L 3 AL 103/12

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 31 AL 68/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 103/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Tatbestandsvoraussetzung der Darlegung der Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit ist von der Agentur für Arbeit eigenständig zu prüfen gewesen; sie ist nicht vom Tragfähigkeitsattest der fachkundigen Stelle erfasst gewesen.
2. Zum Nachweis von Kenntnissen und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit können zum Beispiel Berufsabschlüsse, Zeugnisse, Zertifikate über erworbene Qualifikationen oder Belege über den beruflichen Werdegang dienen.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. August 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten hat die Beklagte der Klägerin nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Gründungszuschusses.

Die 1961 geborene Klägerin verfügt über eine Ausbildung zur Diakonin und arbeitete bis 2011 als Diakonin, Religionspädagogin und Erzieherin bei der evangelisch-lutherischen Kirche des Freistaates Sachsen.

Aufgrund des Auslaufens eines befristeten Dienstvertrages mit der Kinderarche Sachsen e. V. zum 30. September 2011 meldete sich die Klägerin am 19. Juli 2011 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld.

Mit Bescheid vom 22. August 2011 wurde der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 1. Oktober 2011 für 450 Tage bewilligt.

Im Folgenden nahm die Klägerin unter anderem vom 10. bis 21. Oktober 2011 an einer von der Beklagten vermittelten Maßnahme des Bildungszentrums der S H gGmbH "Heranführung an die Selbstständigkeit" teil. In der Teilnehmerbeurteilung vom 21. Oktober 2011 wird unter anderem folgendes ausgeführt: "Frau Z muss unbedingt noch den spezifischen Kundenbedarf klären, Kontakte zu potentiellen Kunden herstellen und das notwendige Knowhow für ihr geplantes Unternehmen erwerben. Dafür muss sie ihre Zurückhaltung ablegen, um offensiv für ihr Unternehmen auftreten zu können. Sie möchte vorhandene Defizite durch eine Rhetorikschulung abbauen. Anzuraten wäre, im Nebenerwerb zu testen, ob sie sich mit ihrer Geschäftsidee etablieren kann und ob das Kundenpotential in der Region ausreicht. [ ] Für die Gründungsvorbereitung ist daher noch relativ viel Zeit und Energie erforderlich. Frau Z. kann unseres Erachtens als Stay-long-Typ eingestuft werden. Die Gründung ist für März 2012 geplant."

Am 15. November 2011 beantragte die Klägerin unter Vorlage ihres Businessplans und weiterer Unterlagen die Gewährung eines Gründungszuschusses für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Produzentin von Videotrailern ab 29. November 2011 in C. Sie erwarte für Dezember 2011 einen Gewinn in Höhe von 490,00 EUR, für Januar 2012 in Höhe von 450,00 EUR und im Zeitraum vom Februar bis Mai 2012 in Höhe von 700,00 EUR monatlich. Ihre Gewinnerwartung für das Jahr 2012 betrage 7.640,00 EUR und für das Jahr 2013 9.490,00 EUR. Im Formblatt "Stellungnahme der fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung nach § 57 Abs. 2 Nr. 3 SGB III" bestätigte Dipl.-Kaufmann B K , dass bei der Klägerin die Voraussetzungen in fachlicher und branchenspezifischer Hinsicht als auch in kaufmännischer unternehmerischer Hinsicht vorliegen würden.

Mit Bescheid vom 16. Dezember 2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Es bestehe die Notwendigkeit der Behebung von persönlichen Defiziten, die Klärung des Kundenbedarfs sowie der Erwerb des notwendigen Knowhows. Die Vorverlegung des ursprünglich für März 2012 geplanten Gründungstermins sei nicht nachvollziehbar. Es bestünden erhebliche Zweifel an der unternehmerischen, fachlichen und persönlichen Eignung der Klägerin. Es könne nicht von einer tragfähigen Existenzgründung ausgegangen werden.

In ihrem Widerspruch trägt die Klägerin vor, dass alle Voraussetzungen für die Gewährung des Gründungszuschusses erfüllt seien. Es müsse auf die Stellungnahme der fachkundigen Stelle abgestellt werden.

Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2012 zurückgewiesen. Nach der Einschätzung der Klägerin selbst könne mit ihren Gewinnerwartungen nicht von einer tragfähigen Existenzgründung ausgegangen werden. Ausgehend von der Düsseldorfer Tabelle sei hierfür eine durchschnittliche Gewinnerwartung in Höhe von 950,00 EUR monatlich erforderlich. Darüber hinaus habe sie ihre Eignung in unternehmerischer, fachlicher sowie persönlicher Hinsicht nicht dargelegt.

Hiergegen hat die Klägerin am 2. Februar 2012 Klage erhoben. Sie habe für 2014 ein Cashflow von 13.990,00 EUR prognostiziert. Ihre Fähigkeiten haben sie durch die eingereichten Unterlagen bewiesen. Die Teilnehmerbeurteilung vom 21. Oktober 2011 beruhe im Wesentlichen auf ihren eigenen Angaben. In den Wochen nach dem 21. Oktober 2011 habe sie sich emotional besonders gestärkt gefühlt, da sie sich fachliche Qualifikationen angeeignet habe. Aus ihrer Sicht habe sich die Aufnahme einer Tätigkeit bereits für den 29. November 2011 angeboten. Seit Aufnahme ihrer Tätigkeit habe sie zwei Aufträge zur Produktion eines Videotrailers erhalten. Ein Videotrailer koste 590,00 EUR.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 6. August 2012 die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung eines Gründungszuschusses. Es könne dahinstehen, ob von der Klägerin die vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit hinreichend dargelegt worden seien. Jedenfalls habe sie die Tragfähigkeit ihrer Existenzgründung nicht durch Vorlage der Stellungnahme einer fachkundigen Stelle nachgewiesen. Fraglich sei insbesondere, ob ein Steuerberater und Dipl.-Kaufmann eine fachkundige Stelle sein könne. Auch lasse sich aus der Ertragsvorschau der Klägerin eine Tragfähigkeit ihrer Existenzgründung nicht erkennen.

Gegen das ihr am 10. August 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28. August 2012 Berufung eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2014 hat der Klägerbevollmächtigte moniert, dass die Klägerin nicht von der Beklagten beraten worden sei. Diese habe lediglich die Unterlagen zugrunde gelegt und den Antrag auf Gründungszuschuss abgelehnt.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. August 2012 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ab 29. November 2011 einen Gründungszuschuss zu bewilligen.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht mit Urteil vom 6. August 2012 die Klage abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2012 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Gründungszuschusses. Rechtsgrundlage ist § 57 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) in der vom 1. August 2009 bis zum 27. Dezember 2011 geltenden Fassung (vgl. Artikel 2b Nr. 1 des Gesetzes vom 15. Juli 2009 [BGBl. I S. 1939]).

Gemäß § 57 Abs. 1 SGB III a. F. hatten Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beendeten, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss. Ein Gründungszuschuss wurde gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 SGB III a. F. geleistet, wenn der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit a) einen Anspruch auf Entgeltersatzleistung nach diesem Buch hatte oder b) eine Beschäftigung ausgeübt hatte, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach diesem Buche gefördert worden war, 2. bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, dessen Dauer nicht allein auf § 127 Abs. 3 SGB III beruhte, von mindestens 90 Tagen verfügte, 3. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachwies und 4. seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit darlegte. Zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung war der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III a. F.). Fachkundige Stellen waren insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SGB III a. F.).

Zwar liegen die Voraussetzungen gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB III a. F. in der Person der Klägerin vor. Jedoch hat die Klägerin ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung ihrer selbstständigen Tätigkeit (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB III a. F.) nicht ausreichend nachgewiesen. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist von der Agentur für Arbeit eigenständig zu prüfen gewesen; sie ist nicht vom Tragfähigkeitsattest der fachkundigen Stelle (vgl. § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB III a. F.) erfasst gewesen.

Zum Nachweis von Kenntnissen und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit nach § 57 Abs. 2 Nr. 4 SGB III a. F. können zum Beispiel Berufsabschlüsse, Zeugnisse, Zertifikate über erworbene Qualifikationen oder Belege über den beruflichen Werdegang dienen (vgl. SG Lüneburg, Urteil vom 29. September 2011 – S 7 AL 115/10 – JURIS-Dokument Rdnr. 34, Stratmann, in: Niesel/Brand, SGB III [5. Aufl., 2010], § 57 Rdnr. 12; Winkler, in: Gagel, SGB II/SGB III [53. Erg.-Lfg., 2014], § 93 SGB III Rdnr. 49). Derartiges hat die Klägerin nicht vorgelegt. Sie verfügt über eine abgeschlossene Ausbildung als Erzieherin und ist im Nachgang vorwiegend als Religionspädagogin tätig gewesen. Bei den von ihr vorgelegten Qualifikationsnachweisen handelt es sich nicht um Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, die im Zusammenhang oder mit der Vorbereitung der Existenzgründung stehen.

Ausgehend hiervon hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit nicht nachgewiesen ist. Insbesondere in der Teilnehmerbeurteilung vom 21. Oktober 2011, erstellt durch das Bildungszentrum des S H gGmbH anlässlich der Teilnahme der Klägerin an der Maßnahme "Heranführung an die Selbstständigkeit", sind die bei der Klägerin bestehenden Defizite in der fachlichen und persönlichen Eignung festgehalten worden. Die von ihr gewünschte berufliche Selbständigkeit als Produzentin von Videotrailern setzt für den notwendigen wirtschaftlichen Erfolg ein entsprechendes Kundeninteresse und damit einhergehend eine aktive Kundenakquise voraus. Diesbezüglich ist in der abschließenden Teilnehmerbeurteilung festgehalten worden, dass die Klägerin vor der Eröffnung ihres Geschäfts zunächst ihre Zurückhaltung ablegen müsse, um offensiv für ihr Unternehmen auftreten zu können. Weiterhin sollte sie vorhandene Defizite durch eine Rhetorikschulung abbauen. Dies steht in Übereinstimmung mit der Selbsteinschätzung der Klägerin. Denn sie hat ein Angebot über einen Rhetorikkurs noch am 21. Oktober 2011 vom Bildungszentrum des S H eingeholt.

In der Teilnehmerbeurteilung ist auch festgehalten worden, dass die Klägerin erst im Nebenerwerb testen solle, ob ihre Geschäftsidee in der Region etablierbar ist. Dieser Empfehlung ist die Klägerin nicht nachgekommen. Dieses Defizit in der Planungsphase kommt dann in dem von der Klägerin erstellen Businessplan zum Ausdruck, wo sie in der Beschreibung der Markt- und Wettbewerbssituation selbst zum Ausdruck bringt, dass sie die Angebote anderer Firmen und insbesondere deren Preise erst prüfen müsse. Zum Zeitpunkt der Erstellung des Businessplans hatte sie sich danach offenkundig darüber noch nicht informiert.

Aufgrund dieser Defizite ist die Klägerin in der Abschlussbeurteilung des Bildungszentrums des S H folgerichtig als Stay Long-Typ bezeichnet worden. Eine Gründertypen-Analyse ist zur Unterstützung von Existenzgründern entwickelt worden. Der Stay Long-Typ ist eine Person, die über eine erfolgversprechende Geschäftsidee verfügt, deren Fähigkeits- und Kenntnis-Niveau hingegen eher niedrig, aber entwicklungsfähig ist. Bei ihm ist eine erfolgreiche Gründung mit längerer, prozessorientierter Unterstützung möglich (www.existenzgründung-saarland.de; www.gruendungskompass.de/experten6. htm). Diesen längeren Entwicklungsweg hat die Klägerin jedoch trotz entsprechender Beratung und obwohl ihr ein Arbeitslosengeldanspruch von 400 Tagen zur Verfügung gestanden hat, nicht eingeschlagen und sich stattdessen für eine sofortige und überstürzte Existenzgründung entschieden.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

III. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Dr. Scheer Höhl Atanassov
Rechtskraft
Aus
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