L 10 R 3172/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 1707/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3172/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10.07.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 1961 geborene Kläger ist von Beruf Bauschlosser und war zuletzt als CNC-Mechaniker beschäftigt. Seit Mitte 2007 ist er ohne Beschäftigung.

Den wegen Rücken-, Knie-, Hand- und Fußbeschwerden im September 2011 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.01.2012 und Widerspruchsbescheid vom 21.05.2012 ab. Zu Grunde lag das Gutachten des Orthopäden Dr. R. , bei dem der Kläger über Rückenschmerzen mit Auswirkungen auf das Gehen, Schmerzen in den Händen und mehrere Operationen berichtete. Dr. R. konnte keine Schonhaltung der Wirbelsäule und ein flüssiges Gangbild feststellen. Der Faustschluss war möglich, die manuellen Greiffunktionen konnten ausgeübt werden. Er diagnostizierte eine Lumbago ohne akute radikuläre Ausfälle bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L5/S1 im März 1999, ein degeneratives HWS-Syndrom ohne Ausfälle, eine Periarthritis humeroscapularis der rechten Schulter mit Impingement, eine beginnende Varusgonarthrose, einen Zustand nach Osteosynthese des linken oberen Sprunggelenkes sowie einen Senk-/Spreizfuß mit Hallux rigidus links. Er hielt den Kläger für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als CNC-Mechaniker und für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr arbeitstäglich leistungsfähig. Zu vermeiden seien anhaltend schweres Tragen/Heben, Wirbelsäulenzwangshaltungen, insbesondere Arbeiten überwiegend gebückt, kniende und hockende Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern, Gerüsten oder in Hanglagen, eine besondere manuelle Beanspruchung der Hände, anhaltende Arbeiten über Kopf sowie Witterungseinflüsse in Form von Nässe und Kälte.

Gegen die Rentenablehnung hat der Kläger am 20.06.2012 beim Sozialgericht Reutlingen Klage erhoben und auf seine Schmerzzustände hingewiesen. Das Sozialgericht hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Der Orthopäde Dr. W.-S. hat mitgeteilt, den Kläger seit Rentenantragstellung nicht gesehen zu haben. Die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. hat über Beschwerden des Klägers in Form von Kopfschmerzen, Schwindel, erhöhten Leberwerten, depressiver Stimmungslage, leichten Schlafstörungen, Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich sowie über einen im Mai 2012 aufgetretenen epileptischen Anfall berichtet, den Kläger aber für leichte Tätigkeiten von drei bis sechs Stunden täglich ohne besondere konzentrative oder Zeitanforderungen leistungsfähig erachtet. Der Hausarzt und Internist Dr. H. hat ebenfalls - nach einigen Jahren Anfallsfreiheit - von einem epileptischen Anfall berichtet. Ganz im Vordergrund der Beeinträchtigungen bestünden jedoch degenerative Stützgerüstveränderungen und eine somatoforme Schmerzstörung mit Angst und Depression, die jeweils medikamentös behandelt würden. Aus seiner Sicht seien leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich möglich, wobei sich ihm die Schwere der psychischen Belastung und seelischen Beeinträchtigungen nicht erschließe.

Daraufhin hat das Sozialgericht ein Gutachten bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin Dr. B. eingeholt. Ihr gegenüber hat der Kläger u. a. angegeben, er engagiere sich für seinen "Freundeskreis", eine Selbsthilfegruppe ehemaliger Alkoholiker, und beim VdK, dessen zweiter Vorsitzender er sei. An Hobbies hat er Angeln, Schwimmen, Handwerken und das Sammeln von alten Arm- und Taschenuhren angegeben. Seinen Tagesablauf hat er dahingehend beschrieben, dass er gegen 6.00 Uhr morgens aufstehe, Kaffee trinke, sich richte, anschließend Zeitung lese, die Wohnung aufräume, nach seinen E-Mails schaue, seine um 9.00 Uhr zugestellte Post erledige, wobei er gelegentlich von Nachbarn und Bekannten gebeten werde, Post und Ähnliches vormittags anzunehmen. Anschließend kümmere er sich um seinen Haushalt, aufräumen, einkaufen, putzen, bügeln usw., er nehme die notwendigen Termine wahr und erledige beim Einkaufen auch für die Kinder und seine Nachbarin Besorgungen und er fahre abwechselnd mit einem anderen Nachbarn einen behinderten ehemaligen Gynäkologen in dessen Auto zum Großmarkt. Er koche regelmäßig, benötige hierzu bis zu eineinhalb Stunden, weil er keine Fertiggerichte verwende. Nachmittags besuche er Verwandte in der Umgebung, mache Spaziergänge und Erledigungen. Gegen 17:00 Uhr kehre er regelmäßig zum Feierabend nach Hause zurück (siehe Bl. 63 SG-Akte). Während des vierstündigen Untersuchungsgespräches ist nur ein gelegentliches schmerzbedingtes Umsetzen und nur eine kurze Pause erforderlich gewesen (Bl. 64 SG-Akte). Schwere chronifizierte psychiatrische Beeinträchtigungen als Voraussetzung für eine zeitliche Minderung der beruflichen Belastbarkeit hat Dr. B. nicht festgestellt und in der Zusammenschau der neuro-psychiatrischen und körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen lediglich qualitative Einschränkungen der beruflichen Leistungsfähigkeit angenommen. Insbesondere der Tagesablauf, die beschriebene selbständige Lebensführung, die Leistungen des Klägers im Alltag und in Selbsthilfegruppen ließen erkennen, dass die bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen noch keine zeitliche Minderung der Belastbarkeit hervorriefen. Dr. B. hat auf ihrem Fachgebiet eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, eine depressive Episode leichter Ausprägung mit begleitenden Ängsten, eine Epilepsie mit seltenen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen sowie psychische und Verhaltungsstörungen durch Alkohol bei Langzeitabstinenz diagnostiziert. Auf orthopädischem Gebiet ist sie von einem Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule mit pseudoradikulärer Symptomatik, einer chronisch-rezidivierenden Cervicobrachialgie ohne Funktionseinbußen, einem leichteren Impingementsyndrom des linken (richtig: rechten) Schultergelenks, Kniegelenksarthrosen beidseits mit Gelenkinstabilität, Restbeschwerden des linken oberen Sprunggelenkes nach Osteosynthese sowie einer aktiven Fingergelenksarthrose im linken Zeige- und Mittelfinger ausgegangen. Sie hat den Kläger nur noch in der Lage gesehen, leichte körperliche Tätigkeiten ohne häufiges Bücken, Heben, Tragen, Bewegen von Lasten, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen oder ständige einförmige Körperhaltungen, ohne häufiges Knien und Hocken, ohne Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten und in unebenem Gelände sowie ohne Belastung durch Kälte, Zugluft und Nässe sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuüben. Die Tätigkeiten sollten in wechselnder Körperhaltung ausführbar sein, langes Sitzen, Gehen und Stehen seien nicht möglich, Tätigkeiten die besondere Anforderungen an den Einsatz der linken Hand stellen, seien nicht durchführbar. Ebenso seien Arbeiten, die mit besonderer geistiger Beanspruchung, Erwartungs- und Leistungsdruck, mit Stress, Lärm, Zeitdruck, Akkord-, Fließbandarbeit, Wechsel- und Nachtschichten einhergehen, zu vermeiden.

Mit Urteil vom 10.07.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Nach Darstellung der Rechtsgrundlagen für die hier begehrte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - ) hat es ausgeführt, dass nach den Gutachten von Dr. R. und Dr. B. zwar auf nervenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet verschiedene Gesundheitsstörungen vorlägen und dabei die Diagnoseliste von Dr. B. aufgeführt. Es hat das Leistungsvermögen des Klägers hierdurch in qualitativer Hinsicht, nämlich im Umfang der von Dr. B. aufgeführten qualitativen Einschränkungen, eingeschränkt gesehen. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne der Kläger jedoch noch leichte körperliche Tätigkeiten mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag verrichten. Es hat sich im Ergebnis und in der Begründung den Ausführungen von Dr. B. angeschlossen und insbesondere ihre Leistungsbeurteilung durch die vom Kläger angegebenen sozialen Kontakte und Aktivitäten nachvollziehen können. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen liege nicht vor. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI hat das Sozialgericht schon angesichts des Lebensalters des Klägers als ausgeschlossen erachtet.

Gegen das ihm am 19.07.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02.08.2013 Berufung eingelegt. Er hält die Beurteilung von Dr. B. und Dr. R. für nicht nachvollziehbar. Sein Tagesablauf und seine Gestaltungsmöglichkeiten des Alltagslebens seien unzutreffend berücksichtigt worden. So mache er Besorgungen für die Kinder und seine Nachbarin nicht täglich. Die nachbarschaftliche Hilfe für den Gynäkologen falle etwa alle zwei Wochen einmal an. Sein Engagement im VdK erschöpfe sich in der Regel in der Teilnahme an einmal im Monat stattfindenden Sitzungen, in denen er schnell ermüde. Im Übrigen habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 10.07.2013 und den Bescheid vom 02.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 01.09.2011 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat im Hinblick auf die behauptete Verschlechterung des Gesundheitszustandes Dr. R. und Dr. W.-S. schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Dr. R. hat über eine gewisse Besserung des Gesundheitszustandes seit ihrer Auskunft gegenüber dem Sozialgericht Reutlingen berichtet. Dr. W.-S. hat angegeben, den Kläger seit seiner Auskunft gegenüber dem Sozialgericht einmal gesehen zu haben. Grund der Vorstellung sei eine Schwellung der rechten Hand gewesen, er habe ein Medikament rezeptiert und der Kläger sei nicht mehr erschienen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Sozialgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier begehrte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung dargelegt (insbesondere § 43 SGB VI) und ebenso zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil er zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr arbeitstäglich verrichten kann, weil den bei ihm vorliegenden Erkrankungen und Beschwerden durch qualitative Einschränkungen, die kein ungewöhnliches Ausmaß erreichen, hinreichend Rechnung getragen werden kann. Dabei hat es sich zutreffend den Ausführungen von Dr. B. und der Leistungsbeurteilung von Dr. R. angeschlossen. Es hat darüber hinaus ebenso zutreffend dargelegt, dass ein Anspruch des Klägers nach § 240 SGB VI schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil er nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Das Vorbringen des Klägers in der Berufung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Angesichts der Vielfältigkeit der Tagesaktivitäten des Klägers, wie sie im Gutachten von Dr. B. dokumentiert sind, fällt es nicht ins Gewicht, wenn einzelne dieser Aktivitäten nicht täglich erfolgen, so nach den Angaben des Klägers die Besorgungen für die Kinder und seine Nachbarin sowie die Hilfe für den Gynäkologen. Trotzdem verfügt der Kläger über einen ausgefüllten Tagesablauf, wenn er morgens die Zeitung liest, sich um seine Wohnung, seine Post und seinen Haushalt kümmert, seine Einkäufe erledigt, mittags ausführlich kocht und nachmittags Verwandte in der Umgebung besucht oder Spaziergänge bzw. Erledigungen macht und dann gegen 17:00 Uhr regelmäßig zum Feierabend nach Hause zurückkehrt. Hinzu kommt - und insoweit sind die Ausführungen des Sozialgerichts zu ergänzen - , dass der Kläger verschiedenen Hobbies nachgeht, so Angeln, Schwimmen, Handwerken und das Sammeln von alten Armband- und Taschenuhren.

Soweit der Kläger eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes behauptet hat, hat sich dies im Rahmen der vom Senat durchgeführten Sachaufklärung gerade nicht bestätigt. So hat insbesondere Dr. R. sogar von einer gewissen Besserung des psychischen Gesundheitszustandes seit ihrer Auskunft gegenüber dem Sozialgericht berichtet. Dr. W.-S. hat den Kläger lediglich wegen einer Schwellung der rechten Hand medikamentös behandelt, wobei der Kläger danach keinen Kontakt mehr mit seinem Orthopäden aufgenommen hat. Von einer Verschlechterung kann daher auch in Bezug auf das orthopädische Fachgebiet nicht ausgegangen werden. Vor diesem Hintergrund verbleibt es daher bei der übereinstimmenden zeitlichen Leistungsbeurteilung von Dr. R. und Dr. B. , die auch vom behandelnden Hausarzt Dr. H. bestätigt worden ist. Schließlich hat selbst Dr. R. ein bis zu sechsstündiges Leistungsvermögen in ihrer Auskunft gegenüber dem Sozialgericht nicht ausgeschlossen (leichte Tätigkeiten drei bis sechs Stunden und damit - so bereits Dr. B. in ihrem Gutachten - einschließlich sechs Stunden).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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