Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
17
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 17 AS 2325/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Als Folge der EuGH-Vorlage des Bundessozialgerichts vom 12. Dezember 2013 (– B 4 AS 9/13 R –) haben die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Unionsbürgern, die von ihrem Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU Gebrauch machen und sich in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich zum Zwecke der Arbeitsuche aufhalten, Arbeitslosengeld II aufgrund der Regelung in § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III vorläufig zu gewähren, sofern die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen. Im Rahmen des nach § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III auszuübenden Ermessens stellt sich die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II als allein mögliche Entscheidung dar, weil auf andere Weise das aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitete – unverfügbare - Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums des Antragstellers nicht garantiert werden kann.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 12. Mai 2014 bis zum 31. Mai 2014 504,70 EUR und für die Zeit ab dem 1. Juni 2014 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30. September 2014, monatlich 721 EUR zu zahlen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt von dem Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Der ... 1965 in S., Rumänien, geborene Kläger reiste nach eigenen Angaben im Jahre 2012 zum Zwecke der Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23. September 2013 beantragte er bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Laut eines Gesprächsvermerks vom 23. September 2013 in der Verwaltungsakte des Antragsgegners sei der Antragsteller nach den Angaben eines Praktikanten seines Rechtsanwalts nicht mehr selbständig tätig; eine Gewerbeabmeldung liege jedoch nicht vor. Am 9. Oktober 2013 gingen bei dem Antragsgegner die von seinem Verfahrensbevollmächtigten unterzeichneten Antragsformulare, bestehend aus Hauptantrag, Anlage zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung, Anlage zur Feststellung der Einkommensverhältnisse und Anlage zur Feststellung der Vermögensverhältnisse ein. Einnahmen und Vermögen wurde nicht angegeben. In der Folgezeit endete ein zwischen den Beteiligten geführtes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (L 2 AS 979/13 B ER) am 29. November 2013 mit einem Vergleich. Der Antragsgegner verpflichtete sich danach, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 1. November 2013 bis 31. März 2014 monatlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren. Seit dem 1. Januar 2014 ist der Antragsteller unter der im Beschlussrubrum bezeichneten Anschrift gemeldet. Nach dem Wohnungsmietvertrag ist als Beginn des Mietverhältnisses der 1. Januar 2014 bei unbestimmter Laufzeit vereinbart. Die vereinbarte Miete beträgt monatlich 220 EUR nebst Heizkosten in Höhe von 50 EUR monatlich und Betriebskosten in Höhe von 60 EUR monatlich. Am 1. April 2014 beantragte der Antragsteller die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Einnahmen wurden nicht angegeben, Änderungen zum Vermögen ebenfalls nicht. Mit Schreiben vom 14. April 2014 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers mit: Eine Gewerbeabmeldung existiere nicht. Weder seien in der Vergangenheit noch würden gegenwärtig aus dem Gewerbe Einkünfte erzielt. Mit Bescheid vom 16. April 2014 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit der Begründung ab, der Antragsteller halte sich in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich zum Zwecke der Arbeitsuche auf. Dagegen legte der Antragsteller mittels anwaltlichem Schreiben vom 6. Mai 2014 Widerspruch ein, der mittlerweile mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2014 zurückgewiesen worden ist. Dagegen hat der Kläger am 23. Mai 2014 bei dem erkennenden Gericht Klage erhoben (S 17 AS 2519/14).
Bereits am 12. Mai 2014 hat der Antragsteller wegen der ablehnenden Entscheidung des Antragsgegners um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat er vorgetragen: Mit der Ausnahme einer zweimonatigen Unterbrechung im Herbst 2012 lebe er seit seiner Einreise im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners. Er friste sein derzeitiges Leben aus den SGB II – Leistungen für den Zeitraum November 2013 bis März 2014. Es sei außerdem davon auszugehen, dass sich die in H. lebende rumänische Diaspora im Alltag unterstütze. Im Erörterungstermin am 27. Mai 2014 hat der Antragsteller mithilfe einer Dolmetscherin vorgetragen: Im Jahr 2013 habe er zu einem rumänischen Staatsbürger im Hauptbahnhof von H. Kontakt bekommen, der ihm Arbeit vermittelt habe. Das Geld für die Arbeit habe er von diesem rumänischen Freund ausgezahlt bekommen. Diesen Freund habe er erstmals im April/Mai 2013 kennengelernt. Dokumente habe er nie unterschrieben. Die Arbeit sei an einen Unternehmer vermittelt worden, der den rumänischen Freund bezahlt habe, um das Geld an den Antragsteller weiterzuleiten.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, ihm bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, der Antragsteller sei als arbeitsuchender Ausländer von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Außerdem sei der Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die dem Gericht vorliegende Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet. Eine vorläufige Regelung durch gerichtliche Anordnung hat sich als erforderlich erwiesen.
Gegenstand des Verfahrens bilden geltend gemachte Ansprüche des Antragstellers auf Arbeitslosengeld II ab dem 12. Mai 2014, dem Eingang des Gesuchs auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Gericht, bis einschließlich 30. September 2014. Es ist trotz der sprachlich weiten Fassung des Rechtsschutzantrages davon auszugehen, dass der anwaltlich vertretene Antragsteller sein Rechtsschutzgesuch an dem gesetzlichen Regelbewilligungszeitraum des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II ausrichten will.
Der vom Antragsteller nachgesuchte vorläufige Rechtsschutz beurteilt sich nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Anordnung kann erlassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund).
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind nach der gebotenen summarischen Prüfung als glaubhaft gemacht anzusehen.
Der Antragsteller hat Anspruch auf vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II. Rechtsgrundlage ist § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III.
Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II. Es umfasst für erwerbsfähige Leistungsberechtigte u.a. den Regelbedarf und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II).
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind, und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Allerdings können Ausländerinnen und Ausländer nach § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB II nur im Sinne von Absatz 1 erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte.
Der ... 1965 geborene Antragsteller ist erwerbsfähig. Für die Annahme, er könne aus körperlichen Gründen nicht mindestens 3 Stunden erwerbstätig sein, fehlt es an Anhaltspunkten. Er kann auch im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB II erwerbstätig sein, weil er als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist, und somit genehmigungsfreien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz). Es liegen dem Gericht keine Erkenntnisse über das Nichtbestehen bzw. den Verlust des Rechts des Antragstellers nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU aufgrund der §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 Abs. 1 FreizügG/EU vor.
Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Daraus ergibt sich, dass die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II bedarfsorientiert und bedürftigkeitsabhängig gewährt werden.
Der im Falle des Antragstellers zu deckende monatliche Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst den Regelbedarf und den Bedarf für Unterkunft und Heizung.
Als Regelbedarf (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II) wird nach der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 SGB II für die Zeit ab 1. Januar 2014 für eine Person, die alleinstehend oder alleinerziehend ist oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, monatlich 391 EUR anerkannt.
Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Nach dem ab dem 1. Januar 2014 vereinbarten Mietvertrag sind dies insgesamt 330,- EUR. Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2014 hat der Antragsteller vorgetragen, die Vermieterin habe ihn noch nicht der Wohnung verwiesen oder die Schlösser der Wohnung ausgetauscht, solches Vorgehen allerdings wegen der bestehenden Mietrückstände angekündigt. Es kann daher gegenwärtig noch von einem vollzogenen Mietverhältnis auf der Grundlage des Mietvertrages ausgegangen werden.
Nach der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller letztlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Mittel fehlen, um den Grundsicherungsbedarf ganz oder teilweise zu decken. Nach den Angaben im Weiterbewilligungsantrag vom 1. April 2014 sind keine Änderungen bezüglich Einkommen und Vermögen gegenüber dem Leistungsantrag vom 23. September 2013 eingetreten. Nach den am 9. Oktober 2013 bei dem Jobcenter eingegangenen Antragsunterlagen waren Einnahmen nicht angegeben und die Richtigkeit der Angaben bestätigt. Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2014 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers zwar vorgetragen, es sei davon auszugehen, dass sich die in H. lebende rumänische Diaspora im Alltag unterstütze. Und im Erörterungstermin vom 27. Mai 2014 hat der Antragsteller außerdem angegeben, er sei bislang von einem Freund finanziell unterstützt worden, wisse aber nicht, ob dieser ihn weiterhin unterstützen werde. Anrechenbares Einkommen im Sinne des § 11 SGB II ist danach jedoch nicht feststellbar. Es fehlt dem Gericht an Anhaltspunkten dafür, dass der Antragsteller bislang erhaltene Unterstützung Dritter nicht lediglich vorübergehend erhalten hat, und dass für eine Weitergewährung dieser Unterstützung ein Rechtsgrund besteht.
Anrechenbares Vermögen im Sinne des § 12 SGB II kann bei der gebotenen summarischen Prüfung ebenfalls nicht festgestellt werden.
Unter Berücksichtigung der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland hat.
Nach § 7 Abs. 1 S 1 Nr. 4 SGB II iVm § 30 Abs. 3 S 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, Rn. 18).
So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat seinen Lebensmittelpunkt zukunftsoffen nach Deutschland verlegt. Dafür spricht das ab dem 1. April 2014 vereinbarte unbefristete Mietverhältnis. Er ist deshalb als Anknüpfungspunkt für den dauernden Aufenthalt geeignet, weil der Antragsteller zum Zwecke der Arbeitsuche eingereist war. Das ist hinreichend durch die Schilderung im Erörterungstermin glaubhaft gemacht, wie er über einen rumänischen Freund zur Tätigkeit für einen Unternehmer vermittelt wurde.
Der Antragsteller erfüllt zwar die Voraussetzungen des gesetzlichen Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, keine Leistungen nach dem SGB II erhalten. Denn nach eigenen Angaben ist der Kläger im Jahre 2012 nach Deutschland eingereist, um Arbeit zu suchen. Ein Aufenthaltsrecht unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nrn. 2 oder 3 FreizügG/EU ist hier nicht ersichtlich. Nach dem Gesprächsvermerk vom 23. September 2013 übte der Antragsteller bereits zum damaligen Zeitpunkt keine selbständige Tätigkeit mehr aus. In seinem Schriftsatz vom 14. April 2014 an den Antragsgegner führte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers außerdem aus, zwar liege keine Gewerbeabmeldung vor, Einkünfte aus dem Gewerbe seien indessen weder seinerzeit erzielt worden noch würden sie gegenwärtig erzielt.
Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende jedoch die Möglichkeit eröffnet, Leistungen der Grundsicherung vorläufig zu gewähren, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift des SGB II, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist. Das ist in Bezug auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II der Fall.
Das Bundessozialgericht hat nämlich dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 267 AEUV u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art 18 AEUV einer nationalen Bestimmung entgegen steht, die Unionsbürgern, die sich als Arbeitsuchende auf die Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts berufen können, eine Sozialleistung, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, ausnahmslos für die Zeit eines Aufenthaltsrechts nur zur Arbeitsuche und unabhängig von der Verbindung mit dem Aufnahmestaat verweigert (vgl. BSG, EuGH-Vorlage vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 9/13 R –).
Nach § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist dem Leistungsträger bei der Entscheidung über vorläufige Leistungsgewährung ein Ermessen eingeräumt, das er entsprechend dem Zweck der Ermächtigung unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens auszuüben hat (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I).
Nach Lage der Akten hat der Antragsgegner bei seiner ablehnenden Entscheidung vom 16. April 2014 dieses gesetzlich vorgeschriebene Ermessen nicht ausgeübt. Nach dem Inhalt der Antragserwiderung vom 20. Mai 2014 ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der Antragsgegner ungeachtet der Vorlage-Entscheidung des BSG (aaO.) verpflichtet sieht, Unionsbürgern auch die vorläufige Gewährung von Grundsicherungsleistungen zu versagen, wenn sie sich ausschließlich zum Zwecke der Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
Das Gericht hat den Antragsgegner deshalb im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zu verpflichten. Eine solche Entscheidung stellt sich als die allein mögliche dar, weil auf andere Weise das aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums des Antragstellers nicht garantiert werden kann. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 –, Rn. 62; LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 1.11.2013 – L 2 AS 841/13 B ER – Rn. 36; - L 2 AS 889/13 B ER – Rn. 32).
Das Bundesverfassungsgericht hat weiter Folgendes ausgeführt (vgl. BVerfG, aaO. Rn. 62 - 64):
" Dieses Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar und muss durch einen Leistungsanspruch eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen im Hinblick auf die konkreten Bedarfe der Betroffenen auszurichten hat.
a) Art. 1 Abs. 1 GG erklärt die Würde des Menschen für unantastbar und verpflichtet alle staatliche Gewalt, sie zu achten und zu schützen. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 125, 175 (222)). Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt (vgl. BVerfGE 87, 209 (228)) und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann (vgl. BVerfGE 125, 175 (222 f.)).
b) Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (vgl. BVerfGE 125, 175 (223) m.w.N.)."
Danach ist es also aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen, Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, grundsätzlich dem Grunde nach von Leistungen auszuschließen, die der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dienen.
Der Antragsgegner könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Antragsteller sei in anderen Systemen der Grundsicherung leistungsberechtigt. Unabhängig von der Frage der Systemabgrenzung zwischen dem SGB II und dem SGB XII nach näherer Maßgabe der §§ 5 Abs. 2 SGB II, 21 SGB XII sieht § 23 Abs. 3 SGB XII für Ausländer einen Leistungsausschluss vor, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Ein Verweis auf das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Es stellt ein eigenständiges und abschließendes Regelungssystem dar. § 1 Abs. 1 AsylblG enthält eine Typologisierung des Leistungsberechtigten Personenkreises, die auf den Antragsteller nicht zutrifft.
Da der Antragsteller nach summarischer Prüfung ohne Einkommen und Vermögen ist, ist ein Anordnungsgrund ohne Weiteres zu bejahen und eine vorläufige Regelung durch das Gericht für die Zeit ab Eingang des Rechtsschutzgesuchs am 12. Mai 2014 erforderlich.
Als monatlicher Grundsicherungsbedarf des Antragstellers ist der Regelbedarf in Höhe von 391 EUR und die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 330 EUR zu berücksichtigen. Der Antragsgegner hat vorläufig Arbeitslosengeld II zu gewähren, und zwar für den Monat Mai 2014 anteilig (§ 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II) für 21 Tage in Höhe von 504,70 EUR und von Juni 2014 bis September 2014 monatlich 721 EUR.
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind grundsätzlich nur zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu gewähren und nicht rückwirkend zu bewilligen (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 01. November 2013 – L 2 AS 841/13 B ER –, Rn. 40). Im Hinblick auf §§ 37 Abs. 2 Satz 2, 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II ist die vorläufige Regelung durch das Gericht auf einen Bewilligungszeitraum bis 30. September 2014 zu beschränken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt von dem Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Der ... 1965 in S., Rumänien, geborene Kläger reiste nach eigenen Angaben im Jahre 2012 zum Zwecke der Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23. September 2013 beantragte er bei dem Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Laut eines Gesprächsvermerks vom 23. September 2013 in der Verwaltungsakte des Antragsgegners sei der Antragsteller nach den Angaben eines Praktikanten seines Rechtsanwalts nicht mehr selbständig tätig; eine Gewerbeabmeldung liege jedoch nicht vor. Am 9. Oktober 2013 gingen bei dem Antragsgegner die von seinem Verfahrensbevollmächtigten unterzeichneten Antragsformulare, bestehend aus Hauptantrag, Anlage zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung, Anlage zur Feststellung der Einkommensverhältnisse und Anlage zur Feststellung der Vermögensverhältnisse ein. Einnahmen und Vermögen wurde nicht angegeben. In der Folgezeit endete ein zwischen den Beteiligten geführtes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (L 2 AS 979/13 B ER) am 29. November 2013 mit einem Vergleich. Der Antragsgegner verpflichtete sich danach, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 1. November 2013 bis 31. März 2014 monatlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren. Seit dem 1. Januar 2014 ist der Antragsteller unter der im Beschlussrubrum bezeichneten Anschrift gemeldet. Nach dem Wohnungsmietvertrag ist als Beginn des Mietverhältnisses der 1. Januar 2014 bei unbestimmter Laufzeit vereinbart. Die vereinbarte Miete beträgt monatlich 220 EUR nebst Heizkosten in Höhe von 50 EUR monatlich und Betriebskosten in Höhe von 60 EUR monatlich. Am 1. April 2014 beantragte der Antragsteller die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Einnahmen wurden nicht angegeben, Änderungen zum Vermögen ebenfalls nicht. Mit Schreiben vom 14. April 2014 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers mit: Eine Gewerbeabmeldung existiere nicht. Weder seien in der Vergangenheit noch würden gegenwärtig aus dem Gewerbe Einkünfte erzielt. Mit Bescheid vom 16. April 2014 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit der Begründung ab, der Antragsteller halte sich in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich zum Zwecke der Arbeitsuche auf. Dagegen legte der Antragsteller mittels anwaltlichem Schreiben vom 6. Mai 2014 Widerspruch ein, der mittlerweile mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2014 zurückgewiesen worden ist. Dagegen hat der Kläger am 23. Mai 2014 bei dem erkennenden Gericht Klage erhoben (S 17 AS 2519/14).
Bereits am 12. Mai 2014 hat der Antragsteller wegen der ablehnenden Entscheidung des Antragsgegners um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat er vorgetragen: Mit der Ausnahme einer zweimonatigen Unterbrechung im Herbst 2012 lebe er seit seiner Einreise im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners. Er friste sein derzeitiges Leben aus den SGB II – Leistungen für den Zeitraum November 2013 bis März 2014. Es sei außerdem davon auszugehen, dass sich die in H. lebende rumänische Diaspora im Alltag unterstütze. Im Erörterungstermin am 27. Mai 2014 hat der Antragsteller mithilfe einer Dolmetscherin vorgetragen: Im Jahr 2013 habe er zu einem rumänischen Staatsbürger im Hauptbahnhof von H. Kontakt bekommen, der ihm Arbeit vermittelt habe. Das Geld für die Arbeit habe er von diesem rumänischen Freund ausgezahlt bekommen. Diesen Freund habe er erstmals im April/Mai 2013 kennengelernt. Dokumente habe er nie unterschrieben. Die Arbeit sei an einen Unternehmer vermittelt worden, der den rumänischen Freund bezahlt habe, um das Geld an den Antragsteller weiterzuleiten.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, ihm bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, der Antragsteller sei als arbeitsuchender Ausländer von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Außerdem sei der Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die dem Gericht vorliegende Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet. Eine vorläufige Regelung durch gerichtliche Anordnung hat sich als erforderlich erwiesen.
Gegenstand des Verfahrens bilden geltend gemachte Ansprüche des Antragstellers auf Arbeitslosengeld II ab dem 12. Mai 2014, dem Eingang des Gesuchs auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Gericht, bis einschließlich 30. September 2014. Es ist trotz der sprachlich weiten Fassung des Rechtsschutzantrages davon auszugehen, dass der anwaltlich vertretene Antragsteller sein Rechtsschutzgesuch an dem gesetzlichen Regelbewilligungszeitraum des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II ausrichten will.
Der vom Antragsteller nachgesuchte vorläufige Rechtsschutz beurteilt sich nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Anordnung kann erlassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund).
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind nach der gebotenen summarischen Prüfung als glaubhaft gemacht anzusehen.
Der Antragsteller hat Anspruch auf vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II. Rechtsgrundlage ist § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III.
Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II. Es umfasst für erwerbsfähige Leistungsberechtigte u.a. den Regelbedarf und den Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II).
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind, und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Allerdings können Ausländerinnen und Ausländer nach § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB II nur im Sinne von Absatz 1 erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte.
Der ... 1965 geborene Antragsteller ist erwerbsfähig. Für die Annahme, er könne aus körperlichen Gründen nicht mindestens 3 Stunden erwerbstätig sein, fehlt es an Anhaltspunkten. Er kann auch im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB II erwerbstätig sein, weil er als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist, und somit genehmigungsfreien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz). Es liegen dem Gericht keine Erkenntnisse über das Nichtbestehen bzw. den Verlust des Rechts des Antragstellers nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU aufgrund der §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 Abs. 1 FreizügG/EU vor.
Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Daraus ergibt sich, dass die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II bedarfsorientiert und bedürftigkeitsabhängig gewährt werden.
Der im Falle des Antragstellers zu deckende monatliche Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst den Regelbedarf und den Bedarf für Unterkunft und Heizung.
Als Regelbedarf (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II) wird nach der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 SGB II für die Zeit ab 1. Januar 2014 für eine Person, die alleinstehend oder alleinerziehend ist oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, monatlich 391 EUR anerkannt.
Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Nach dem ab dem 1. Januar 2014 vereinbarten Mietvertrag sind dies insgesamt 330,- EUR. Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2014 hat der Antragsteller vorgetragen, die Vermieterin habe ihn noch nicht der Wohnung verwiesen oder die Schlösser der Wohnung ausgetauscht, solches Vorgehen allerdings wegen der bestehenden Mietrückstände angekündigt. Es kann daher gegenwärtig noch von einem vollzogenen Mietverhältnis auf der Grundlage des Mietvertrages ausgegangen werden.
Nach der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller letztlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Mittel fehlen, um den Grundsicherungsbedarf ganz oder teilweise zu decken. Nach den Angaben im Weiterbewilligungsantrag vom 1. April 2014 sind keine Änderungen bezüglich Einkommen und Vermögen gegenüber dem Leistungsantrag vom 23. September 2013 eingetreten. Nach den am 9. Oktober 2013 bei dem Jobcenter eingegangenen Antragsunterlagen waren Einnahmen nicht angegeben und die Richtigkeit der Angaben bestätigt. Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2014 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers zwar vorgetragen, es sei davon auszugehen, dass sich die in H. lebende rumänische Diaspora im Alltag unterstütze. Und im Erörterungstermin vom 27. Mai 2014 hat der Antragsteller außerdem angegeben, er sei bislang von einem Freund finanziell unterstützt worden, wisse aber nicht, ob dieser ihn weiterhin unterstützen werde. Anrechenbares Einkommen im Sinne des § 11 SGB II ist danach jedoch nicht feststellbar. Es fehlt dem Gericht an Anhaltspunkten dafür, dass der Antragsteller bislang erhaltene Unterstützung Dritter nicht lediglich vorübergehend erhalten hat, und dass für eine Weitergewährung dieser Unterstützung ein Rechtsgrund besteht.
Anrechenbares Vermögen im Sinne des § 12 SGB II kann bei der gebotenen summarischen Prüfung ebenfalls nicht festgestellt werden.
Unter Berücksichtigung der gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland hat.
Nach § 7 Abs. 1 S 1 Nr. 4 SGB II iVm § 30 Abs. 3 S 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, Rn. 18).
So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat seinen Lebensmittelpunkt zukunftsoffen nach Deutschland verlegt. Dafür spricht das ab dem 1. April 2014 vereinbarte unbefristete Mietverhältnis. Er ist deshalb als Anknüpfungspunkt für den dauernden Aufenthalt geeignet, weil der Antragsteller zum Zwecke der Arbeitsuche eingereist war. Das ist hinreichend durch die Schilderung im Erörterungstermin glaubhaft gemacht, wie er über einen rumänischen Freund zur Tätigkeit für einen Unternehmer vermittelt wurde.
Der Antragsteller erfüllt zwar die Voraussetzungen des gesetzlichen Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, keine Leistungen nach dem SGB II erhalten. Denn nach eigenen Angaben ist der Kläger im Jahre 2012 nach Deutschland eingereist, um Arbeit zu suchen. Ein Aufenthaltsrecht unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nrn. 2 oder 3 FreizügG/EU ist hier nicht ersichtlich. Nach dem Gesprächsvermerk vom 23. September 2013 übte der Antragsteller bereits zum damaligen Zeitpunkt keine selbständige Tätigkeit mehr aus. In seinem Schriftsatz vom 14. April 2014 an den Antragsgegner führte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers außerdem aus, zwar liege keine Gewerbeabmeldung vor, Einkünfte aus dem Gewerbe seien indessen weder seinerzeit erzielt worden noch würden sie gegenwärtig erzielt.
Gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende jedoch die Möglichkeit eröffnet, Leistungen der Grundsicherung vorläufig zu gewähren, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift des SGB II, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist. Das ist in Bezug auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II der Fall.
Das Bundessozialgericht hat nämlich dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 267 AEUV u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art 45 Abs. 2 AEUV in Verbindung mit Art 18 AEUV einer nationalen Bestimmung entgegen steht, die Unionsbürgern, die sich als Arbeitsuchende auf die Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts berufen können, eine Sozialleistung, die der Existenzsicherung dient und gleichzeitig auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, ausnahmslos für die Zeit eines Aufenthaltsrechts nur zur Arbeitsuche und unabhängig von der Verbindung mit dem Aufnahmestaat verweigert (vgl. BSG, EuGH-Vorlage vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 9/13 R –).
Nach § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist dem Leistungsträger bei der Entscheidung über vorläufige Leistungsgewährung ein Ermessen eingeräumt, das er entsprechend dem Zweck der Ermächtigung unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens auszuüben hat (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I).
Nach Lage der Akten hat der Antragsgegner bei seiner ablehnenden Entscheidung vom 16. April 2014 dieses gesetzlich vorgeschriebene Ermessen nicht ausgeübt. Nach dem Inhalt der Antragserwiderung vom 20. Mai 2014 ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der Antragsgegner ungeachtet der Vorlage-Entscheidung des BSG (aaO.) verpflichtet sieht, Unionsbürgern auch die vorläufige Gewährung von Grundsicherungsleistungen zu versagen, wenn sie sich ausschließlich zum Zwecke der Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
Das Gericht hat den Antragsgegner deshalb im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zu verpflichten. Eine solche Entscheidung stellt sich als die allein mögliche dar, weil auf andere Weise das aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums des Antragstellers nicht garantiert werden kann. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 –, Rn. 62; LSG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 1.11.2013 – L 2 AS 841/13 B ER – Rn. 36; - L 2 AS 889/13 B ER – Rn. 32).
Das Bundesverfassungsgericht hat weiter Folgendes ausgeführt (vgl. BVerfG, aaO. Rn. 62 - 64):
" Dieses Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar und muss durch einen Leistungsanspruch eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen im Hinblick auf die konkreten Bedarfe der Betroffenen auszurichten hat.
a) Art. 1 Abs. 1 GG erklärt die Würde des Menschen für unantastbar und verpflichtet alle staatliche Gewalt, sie zu achten und zu schützen. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter zu erlangen sind, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 125, 175 (222)). Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt (vgl. BVerfGE 87, 209 (228)) und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann (vgl. BVerfGE 125, 175 (222 f.)).
b) Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (vgl. BVerfGE 125, 175 (223) m.w.N.)."
Danach ist es also aus verfassungsrechtlichen Gründen ausgeschlossen, Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, grundsätzlich dem Grunde nach von Leistungen auszuschließen, die der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dienen.
Der Antragsgegner könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der Antragsteller sei in anderen Systemen der Grundsicherung leistungsberechtigt. Unabhängig von der Frage der Systemabgrenzung zwischen dem SGB II und dem SGB XII nach näherer Maßgabe der §§ 5 Abs. 2 SGB II, 21 SGB XII sieht § 23 Abs. 3 SGB XII für Ausländer einen Leistungsausschluss vor, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Ein Verweis auf das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Es stellt ein eigenständiges und abschließendes Regelungssystem dar. § 1 Abs. 1 AsylblG enthält eine Typologisierung des Leistungsberechtigten Personenkreises, die auf den Antragsteller nicht zutrifft.
Da der Antragsteller nach summarischer Prüfung ohne Einkommen und Vermögen ist, ist ein Anordnungsgrund ohne Weiteres zu bejahen und eine vorläufige Regelung durch das Gericht für die Zeit ab Eingang des Rechtsschutzgesuchs am 12. Mai 2014 erforderlich.
Als monatlicher Grundsicherungsbedarf des Antragstellers ist der Regelbedarf in Höhe von 391 EUR und die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 330 EUR zu berücksichtigen. Der Antragsgegner hat vorläufig Arbeitslosengeld II zu gewähren, und zwar für den Monat Mai 2014 anteilig (§ 41 Abs. 1 Satz 3 SGB II) für 21 Tage in Höhe von 504,70 EUR und von Juni 2014 bis September 2014 monatlich 721 EUR.
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind grundsätzlich nur zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage zu gewähren und nicht rückwirkend zu bewilligen (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 01. November 2013 – L 2 AS 841/13 B ER –, Rn. 40). Im Hinblick auf §§ 37 Abs. 2 Satz 2, 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II ist die vorläufige Regelung durch das Gericht auf einen Bewilligungszeitraum bis 30. September 2014 zu beschränken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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