L 6 U 2085/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 5024/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 2085/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei Klassenfahrten können Gefährdungen nicht nur aus dem natürlichen Spieltrieb, sondern auch aus den auf dem typischen Gruppenverhalten beruhenden Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen resultieren. Das ist nicht der Fall, wenn die individuelle Bequemlichkeit des Schülers ausschlaggebend für sein Tun gewesen ist, es sich konkret während des Ereignisses um keine Gemeinschaftsveranstaltung im Rahmen der Klassenfahrt gehandelt hat, Alkoholkonsum auf der Studienfahrt verboten war und die individuelle (Fehl-)Entscheidung nicht durch vorheriges Handeln Dritter gefördert worden ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. April 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall.

Der am 17.03.1995 geborene Kläger, der mittlerweile das Abitur ablegen konnte und im Wintersemester 2014/2015 mit dem Studium BWL/Sportmanagement beginnen wird, nahm als Schüler der 12. Klasse des R.-Gymnasiums in W. an einer Studienfahrt nach E./G. vom 16. (Sonntag) bis 20.09.2012 teil. Die Gruppe bestand aus etwa 20 Teilnehmern, von denen der Kläger allerdings nur drei weitere Schüler, von denen zwei bereits volljährig waren, näher kannte und mit denen er in der Jugendherberge in E. gemeinsam ein Zimmer bezog. Die Schüler wurden von zwei Lehrern des R.-G. begleitet und beaufsichtigt.

Am 16.09.2012 flog die Gruppe von S. nach M ... Obwohl der Kläger nach eigener Einlassung zuvor eine Erklärung der Schule unterschrieben hatte, in der u. a. auf ein Alkoholverbot während der Studienfahrt hingewiesen worden war, kaufte er auf dem Flughafen M. zwei Flaschen Wodka. Hierfür hatte er sich bereits in Deutschland den Personalausweis eines volljährigen Freundes ausgeliehen, den er im Falle einer Alterskontrolle nutzen wollte. Nach der Ankunft in E. und einem gemeinsamen Abendessen trafen sich alle Teilnehmer zu einem Gespräch über die weitere Abendgestaltung. Mit Ausnahme des Klägers und seiner drei Klassenkameraden beschlossen alle anderen, mit den beiden Aufsichtslehrern einen Pub zu besuchen. Gegen 21.00 Uhr verließen diese die Jugendherberge, während der Kläger mit seinen drei Kameraden auf ihr gemeinsames Zimmer im 1. Obergeschoss ging, um dort zu feiern. Hierbei wurde auch Wodka konsumiert und geraucht, wobei das Rauchen laut Hausordnung innerhalb der Jugendherberge nicht gestattet und in dem Zimmer auch ein Rauchmelder installiert war. Die Schüler verließen daher zunächst zum Rauchen das Zimmer und gingen nach unten vor das Haus. Als der Kläger und sein Freund M. H. gegen Mitternacht erneut eine Zigarette rauchen wollten, wollten sie hierfür nicht noch einmal vor das Haus. Stattdessen gingen sie in das zum Zimmer gehörende Badezimmer, das über keinen Rauchmelder, dafür ein Dachflächenfenster verfügte, während die beiden anderen Schüler im Schlafzimmer blieben. Über die darunter installierte Toilette kletterte der Kläger in Strümpfen aus dem Fenster auf das Dach und setzte sich auf die Kante des Fensterrahmens mit den Füßen nach außen. Sein Freund M. H. setzte sich neben ihn mit den Füßen nach innen. Als der Kläger begann sich zu erbrechen, überredete ihn M. H. wieder herein zu kommen. Da der Kläger dies in sitzender Position nicht vermochte, stand er auf, verstaute die Zigarettenschachtel in seiner Tasche, verlor dabei die Balance und fiel aus einer Höhe von ca. 5 bis 6 Meter vom Dach (vgl. den Unfallbericht der Y. E., S. 12 sowie Sitzungsniederschrift des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 29.04.2014).

Der Kläger wurde von der Bergwacht geborgen, vom Rettungsdienst in das S. H. Hospital S. England zur Erstversorgung gebracht sowie von dort in das Klinikum in M. verlegt, wo er am 17.09.2012 operiert wurde. Anschließend befand sich der Kläger zur querschnittspezifischen Weiterbehandlung vom 02.10. bis 22.11.2012 im S. Klinikum K.-L., wo die Diagnosen BWK 8/9-Fraktur (16.09.2012), dorsale Spondylodese (M. 17.09.2012), sensomotorisch komplette Paraplegie, Platzwunde parietooccipital sowie Lungenkontusion rechts gestellt wurden. Es verblieb eine motorisch und sensibel komplette traumatische Querschnittslähmung (Abschlussbericht Bad Wildbad vom 24.01.2013).

Am 26.09.2012 zeigte das R.-G. den Unfall bei der Beklagten an. Mit Bescheid vom 06.03.2012 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 16.09.2012 als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da der Kläger im Rahmen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit während der Studienfahrt verunglückt sei. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger weitere medizinische Befundberichte vor und machte mit Schreiben vom 11.05.2013 nähere Angaben zum Sachverhalt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2013 zurück und führte zur Begründung aus, dass zum Zeitpunkt des Unfallereignisses der offizielle Teil, das gemeinsame Abendessen, bereits beendet gewesen sei. Der Abend habe zur freien Verfügung gestanden. Das Rauchen, der Konsum von Alkohol und das Klettern auf das Dach der Jugendherberge seien eine rein persönliche, nicht versicherte eigenwirtschaftliche Tätigkeit gewesen.

Hiergegen hat der Kläger am 30.08.2013 Klage beim SG erhoben und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG geltend gemacht, dass der Aufenthalt auf dem Dach und der Sturz in einem inneren Zusammenhang mit der Organisation der Studienfahrt und den dort vorhandenen gruppendynamischen Prozessen gestanden habe. Der lang entwickelte Plan, gemeinsam Alkohol einzukaufen um ihn dann unbeaufsichtigt einnehmen zu können, entspreche einer altersgemäßen Gruppendynamik, die die Heranwachsenden habe vergessen lassen, dass bei zunehmendem Alkoholgenuss statt der in noch nüchternem Zustand genommenen Wege zum Rauchen eine Treppe tiefer und ins Freie gefährliche Abkürzungen direkt auf das Dach gewählt werden würden.

Mit Urteil vom 29.04.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung dargelegt, dass das Feiern des Klägers mit seinen drei Schulkameraden auf dem Zimmer, der dabei konsumierte Wodka sowie das Rauchen vor dem Haus und erst recht auf dem Dach der Jugendherberge nicht vom organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule umfasst gewesen seien, sondern es sich um eigenwirtschaftliche Tätigkeiten gehandelt habe, die nicht dem Schutz der Schüler-Unfallversicherung unterlägen. Etwas anderes gelte auch nicht unter dem Gesichtspunkt schülertypischen Verhaltens in der Gruppe. Selbst wenn der Alkoholkonsum noch als gruppentypische Verhaltensweise auf einer Klassenfahrt angesehen würde, gelte dies nicht für den Entschluss des Klägers, gegen Mitternacht nicht wie bereits mehrfach zuvor das Haus zum Zwecke des Rauchens zu verlassen, sondern aus dem Badezimmerfenster zu klettern und auf dem Dach zu rauchen. Dies könne nicht als Ausfluss eines typischen Gruppenverhaltens von Schülern und Jugendlichen betrachtet werden. Der Kläger sei nicht etwa von seinen Mitbewohnern dazu aufgefordert worden, etwa im Rahmen einer Mutprobe auf das Dach zu klettern, sondern sei aus Bequemlichkeit nicht mehr vor das Haus gegangen. Er sei nach seinen Angaben auch deshalb auf das Dach geklettert, weil der Platz zum Rauchen im geöffneten Dachflächenfenster für ihn und seinen Mitschüler M. H. zu klein gewesen sei. Der vom Kläger eingeräumte Alkoholkonsum von einer Flasche Wodka zu viert über einen Zeitraum von etwa drei Stunden biete im Übrigen auch keinen Anhalt für eine starke, handlungsunfähig machende Alkoholisierung. Eine Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall unter dem Gesichtspunkt der besonderen Betriebsgefahr scheide ebenfalls aus, weil deren Voraussetzungen unzweifelhaft nicht vorlägen.

Gegen das dem Klägervertreter am 09.05.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.05.2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er hat zur Begründung ausgeführt, dem Versicherungsschutz stehe nicht entgegen, dass der Kläger den Unfall selbst verschuldet habe. Er habe sich mit dem falsch verstandenen Reiseziel (England statt Portugal) durch Isolierung abgesetzt, gemeinsam Alkohol konsumiert und das Rauchen trotz Verboten und Rauchmeldern praktiziert und letztlich beim Rauchen im Freien die eigenen Fähigkeiten überschätzt wie die Gefahren und deren Potential unterschätzt. Deswegen sei es zum Abrutschen auf dem Dach gekommen. Ob es sich vorliegend um einen gruppendynamischen Prozess gehandelt habe, müsse durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden. Denn gruppendynamische Vorgänge, deren Entstehung und Ausbildung, könnten von Nichtfachleuten ohne fachliche Beurteilung nicht angemessen bewertet werden, weshalb ein sozialpsychologisches Gutachten einzuholen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. April 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2013 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Unfallereignis vom 16./17. September 2012 um einen Arbeitsunfall handelt, hilfsweise den Kläger schulpsychologisch oder sozialpsychologisch zur Frage der gruppendynamischen Entwicklung zu begutachten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat zur Begründung auf den angefochten Bescheid sowie die Entscheidung des SG Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass das Unfallereignis vom 16./17.09.2014 als Arbeitsunfall festgestellt wird. Der Bescheid der Beklagten vom 06.03.2013 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 b) SGB VII sind kraft Gesetzes Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen versichert. Art und Umfang des Unfallversicherungsschutzes von Schülern ist durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG bereits zu § 539 Abs. 1 Nr. 14 b) RVO ("In der Unfallversicherung sind, unbeschadet der §§ 541 und 542, gegen Arbeitsunfall versichert, Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen") geprägt und durch jüngere Entscheidungen zu § 2 Abs. 1 Nr. 8 b) SGB VII bestätigt worden. Danach unterliegen dem Versicherungsschutz nicht nur Betätigungen während des Unterrichts, sondern auch im Rahmen so genannter Schulveranstaltungen. Er richtet sich entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift und auch ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. BSGE 35, 207, 210 = SozR Nr. 37 zu § 539 RVO) nach dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule. Hierzu gehört auch eine unter schulischer Aufsicht durchgeführte Klassenfahrt (vgl. BSG, SozR Nr. 3 zu § 548 RVO; Urteil vom 31.03.1976 - 2 RU 287/73 - juris; BSG SozR 3-2200, § 539 Nr. 34 m. w. N.), auch im Ausland (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29.11.2006 – L 9 U 77/05 - juris). Der Kläger stand daher für die Dauer der Studienreise grundsätzlich unter Versicherungsschutz. Allerdings war der Versicherungsschutz nicht schlechthin während der gesamten Dauer der Studienreise für jedwede Betätigung der Teilnehmer gegeben. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat vollumfänglich anschließt, gelten hier die Grundsätze zum Versicherungsschutz für Beschäftigte auf Dienst- oder Geschäftsreisen, wobei jedoch die Besonderheiten für Studienreisen der in § 2 Abs. 1 Nr. 8 b) SGB VII angeführten Personen zu beachten sind (vgl. BSG SozR Nr. 3 zu § 548 RVO). Danach gilt allgemein, dass der Versicherungsschutz auf Dienst- oder Geschäftsreisen nicht schon deshalb voll umfänglich gegeben ist, weil sich der Reisende in einer fremden Stadt aufhalten muss; vielmehr kommt es hier darauf an, ob seine Betätigung jeweils mit dem Beschäftigungsverhältnis rechtlich wesentlich zusammenhängt. Obwohl ein solcher Zusammenhang am Ort der auswärtigen Beschäftigung in der Regel eher anzunehmen ist als am Wohn- oder Betriebsort, entfällt der Versicherungsschutz jedenfalls, wenn der Reisende sich rein persönlichen, von der Beschäftigung nicht mehr beeinflussten Belangen widmet. Im Rahmen der Schülerunfallversicherung können jedoch auch Umstände bei der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse, die sonst grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen, wenn diese Umstände durch die Klassenfahrt bedingt sind (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 34).

Bereits für den Versicherungsschutz von jugendlichen Arbeitnehmern hat das BSG die für erwachsene Beschäftigte geltenden Maßstäbe modifiziert und - ohne Anwendung einer schematischen Altersbegrenzung - im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA) als versicherungsrelevanten Umstand z. B. berücksichtigt, ob durch unzureichende Beaufsichtigung oder sonstige Versäumnisse der Betriebsleitung die Jugendlichen in die Lage versetzt wurden, sich bei leichtsinnigen Spielereien besonderen Gefahren auszusetzen (RVA AN 1906, 509; RVA EuM 19, 127; 22, 3; BSG SozR Nr. 68 zu § 542 RVO; BSG, Urteil vom 25.01.1977 - 2 RU 50/76 - juris; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, § 8 Rdnr. 167; Keller in Hauck, SGB VII, § 8 Rdnr. 147; Lauterbach/Schwerdtfeger, UV-SGB VII, § 8 Rdnr 271). Hier hat das BSG eine besondere Betriebsgefahr dann anerkannt, wenn mehrere Jugendliche (Auszubildende) in Lehrwerkstätten zusammengefasst und dort als eine von älteren Arbeitnehmern getrennte Gruppe ausgebildet und beschäftigt werden. Denn in einem solchen Fall kann sich der jugendliche Spiel- und Nachahmungstrieb weitaus ungehemmter entfalten, als wenn die jungen Leute auf die Arbeitsplätze der erwachsenen Beschäftigten verteilt werden (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 14). Diese Rechtsprechung hat das BSG auch auf die nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 b) RVO versicherten Schüler bei Unfällen angewandt, die sich während des erlaubten Aufenthalts der Schüler im Schulbereich ereignen und auf Spielereien beruhen, weil von der Schule gerade in Bezug auf den Spiel- und Nachahmungstrieb der Schüler zusätzliche Gefahren ausgehen, die im Rahmen des Unfallversicherungsschutzes Berücksichtigung finden müssen (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 26). Eine weitere im Rahmen des Versicherungsschutzes nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 b) SGB VII zu beachtende Besonderheit besteht darin, dass für Schüler nicht nur während des Schulbesuchs und in den Schulpausen, sondern auch bei Klassenfahrten Gefährdungen nicht nur aus dem natürlichen Spieltrieb, sondern auch aus den auf dem typischen Gruppenverhalten beruhenden Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen resultieren (BSG, Urteil vom 07.11.2000, a. a. O.).

Deshalb kann Versicherungsschutz auch bei durch Rangeleien und Raufereien verursachten Verletzungen bestehen (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 548 Nr. 48 und SozR 3-2200 § 539 Nr. 34). Denn gerade bei Schülern im Pubertätsalter sind Raufereien und Rangeleien Ausfluss typischer gruppendynamischer Verhaltensweisen. Insbesondere für den hier maßgeblichen Versicherungsschutz auf Klassenfahrten hat das BSG hierauf aufbauend weitergehend berücksichtigt, dass das Gruppenerlebnis auf Klassenfahrten erfahrungsgemäß vor allem dann, wenn sich die Disziplin während der Abwesenheit der Aufsichtspersonen lockert, häufig zu übermütigen und bedenkenlosen Verhaltensweisen führt und Neckereien und Rangeleien aus nichtigem Anlass eine unverhältnismäßige Schärfe erhalten und plötzlich zu an sich nicht gewollten Reaktionen und in deren Folge zu Verletzungen führen. Auch insoweit hat das BSG keine festen Altersgrenzen für derartige gruppendynamische Prozesse festgeschrieben und jedenfalls für noch minderjährige Jugendliche ein hierdurch bedingtes schülertypisches und damit versichertes Verhalten bejaht. Unter Versicherungsschutz stand deshalb ein siebzehnjähriger Schüler, der während einer Klassenfahrt beim Versuch, vom Fenster seines Zimmers in das 1,20 m entfernte Fenster eines anderen Zimmers zu gelangen, abgestürzt war. Dem war vorausgegangen, dass der Schüler durch Mitschüler aus dem anderen Zimmer gegen seinen Willen getragen worden war, eine anschließende "verbale Kabbelei" in Anwesenheit weiterer Schüler und Schülerinnen, das Nasenbluten des Schülers, die Drohung eines Mitschülers, den Schüler in seinem Zimmer einzusperren sowie der Zuruf eines Mädchens aus dem anderen Zimmer, ihr Fenster stehe offen (BSG, Urteil vom 07.11.2000, a. a. O.). Dass zur Beurteilung des Zurechnungszusammenhangs zwischen der grundsätzlichen versicherten Tätigkeit "Schüler auf Klassenfahrt" und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ausgehend von den Grundsätzen bei Dienstreisen eine Gesamtbetrachtung vor allem der konkreten gruppendynamischen Situation und des Alters der Beteiligten vorzunehmen ist, hat das BSG auch in seiner jüngsten Entscheidung bestätigt (BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 2 U 41/03 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 7). Hier stand der Unfall eines 18 Jahre und 8 Monate alten Schülers zur Entscheidung, der bei einer Klassenfahrt gegen 0.15 Uhr über einen außen liegenden Fenstersims von einem Zimmer aus sein eigenes Zimmer zu erreichen versucht hatte und hierbei abgestürzt war. Nachdem die Vorinstanz auch dieses Verhalten durch einen gruppendynamischen Prozess veranlasst gesehen, den Versicherungsschutz jedoch an der gegebenen altersentsprechenden Reife und Einsichtsfähigkeit des Schülers hatte scheitern lassen, hat das BSG, allerdings ohne in der Sache zu entscheiden, auch bei erwachsenen Schülern einen Versicherungsschutz nicht generell abgelehnt, wenn es sich um gruppentypische Verhaltensweisen und Zwänge gehandelt hat, die das unfallbringende Geschehen verursacht haben.

Kann eine entsprechende konkrete gruppendynamische Situation indes nicht festgestellt werden und ist auch – insbesondere unter Berücksichtigung des Alters der Beteiligten – nicht der natürliche und ungehemmte Spieltrieb, der den Unfall auslösende Faktor, so hat es jedoch bei dem Grundsatz zu bleiben, wonach Versicherungsschutz nicht besteht, wenn sich die betreffende Person zur Unfallzeit rein persönlichen, von der versicherten Tätigkeit nicht mehr beeinflussten Bedürfnissen und Belangen widmet wie Essen, Trinken und Schlafen oder einem privaten Spaziergang (vgl. allgemein zu Dienstreisen BSG SozR 4-2200 § 550 Nr. 1 m. w. N.; zu Klassenfahrten BSG SozR Nr. 3 zu § 548 RVO m. w. N. - Schlafen; Urteil vom 25.01.1977 - 2 RU 50/76 - verbotswidriger Privatausflug).

Darüber hinaus zu berücksichtigen ist, dass der Schutzbereich der "Schüler-Unfallversicherung" enger ist als der Versicherungsschutz von Beschäftigten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, weil er auf den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule beschränkt ist (st. Rspr. BSG SozR 2200 § 539 Nr. 16; SozR 3-2200 § 539 Nr. 22, 34). Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Vorschrift ("während") als auch aus ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. BSG SozR Nr. 37 zu § 539 RVO m. w. N.). Außerhalb dieses Verantwortungsbereichs besteht in der Regel kein Versicherungsschutz auch bei Verrichtungen, die durch den Schulbesuch wesentlich bedingt sind und ihm deshalb an sich nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zuzuordnen wären (BSG SozR 2200 § 539 Nr. 16; SozR 2200 § 548 Nr. 55).

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen und bei Anlegung des dargestellten Maßstabes vermag der Senat einen Zurechnungszusammenhang zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit "Schüler auf Klassenfahrt" und der konkreten Verrichtung des Klägers zur Zeit des Unfalles nicht anzunehmen. Vielmehr handelte es sich hierbei um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, die grundsätzlich nicht dem Versicherungsschutz unterliegt und die auch nicht aufgrund spezifischer der Schülerunfallversicherung immanenter Besonderheiten vorliegend versichert gewesen ist.

Hierbei verkennt der Senat nicht, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt 17 Jahre und 6 Monate alt gewesen ist und ihm daher die Reife und das Verantwortungsbewusstsein eines Erwachsenen noch gefehlt hat (BSG, Urteil vom 07.11.2000, a. a. O.). Auch wenn bei dem Kläger daher die für Siebzehnjährige noch typische Unreife angenommen werden kann, fehlt es doch an dem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Sturz vom Dach.

Das Herausklettern aus dem Dachflächenfenster kann nicht als Ausdruck eines natürlichen und ungehemmten Spieltriebes gedeutet werden. Ob der Kläger als 17 ½ - Jähriger einem solchen Trieb noch unterliegt, ist zweifelhaft. Jedenfalls galt die konkrete Tätigkeit nicht der Realisierung eines Spieltriebes. Der Kläger hatte sich nicht etwa als Mutprobe oder zum Beweis seiner Kletterfähigkeiten aus dem Fenster auf das Dach begeben. Dieses Handeln war vielmehr durch das alles andere als kindliche Verlangen nach einer Zigarette veranlasst gewesen. Rauchen ebenso wie der sonstige Konsum von Genussmitteln entspringt weit mehr noch als die Einnahme fester oder flüssiger Nahrung persönlichen Angewohnheiten (vgl. BSG SozR Nr. 27 zu § 543 RVO; SozR Nr. 15 zu § 550 RVO; SozR 3-2200 § 548 Nr. 38), so dass ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nur beim Nachweis besonderer Umstände angenommen werden kann (BSG, Urteil vom 20.02.2001 – B 2 U 6/00 R - juris). Einen solchen Ausnahmefall hat das BSG für einen Raucher erwogen, für den das Rauchen in der jeweiligen Situation so unabweisbar notwendig wie das Stillen des Hungers hätte sein können (BSGE 12, 254), das beabsichtigte Rauchen also zur Weiterarbeit für den betroffenen Versicherten notwendig war (BSG SozR Nr 15 zu § 550 RVO). Dass der 17 ½ Jahre alte Kläger sich gegen Mitternacht in einer derartigen Situation befunden hat, also beispielsweise zwingend für den Nachtschlaf auf die Befriedigung der Nikotinsucht angewiesen gewesen wäre, hat er nicht geltend gemacht und ist auch nicht nahe liegend.

Die Entscheidung, nicht wie zuvor vor dem Haus, sondern auf dem Dach zu rauchen, ist auch nicht durch eine konkrete gruppendynamische Situation motiviert gewesen. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung im Einzelnen dargelegt. Der Senat schließt sich dieser Auffassung nach nochmaliger eigener Überprüfung auch hinsichtlich der Einschätzung, dass kein gruppendynamischer Prozess, sondern die individuelle Bequemlichkeit des Klägers ausschlaggebend für sein Tun gewesen ist, an und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend hält der Senat für wesentlich, dass es sich bei der in der Jugendherberge verbliebenen Gruppe um lediglich vier Personen einschließlich des Klägers handelte, die sich nicht nur aus der Schule kannten, sondern nach Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem SG eine privaten Clique bildeten und zwei der vier Freunde/Bekannten bereits volljährig gewesen sind. Schon deshalb wäre zweifelhaft, ob hier eine schulspezifische Gruppendynamik angenommen werden kann. Hinzu kommt, dass die Feier des Klägers mit den drei weiteren Zimmerbewohnern keine Gemeinschaftsveranstaltung im Rahmen der Klassenfahrt gewesen ist, wobei offen bleiben kann, ob der Besuch des Pubs durch die übrigen Teilnehmer noch hierzu gezählt werden kann oder bereits nach der Gesprächsrunde der Zusammenschluss aufgelöst und Gelegenheit zur individuellen Freizeitgestaltung gegeben worden war. Denn der Kläger und die drei weiteren Zimmerbewohner haben sich nicht an diesem abendlichen Programm beteiligt, sondern gestalteten den Abend nach ihrem eigenen Gutdünken. Dabei aber fehlt es an jeglichen Hinweisen dafür, dass sich hier eine Gefahr realisiert hat, die ihren Ursprung in einem gruppendynamischen Prozess hat, und deshalb allein aufgrund des äußeren Rahmens einer Klassenfahrt noch Versicherungsschutz zu gewähren wäre. Zwar haben alle vier gemeinsam gefeiert und hierbei auch (hochprozentigen) Alkohol konsumiert. Anders als der Klägervertreter sieht der Senat aber in dem gemeinsamen Feiern unter Alkoholeinfluss keinen Umstand, der nach dem Willen des Gesetzgebers über § 2 Abs. 1 Nr. 8 SGB VII versichert ist. Es ist gerade nicht das Ziel solcher Klassenfahrten, Alkoholexzesse zu fördern oder entsprechende Gelegenheiten zu schaffen. Dies hat die Schule auch nach außen kund getan und Alkoholkonsum auf der Studienfahrt verboten. Ebenso kein Merkmal gruppenspezifischer Dynamik und alterstypischer mangelnder Einsichtsfähigkeit ist, dass zunehmende Alkoholisierung Hemmschwellen und Gefahrenbewusstsein absenkt und übersteigerte Selbsteinschätzung fördert. Entsprechenden Fehleinschätzungen unterliegen Erwachsene ebenso und lassen sich hierdurch zu unüberlegtem Handeln verleiten. Ob dies der Grund dafür war, dass der Kläger sich auf den Rand des Dachflächenfensters mit den Beinen nach außen auf das regennasse Dach setzte oder er sich aufgrund des getrunkenen Wodkas nicht mehr in der Lage sah, die Treppen nach unten zu gehen, um außerhalb der Jugendherberge zu rauchen, wogegen die Fähigkeit spricht, noch aus dem Fenster herausklettern zu können, oder er diesen Weg schlicht aus Bequemlichkeit nicht mehr zurücklegen wollte, ist letztlich nicht entscheidungserheblich. Denn keine dieser Motivationen wäre Ausdruck oder Folge eines gruppendynamischen Prozesses, sondern ausschließlich eine individuelle (Fehl-)Entscheidung des Klägers, die nicht durch vorheriges Handeln Dritter - wie in der Entscheidung des BSG vom 07.11.2000 (a. a. O.) - gefördert worden ist. So sind die beiden anderen Zimmerbewohner nicht wie der Kläger zum Rauchen gegangen und ist M. H. nicht zum Rauchen aus dem Fenster geklettert. Es ist auch nicht geltend gemacht worden, dass einer der anderen Zimmerbewohner zuvor schon einmal auf dem Dach geraucht und der Kläger dies lediglich nachgeahmt hätte. Vielmehr hat der Kläger als erster diesen Weg gewählt.

Da vorliegend keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich aufgrund der alterstypischen Unreife des Klägers und eines für Jugendliche seines Alters typischen gruppendynamischen Prozesses der Unfall ereignet hat, hat sich der Senat nicht, wie von Seiten des Klägervertreters beantragt, gedrängt gesehen, zum Nachweis einer gruppendynamischen Entwicklung ein jugendpsychologisches und ein sozialpsychologisches Sachverständigengutachten einzuholen. In keiner der oben genannten höchstrichterlichen Entscheidungen ist – soweit ersichtlich – zur Frage, ob Versicherungsschutz in Folge einer schülertypischen Unreife oder Gruppendynamik besteht, ein entsprechender Beweis erhoben worden. Auch der vorliegende Rechtsstreit gibt hierzu keine Veranlassung, da es an den erforderlichen Anknüpfungstatsachen fehlt.

Lediglich zur Abrundung weist der Senat darauf hin, dass bereits von Seiten des Klägers ein Aufsichtsmangel nicht als Ursache für den Unfall geltend gemacht worden ist. Auch der Senat sieht hierfür keinen Anhaltspunkt. Eine ständige Aufsicht durch begleitende Lehrer "rund um die Uhr" ist nicht möglich (BSG SozR 3-2200 § 539 Nr. 34; BSG, Urteil vom 07.11.2000, a. a. O.). Vorliegend geschah das Unfallereignis zu einem Zeitpunkt, als sich der Kläger bereits seit Stunden privater Freizeitgestaltung widmete. Zudem waren aufgrund der Uhrzeit sowie des Alters des Klägers und seiner Mitbewohner Aufsichtsmaßnahmen durch die begleitenden Lehrer z. B. in Form von Zimmerkontrollen nicht geboten.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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