L 6 U 4602/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 U 6041/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 4602/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Verletzung des Kleinfingerendgliedes ist nicht lebensbedrohlich. Erforderlich ist für eine PTBS Situation außergewöhnlicher Bedrohung und katstrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Die Verletzung erfüllt diese Kriterien nicht an-deutungsweise. Bei fehlendem A-Kriterium besteht aber keine Grundlage für die Diagnose einer PTBS. Es fehlt auch das typische Vermeidungsverhalten im Sinne des C-Kriteriums, wenn bei der wieder aufgenommenen Erwerbstätigkeit die gleiche Tätigkeit wie zuvor wieder verrichtet werden kann.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 7. September 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung einer Verletztenrente aus Anlass eines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls am 18.11.2008 über den 21.04. 2010 hinaus.

Die am 01.02.1975 geborene Klägerin absolvierte nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin, arbeitete jedoch nicht in diesem Beruf, sondern neun Jahre als Arbeiterin in einer Metallfabrik. 2008 führte sie auf eigene Kosten eine fünf Wochen (Bericht des Reha-Beraters vom 17.3.2009; Bl. 30f VA) oder zwei Monate (GA Dr. B. Bl. 36/61; 46 SG-Akte) dauernde Ausbildung zur Gesundheitsberaterin für Rücken, Füße und Gelenke an einer Privatschule und eine Zusatzausbildung für Reiki durch. Da sie im Anschluss keine Beschäftigung in diesem Beruf fand, nahm sie im September 2008 eine bis Ende Dezember 2008 befristete Tätigkeit als Maschinenbedienerin auf. Die Klägerin ist ledig, kinderlos und lebt im Haushalt ihrer Eltern. Sie und ihre behinderte Schwester wurden vom Vater häufig geschlagen, was die ebenfalls strenge Mutter tolerierte. Die Schwester leidet an schweren Depressionen sowie den Folgen einer Kinderlähmung und hat den Kontakt zu den Eltern abgebrochen. Bei der Klägerin wurde im Kindesalter eine neurologische Diagnostik durchgeführt, weil sie Verhaltensauffälligkeiten zeigte (Augen verdrehen, den Fuß gegen den Boden hauen, Aggressivität). Im Alter von 14 Jahren wurde eine Fibromyalgie diagnostiziert, wegen der vor einigen Jahren eine Kur durchgeführt wurde. Bei der Mutter besteht ebenfalls eine Fibromyalgie. Außerdem leidet sie seit ihrer Kindheit in vier- bis fünfmonatigen Abständen an "rheumatischem Fieber" (GA Dr. Neher Bl. 90/100; 95 VA).

Nach dem Arbeitsunfall vom 18.11.2008 erhielt sie bis zum 31.01.2009 von der Beklagten Verletztengeld und anschließend vom 01.02.2009 bis 21.04.2010 Verletztenrente. Anderweitige Leistungen bezog sie nicht. Am 19.04.2010 nahm sie eine Tätigkeit bei einer Zeitarbeitsfirma auf, bei der sie ab Juni/Juli 2010 wieder eine Maschine bediente (GA Prof. Dr. K. Bl. 124/139; 129 VA). Diese Tätigkeit gab sie nach dem Arbeitsunfall einer Kollegin auf und war ab Herbst 2010 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis bei einer Firma beschäftigt, die Teile für die Automobilindustrie herstellt, wobei sie kleine Teile fräst und Bohrungen vornimmt, anschließend verpackt.

Die Klägerin erlitt am 18.11.2008 im Rahmen ihrer bei der Beklagten versicherten Tätigkeit als Maschinenbedienerin in der Kugelschreiberfertigung für die S. Schreibgeräte GmbH, T., gegen Ende der Nachtschicht um ca. 4 Uhr morgens einen Arbeitsunfall, als sie mit dem rechten Kleinfinger in eine Maschine geriet. An der Maschine war eine Plexiglasabdeckung mit einem Loch versehen worden, damit unter Umgehung des Sicherungsmechanismus herausgefallene Kugelschreiberteile mit der Hand entfernt werden konnten. Sie wurde von zwei Arbeitskollegen in die Ambulanz des S.-B.-Klinikums St. G. gebracht, wo Durchgangsarzt PD Dr. G. eine schrägverlaufende ulnarseitige Endgliedteilamputation mit Verlust der Hälfte des Nagelbettes am fünften Finger der rechten Hand feststellte, die mit V-Y-Plastik in Oberst-Anästhesie behandelt wurde. Die Klägerin war zur Weiterbehandlung am nächsten Tag und bis zuletzt am 29.01.2009 insgesamt 17mal in der Klinik. Es trat eine Infektion mit Rötung und Schwellung am Endglied und Läppchennekrose ohne radiologischen Hinweis auf knöcherne Beteiligung des Infekts auf. Unter Therapie mit täglich desinfizierenden Bädern, Verbandwechsel und Ruhigstellung mittels Unterarmschiene klang dieser rasch ab, nach einer Woche zeigte sich fibrinbeleger Wundgrund und ab 09.12.2008 eine deutliche Befundbesserung. Am 19.12.2008 war der Kuppendefekt reizlos vollständig reepitheliasiert, der Nagel fehlend, das Nagelbett reizlos. Unabhängig vom chirurgischen Befund war die Klägerin von Anfang an nicht in der Lage, den verletzten Finger anzuschauen und negierte ihn sowohl beim Verbandwechsel als auch beim Versuch, ihn durchbewegen zu lassen, komplett. Sie wurde daher konsiliarisch in der psychosomatischen Abteilung vorgestellt, wo eine inkomplette posttraumatische Belastungsstörung festgestellt wurde mit der Empfehlung, zunächst abzuwarten, bei Persistenz der Symptome über drei Monate eine Psychotherapie zu beginnen und ggf. ein Antidepressivum einzunehmen. Im Übrigen wurde wegen der schlechten Beweglichkeit im proximalen und distalen Interphalangealgelenk eine klinische Verlaufskontrolle und physiotherapeutische Behandlung dringend angeraten (Bericht PD Dr. G. und Assistenzärztin D., Klinik für Plastische und Handchirurgie vom 19.12.2008. In der Folge verheilte die Wunde weitgehend reizlos, der Nagel war noch nicht ausgewachsen, der Faustschluss passiv vollständig möglich, aktiv FKHA D V 2 cm, die Klägerin klagte über eine Überempfindlichkeit der Fingerkuppe. Krankengymnastik wurde weiterhin empfohlen. Eine MdE in rentenberechtigendem Grade sei nicht zu erwarten (Arztbrief von PD D. G. und Assistenzarzt Dr. R. vom 30.12.2008). Prof. Dr. R., Direktor der Klinik für Innere Medizin V des S.-B.-Klinikums, stellte im Arztbrief vom 17.12.2008 nach Vorstellung der Klägerin am 16.12.2008 die Diagnose inkomplette posttraumatische Belastungsstörung nach Unfall (F 43.1). Die Klägerin berichtete, bis heute würden sich bei Dunkelheit oder beim Einschlafen Bilder vom Unfallgeschehen aufdrängen, sie friere und schwitze dann gleichermaßen, erinnere sich an die Entzündung, dass die Narkose nicht richtig gewirkt habe, sie kollabiert sei. Derzeit werde der Verband täglich in der Klinik gewechselt, sie könne den Finger nicht ansehen (man könne den Knochen sehen, der Nagel sei entfernt). Der Finger sei für insgesamt vier Wochen ruhig gestellt. Man habe ihr gesagt, dass er eventuell steif bleibe und die Missempfindung im Hautbereich zurückbleibe. Dies mache ihr Angst, weil sie gerade in diesem Jahr auf eigene Kosten eine Ausbildung zur Gesundheitsberaterin "für Füße und Gelenke" (Einrenken, Massage) gemacht habe und sich damit jetzt ihren Broterwerb habe absichern wollen. Sie sei darüber aufgeklärt worden, dass die geschilderten intrusiven Symptome erfahrungsgemäß innerhalb von sechs Wochen abklingen würden, anderenfalls eine weitergehende Therapie mit weiterführenden psychotherapeutischen Gesprächen, ggf. Verordnung eines Antidepressivums, bei Persistenz über drei Monate dringend angeraten sei, alternativ eine stationäre Behandlung für ein bis zwei Wochen mit fokussiert traumaspezifischer Herangehensweise. Bei Abschluss der Behandlung in der Klinik wurde weiterhin eine Überempfindlichkeit an der Fingerkuppe geklagt bei reizlos verheilter Wunde, noch nicht vollständig ausgewachsenem Nagel am Kleinfinger, passiv vollständigem Faustschluss, aktiv FKHA D V von 1 cm sowie Streckdefizit von 20° (Bericht des PD Dr. G. an die Beklagte vom 29.01.2009). Die Klägerin konsultierte anschließend den Facharzt für Chirurgie, Chefarzt der Chirurgischen Klinik der Gesundheitszentren Landkreis R., Kreiskrankenhaus S. Dr. F ... Dieser berichtete am 05.02.2009 an die Beklagte, es bestehe ein Zustand nach Endgliedteilamputation DV der rechten Hand, am Kleinfinger bestehe noch eine Bewegungsstörung, er sei sehr empfindlich. Die Klägerin sei arbeitsfähig, es bestünden keine Hinweise für die Entwicklung eines psychischen Gesundheitsschadens. Er verordnete Ergotherapie. Im Befundbericht vom 18.09.2009 stellte Dr. F. eine gute Beweglichkeit des Kleinfingers fest, die Klägerin berichte noch über eine ausgeprägte Überempfindlichkeit mit gelegentlich ziehenden Schmerzen, jede Berührung sei sehr schmerzhaft, das Temperaturempfinden gestört. Es bestehe keine Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M., den die Klägerin zunächst zweimal konsultierte, stellte in seinen Arztbriefen vom 28.07.2009 und 21.08.2009 die Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer traumatischen Störung des Endgliedes der rechten Hand und eines diskreten rechtsseitigen Karpaltunnelsyndroms. Sie habe seit dem Unfall ganz erhebliche Probleme und Konflikte mit sich selbst und ihrem Körpererleben, müsse den Finger ständig abspreizen, um jede Berührung zu vermeiden. Das Gespräch darüber lasse sie heftig atmen, rot werden, sie zittere, weiche zurück, schließe die Augen, weine. Sie könne seit dem Unfall nicht mehr schlafen, ständig tauchten Bilder vom Unfall auf, sie reagiere mit Schüttelfrost, Hitze, Frieren.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Facharzt für Neurologie, Nervenarzt, Chefarzt der Neurologischen Abteilung V. von P. Hospital gGmbH, R., Klinik für Psychiatrie, Gerontopsychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dr. N. sein Gutachten vom 22.02.2010. Darin stellte er - der Einschätzung des Dr. F. folgend - auf chirurgischem Fachgebiet eine leichte Fehlstellung des Kleinfingerendgliedes mit Streckdefizit fest, die keine MdE auf chirurgischem Gebiet bedinge. Als Folge der Hautnervenläsion im Bereich des Fingerendgliedes bestehe aber eine schmerzhafte Berührungsüberempfindlichkeit (Allodynie), die zu Schonverhalten (u. a. Abspreizen des Fingers) führe, somit zu einer deutlichen Funktionseinschränkung der rechten Hand. Weitere Folge der Hautnervenläsion sei eine Druckempfindlichkeit an der Außenseite des Kleinfingerendgliedes; auf Druck könnten elektrisierende Missempfindungen ausgelöst werden. Die daraus folgende Beeinträchtigung der Handfunktion sei mit einer MdE von 20 ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit (01.02.2009) zu bewerten. Darüber hinaus bestehe eine psychische Störung, die Folge des Unfallerlebens sei. Die Klägerin gebe an, sich immer, wenn sie mit dem Unfallgeschehen befasst sei, nicht unter Kontrolle zu haben, in Tränen auszubrechen etc ... Gegenüber den von Dr. R.-K. am 16.12.2008 geschilderten Befunden einer inkompletten posttraumatischen Belastungsstörung mit intrusiven Symptomen sei aber - wie von Dr. R.-K. vermutet - eine spontane Besserung eingetreten. Derzeit seien keine typischen Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung erfüllt. Es liege aber eine psychoreaktive Entwicklung im Sinne einer Anpassungsstörung (ICD-10 F 43.2) vor. Er schätze die MdE für die psychischen Folgen des Unfalls auf 30 vom Hundert (v. H). vom 01.02.2009 bis 31.07.2009 und 20 v. H. ab 01.08.2009 bis auf weiteres. Insgesamt sei die MdE auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet vom 01.02.2009 bis 31.07.2009 mit 40 v. H. und ab 01.08.2009 bis auf weiteres mit 30 v. H. zu bewerten.

Die Beklagte hielt das Gutachten wegen massiver Mängel (Fehlen einer ausführlichen Exploration und Erhebung der psychosozialen Anamnese, Fehlen genauer Psychodiagnostik mit Inventar zur präzisen Erfassung psychischer Störungen, Fehlen von Feststellungen zu relevanten Vorschäden/Krankheitsanlagen bzw. unfallunabhängige Verursachungsfaktoren, Fehlen von Überlegungen, ob die nachgewiesenen Einwirkungen zur Verursachung der diagnostizierten Erkrankungen geeignet gewesen seien, mangelnde Ausdifferenzierung der angenommenen Anpassungsstörung) für nicht verwertbar und beauftragte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. von K. mit der Begutachtung. In seinem Gutachten vom 26.04.2010 stellte dieser die Diagnosen Quetschverletzung der Fingerkuppe D5 rechte Hand mit ellenseitiger Teilamputation und Neuralgie des streck- und ellenseitigen Fingernerven, posttraumatische Anpassungsstörung. Die Klägerin berichte, sie habe die Arbeit übergangsweise nach Abschluss ihrer Ausbildung zur Gesundheitsberaterin angenommen und die Nachtschicht gewählt, um mehr zu verdienen. Der Arbeitsplatz sei ihr von Anfang an unheimlich gewesen, da sie nachts mutterseelenallein mit der Maschine ohne Rufkontakt zu anderen Mitarbeitern gewesen sei. Sie habe auch immer schon Angst vor der Maschine gehabt. Nach dem Unfall habe die Kollegin, die sie mit letzter Kraft ein Stockwerk höher erreicht habe, nicht heraustelefonieren können. Im Krankenhaus sei sie unfreundlich empfangen worden. Sie habe heftigste Schmerzen gehabt. Die örtliche Betäubung am Finger bei Versorgung der Verletzung habe nicht ausgereicht. Nach der chirurgischen Versorgung habe man sie einfach nach Hause geschickt und ihr kein Taxi bestellt, da sie zwei gesunde Füße habe. Bei der Weiterbehandlung habe sie heftige Schmerzen vor den Verbandswechseln gehabt und sei mehrmals ohnmächtig geworden. Die Ärzte hätten ständig gewechselt. Sie habe ständig heftigste Schmerzen gehabt. Nachts und im Dunkeln habe sie immer den kompletten Ablauf des Unfalls erlebt, dabei heftig geschwitzt und gezittert. Erst seit der Behandlung durch Dr. F. und der Ergotherapie sei eine leichte Besserung eingetreten. schlafen könne sie seit Juli/August 2009 wieder und auch in einen dunklen Keller gehen. Sie müsse nachts nicht mehr weinen. Sie könne die rechte Hand nur eingeschränkt benutzen, weil sie den Kleinfinger immer abspreizen müsse. Sie habe heftige Angst vor Berührung der Kleinfingerkuppe, denn diese löse einen äußerst heftigen Schmerz aus. Sie könne keine Handschuhe anziehen und den nachgewachsenen Nagel nicht schneiden. Sie habe Probleme beim Wäsche waschen. Sie lebe bei ihren berufstätigen Eltern und führe deren Haushalt. Sie lebe vom Ersparten, weil sie keine Leistungen erhalte und habe daher eine Beschäftigung bei einer Zeitarbeitsfirma ab 19.04.2010 aufgenommen.

Im allgemeinen Neurostatus bestünden keine Ausfälle. Der Kleinfinger der rechten Hand werde fast permanent abgespreizt gehalten, könne aber in ruhigen Situationen an die anderen Finger angelegt werden. Das E. sei von der Streckseite betrachtet etwas deformiert und weise am ellenseitigen Rand einen kleinen Defekt auf, der von der Klägerin als Entstellung der ganzen Hand erlebt werde. Sie habe das Gefühl, wenn sie mit der Hand andere Menschen behandele, würden diese den Defekt sofort bemerken. Die Fingerkuppe weise eine kielförmige Verdickung nach Lappenplastik auf. Die Haut der Kuppe sei rot und ohne Beschwielung. Der Nagel sei gut gewachsen und sorgfältig geglättet. Verstärktes Nagelwachstum werde nicht angegeben. Nur nach äußerster Überwindung lasse die Klägerin die Berührung mittels Wattebausch zu. Der Finger könne bis zur Hohlhand eingeschlagen werden. Nach einiger Überwindung ergebe die vigorimetrische Messung rechts etwa 0,3, links 0,5 bar. Temperatur und Schwitzen rechts seien seitengleich, an den übrigen Fingern der rechten Hand bestünden keine Auffälligkeiten. Die medianus- und ulnarisversorgten Handmuskeln seien voll ausgeprägt, die Unterarmumfänge seitengleich. Auf neurologischem Gebiet finde sich eine Überempfindlichkeit im ellenseitigen streckseitigen Quadranten der Fingerkuppe D5 der rechten Hand, eine ausgeprägte Dysästhesie verbunden mit Furcht vor Schmerz bei Berührung. Eine solche Dysästhesie sei möglich bei unvollständiger Wiederherstellung eines geschädigten Nervens oder bei der Entwicklung eines Neuroms. In der Regel besserten sich solche Beschwerden durch Abhärtung und Gewohnheit. Selten sei eine mikrochirurgische handchirurgische Revision erforderlich. Der Schmerz führe zum funktionellen Ausfall des Kleinfingers, der vorerst wie eine Amputation zu bewerten sei. Diese Bewertung sei aber zeitlich begrenzt, da eine Besserung der Symptome durch Gewöhnung und Therapie angestrebt werden solle. Die Teil-MdE für den Nervenschaden am rechten Kleinfinger betrage in Analogie zur Amputation des gesamten Fingers für sechs Monate 20 v. H., danach 10 v. H ... Bei der Klägerin betrage die Teil-MdE für die ersten sechs Monate 20 v. H., danach bis zum Ablauf des 2. Unfalljahres 10 v. H ... Anschließend sei eine Nachbegutachtung erforderlich. Auf seelischem Gebiet habe der Unfall bis Ende Juli 2009 eine massive Beeinträchtigung bewirkt. Dabei seien mehrere Faktoren relevant; eine generelle Furcht vor der nächtlichen Arbeit allein im Fabrikgebäude, die hohe Bedeutung funktionsfähiger Hände, mit denen im Anschluss an die vorübergehende Fabrikarbeit ein neuer Berufsweg angegangen werden sollte, der unsensible Umgang der behandelnden Institution mit einer Handverletzung, das Fehlen einer adäquaten psychotherapeutischen, schmerztherapeutischen, antidepressiven, antineuropathischen Therapie. Zwar fehle es für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung am 1A-Kriterium nach DSM IV, da die Verletzung nicht lebensbedrohlich gewesen sei. Die Verletzung sei aber wegen der geschilderten Umstände dazu angetan, eine schwere depressive posttraumatische Anpassungsstörung zu erzeugen, die - wie auch vom Neurologen und Psychiater Dr. M. geschildert - zumindest bis Ende Juli 2009 zu einer erheblichen Einschränkung der Lebens- und Gestaltungsfähigkeit geführt habe. Diese sei nach der Literatur (Foerster et al. 2007) bei stark ausgeprägtem Störungsbild in der Frühphase durchaus mit einer MdE von 30 v. H. zu bewerten, zeitlich begrenzt auf längstens zwei Jahre. Bei der Klägerin sei das stark ausgeprägte Störungsbild bis Ende Juli 2009 als gegeben anzusehen. Die Teil-MdE für die Anpassungsstörung betrage vom 18.11.2008 bis 31.07.2009 30 v. H., vom 01.08.2009 bis zum Zeitpunkt der Untersuchung (21.04.2010) 20 v. H., danach bis zum 17.11.2010 10 v. H ... Die Staffelung begründe sich aus der Verringerung der massiven Anfangssymptome Ende Juli 2009 und der gebesserten Störung mit dem Anpacken neuer Aufgaben zum Zeitpunkt der Begutachtung. Da die Bewertung der Kleinfingerschädigung als Amputation auch Schmerzen und psychoreaktive Störungen mit einschließe, sei die Gesamt-MdE nicht aus einer Addition zu bilden. Daher gelte vom Unfalltag bis zum 31.07.2009 eine Gesamt-MdE von 30 v. H., vom 01.08.2009 bis 21.04.2010 20 v. H., vom 22.04.2010 bis zur Nachuntersuchung mit Ablauf des zweiten Jahres nach dem Unfallereignis, also bis 17.11.2010 10 v. H ... Da die beugeseitigen Anteile der Fingerkuppen des betroffenen Fingers eher nicht am neuropathischen Schmerzgeschehen beteiligt seien, müsse es der Klägerin prinzipiell wieder möglich sein, wieder Zutrauen in die Funktion der Fingerkuppe zu bekommen, um später manuelle Tätigkeiten, z.B. als Gesundheitsberaterin durchzuführen, bei denen die Streckseite eines Fingers kaum beteiligt sei.

Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. gab hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme vom 02.07.2010 ab. Er stimmte der sozialmedizinischen Beurteilung des Gutachters zu. Auf neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet bestehe eine abklingende Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion, gemischt, sowie die Angabe eines neuralgieformen Schmerzes im Bereich des rechten Kleinfingerendgliedes. Unfallunabhängig bestehe offenbar seit Jahren eine Fibromyalgie, zu der - wie auch zur Primärpersönlichkeit - nähere Informationen fehlen. Auch seien keine Beschwerdeevaluierungstests bezüglich der geklagten Beschwerden durchgeführt worden. Auffallend sei, dass offenbar keine Schmerzmittel für erforderlich gehalten würden und keine adäquate Psychotherapie durchgeführt werde, sondern eine Heilpraktikerbehandlung mit Globuli. Er schätze die unfallbedingte MdE vom 01.02.2009 bis 31.07.2009 mit 30 v. H. ein, vom 01.08.2009 bis 31.12.2009 mit 20 v. H. und ab 01.01.2010 bis auf weiteres mit 10 v. H ...

Mit Bescheid vom 03.08.2010 erkannte die Beklagte den Unfall vom 18.11.2008 als Arbeitsunfall an. Als Unfallfolge wurde eine abklingende Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion sowie neuralgieformer Schmerz im Bereich des rechten Kleinfingerendgliedes nach Teilamputation der rechten Fingerkuppe anerkannt. Unabhängig von dem Arbeitsunfall liege eine Fibromyalgie vor. Die Beklagte gewährte der Klägerin Rente für den Zeitraum 02.02.2009 bis 21.04.2010. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit habe vom 02.02.2009 an 30 v. H. und vom 01.08.2009 an 20 v. H. betragen. Darüber hinaus bestehe kein Anspruch auf Rente. Nach diesem Zeitpunkt sei die Klägerin nach den ärztlichen Feststellungen wegen der Folgen des Arbeitsunfalls nicht mehr in rentenberechtigendem Grad in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert. Die Voraussetzungen zur Zahlung der Rente seien daher entfallen.

Am 19.08.2010 erhob die Klägerin Widerspruch. Die Anpassungsstörung und der neuralgieförmige Schmerz bedürften weiterhin der ärztlichen Versorgung. Ob eine Amputation vorliege, sei nach ihrer Auffassung ein medizinischer Streit. Die Streckseite des Fingers sei entgegen der Auffassung des Gutachters bei manuellen Tätigkeiten als Gesundheitsberaterin immer beteiligt. Der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2010 zurück. Da nur ein kleiner Teil der Fingerkuppe amputiert worden sei, liege eine chirurgische MdE - auch unter Berücksichtigung etwaiger Sensibilitätsstörungen und Belastungsbeschwerden - nicht vor. Bei der festgestellten Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion handele es sich der wissenschaftlich-medizinischen Lehrmeinung zufolge um eine zeitlich begrenzte seelische Störung. Eine dauerhafte seelische Störung liege nicht vor.

Am 25.11.2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zur Begründung ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt. Das SG hat zunächst eine sachverständige Zeugenauskunft von Dr. M. eingeholt. Dieser hat in seiner Auskunft vom 08.06.2011 angegeben, die Klägerin am 27.07.2009, 18.08.2009, 11.01.2010, 08.03.2010 und zuletzt am 03.02.2011 behandelt zu haben. Im Vordergrund stehe die psychische Problematik. Im gesamten Verlauf sei es zu keiner Besserung der Symptomatik gekommen. Die Klägerin habe weiterhin erhebliche Ängste, mit dem Kleinfinger etwas zu berühren, wisse, dass sie in ihrem Beruf als Masseurin nicht mehr arbeiten könne, habe weiterhin Angst vor Maschinen und allem, was auf sie zu komme. Im Dezember letzten Jahres sei sie Zeugin geworden, wie eine Kollegin einen Finger in die Maschine gebracht habe, was ihre Ängste aktualisiert habe. Sie habe sich nicht mehr in der Lage gesehen, an den Maschinen weiter zu arbeiten und habe den Arbeitsplatz sofort gekündigt. Beim letzten Kontakt am 03.02.2011 habe eine mäßiggradige depressive Problematik, einhergehend mit Antriebsstörung, Lust- und Freudlosigkeit, niedergeschlagener Stimmung, Appetitlosigkeit, Reizbarkeit, Ein- und Durchschlafstörungen, bestanden. Sie sei affektlabil gewesen. Es bestehe weiterhin ein GdB von 30 ohne zeitliche Begrenzung als Unfallfolge. Tatbestand liege eine posttraumatische Anpassungsstörung mit ängstlich depressiver Symptomatik, Fixierung auf das Erlebte und entsprechende Vermeidungshaltung vor. Die Störung könne nicht aus eigenem Willen behoben werden. Die Beobachtung einer ähnlichen Schädigung einer Kollegin habe zu einer Verschlimmerung geführt.

Das SG hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. mit einem Gutachten beauftragt. Dieser hat nach Untersuchung der Klägerin am 18.10.2011 sein Gutachten vom 19.10.2011 erstattet. Bei der Klägerin liege als Unfallfolge eine Teilamputation am rechten Kleinfingerendglied mit Schädigung sensibler Nervenäste der Kleinfingerkuppe rechts vor. Es bestünden weiterhin neuralgische Schmerzen an der Außenseite der Kleinfingerkuppe rechts (Allodynie, Kältehyperpathie). Auf psychiatrischem Gebiet habe der Unfall zu einer posttraumatischen Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt geführt, die bis auf geringe Reste (Angst vor der Arbeit an gefährlichen Maschinen, Angst vor Berührungen an der Kleinfingerkuppe mit noch vermindertem Einsatz des Kleinfingers rechts) abgeklungen sei. Die MdE für die Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischen Gebiet hat der Sachverständige ab 01.02.2009 bis 31.07.2009 auf 30 v. H., vom 01.08.2009 bis 21.04.2010 auf 20v. H., ab 22.04.2010 auf 10 v. H. geschätzt. Die MdE von 10 v. H. sei weiterhin anzunehmen, weil neuralgische Beschwerden an der Kleinfingerkuppe und damit über das normale Maß hinausgehende Schmerzen mit entsprechenden leichten psychischen Begleitstörungen. Im Gegensatz zu den Angaben des Dr. M. sei es zu einer Besserung der posttraumatischen Anpassungsstörung gekommen. Er habe die von Dr. M. am 03.02.2011 angenommene depressive Störung nicht mehr feststellen können. Die Klägerin habe berichtet, dass die Ruheschmerzen an der rechten Kleinfingerkuppe seit einem Jahr abgeklungen seien. Sie schäme sich nicht mehr wegen des Aussehens des Kleinfingers. Sie könne den Finger aber einfach nicht mehr leiden. Bei der Untersuchung habe sie den rechten Kleinfinger bei bestimmtem Verrichtungen abgespreizt, in anderen Situationen außerhalb der gezielten Untersuchung oder des Gesprächs über den Kleinfinger, z. B. beim Tragen und Sortieren der mitgebrachten Unterlagen, diesen jedoch an die anderen Finger herangeführt. Die Untersuchung sei sehr schwierig gewesen, weil die Klägerin schon bei Annäherung an den Finger eine Abwehrreaktion gezeigt habe, bei Ablenkung in geringerem Maße. Diese sei trotz der glaubhaften Überempfindlichkeit etwas übertrieben. Die Kleinfingerkuppe sei leicht gerötet, rechts nach innen verzogen mit einer leichten, kielförmigen Verdickung, während an der Außenseite eine geringe, nur wenig auffallende Eindellung bestehe. Die Narbe sei reizlos, der Fingernagel äußerlich unauffällig, normal gewachsen und sorgfältig gefeilt. Eine starke kosmetische Entstellung liege objektiv nicht vor. Seit Juni/Juli 2010 habe sie wieder an Maschinen gearbeitet, die Tätigkeit nach dem Unfall einer Kollegin aber aufgegeben. Seit einem Jahr arbeite sie vollschichtig in der Verpackungsabteilung einer Zulieferfirma der Automobilindustrie. Dabei mache sie auch kleine Bohrungen und leichte Fräsarbeiten. In ihrer Freizeit besuche sie mehrmals in der Woche ein Fitness-Studio, gehe auf Flohmärkte und kaufe kleine Möbel, die sie herrichte. Es gebe keinen sicheren Anhalt, dass vor dem Unfall eine psychische Störung bestanden habe. Sie sei als Kind mit der Mutter zweimal beim Neurologen gewesen, es seien Hirnstrommessungen durchgeführt worden. Im Alter von etwa 14 Jahren sei die Diagnose einer Fibromyalgie gestellt worden. Derzeit ergebe sich aber kein Hinweis auf eine Fibromyalgie bzw. somatoforme Schmerzstörung. Die Tatsache, dass nie Medikamente gegen die Schmerzen eingenommen worden seien, spreche gegen stärker ausgeprägten Leidensdruck. Eine psychotherapeutische Behandlung lehne die Klägerin ab, weil ihr Gespräche über den Unfall nicht gut täten.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, die Problematik akzentuiere sich gerade wieder, da ihr Arbeitsplatz mit einer Maschine ausgestattet werden solle. Ein stationärer Aufenthalt in einem psychosomatischen Akutkrankenhaus sei vorgesehen. Mit Urteil vom 07.09.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung des klagabweisenden Urteils hat das SG ausgeführt, nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme rechtfertige der Zustand der Verletzungsfolgen ab dem 22.04.2010 lediglich eine MdE um 10 v. H ... Das Gericht folge dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. vom 19.10.2011. Ausgangspunkt seien die Unfallfolgen in organischer, d. h. unfallchirurgischer bzw. neurologischer Hinsicht. Dabei sei die Gebrauchsfähigkeit der Hand durch den Substanzverlust nicht wesentlich eingeschränkt. Auch die neuralgischen Beschwerden hätten ihrer Intensität nach eher belästigenden Charakter. Im Vordergrund stehe die psychiatrische Problematik mit einer posttraumatischen Anpassungsstörung und diversen Ängsten. Das Gericht folge der Einschätzung des Sachverständigen, das diese Symptomatik inzwischen weitgehend abgeklungen sei. Dies werde durch die Aufnahme einer Berufstätigkeit im gewerblichen Bereich bereits Mitte 2010 bestätigt. Auch wenn sie derzeit nicht an einer Maschine arbeite, erfordere die seit zwei Jahren ausgeübte Erwerbstätigkeit den Einsatz beider Hände und könne von der Klägerin auch ausgeübt werden. Zudem gehe das Gericht von einem eher gering ausgeprägten Leidensdruck aus, weil seit Februar 2011 keine nervenärztliche Behandlung erfolge. Die Bewertung mit einer MdE von 10 v. H. stehe im Einklang mit der unfallmedizinischen Fachliteratur. Danach würden Anpassungsstörungen mit stärkergradiger sozialkommunikativer Beeinträchtigung mit einer MdE um 20 v. H. bewertet. Zumindest seit Mitte 2010 bestehe aber nur ein leicht ausgeprägtes Störungsbild. Der Ansicht des Dr. M. sei nicht zu folgen, weil dieser nur den Zeitraum bis Februar 2011 beurteilen könne und die Befunde des Prof. Dr. von K. ebenso wie die Aufnahme einer -Erwerbstätigkeit in einer Fabrik im Mitte 2010 zeigten, dass die psychische Symptomatik sich auf den angstbesetzten Gebrauch des rechten Kleinfingers beschränke, woraus sich keine rentenberechtigende Erwerbsminderung ergebe. Die Aktualisierung der Problematik im Zusammenhang mit der technischen Umstellung an ihrem Arbeitsplatz sei nicht zu berücksichtigen, zum einen, weil das dauerhafte Erwerbsvermögen maßgeblich ist, nicht akute vorübergehende Verschlechterungen, zum anderen, weil eine derartige Verschlechterung auf einen eng umgrenzten Bereich des Erwerbslebens, nämlich die Arbeit an gefährlichen Maschinen beschränkt wäre.

Gegen das am 04.10.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05.11.2012 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie halte eine weitere Abklärung des Sachverhalts für erforderlich. Es bestehe entgegen den Ausführungen im SG-Urteil erheblicher Leidensdruck, weshalb ein stationärer Aufenthalt in einem psychosomatischen Akutkrankenhaus vorgesehen sei. Sie habe mehrfach den Behandler wechseln und jeweils längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 7. September 2012 aufzuheben, den Bescheid vom 3. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, eine posttraumatische Belastungsstörung als weitere Unfallfolgen festzustellen und ihr über den 21. April 2010 hinaus eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 20 vom Hundert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Klägerin hat am 18.01.2013 bei der Beklagen einen Verschlimmerungsantrag gestellt. Vom 16.10.2012 bis 27.11.2012 hat sie eine stationäre Behandlung in der A. Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie B. durchgeführt. In dem Entlassungsbericht vom 29.11.2012 haben Prof. Dr. E., Dr. H. und Dipl.-Psych. R. die Diagnosen einer körperdysmorphen Störung (F 45.2), Angst- und Panikstörung (F 41.0), einer mittelgradigen depressiven Episode (F 32.1), anamnestisch Fibromyalgiesyndrom, gestellt. Empfohlen wurde eine ambulante Psychotherapie sowie eine Medikation mit 1 x tgl. Citalopram 20 mg. Die Klägerin berichte über Überforderung und Angstattacken, sie habe teilweise keine Luft mehr bekommen. Sie habe nach vierwöchiger Krankschreibung die Arbeit wieder aufgenommen, bewältige aber kaum den Tagesablauf, müsse sich nach der Arbeit sofort hinlegen und verlasse das Bett nicht vor dem nächsten Morgen. Sie habe sich sozial stark zurückgezogen, fühle sich unruhig und angespannt und schlafe schlecht. Der Schlaf sei wenig erholsam. Sie schäme sich für den verletzten Finger, wünsche sich manchmal, der Finger wäre amputiert. Ihr ganzes Leben sei seit der Verletzung beeinträchtigt. Objektivierbar sei keine wesentliche Funktionseinschränkung des rechten kleinen Fingers. Außerdem berichte die Klägerin von einer schwierigen sozialen Situation, sei nach der Trennung von ihrem Partner vor ca. sechs Jahren zurück zu den Eltern gezogen. Durch längere Arbeitsunfähigkeit nach dem Unfall sei sie in finanzielle Schieflage geraten. Derzeit arbeite sie wieder in der Endkontrolle in der Produktion eines Autozulieferers, hier sei der Einsatz einer neuen Maschine geplant, bei der sie wieder Teile mit der Hand aus der Maschine holen müsse, was akut stärkere Ängste verursache. Die Klägerin sei im psychischen Befund wach, orientiert, im Kontakt unsicher, affektiv gedrückt, die Schwingungsfähigkeit sei jedoch erhalten. Sie beschreibe starke Ängste, die sich teilweise zu Panikzuständen steigerten, teilweise Schlafstörungen und starke innere Unruhe, wirke angespannt. Sie fokussiere viele Ängste auf den damals verletzten Finger, den sie kaum als zu sich gehörig annehmen könne. Es bestehe kein manifester Wahn, keine psychotischen Symptome. Es bestünden Grübelneigung, Schlafstörungen, intermittierend hätten lebensmüde Gedanken bestanden, aber klare Distanzierung von akuter Suizidalität. Bei der Klägerin habe sich vor dem Hintergrund biographischer Belastungen und aktueller psychosozialer Faktoren eine depressive Entwicklung, begleitet von Angst- und Panikzuständen, auch fokussiert als körperdsysmorphe Störung, eingestellt. Die Klägerin habe Zusammenhänge mit biographischen Belastungen zum Teil erkennen können, den Auslöser ihrer Beschwerden jedoch eher in aktuellen Geschehnissen, wie u. a. ihrem Arbeitsunfall gesehen. Neben belastenden Erfahrungen in der Kindheit sei auch die aktuelle familiäre Konstellation für sie schwierig, da sie den Kontaktabbruch zur Schwester als entlastend empfunden habe, aber Schuldgefühle habe und sich für sie verantwortlich fühle. Durch die Herausnahme aus der kritischen Umgebung und Integration in die Patientengruppe sei es zu einem deutlichen Rückgang der depressiven Symptomatik gekommen.

Der Berichterstatter hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 25.02.2014 erörtert. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom selben Tag verwiesen.

Die Klägerin hat einen Arztbrief des Universitätsklinikums F. vom 04.04.2014 über eine Vorstellung in der Ambulanz am 01.04.2014 vorgelegt, in dem Prof. Dr. E. und Assistenzarzt S. die Diagnosen einer schweren depressiven Episode (ICD-10; F 32.2) stellen und den Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10; F 43.1) äußern. Die Klägerin berichte, dass sie seit einem Arbeitsunfall im Jahre 2010 unter Zittern der rechten Hand leide, die Stimmung sei gedrückt, sie könne sich über nichts mehr freuen, habe sich zurückgezogen, gehe kaum eigenen Interessen nach, verbringe die meiste Zeit im Bett. Sie sei seit zwei Wochen krankgeschrieben. Sie habe große Mühe, sich selbständig zu versorgen und den Alltag zu bewältigen. Sie leide unter Schlafstörungen, der Schlaf sei nicht erholsam. Sie erlebe die Unfallsituation flashbackartig immer wieder, insbesondere durch szeneartiges Erleben mit Schmerzwahrnehmung und Geruchserleben. Nachts träume sie alptraumartig von dem Unfall. Sie leide unter anhaltender Unruhe und Angespanntheit im Sinne eines Hyperarousals. Teilweise stottere sie bei erlebter Unruhe und das Zittern der Hand nehme dann zu. Die aktuelle Medikation seien Baldriankapseln am Abend, Citalopram habe sie nur zwei Wochen lang genommen. Bezüglich einer medikamentösen Behandlung sei sie ambivalent. Die Klägerin sei im psychopathologischen Befund bewusstseinsklar, orientiert, Konzentration und Gedächtnis unauffällig, formalgedanklich deutlich eingeengt auf Ängste und depressive Symptomatik, ausgeprägte Grübelneigung, jedoch geordnet und kohärent. Spezifische Ängste oder Zwänge seien nicht eruierbar, es bestünden aber Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung; keine Hinweise auf Wahn, Halluzinationen oder Ich-Störungen. Sie sei im Affekt deutlich niedergestimmt, nicht schwingungsfähig bei Freud- und Interessenverlust. Der Antrieb sei reduziert, es bestehe eine Antriebshemmung, Energielosigkeit und Kraftlosigkeit, vermehrte Irritierbarkeit, Nervosität, Unruhe und innere Anspannung, motorische Hypermotorik der rechten Hand und des rechten Armes sowie phasenweises Stottern, Ein- und Durchschlafstörungen. Eine Reevaluation der Symptomatik der Verdachtsdiagnose der posttraumatischen Belastungsstörung müsse nach Abklingen der depressiven Symptome erneut erfolgen. Wegen der Schwere der Symptomatik sei eine stationäre Aufnahme geplant.

Vom 12.06.2014 bis 11.09.2014 wurde die Klägerin in der Universitätsklinik F., Abteilung Psychiatrie, stationär behandelt. Im Behandlungsbericht vom 16.09.214 ("Zwischenbericht") stellen Oberarzt Dr. B. und Assistenzarzt Dr. B. die Diagnosen schwere chronifizierte depressive Episode (ICD 10; F 32.2) und posttraumatische Belastungsstörung nach Arbeitsunfall im Jahre 2008 (ICD 10; F 43.1). Es bestünden keine Auffassungs-, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, die Gedächtnisfunktionen seien ungestört. Es bestünde aber eine deutliche formale Denkstörung, umständlicher Gedankengang, eine leicht Hemmung und Einengung auf Traumaerleben bzw. Vermeiden dessen durch thematische Konfrontation, sie sei grübelnd bei niedergeschlagener Affektlage, deutlich affektlabil, deutlich ängstlich, mit deutlicher innerer Unruhe, eingeschränkter Schwingungsfähigkeit und Antriebshemmung ohne circadiane Schwankungen. Die Diagnose der PTBS beruhe auf häufigen, teils szenischen Intrusionen, teils getriggert durch äußere Reize, nächtlichen Alpträume und ausgeprägtem Vermeidungsverhalten. Nach Einschätzung des Leiters der PTSD - (post traumatic stress disorder) Sprechstunde, Dr. A., sei die Schwere des Arbeitsunfalls vermutlich nicht ausreichend für eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach Trauma. Die diagnostische Einordnung sei sehr komplex, da die Klägerin im Verlauf des Aufenthalts häufig wechselnde und sehr unterschiedliche Bilder gezeigt habe. Teils habe eine massive Antriebsstörung bestanden, die Klägerin habe das Bett kaum verlassen könne. Aufgrund zeitweise skurrilen Verhaltens, teils läppisch-parathym, teils gleichgültig, teils flach im Affekt, sei das Vorliegen einer Hebephrenie (Schizophrenie bei Jugendlichen) in Betracht gezogen worden mit einem zu vermutenden Leistungsknick bereits vor 2008. Dagegen spreche jedoch der von der Klägerin berichtete starke Leidensdruck und ihr starkes Bewusstsein für den Kontrast zwischen dem aktuellen Zustand und ihrem früheren Leben. Eine weitere stationären Aufnahme nach ca. sechs Wochen Wartezeit zur Durchführung einer spezifischen stationären, psychotherapeutischen Behandlung der Depression ist geplant.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die SG-Akte (S 17 U 6041/10) und die Senatsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 03.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente über den 21.04.2010 hinaus. Gesundheitsstörungen, die als Folge des Arbeitsunfalls eine MdE von mindestens 20 v. H. bedingen, liegen über den 21.04.2010 hinaus nicht mehr vor.

Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Verletztenrente sind vorliegend die §§ 2, 7, 8, 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), das heißt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII). Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).

Unstreitig stellt das Ereignis vom 18.11.2008 einen anerkannten Arbeitsunfall dar, aufgrund dessen die Beklagte bereits Leistungen erbracht (z. B. Verletztengeld, Heilbehandlung, Fahrkosten), und mit dem streitgegenständlichen Bescheid eine Verletztenrente bis zum 21.04.2010 gewährt hat. Die Klägerin macht im Wege der Leistungsklage geltend, dass die anerkannten Unfallfolgen über den 21.04.2010 hinaus eine MdE um mindestens 20 v. H. begründen. Dies ist nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungsverfahren und in beiden sozialgerichtlichen Instanzen nicht der Fall.

Die Verletzung des Kleinfingerendgliedes der rechten Hand führt zunächst nach dem 21.04.2010 nicht mehr zu einer Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit, die eine MdE begründet. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des Prof. Dr. K. vom 26.04.2010 im Verwaltungsverfahren, des Dr. B. vom 19.10.2011 im erstinstanzlichen Verfahren und aus den Behandlungsberichten von Dr. F ... Dr. F. berichtete in seinem Befundbericht vom 18.09.2009 von guter Beweglichkeit des Kleinfingers und sah keine MdE. Prof. Dr. K. fand bei seiner Untersuchung am 21.04.2010 einen Nervenschaden, der zu schmerzbedingtem funktionellen Ausfall des Kleinfingers führte, der wegen zu erwartender Besserung zeitlich begrenzt wie eine Amputation zu bewerten ist, nämlich nach Bereiter-Hahn/Mehrtens (Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar Loseblattsammlung, Stand August 2014, Anlage 12, Tafel 1) sechs Monate mit einer MdE um 20 v. H. und danach um 10 v. H ... Eine Teilamputation hat tatsächlich nicht stattgefunden, denn diese besteht in einem ringförmigen Abtrennen von Gliedmaßen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 2010, S. 682). Bei der Klägerin ist nach dem Unfallereignis nur eine Bagatellweichteilverletzung am oberen rechten Kleinfinger mit Kuppendefekt eingetreten, die genäht werden konnte, sogar das Nagelbett blieb vollständig erhalten, so dass der Nagel nicht nur nachwuchs, sondern von der Klägerin auch gepflegt werden konnte. Deswegen war es gerechtfertigt, nur in Anbetracht der geäußerten Schmerzen und der berichteten Funktionseinschränkung den dadurch begründeten Funktionsausfall der Fingers für eine Übergangszeit einer Teilamputation gleichzustellen, wobei der Senat zu bedenken gibt, dass die unfallmedizinische Literatur nur bei einem vollständigen Verlust des rechten Kleinfingers überhaupt zu einer MdE von 20 v. H. gelangt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. S. 565), war bei der Klägerin naturgemäß ausgeschlossen werden kann zumal ein Neurom d nicht vorliegt. Insoweit ist die Berücksichtigung der Beklagten eher großzügig, aber auch ausreichend gewesen. Bei der Untersuchung im Gerichtsverfahren durch Dr. B. am 18.10.2011 bestanden bereits seit einem Jahr ohne sicheren Anhalt für ein Neurom keine Ruheschmerzen mehr am Finger, nur noch bei Kälte und Wetterumschwung und ansonsten eine Berührungsüberempfindlichkeit mit Missempfindungen an der Kleinfingerkuppe. In scheinbar unbeobachteten Momenten wurde der Kleinfinger normal eingesetzt, auch der Fingernagel war nachgewachsen und wurde von der Klägerin gefeilt. Auch die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit, bei der beide Hände eingesetzt wurden, fand am 19.04.2010 - ab Juni/Juli 2010 sogar an Maschinen - statt, so dass eine MdE wegen einer Funktionsbeeinträchtigung des Fingers zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand, zumal dagegen ebenso ihr Hobby, auf Flohmärkten erworbene kleine Möbelstücke herzurichten, abzuschleifen und neu anzumalen, spricht. Zuletzt ist im Befundbericht von Prof. Dr. E. und Dr. H. vom 29.11.2012 über die stationäre Behandlung in den A. Kliniken vom 16.10. bis 27.11.2012 bestätigt worden, dass keine objektivierbare wesentliche Funktionseinschränkung des rechten kleinen Fingers besteht.

Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet begründen ebenfalls keine MdE um wenigstens 20. Die als Unfallfolge anerkannte posttraumatische Anpassungsstörung ist nach dem 21.04.2010 nur noch mit einer MdE um 10 v. H. zu bewerten, die später aufgetretene Depression beruht nicht mehr wesentlich auf dem Unfallgeschehen.

Die Rechtsprechung hat insoweit folgende Grundsätze entwickelt:

Für die Feststellung von Unfallfolgen ist erforderlich, dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Erforderlich ist für die Gewährung einer Verletztenrente, dass länger andauernde Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität) und eine hierdurch bedingte MdE um mindestens 20 v. H. erreicht wird (vgl. BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 - und vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Art und das Ausmaß des Unfallereignisses, der Gesundheitserstschaden und die hierdurch verursachten länger andauernden Unfallfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (Vollbeweis) nachgewiesen werden. Lässt sich ein Nachweis nicht führen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten.

Für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat anhand des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen. Die Kausalitätsbeurteilung hat dabei auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - a.a.O.). Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall in diesem Sinne eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt; das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie z.B. Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein. Erst wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursache des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist (BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - NZS 2012, 909).

Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Wenn es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen gibt, ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere/n Ursache/n keine überragende Bedeutung hat/haben. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur diese Ursache/n "wesentlich" und damit Ursache/n im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Ist die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen, so ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - a.a.O.).

Bei dieser Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unterstellen ist. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache beziehungsweise dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -, ferner das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, die Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein.

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung gegebenenfalls in einem oder mehreren Schritten zu prüfende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, vor allem wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache das angeschuldigte Ereignis eine Ursache oder die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellte versicherte Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexen Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - a.a.O.).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente über den 21.04.2010 hinaus. Der Senat konnte sich in Auswertung der eingeholten Gutachten und der aktenkundigen Arztberichte nicht davon überzeugen, dass bei der Klägerin nach diesem Zeitpunkt ein psychisches Leiden vorliegt, das wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist und eine MdE von mindestens 20 v. H. bedingt.

Unfallversicherungsrechtlich relevant ist ein Gesundheitsfolgeschaden nur dann, wenn er sicher feststeht, d. h. im Vollbeweis gesichert ist. Hierbei ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme zu stellen (BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - a.a.O.). Der Senat berücksichtigt die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD-10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).

Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger durch den Arbeitsunfall zunächst eine akute posttraumatische Anpassungsstörung erlitten hat, die sich jedoch bis zum 21.04.2010 zurückgebildet hat.

Die Anpassungsstörung ist nach der ICD-10 F43.2 ein Zustand von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Die Belastung kann das soziale Netz des Betroffenen beschädigt haben (wie bei einem Trauerfall oder Trennungserlebnissen) oder das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder soziale Werte (wie bei Emigration oder nach Flucht). Sie kann auch in einem größeren Entwicklungsschritt oder einer Krise bestehen (wie Schulbesuch, Elternschaft, Misserfolg, Erreichen eines ersehnten Zieles und Ruhestand). Die individuelle Prädisposition oder Vulnerabilität spielt bei dem möglichen Auftreten und bei der Form der Anpassungsstörung eine bedeutsame Rolle; es ist aber dennoch davon auszugehen, dass das Krankheitsbild ohne die Belastung nicht entstanden wäre. Die Anzeichen sind unterschiedlich und umfassen depressive Stimmung, Angst oder Sorge (oder ein Mischung von diesen). Außerdem kann ein Gefühl bestehen, mit den alltäglichen Gegebenheiten nicht zurecht zu kommen, diese nicht vorausplanen oder fortsetzen zu können. Störungen des Sozialverhaltens können insbesondere bei Jugendlichen ein zusätzliches Symptom sein. Hervorstechendes Merkmal kann eine kurze oder längere depressive Reaktion oder eine Störung anderer Gefühle und des Sozialverhaltens sein.

Die Bemessung der MdE hängt mit den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1). Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Bei der Klägerin bedingte die Anpassungsstörung ab dem 22.04.2010 nur noch eine MdE um 10 v. H., nachdem nur Anpassungsstörungen mit stärkergradiger psychisch-emotionaler und sozial-kommunikativer Beeinträchtigung eine höhere MdE begründen (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. S. 157). Dies ergibt sich aus den schlüssigen Darlegungen des Dr. B. in seinem im Auftrag des SG erstatteten Gutachten, die mit dem Gutachten des Prof. Dr. K. und der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. H. übereinstimmen. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin wieder sehr lebhaft und zugewandt, bewusstseinsklar und gut orientiert bei nur leichter vegetativer Erregung, was der Senat der Anamnese von Dr. B. entnimmt und gegen eine stärker ausgeprägte psychische Erkrankung spricht, zumal sie wieder ein normales Leben führen konnte. So hatte die Klägerin wieder eine Erwerbstätigkeit aufgenommen, sie hatte Hobbies und ging wöchentlich mehrmals ins Sportstudio. Sie hatte seit August 2009 keine Albträume mehr und schlief wieder besser. Eine medikamentöse Behandlung war nicht mehr erforderlich und wurde erst 2013 wieder empfohlen, aber tatsächlich auch 2014 bis Juni nicht durchgeführt, was der Senat dem Entlassungsbericht des Universitätsklinikums F. entnimmt. Auch wird der Finger tatsächlich eingesetzt, wofür dessen leichte Beschwielung spricht, und sorgfältig gepflegt, so dass der Senat der Auffassung des Dr. M. in seiner Auskunft an das SG vom 08.06.2011, der nach einer Untersuchung am 03.02.2011 keine Besserung im Verlauf sah und die psychische Symptomatik weiterhin mit einem "GdB von 30" bewertete, nicht folgen kann. Zum einen, weil Dr. M. eine (nur) mäßiggradige depressive Symptomatik diagnostiziert, eine nur leichte depressive Störung aber die von ihm bewertete erhebliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht begründet. Zum anderen geht er unzutreffend (s. u.) vom Bestehen einer posttraumatischen Belastungsstörung aus.

Nach Auffassung des Senats ist darüber hinaus nicht hinreichend wahrscheinlich, dass bei der Klägerin eine PTBS vorliegt.

Nach ICD-10 F43.1 entsteht die posttraumatische Belastungsstörung als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.

Nach DSM-IV-TR 309.81 gelten folgende Grundsätze: Das Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2). Charakteristische Symptome, die aus der Konfrontation mit der extrem traumatischen Situation resultieren, sind das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederholten und aufdringlichen Erinnerungen an das Ereignis (Kriterium B1), von wiederkehrenden, quälenden Träumen, in denen das Erlebnis nachgespielt wird oder in anderer Form auftritt (Kriterium B2), von Erleben von oft als "flashbacks" bezeichneten dissoziativen Zuständen, während derer einzelne Bestandteile des Ereignisses wieder erlebt werden (Kriterium B3) oder, wenn die Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie an Aspekte des traumatischen Ereignisses erinnern oder die diese symbolisieren, in Form von intensiver psychischer Belastung (Kriterium B4) oder physiologischer Reaktionen (Kriterium B5). Charakteristische Symptome sind auch die andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, und eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität in der Form, dass die Person im Allgemeinen versucht, Gedanken, Gefühle oder Gespräche über das traumatische Ereignis (Kriterium C1) und Aktivitäten, Situationen oder Personen, die die Erinnerung an das Ereignis wachrufen (Kriterium C2) absichtlich zu vermeiden, wobei die Vermeidung des Erinnerns die Unfähigkeit mit einschließen kann, sich an einen wichtigen Aspekt des traumatischen Ereignisses zu erinnern (Kriterium C3), oder in Form von verminderter Reaktionsbereitschaft auf die Umwelt, welche üblicherweise sehr bald nach dem traumatischen Erlebnis eintritt (Kriterium C4), eines Gefühls der Isolierung und Entfremdung von Anderen (Kriterium C5) oder einer deutlich reduzierten Fähigkeit, Gefühle zu empfinden (Kriterium C6) oder in der Form, dass betroffene Personen das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft haben (Kriterium C7). Charakteristische Symptome sind auch anhaltende Symptome erhöhten Arousals in Form von Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, die durch wiederholte Albträume, in denen das traumatische Erlebnis wieder erlebt wird, hervorgerufen werden können (Kriterium D1), Hypervigilanz (Kriterium D4) und übertriebener Schreckreaktion (Kriterium D5), wobei manche Personen über Reizbarkeit oder Wutausbrüche (Kriterium D2) oder Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder Aufgaben zu vollenden (Kriterium D3), berichten. Das vollständige Symptombild muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium E) und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium F). Traumatische Erfahrungen, die direkt erlebt wurden, umfassen insbesondere kriegerische Auseinandersetzungen, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folterung, Kriegsgefangenschaft, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Symptome drei Monate oder länger andauern) und der posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt.

Bei der Klägerin fehlt es - worauf bereits Dr. B. und Prof. Dr. K. sowie Dr. H. zutreffend hingewiesen haben, bereits am A-Kriterium. Die Verletzung war nicht lebensbedrohlich. Erforderlich ist dafür eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung und katstrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Die Verletzung des Kleinfingerendgliedes erfüllt diese Kriterien nicht andeutungsweise. Bei fehlendem A-Kriterium besteht aber keine Grundlage für die Diagnose einer PTBS. Es fehlt auch das typische Vermeidungsverhalten im Sinne des C-Kriteriums, da die Klägerin im Rahmen ihrer am 19.04.2010 wieder aufgenommenen Erwerbstätigkeit ab Juni/Juli 2010 wieder Maschinen bedienen konnte. Auch wenn sie diese Tätigkeit nach dem Arbeitsunfall einer Kollegin wieder aufgegeben hat, konnte sie doch weiter in der Metallverarbeitung tätig sein und anschließend eine Beschäftigung bei einem Autozulieferer aufnehmen, bei der sie bohren und fräsen muss. Die Befundberichte des Universitätsklinikums Freiburg vom 04.04.2014 und 16.09.2014 führen zu keinem anderen Ergebnis. Zwar wird dort die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt, zunächst aber nur als Verdachtsdiagnose, die auch nach Einschätzung der behandelnden Ärzte nicht sicher auf den Arbeitsunfall zurückzuführen und deren Symptome differenzialdiagnostisch als Hebephrenie zu prüfen ist.

Die Klägerin leidet zur Überzeugung des Senats nicht an einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge des Arbeitsunfalls. Dies folgt - wie oben ausgeführt - aus der fehlenden Eignung des Unfallereignisses. Der Unfall vom 18.11.2008, der eine vollständig verheilte Weichteilverletzung am rechten Kleinfingerendglied zur Folge hatte, war kein belastendes Ereignis mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Damit fehlt es an dem für die Diagnose einer PTBS zwingend erforderlichen A-Kriterium (s.o.). Soweit im Behandlungsbericht des Universitätsklinikums Freiburg vom 16.09.2014 diese Diagnose dennoch gestellt wird, ist der Bericht selbst in sich widersprüchlich. Entgegen der eingangs gestellten Diagnose bewertete nämlich der Leiter der PTSD Sprechstunde der Klinik Dr. A. "die Schwere des damaligen Arbeitsunfalls als vermutlich nicht ausreichend". Zudem schilderten Dres. B. und B. die diagnostische Einordnung der klinischen Symptomatik als sehr komplex angesichts der im Laufe des stationären Aufenthaltes häufig wechselnden, sehr unterschiedlichen klinischen Bilder, zogen differentialdiagnostisch eine Hebephrenie (Schizophrenie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen) in Betracht, die sie wegen des von der Klägerin immer wieder berichteten Leidensdrucks und ihres starken Bewusstseins für den Kontrast zwischen ihrem aktuellen Zustand im Vergleich zu ihrem früheren Leben verwarfen. Dieser Kontrast besteht allerdings nach Aktenlage überwiegend in der Vorstellung der Klägerin, die gegenüber Gutachtern, Sachverständigen und behandelnden Ärzten angibt, unfallbedingt nicht in ihrem Beruf als Gesundheitsberaterin arbeiten zu können, tatsächlich aber diesbezüglich nur eine Schulung von wenigen Wochen und keinerlei Berufspraxis absolviert hat, sondern nach Hauptschulabschluss und Ausbildung zur Zahnarzthelferin - durchgehend vor und nach dem Arbeitsunfall als ungelernte Arbeiterin beschäftigt gewesen ist.

Nach Auffassung des Senats ist darüber hinaus nicht hinreichend wahrscheinlich, dass bei der Klägerin nach dem 21.04.2010 eine unfallbedingte psychische Erkrankung in rentenrelevantem Umfang vorgelegen hat. Der Senat sieht sich durch die Gutachten, aber auch die tatsächlichen Umstände darin bestätigt, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Zäsur eingetreten ist. Denn die Klägerin war wieder in der Lage, in ihrem alten Beruf vollschichtig berufstätig zu sein, sie musste keinerlei richtungsweisende Therapie in Anspruch nehmen und konnte ihrem Hobby nachgehen. Erst mit dem erneuten Verlust der Arbeit durch Eigenkündigung ist es dann zu einer anderen psychischen Erkrankung gekommen.

Die Klägerin litt nämlich Ende 2012 an einer mittelschweren depressiven Episode, was sich aus der Diagnosestellung und den geschilderten Symptomen im Entlassungsbericht der acura-Kliniken vom 29.11.2012 ergibt, des Weiteren an einer Angst- und Panikstörung, nach ICD 10 F 41.0 eine Nebendiagnose zur depressiven Störung, und eine körperdysmorphe Störung, codiert als hypochondrische Störung (ICD 10 45.2). Seit April 2014 liegt eine schwere depressive Episode vor (Behandlungsberichte Uni-Klinik F. vom 04.04. und 16.09.2014).

Nach ICD 10 F 32 leidet der Betroffene bei den typischen leichten (F 32.0), mittelgradigen (F 32.1) oder schweren (F 32.2.3) depressiven Störungen unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinen Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle und Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von sogenannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen.

Nach ICD 10 F 45.2 ist vorherrschendes Kennzeichen der hypochondrischen Störung eine beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer oder mehrerer schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheiten zu leiden. Die Patienten manifestieren anhaltende körperliche Beschwerden oder anhaltende Beschäftigung mit ihren körperlichen Phänomenen. Normale oder allgemeine Körperwahrnehmungen und Symptome werden vom Patienten oft als abnorm oder belastend interpretiert und die Aufmerksamkeit meist nur auf ein oder zwei Organe oder Organsysteme des Körpers fokussiert. Depressionen und Angst finden sich häufig und können dann zusätzliche Diagnosen rechtfertigen.

Der Arbeitsunfall vom 18.11.2008 ist zur Überzeugung des Senats im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung keine wesentliche Bedingung für die Ende 2012 diagnostizierte depressive Störung. Es besteht hierfür keine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Der Arbeitsunfall war bereits als Ereignis nicht geeignet, angesichts der dadurch eingetretenen Bagatellverletzung eine derartig schwere seelische Störung hervorzurufen. Auch der Zeitablauf spricht gegen eine wesentliche Verursachung, denn die depressive Störung trat erst vier Jahre nach dem Arbeitsunfall und nach Abklingen der zunächst diagnostizierten posttraumatischen Anpassungsstörung auf. Nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/ Valentin a.a.O. S. 143) klingen die Symptome selbst einer chronischen Anpassungsstörung maximal nach 2 Jahren ab. Außerdem sind die biographischen Belastungen der Klägerin als rechtlich wesentlich anzusehen. Aus dem Entlassungsbericht der A. Kliniken ergibt sich insoweit, dass sich die diagnostizierte depressive Störung vor dem Hintergrund biographischer Belastungen und aktueller psychosozialer Faktoren, begleitet von Angst- und Panikzuständen, eingestellt hat. Es wird ausgeführt, dass zwar die Klägerin selbst den Auslöser ihrer Beschwerden in aktuelleren Geschehnissen, u. a. dem Arbeitsunfall sieht, ihr im Rahmen der stationären Behandlung die Zusammenhänge mit ihren biographischen Belastungen deutlich gemacht wurden, neben belastenden Erfahrungen in der Kindheit - der aggressive Vater schlug die Klägerin und die behinderte Schwester mit Duldung der Mutter - auch die aktuelle familiäre Konstellation, der Kontaktabbruch zur Schwester und die Schuldgefühle ihr gegenüber. Auch die Schwester leidet unter schweren Depressionen. Dies wird dadurch bestätigt, dass durch die Herausnahme der Klägerin aus der kritischen Umgebung im Rahmen des stationären Aufenthalts ein deutlicher Rückgang der depressiven Symptomatik erreicht werden konnte. Nach Rückkehr ins häusliche Umfeld nahm die depressive Störung noch an Schwere zu, wie sich aus dem Bericht des Universitätsklinikums F. vom 04.04.2014 ergibt, allerdings nahm die Klägerin verordnete Medikation (1 x tgl. Citalopram 20 mg) nach der Entlassung nicht weiter. Es kann offen bleiben, was die Ursache dieser nicht unfallbedingten Depression ist; dem Senat erscheint eine Entstehung aufgrund der biogenetischen Belastungen bei familiärer Vorbelastung und aktuell schwieriger psychosozialer Situation (Rückkehr zum Elternhaus) als überaus naheliegend.

Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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