

Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25.02.2014 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Überprüfungsverfahrens gegen den Bescheid vom 12.04.2013 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akten S 51 AS 3269/13 und S 51 AS 124/14 ER des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). In der Hauptsache bedürfte die Berufung keiner Zulassung, weil die Aufrechung noch länger als ein Jahr dauern würde, § 172 Abs. 3 Nr. 1, § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht München den Eilantrag zu Recht abgelehnt hat.

1. Die Antragstellerin wendet sich gegen den Vollzug der im Bescheid vom 12.04.2013 durch Verwaltungsakt verfügten Aufrechnung. Damit will sie die Auszahlung von Arbeitslosengeld II in bewilligter Höhe ohne Reduzierung durch die Aufrechnung erreichen.

Eine entgegenstehende Rechtskraft entfaltet der Beschluss des ersten Eilverfahrens nicht, weil sich die Sach- und Rechtslage durch das Überprüfungsverfahren geändert hat.

Wenn ein bestandskräftiger Bescheid vorliegt, ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig (dazu 2.). Ein Überprüfungsverfahren kann nur unter besonderen Umständen dazu führen, dass das Eilverfahren wieder zulässig wird (dazu 3.) Statthaft ist dann ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG mit dem Ziel, den Anspruch auf Rücknahme des belastenden Verwaltungsaktes vorläufig zu sichern; hierfür gilt aber ein strenger Maßstab (dazu 4.).

2. Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes ist es, zur Vermeidung wesentlicher Nachteile eine vorläufige Regelung zu schaffen, bis in der Hauptsache entschieden wird. Bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig. Es gibt dann keine Rechtsposition, die bis zur bindenden Hauptsacheentscheidung vorläufig gesichert werden könnte (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 7, 26d).

Mit der formellen Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) entsteht für den Adressaten eines Verwaltungsaktes auch die materielle Bestandskraft, d. h. die Verbindlichkeit in der Sache (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, a.a.O. § 77 Rn. 5a). Die materielle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes ist im Sozialrecht eingeschränkt. Nach § 77 SGG ist ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn ein Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird, es sei denn, durch Gesetz ist anderes bestimmt. Eine derartige andere Bestimmung zur Durchbrechung der materiellen Bestandskraft ist die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsaktes nach § 44 SGB X.

3. Ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X kann nur unter besonderen Umständen dazu führen, dass ein wegen Bestandskraft der Behördenentscheidung unzulässiges Eilverfahren wieder zulässig wird.

Für diese Einschränkung sprechen folgende

Gründe:


I.

Die Antragstellerin begehrt im Eilverfahren höheres Arbeitslosengeld II, indem sie sich im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gegen eine Aufrechnung eines Darlehens für eine Mietkaution wendet.

Die 1988 geborene Antragstellerin bezieht laufend Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner. Für ihre Mietwohnung hat sie einschließlich Heizkosten monatlich 642,- Euro zu bezahlen. Mit Bescheid vom 17.05.2013 wurden ihr bis einschließlich Mai 2014 Leistungen von monatlich 1024,- Euro (382,- Regelbedarf und 642,- Euro für die Wohnung) bewilligt.

Wegen der Mietkaution in Höhe von 1.440,- Euro kam es zu zwei Klageverfahren, in deren Rahmen am 06.03.2013 ein Vergleich geschlossen wurde, dass die Kaution als Darlehen übernommen wird. Mit Bescheid vom 12.04.2013 wurde das Darlehen gewährt und ab 01.05.2013 monatlich in Höhe von 10 % des Regelbedarfs aufgerechnet. Die Mutter der Antragstellerin erhob dagegen Widerspruch. Die Antragstellerin habe eine psychische Schwerbehinderung. Es seien regelmäßige Kosten für Behandlungen und Medikamente (alternative Behandlungsmethoden nach Polytoxikomanie infolge psychiatrischer Medikamente) zu tragen, die die Krankenkasse nicht übernehme. Es würden auch hohe Strom-, Telefon- und Internetkosten anfallen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2013 zurückgewiesen. Klage wurde nicht erhoben.

Ein Antrag auf eine besondere Leistung für Bekleidung wegen Hyperhidrose führte zur Bewilligung einer Erstausstattung für Bekleidung in Höhe von 440,- Euro (Bescheid vom 23.09.2013).

Ein erster gegen die Aufrechnung gerichteter Eilantrag vom 18.09.2013 blieb erfolglos (Sozialgericht München, Beschluss vom 08.10.2013, S 40 AS 2331/13 ER).

Mit Schreiben vom 25.11.2013 beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin die Überprüfung der Aufrechnungsverfügung im Bescheid vom 12.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.06.2013. Die dauerhafte Absenkung des Existenzminimums sei nicht rechtmäßig. Dies wurde mit Überprüfungsbescheid vom 05.12.2013 abgelehnt. Auf den Widerspruch hin - die dauerhafte Unterschreitung des Existenzminimums sei nicht rechtmäßig - wurde die Aufrechnung für Mai, Juni und Juli 2013 aufgehoben, weil die Kaution erst im Juli 2013 ausbezahlt worden sei, und der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 24.01.2014). Dagegen wurde am 14.02.2014 Klage erhoben (Az. S 51 AS 374/14).

Bereits am 05.12.2013 machte die Antragstellerin einen unabweisbaren laufenden besonderen Bedarf geltend. Zum einen habe sie erhöhte laufende Stromkosten "aufgrund von attestierter Erkrankung" und zum anderen bestehe ein Mehrbedarf wegen erhöhtem Bekleidungsbedarf wegen häufigem Waschen (400,- Euro halbjährlich). Hierzu legte sie ein ärztliches Attest vom 26.11.2013 vor, das ohne Begründung einen krankheitsbedingten Mehraufwand für Wasser, Strom, Heizung und Bekleidung benannte.

Mit Änderungsbescheid vom 13.12.2013 gewährte der Antragsgegner ab 01.12.2013 einen monatlichen Mehrbedarf von 66,66 Euro (halbjährlich 400,- Euro) und setzte die Erhöhung des Regelbedarfs auf 391,- Euro ab Januar 2014 um. Dagegen legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin Widerspruch ein. Der Änderungsbescheid enthalte eine Aufrechnung, der widersprochen werde. Dies wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2014 zurückgewiesen.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin stellte am 17.01.2014 den streitgegenständlichen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und begehrte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Überprüfungsverfahrens gegen den Bescheid vom 12.04.2013. Die Antragstellerin sei psychisch erkrankt. Wegen zahlreicher anderer Zahlungsverpflichtungen aufgrund von Erkrankungen sei eine Absenkung des Existenzminimums auf 90 % der Regelleistung nicht zumutbar. Es werde hier mit 37,7 Monaten Aufrechnung die Höchstdauer von 36 Monaten nach § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II überschritten.

Das Sozialgericht München lehnte den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 25.02.2014 ab. Die im Bescheid vom 12.04.2013 verfügte Aufrechnung sei bestandskräftig. Der Überprüfungsantrag ändere daran nichts. Dagegen sei eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Überprüfungsbescheid vom 25.11.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.01.2014 nicht erforderlich. Für eine einstweilige Anordnung im Rahmen des laufenden Überprüfungsverfahrens bestünden besonders strenge Anforderungen bzgl. des Anordnungsgrundes. Daran fehle es hier. Die Aufrechnung in Höhe von 10 % des Regelbedarfs entspreche § 42a Abs. 2 SGB II. Eventuell bestehe wegen der Erkrankung ein Anspruch auf einen Mehrbedarf.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin hat am 04.03.2014 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Die Aufrechnung überschreite die zulässige Höchstgrenze nach § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II. Es handle sich um eine unzumutbare dauerhafte Absenkung des Existenzminimums.

Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 25.02.2014 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Überprüfungsverfahrens gegen den Bescheid vom 12.04.2013 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akte des Antragsgegners, die Akten S 51 AS 3269/13 und S 51 AS 124/14 ER des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). In der Hauptsache bedürfte die Berufung keiner Zulassung, weil die Aufrechung noch länger als ein Jahr dauern würde, § 172 Abs. 3 Nr. 1, § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht München den Eilantrag zu Recht abgelehnt hat.

1. Die Antragstellerin wendet sich gegen den Vollzug der im Bescheid vom 12.04.2013 durch Verwaltungsakt verfügten Aufrechnung. Damit will sie die Auszahlung von Arbeitslosengeld II in bewilligter Höhe ohne Reduzierung durch die Aufrechnung erreichen.

Eine entgegenstehende Rechtskraft entfaltet der Beschluss des ersten Eilverfahrens nicht, weil sich die Sach- und Rechtslage durch das Überprüfungsverfahren geändert hat.

Wenn ein bestandskräftiger Bescheid vorliegt, ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig (dazu 2.). Ein Überprüfungsverfahren kann nur unter besonderen Umständen dazu führen, dass das Eilverfahren wieder zulässig wird (dazu 3.) Statthaft ist dann ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG mit dem Ziel, den Anspruch auf Rücknahme des belastenden Verwaltungsaktes vorläufig zu sichern; hierfür gilt aber ein strenger Maßstab (dazu 4.).

2. Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes ist es, zur Vermeidung wesentlicher Nachteile eine vorläufige Regelung zu schaffen, bis in der Hauptsache entschieden wird. Bei einer bindenden Hauptsacheentscheidung ist ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig. Es gibt dann keine Rechtsposition, die bis zur bindenden Hauptsacheentscheidung vorläufig gesichert werden könnte (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 7, 26d).

Mit der formellen Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) entsteht für den Adressaten eines Verwaltungsaktes auch die materielle Bestandskraft, d. h. die Verbindlichkeit in der Sache (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, a.a.O. § 77 Rn. 5a). Die materielle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes ist im Sozialrecht eingeschränkt. Nach § 77 SGG ist ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn ein Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird, es sei denn, durch Gesetz ist anderes bestimmt. Eine derartige andere Bestimmung zur Durchbrechung der materiellen Bestandskraft ist die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsaktes nach § 44 SGB X.

3. Ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X kann nur unter besonderen Umständen dazu führen, dass ein wegen Bestandskraft der Behördenentscheidung unzulässiges Eilverfahren wieder zulässig wird.

Für diese Einschränkung sprechen folgende Gründe: Ein ablehnender Überprüfungsbescheid beseitigt nicht den zu überprüfenden Ausgangsbescheid. Dem Gericht ist auch im Hauptsacheverfahren eine Rücknahme des Ausgangsbescheids verwehrt, insoweit ist nur eine Verpflichtungsklage möglich (vgl. BSG, Urteil vom 26.08.2008, B 8 SO 26/07 R, Rn. 11 und 25; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, § 44 Rn. 73). Im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X kommt es - im Gegensatz zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG - nicht darauf an, ob der Betroffene schuldlos an der rechtzeitigen Einlegung eines Rechtsbehelfs gehindert war (vgl. Schütze in von Wulffen/ Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 44 Rn. 3a). Durch das Überprüfungsverfahren werden also im Ergebnis die strengen Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG umgangen. Ferner spricht das Unterlassen eines rechtzeitigen Rechtsbehelfs trotz Rechtsbehelfsbelehrung von vornherein gegen eine Eilbedürftigkeit.

Andererseits ist die Beschränkung der materiellen Bestandskraft durch § 44 SGB X auch im Eilverfahren zu würdigen und dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG bei existenzsichernden Leistungen besondere Bedeutung beizumessen.

Das Beschwerdegericht hat im Beschluss vom 23.09.2010, L 7 AS 651/10 B ER, entschieden, dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf höhere Leistungen trotz eines bestandskräftigen Bewilligungsbescheids wieder zulässig werden kann, wenn ein Überprüfungsantrag bei der Behörde (nicht beim Gericht) gestellt wurde, die Dringlichkeit der Angelegenheit der Behörde gegenüber dargelegt wurde und die Behörde eine ausreichende Bearbeitungsfrist hatte.

Diese Rechtsprechung überträgt das Beschwerdegericht auch auf Eilverfahren, wenn sich das Überprüfungsverfahren auf einen bestandskräftigen Eingriffsverwaltungsakt (hier den Aufrechnungsbescheid) bezieht. Für denjenigen, der existenzsichernde Leistungen begehrt, macht es keinen Unterschied, ob sich die Überprüfung auf einen belastenden Verwaltungsakt oder eine (teilweise) Leistungsablehnung richtet.

4. Statthaft ist ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG.

a) Ein Antrag wegen aufschiebender Wirkung nach § 86b Abs. 1 SGG scheidet aus.

Die Aufrechnung von Darlehen erfolgt nach § 42a Abs. 2 Satz 2 SGB II durch Verwaltungsakt. Dieser fällt nicht unter § 39 SGB II (Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 39 Rn. 18). Widerspruch und Klage gegen einen Aufrechnungsverwaltungsakt hätten kraft § 86a Abs. 1 SGG automatisch aufschiebende Wirkung, die in einem Eilverfahren analog § 86b Abs. 1 SGG vom Gericht festzustellen wäre (BayLSG, Beschluss vom 21.06.2013, L 7 AS 329/13 B ER; vgl. Keller a.a.O., § 86b Rn. 15).

Hier liegt aber eine Klage gegen einen Überprüfungsbescheid vor. Dieser bestätigt nur die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids. Er enthält keine Regelung, die allein durch aufschiebende Wirkung, d.h. durch vorläufigen Nichtvollzug der Regelung, zu einer höheren Leistung führen würde. Dem entspricht, dass § 86b Abs. 1 SGG einstweiligen Rechtsschutz gewährt, soweit im Hauptsacheverfahren eine isolierte Anfechtungsklage ausreichen würde. Dies ist bei einer Klage gegen einen Überprüfungsbescheid nicht der Fall. Ein Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG ist nicht statthaft.

b) Auch eine Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ist nicht statthaft.

Eine Sicherungsanordnung setzt nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG voraus, dass die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Eine Sicherungsanordnung will also den Status quo erhalten. Die Antragstellerin begehrt zwar die ungeschmälerte Auszahlung der bewilligten Leistung, sie will aber den Status quo - mit der laufenden Aufrechnung - gerade nicht erhalten.

c) Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG

Mit dem Überprüfungsantrag macht die Antragstellerin einen Anspruch auf Rücknahme eines belastenden rechtswidrigen Bescheides nach § 44 SGB X geltend. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ob ein Anspruch nach § 44 SGB X besteht, ist ein streitiges Rechtsverhältnis.

Für die Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz muss nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft sein, dass das begehrte materielles Recht besteht (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund). Hier ist ein strenger Maßstab anzulegen.

Der Anordnungsanspruch ist der Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen belastenden Ausgangsbescheids. Dieser Anordnungsanspruch ist nur zu bejahen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des überprüften Bescheids bestehen. Dieser Maßstab ist wegen der vergleichbaren Sach- und Interessenslage an § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG angelehnt (siehe zu diesem Maßstab Keller, a.a.O., § 86b Rn. 12c; Conradis in LPK-SGB II, 5. Auflage 2013, Anhang Verfahren Rn. 131). Hier wie dort kann sich die Behörde auf einen Bescheid berufen, der grundsätzlich vollstreckbar ist, und dem das Gericht nur ausnahmsweise entgegentreten kann. Der vorläufige Durchgriff des Gerichts im Eilverfahren auf den Ausgangsbescheid ist nur bei ernstlichen Zweifeln am Ausgangsbescheid zu rechtfertigen.

Die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) muss ein besonderes Ausmaß erreichen. Es müssen erhebliche Rechtsbeeinträchtigungen drohen. Das Unterlassen des rechtzeitigen Rechtsbehelfs trotz Rechtsbehelfsbelehrung spricht gegen die Eilbedürftigkeit. Wenn der Betroffene statt des Überprüfungsverfahrens verspätet Widerspruch oder Klage gegen den Ausgangsbescheid erheben würde, müsste er die strengen Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG glaubhaft machen.

5. Das Sozialgericht hat den Eilantrag zu Recht abgewiesen. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz war aufgrund des Überprüfungsverfahrens wieder zulässig. Eine Regelungsanordnung zur vorläufigen Sicherung des Anspruchs auf Rücknahme des Aufrechnungsbescheids war nicht zu treffen, weil kein ausreichender Anordnungsanspruch vorhanden ist.

Die vorgenannten Voraussetzungen für ein zulässiges Eilverfahren im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens sind hier erfüllt. Der Überprüfungsantrag wurde bereits am 25.11.2013 gestellt. Es wurde im Überprüfungsantrag selbst zwar nur dargelegt, dass die dauerhafte Unterschreitung des Existenzminimums nicht rechtmäßig sei. Die davorliegenden Verfahren (Widerspruch gegen die Aufrechnung, besondere Leistungen für Hyperhidrose, Eilantrag gegen die Aufrechnung) und der nur teilweise erfolgreiche Antrag auf unabweisbaren laufenden besonderen Bedarf machten die besondere Dringlichkeit hinreichend deutlich. Der Antragsgegner hatte auch eine ausreichende Bearbeitungszeit.

Es liegt kein ausreichender Anordnungsanspruch vor. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Aufrechnungsbescheids vom 12.04.2013.

Die in atypischen Fällen denkbare Gewährung der Mietkaution als Zuschuss (vgl. Wortlaut § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II) würde dem Vergleich vom 06.03.2013 widersprechen. Die Aufrechnung von Darlehen, auch des Mietkautionsdarlehens, erfolgt entsprechend den zwingenden gesetzlichen Vorgaben des § 42a Abs. 2 SGB II. Danach sind Darlehen während des laufenden Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem Monat der Auszahlung mit 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs zu tilgen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die vorübergehende Tilgung von Darlehen durch Aufrechnung in Höhe von 10 % des Regelbedarfs grundsätzlich gebilligt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, Rn. 150). Die Zeitgrenze von drei Jahren in § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II bezieht sich auf Aufrechnungen nach § 43 Abs. 1 SGB II, nicht auf Darlehensaufrechnungen nach § 42a SGB II. Die Einschränkung auf vorübergehende Aufrechnungen durch das BVerfG spricht für eine analoge Anwendung der Zeitgrenze. Dies würde eine länger dauernde Aufrechnung entsprechend dem Wortlaut von § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II nach drei Jahren beenden, nicht etwa diese Aufrechnung gar nicht beginnen lassen. Soweit unabweisbare laufende existenznotwendige Mehrbedarfe bestehen, sind diese durch Leistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II abzudecken, nicht durch eine Reduzierung einer Aufrechnung.

Weiter ist wird angemerkt, dass es schon nachvollziehbar ist, dass sich die Mutter der Antragstellerin schützend vor ihre psychisch kranke Tochter stellt. Dabei scheint sie aber nicht zu erkennen, dass der Antragsgegner sich nach dem gesamten Akteninhalt sehr entgegenkommend zeigt und bemüht ist, der Antragstellerin ergänzende Leistungen zukommen zu lassen. Die Bewilligung einer Erstausstattung für Bekleidung und die Gewährung eines Mehrbedarfs von monatlich 66,66 Euro sind keineswegs selbstverständlich. Der Beweiswert des Attests vom 26.11.2013 tendiert gegen Null. Dagegen hat die Antragstellerin ihren Haushaltsstrom, Telefon und Internet grundsätzlich aus ihrer Regelleistung zu zahlen. Die Inanspruchnahme alternativer Behandlungsmethoden ist eine persönliche Entscheidung, deren wirtschaftliche Folgen nicht durch steuerfinanzierte Fürsorgeleistungen der Allgemeinheit auferlegt werden können.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

7. Der Antragstellerin ist für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe nach § 73 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO)zu gewähren. Sie ist bedürftig und eine Erfolgsaussicht war angesichts der komplexen prozessrechtlichen Situation nicht von vornherein zu verneinen. Wegen der Schwierigkeiten der Rechtsfragen und der Bedeutung der Angelegenheit für die Antragstellerin war ihr antragsgemäß Rechtsanwalt Dr. P. nach § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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