L 16 AS 232/14 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 142/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 232/14 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für die Übernahme von Beitragsschulden in der gesetzlichen Krankenversicherung bietet das SGB II keine Rechtsgrundlage.
2. Die Gewährung eines Darlehens gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist wegen der Regelung in § 16 Abs. 3a Satz 2 Halbsatz 2 SGB V ausgeschlossen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 04.02.2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten in der Hauptsache über die Übernahme rückständiger Krankenversicherungsbeiträge nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Der 1973 geborene Kläger beantragte am 18.04.2011 bei der Gemeinde A-Stadt Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
(SGB XII). Der Antrag wurde von der Gemeinde zunächst an das Landratsamt B-Stadt und von diesem an den Beklagten weitergeleitet.

Der Kläger gab an, seit Jahren nicht krankenversichert gewesen zu sein. Nachdem Ermittlungen ergeben hatten, dass der Kläger zuletzt bei der Barmer GEK versichert war, wurde er dort ab dem 01.04.2011 angemeldet. Die Barmer GEK erließ daraufhin am 12.08.2011 mehrere Beitragsbescheide, mit denen eine Mitgliedschaft rückwirkend ab 01.03.2009 festgestellt wurde. Die daraus resultierende Verpflichtung wurde auf 4112 EUR beziffert, verbunden mit dem Angebot einer Ratenzahlung von 100 EUR monatlich.

Mit Bescheid vom 30.08.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger vom 01.04.2011 bis zum 30.09.2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der aufgrund der Mitgliedschaft nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) für diesen Zeitraum anfallenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Er wurde aufgefordert, bezüglich der rückständigen Beiträge das Angebot einer Ratenzahlung anzunehmen.

Mit Widerspruch vom 23.09.2011 beantragte der Kläger unter anderem auch die Übernahme des im August in Rechnung gestellten offenen Beitragsrests in Höhe von 4112 EUR.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2011 half der Beklagte den Widerspruch insoweit ab, als für die Zeit vom 01.04.2011 bis zum 30.09.2011 ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II berücksichtigt wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 16.01.2012 erhob der Kläger über seine Bevollmächtigte Klage zum Sozialgericht München mit dem Antrag, den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 30.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2011 zu verurteilen, ihm im Monat August 2011 zur Sicherstellung seines Krankenversicherungsschutzes den offenen Beitrag in Höhe von 4112 EUR zu gewähren.

Er habe trotz Bedürftigkeit im Zeitraum vom 01.03.2009 bis zum 31.03.2011 keinen weiteren Sozialhilfeantrag mehr gestellt und sei deswegen auch nicht krankenversichert gewesen. Die Wiederherstellung des Krankenversicherungsschutzes sei mit einem Gesamtbetrag von 4112 EUR in Rechnung gestellt worden. Hierbei handle es sich um den konkreten Bedarf für die Krankenversicherung im Monat August 2011. Außerdem wurde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung der Prozessbevollmächtigen beantragt.

Auf Hinweis des Gerichts, dass eine Rechtsgrundlage für die Übernahme rückständiger Beiträge nicht bestehe, zumal auch gemäß § 251 Abs. 4 SGB V die Beiträge nur für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V versicherungspflichtigen Bezieher von Arbeitslosengeld II getragen würden, teilte der Kläger mit, dass die Krankenversicherungspflicht durchgehend bestanden habe. Allerdings sei aufgrund der erheblichen Beitragsrückstände, die während des SGB II-Leistungsbezugs geltend gemacht und damit fällig geworden seien, nur ein ruhender Leistungsanspruch entstanden. Tatsächlich handle es sich bei dem gesamten Betrag um einen Beitrag nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB II.

Der Beklagte erklärte mit Schriftsatz vom 31.01.2012, dass die Last für das Versäumnis des Klägers nicht vom Steuerzahler getragen werden könne. Es liege ausschließlich im Verantwortungsbereich des Klägers, wenn er sich vor dem Leistungsbezug nicht versichert habe.

Mit Beschluss vom 04.02.2014 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Es sei keine Anspruchsgrundlage im SGB II ersichtlich, wonach die Übernahme der rückständigen Krankenversicherungsbeiträge in Betracht käme. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V bestehe Krankenversicherungspflicht für die Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld II, soweit keine Familienversicherung bestehe (§ 10 SGB V), es sei denn, dass die Leistungen nur darlehensweise gewährt würden (§ 24 Abs. 4 und 5
SGB II) oder nur Leistungen nach § 24 Abs. 3 S. 1 SGB II bezogen würden. Der Beklagte sei nicht zahlungspflichtig, weil der Kläger für die Zeit, für die rückständige Beiträge gefordert würden (01.03.2009 bis 31.03.2011), nicht im Leistungsbezug nach dem SGB II gestanden habe. In diesem Zeitraum habe daher auch keine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a Halbsatz 1 SGB V bestanden. Da der Kläger es offenbar versäumt habe, einen Antrag auf SGB II-Leistungen zu stellen, seien für die Zeit vom 01.03.2009 bis 31.03.2011 auch keinerlei Leistungen bewilligt oder gezahlt worden und es komme nicht darauf an, ob der Kläger in diesem Zeitraum möglicherweise hilfebedürftig gewesen sei. Auch eine andere Rechtsgrundlage sei nicht ersichtlich. Insbesondere handle es sich nicht um einen unabweisbaren Bedarf nach § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II, da die Krankenversicherung dem Kläger eine Ratenzahlung von 100 EUR im Monat angeboten habe und darüber hinaus die Krankenversicherungsbeiträge nicht vom Regelbedarf umfasst seien.

Gegen den der Bevollmächtigten des Klägers am 06.02.2014 zugestellten Beschluss hat diese am 06.03.2014 Beschwerde eingelegt und beantragt,
dem Kläger die beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren.

Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürften die Anforderungen an die Erfolgsaussicht einer Klage nicht überspannt werden. Es sei ausreichend, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich habe. Diese Voraussetzungen seien für das vorliegende Verfahren gegeben.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 09.04.2014 zur Beschwerde Stellung genommen und beantragt,
diese zurückzuweisen.
Abgesehen davon, dass keine Rechtsgrundlage gesehen werde, werde darauf hingewiesen, dass die Beitragsschulden wegen der Regelung in § 16 Abs. 3a S. 2 Halbsatz 2 Alternative 2 SGB V ohnehin keine Auswirkungen auf die Leistungsansprüche des Klägers hätten, solange dieser im Bezug nach dem SGB II stehe. Sinnvoller als das streitgegenständliche Verfahren wäre eine Prüfung der Voraussetzungen des § 256a SGB V, nachdem vermutlich die von der Krankenkasse angenommene Versicherungspflicht auf § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V beruhe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) zu Recht abgelehnt hat.

Nach § 73a Abs 1 SGG in Verbindung mit § 114 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Eine solche hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist.
Das ist vorliegend nicht der Fall. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat mangels Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers keine Aussicht auf Erfolg.
Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld sind während des Bezugs von Leistungen unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert (sog. Annexleistung). Diese Mitgliedschaft setzt den Bezug von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld voraus. Die laufenden Beiträge für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V versicherungspflichtigen Leistungsbezieher werden gemäß § 251 Abs. 4a SGB V vom Bund getragen und im Monat der Fälligkeit bezahlt. Die Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen sieht das SGB II außerdem für diejenigen Leistungsbezieher vor, die entweder nicht (§ 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II) oder freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind (§ 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II) oder die allein durch den Krankenversicherungsbeitrag hilfebedürftig werden (§ 26 Abs. 2 SGB II).
Für die Erstattung von Beiträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung, die vor dem Leistungsbezug fällig waren, hat der Gesetzgeber keinen Rechtsanspruch im SGB II geschaffen. Dies ist auch nicht notwendig um den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleisten. Grundsätzlich ruhen zwar Leistungsansprüche gegen die Krankenversicherung wegen bestehender Beitragsschulden. Gemäß § 16 Abs. 3a S. 2 Halbsatz 2 SGB V endet aber das Ruhen, wenn und solange der Versicherte hilfebedürftig im Sinne des SGB II oder SGB XII ist. Auch die Zahlung von Raten entsprechend einer Ratenzahlungsvereinbarung stellt den Anspruch auf Leistungen wieder vollständig her (§ 16 Abs. 3a S. 3 SGB V). Nach § 256a SGB V kann bei einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V auch die Ermäßigung und der Erlass von Beitragsschulden und Säumniszuschlägen beantragt werden.
Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen unabhängig von der Rechtsgrundlage nach dem in der gesetzlichen Sozialversicherung geltenden sog. Entstehungsprinzip (vgl. § 22 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV), sobald die entsprechenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und nicht erst mit der Feststellung der Versicherungspflicht durch den Versicherungsträger. Gemäß § 223 Abs. 1 SGB V sind Beiträge für jeden Kalendertag der Mitgliedschaft zu bezahlen. Bei fortbestehender Mitgliedschaft wird in jedem Monat jeweils ein Beitrag fällig.
Vor diesem Hintergrund hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass der Kläger sich für sein Begehren, die Übernahme von Beitragsschulden in Höhe von 4112 EUR, bei der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht auf eine Rechtsgrundlage im SGB II stützen kann. Ihrer Übernahme durch den Beklagten steht aber auch § 37 Abs. 2 SGB II entgegen, wonach Leistungen nach dem SGB II nicht für die Zeit vor Antragstellung erbracht werden.
Der Kläger steht seit 01.04.2011 im Leistungsbezug nach dem SGB II beim Beklagten und ist seit diesem Zeitpunkt pflichtversichert gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Ob er auch vom 01.03.2009 bis zum 31.03.2011 leistungsberechtigt gewesen wäre, wenn er einen Antrag gestellt hätte, ist rechtlich unerheblich. Nach den Feststellungen der Barmer GEK war er in dieser Zeit aber ebenfalls in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert, vermutlich auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Danach sind versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren. Unabhängig von der Rechtsgrundlage dürften diese Feststellungen inzwischen bindend geworden sein (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.1989 - 4 RK 2/88).
Das bedeutet, dass die Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung fortbestanden hat, und in jedem Monat der Mitgliedschaft ein Beitrag fällig geworden ist. Diese Beiträge wurden dem Kläger mit Bescheiden vom 12.08.2011 in Rechnung gestellt. Entstanden sind diese Beiträge aber bereits im jeweiligen Monat der Mitgliedschaft, beginnend ab dem 01.03.2009. Sie wären bereits damals vom Kläger zu bezahlen gewesen (zur vergleichbaren Rechtslage nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -, vgl. BSG, Urteil vom 15.11.2012, B 8 SO 3/11 R).
Rechtlich handelt es sich um Schulden des Klägers aus der Zeit vor Beginn des Leistungsbezugs, deren Übernahme nach dem SGB II grundsätzlich ausgeschlossen ist. Das SGB II sieht die Übernahme von Schulden nur ausnahmsweise vor, nämlich zur Sicherung der Unterkunft, und auch dann in der Regel nur darlehensweise (BSG, Urteile vom 30.09.2008 (B 4 AS 29/07 R) und vom 29.11.2012 (B 14 AS 33/12 R); Söhngen in Juris-PK SGB II, § 11b Rdnr. 16).
Ob der Kläger einen Anspruch darauf hätte, für die Begleichung der Schulden gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 SGB II ein Darlehen zu erhalten, ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht nicht zu berücksichtigen, da ein Darlehen vom Kläger nicht beantragt ist.
Da der Kläger in der gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert ist und die Beitragsschulden der Leistungsgewährung nach dem SGB V nicht entgegenstehen, muss nicht geprüft werden, ob möglicherweise in verfassungskonformer Auslegung die Übernahme rückständiger Krankenversicherungsbeiträge zu prüfen wäre, wenn dies zur Aufrechterhaltung eines Krankenversicherungsschutzes während des Leistungsbezuges erforderlich wäre.
Gleiches gilt für die in der Beitragsforderung enthaltenen Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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