Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
81
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 1172/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die vorläufige Bewilligung von Arbeitslosengeld II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begründet eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, soweit Ausnahmetatbestände nicht erfüllt sind. Die vorläufige Bewilligung stellt keine Darlehensgewährung im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V dar.
Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller ab sofort bis 30. September 2014 vorläufig Krankenversicherungsschutz zu gewähren und ihm unverzüglich eine Krankenversicherungskarte auszuhändigen. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht – erste Instanz – Prozesskostenhilfe bewilligt und
Rechtsanwalt C. F.,
beigeordnet.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt Krankenversicherungsschutz durch die Antragsgegnerin.
Der Antragsteller ist bulgarischer Staatsangehöriger und lebt seit 2012 in Berlin. Derzeit ist er wohnungslos und an HIV sowie TBC erkrankt. Er wird durch die Berliner Aidshilfe unterstützt. Eine zuvor ausgeübte freiberufliche Tätigkeit als Masseur beendete der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung Ende 2013. Über einen Krankenversicherungsschutz verfügte der Antragsteller (formell) nicht.
Mit rechtkräftigem Beschluss vom 7. Mai 2014 verpflichtete das Sozialgericht Berlin – S 207 AS 10297/14 ER – das zuständige Jobcenter, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 28. April 2014 bis 30. September 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren. Mit Bescheid vom 9. Mai 2014 setzte das Jobcenter den Beschluss um und leistet an den Antragsteller den Regelsatz vorläufig durch monatliche Zahlung.
Der Antragsteller wählte sodann als gesetzliche Krankenkasse die Antragstellerin. Am 6. Juni 2014 fragte er bei der Antragstellerin an und reichte am 19. Juni 2014 ein Mitgliedschaftserklärung nach. Mit Schreiben vom 20. Juni 2014 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass erst nach Vorlage einer polizeilichen Meldebescheinigung, eines Aufenthaltstitels, dem Nachweis einer Auslandskrankenversicherung und nach endgültiger Bewilligung von Arbeitslosengeld II über die Mitgliedschaft entschieden werden könne. Eine vom Bevollmächtigten der Antragsgegnerin gesetzte Frist verstrich ergebnislos.
Am 24. Juni 2014 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er ist der Ansicht, dass Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V bestehe und versicherte an Eides statt, nicht über einen Krankenversicherungsschutz zu verfügen und seit der Einreise in Deutschland keinen Krankenversicherungsschutz formell begründet zu haben, seit Ende 2013 keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen und aufgrund seiner Erkrankung dringend auf Leistungen der Antragsgegnerin angewiesen zu sein.
Er beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine vorläufige Mitgliedsbescheinigung auszustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, dass die Mitgliedschaft abzulehnen sei, da der Antragsteller Arbeitslosengeld II lediglich vorläufig erhalte und die geforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die von der Antragsgegnerin in Kopie übersandte Verwaltungsakte verwiesen.
II.
1. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn nach der Prüfung der materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich ist, dass der An-tragsteller mit seinem Begehren im hauptsächlichen Verwaltungs- oder Klageverfahren erfolgreich sein wird. Zum anderen muss eine gerichtliche Entscheidung deswegen dringend geboten sein, weil es dem Antragsteller wegen drohender schwerwiegender Nachteile nicht zuzumuten ist, den Ausgang eines Hauptverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung liegt ein Anordnungsanspruch vor. Es ist dem Antragsteller angesichts der bestehenden hohen Erfolgschancen in der Sache nicht zuzumuten, das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Nach den glaubhaft gemachten Behauptungen des Antragstellers liegen die Voraussetzungen für eine gesetzliche Pflichtversicherung vor.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V sind Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen, soweit sie nicht familienversichert sind, pflichtversichert. Die gilt nicht, wenn diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird oder nur Leistungen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II bezogen werden. Die Versicherungspflicht gilt nach Satz 2 auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist.
Der Antragsteller erhält aufgrund des rechtkräftigen Beschlusses des SG Berlin vom 7. Mai 2014 vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 28. April 2014 bis 30. September 2014. Diese Leistungen werden nicht nur darlehensweise gewährt, sondern (lediglich) vorläufig. Die vorläufige Gewährung beruht auf der Entscheidung des Gerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und musste zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache vorläufig ergehen.
Die vorläufige Gewährung stellt keine darlehensweise Bewilligung dar. Denn das SGB II sieht die Leistung von Arbeitslosengeld II als Darlehen (nur) für besondere Fallkonstellationen vor. So können Darlehen nach § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II für besonderen Finanzierungsbedarf gewährt werden, wenn ein vom Regelbedarf umfasster, unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt ist. Nach § 24 Abs. 4 SGB II können Darlehen gewährt werden, wenn in dem Monat, für den Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen. Leistungen können nach § 24 Abs. 5 SGB II als Darlehen erbracht werden, wenn der Verbrauch oder die Verwertung von Vermögen nicht sofort möglich ist. Nach § 22 Abs. 6 S. 3 SGB II soll eine Mietkaution als Darlehen erbracht werden. Auszubildenden kann nach § 27 Abs. 4 SGB II ein Darlehen gewährt werden. Diese Fallkonstellationen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V normiert einen klar definierten Katalog von Ausnahmen, bei welchen trotz der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II keine Versicherungspflicht eintreten soll. Die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II ist nicht als Ausnahme benannt. Eine vom klaren Wortlaut der Ausnahmetatbestände abweichende Auslegung ist nicht möglich. Denn Satz 2 bestimmt ergänzend, dass eine Versicherungspflicht auch eintritt, wenn die Leistungsentscheidung rückwirkend aufgehoben wird.
Die weiteren Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB II sind erfüllt. Der Antragsteller ist nicht familienversichert. Er erhält nicht nur Leistungen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Dies wären Leistungen der Erstausstattung für die Wohnung mit Haushaltsgeräten, für Bekleidung und bei Schwangerschaft oder für Anschaffung und Reparatur von orthopädischen Schuhen oder für die Reparatur von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen.
Der Antragsteller hat zudem glaubhaft gemacht, dass die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V nicht ausgeschlossen ist. Nach § 5 Abs. 5a SGB V ist nicht nach Abs. 1 Nr. 2a versicherungspflichtig, wer unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II privat krankenversichert war oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und zu den in § 5 Abs. 5 SGB V oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehört oder bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätte. Nach den glaubhaften und nicht widersprochenen Angaben des Antragstellers war er unmittelbar (vgl. zur Auslegung als Monatsfrist: Urteil des Bundessozialgericht vom 3. Juli 2013, B 12 KR 11/11 R) vor dem Bezug von Arbeitslosengel II weder privat krankenversichert, noch war er unmittelbar zuvor hauptberuflich selbständig tätig oder nach § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V – ggf. bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit – versicherungsfrei. Selbst wenn der Antragsteller selbständig wäre oder unmittelbar vor dem Bezug gewesen wäre, würde sich die Versicherungspflicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ergeben.
Der Antragsteller hat sich in Ausübung seines nach § 175 Abs. 1 SGB V freien Wahlrechts für eine Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin entscheiden. Diese darf nach § 175 Abs. 1 S. 2 SGB V die Mitgliedschaft nicht ablehnen.
Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Gründe stehen einer Versicherungspflicht nicht entgegen. Die Versicherungspflicht tritt kraft Gesetzes ein. Im Übrigen kann die Antragsgegnerin weitere Unterlagen zur Prüfung nicht verlangen. Die polizeiliche Anmeldung hat der Antragsteller mit der Antragsschrift vorgelegt, die Mitgliedserklärung liegt der Antragstellerin seit 19. Juni 2104 vor. Als EU-Bürger ist der Antragsteller freizügigkeitsberechtigt und benötigt keinen Aufenthaltstitel. Schließlich verweist die Antragsgegnerin – wie ausgeführt – zu Unrecht darauf, dass zunächst eine endgültige Bewilligung durch das Jobcenter erfolgen soll.
Der Versicherungspflicht steht auch nicht entgegen, dass das Jobcenter bislang keine Anmeldung vorgenommen und die nach § 252 Abs. 1 S. 2 SGB II zu tragenden Beiträge nicht geleistet hat. Die Versicherungspflicht entsteht unabhängig von der Anmeldung und Beitragszahlung.
Das Eilbedürfnis ergibt sich aus der Erkrankung des Antragstellers und dem akuten Bedarf an medizinischer Versorgung.
Der Antrag war zurückzuweisen, soweit der Antragsteller – durch zeitlich unbeschränkten Antrag – über den 30. September 2014 hinaus, einen vorläufigen Krankenversicherungsschutz begehrt. Denn nach der Entscheidung des SG Berlin ist das Jobcenter zunächst nur zur Leis-tung bis 30. September 2014 verpflichtet. Ob darüber hinaus die Voraussetzungen für eine weitere Pflichtversicherung vorliegen ist ungewiss.
2. Dem Antragsteller wird rückwirkend ab Eingang der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten gewährt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne mutwillig zu erscheinen hinreichende Erfolgsaussichten bietet und der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Pro-zessführung nicht aufbringen kann (§ 73 a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115 ZPO). Die Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers war erforderlich (§ 121 Abs. 2 ZPO), weil sich wegen der komplizierten Rechtslage auch ein bemittelter Kläger vernünftigerweise eines Rechtsanwaltes / einer Rechtsanwältin bedient hätte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Sie berücksichtigt das Unterliegen der Antragsgegnerin. Die Abweisung im Übrigen wurde bei der Kostenentscheidung nicht berücksichtigt, da das Unterliegen nur minimal ist.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht – erste Instanz – Prozesskostenhilfe bewilligt und
Rechtsanwalt C. F.,
beigeordnet.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt Krankenversicherungsschutz durch die Antragsgegnerin.
Der Antragsteller ist bulgarischer Staatsangehöriger und lebt seit 2012 in Berlin. Derzeit ist er wohnungslos und an HIV sowie TBC erkrankt. Er wird durch die Berliner Aidshilfe unterstützt. Eine zuvor ausgeübte freiberufliche Tätigkeit als Masseur beendete der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung Ende 2013. Über einen Krankenversicherungsschutz verfügte der Antragsteller (formell) nicht.
Mit rechtkräftigem Beschluss vom 7. Mai 2014 verpflichtete das Sozialgericht Berlin – S 207 AS 10297/14 ER – das zuständige Jobcenter, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 28. April 2014 bis 30. September 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren. Mit Bescheid vom 9. Mai 2014 setzte das Jobcenter den Beschluss um und leistet an den Antragsteller den Regelsatz vorläufig durch monatliche Zahlung.
Der Antragsteller wählte sodann als gesetzliche Krankenkasse die Antragstellerin. Am 6. Juni 2014 fragte er bei der Antragstellerin an und reichte am 19. Juni 2014 ein Mitgliedschaftserklärung nach. Mit Schreiben vom 20. Juni 2014 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass erst nach Vorlage einer polizeilichen Meldebescheinigung, eines Aufenthaltstitels, dem Nachweis einer Auslandskrankenversicherung und nach endgültiger Bewilligung von Arbeitslosengeld II über die Mitgliedschaft entschieden werden könne. Eine vom Bevollmächtigten der Antragsgegnerin gesetzte Frist verstrich ergebnislos.
Am 24. Juni 2014 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er ist der Ansicht, dass Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V bestehe und versicherte an Eides statt, nicht über einen Krankenversicherungsschutz zu verfügen und seit der Einreise in Deutschland keinen Krankenversicherungsschutz formell begründet zu haben, seit Ende 2013 keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen und aufgrund seiner Erkrankung dringend auf Leistungen der Antragsgegnerin angewiesen zu sein.
Er beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine vorläufige Mitgliedsbescheinigung auszustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, dass die Mitgliedschaft abzulehnen sei, da der Antragsteller Arbeitslosengeld II lediglich vorläufig erhalte und die geforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die von der Antragsgegnerin in Kopie übersandte Verwaltungsakte verwiesen.
II.
1. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn nach der Prüfung der materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich ist, dass der An-tragsteller mit seinem Begehren im hauptsächlichen Verwaltungs- oder Klageverfahren erfolgreich sein wird. Zum anderen muss eine gerichtliche Entscheidung deswegen dringend geboten sein, weil es dem Antragsteller wegen drohender schwerwiegender Nachteile nicht zuzumuten ist, den Ausgang eines Hauptverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung liegt ein Anordnungsanspruch vor. Es ist dem Antragsteller angesichts der bestehenden hohen Erfolgschancen in der Sache nicht zuzumuten, das Hauptsacheverfahren abzuwarten. Nach den glaubhaft gemachten Behauptungen des Antragstellers liegen die Voraussetzungen für eine gesetzliche Pflichtversicherung vor.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V sind Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen, soweit sie nicht familienversichert sind, pflichtversichert. Die gilt nicht, wenn diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird oder nur Leistungen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II bezogen werden. Die Versicherungspflicht gilt nach Satz 2 auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist.
Der Antragsteller erhält aufgrund des rechtkräftigen Beschlusses des SG Berlin vom 7. Mai 2014 vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 28. April 2014 bis 30. September 2014. Diese Leistungen werden nicht nur darlehensweise gewährt, sondern (lediglich) vorläufig. Die vorläufige Gewährung beruht auf der Entscheidung des Gerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und musste zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache vorläufig ergehen.
Die vorläufige Gewährung stellt keine darlehensweise Bewilligung dar. Denn das SGB II sieht die Leistung von Arbeitslosengeld II als Darlehen (nur) für besondere Fallkonstellationen vor. So können Darlehen nach § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II für besonderen Finanzierungsbedarf gewährt werden, wenn ein vom Regelbedarf umfasster, unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt ist. Nach § 24 Abs. 4 SGB II können Darlehen gewährt werden, wenn in dem Monat, für den Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen. Leistungen können nach § 24 Abs. 5 SGB II als Darlehen erbracht werden, wenn der Verbrauch oder die Verwertung von Vermögen nicht sofort möglich ist. Nach § 22 Abs. 6 S. 3 SGB II soll eine Mietkaution als Darlehen erbracht werden. Auszubildenden kann nach § 27 Abs. 4 SGB II ein Darlehen gewährt werden. Diese Fallkonstellationen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V normiert einen klar definierten Katalog von Ausnahmen, bei welchen trotz der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II keine Versicherungspflicht eintreten soll. Die vorläufige Gewährung von Arbeitslosengeld II ist nicht als Ausnahme benannt. Eine vom klaren Wortlaut der Ausnahmetatbestände abweichende Auslegung ist nicht möglich. Denn Satz 2 bestimmt ergänzend, dass eine Versicherungspflicht auch eintritt, wenn die Leistungsentscheidung rückwirkend aufgehoben wird.
Die weiteren Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB II sind erfüllt. Der Antragsteller ist nicht familienversichert. Er erhält nicht nur Leistungen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Dies wären Leistungen der Erstausstattung für die Wohnung mit Haushaltsgeräten, für Bekleidung und bei Schwangerschaft oder für Anschaffung und Reparatur von orthopädischen Schuhen oder für die Reparatur von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen.
Der Antragsteller hat zudem glaubhaft gemacht, dass die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V nicht ausgeschlossen ist. Nach § 5 Abs. 5a SGB V ist nicht nach Abs. 1 Nr. 2a versicherungspflichtig, wer unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II privat krankenversichert war oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und zu den in § 5 Abs. 5 SGB V oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehört oder bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätte. Nach den glaubhaften und nicht widersprochenen Angaben des Antragstellers war er unmittelbar (vgl. zur Auslegung als Monatsfrist: Urteil des Bundessozialgericht vom 3. Juli 2013, B 12 KR 11/11 R) vor dem Bezug von Arbeitslosengel II weder privat krankenversichert, noch war er unmittelbar zuvor hauptberuflich selbständig tätig oder nach § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V – ggf. bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit – versicherungsfrei. Selbst wenn der Antragsteller selbständig wäre oder unmittelbar vor dem Bezug gewesen wäre, würde sich die Versicherungspflicht aus § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ergeben.
Der Antragsteller hat sich in Ausübung seines nach § 175 Abs. 1 SGB V freien Wahlrechts für eine Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin entscheiden. Diese darf nach § 175 Abs. 1 S. 2 SGB V die Mitgliedschaft nicht ablehnen.
Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Gründe stehen einer Versicherungspflicht nicht entgegen. Die Versicherungspflicht tritt kraft Gesetzes ein. Im Übrigen kann die Antragsgegnerin weitere Unterlagen zur Prüfung nicht verlangen. Die polizeiliche Anmeldung hat der Antragsteller mit der Antragsschrift vorgelegt, die Mitgliedserklärung liegt der Antragstellerin seit 19. Juni 2104 vor. Als EU-Bürger ist der Antragsteller freizügigkeitsberechtigt und benötigt keinen Aufenthaltstitel. Schließlich verweist die Antragsgegnerin – wie ausgeführt – zu Unrecht darauf, dass zunächst eine endgültige Bewilligung durch das Jobcenter erfolgen soll.
Der Versicherungspflicht steht auch nicht entgegen, dass das Jobcenter bislang keine Anmeldung vorgenommen und die nach § 252 Abs. 1 S. 2 SGB II zu tragenden Beiträge nicht geleistet hat. Die Versicherungspflicht entsteht unabhängig von der Anmeldung und Beitragszahlung.
Das Eilbedürfnis ergibt sich aus der Erkrankung des Antragstellers und dem akuten Bedarf an medizinischer Versorgung.
Der Antrag war zurückzuweisen, soweit der Antragsteller – durch zeitlich unbeschränkten Antrag – über den 30. September 2014 hinaus, einen vorläufigen Krankenversicherungsschutz begehrt. Denn nach der Entscheidung des SG Berlin ist das Jobcenter zunächst nur zur Leis-tung bis 30. September 2014 verpflichtet. Ob darüber hinaus die Voraussetzungen für eine weitere Pflichtversicherung vorliegen ist ungewiss.
2. Dem Antragsteller wird rückwirkend ab Eingang der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten gewährt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung ohne mutwillig zu erscheinen hinreichende Erfolgsaussichten bietet und der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Pro-zessführung nicht aufbringen kann (§ 73 a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115 ZPO). Die Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers war erforderlich (§ 121 Abs. 2 ZPO), weil sich wegen der komplizierten Rechtslage auch ein bemittelter Kläger vernünftigerweise eines Rechtsanwaltes / einer Rechtsanwältin bedient hätte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Sie berücksichtigt das Unterliegen der Antragsgegnerin. Die Abweisung im Übrigen wurde bei der Kostenentscheidung nicht berücksichtigt, da das Unterliegen nur minimal ist.
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